LYVTEN

Foto© by Sebastian Igel

Das „Offbeast“ steckt in uns allen

Das Ungeheuer in uns ist das „Offbeast“, das dem dritten LYVTEN-Album seinen Namen gibt. Das Kämpferische und Wilde, das wir nicht rauslassen können und das die thematische Basis für die neue Platte der Band aus Zürich bildet. Bevor LYVTEN damit ihr nächstes Kapitel aufschlagen konnten, hat sich einiges bei ihnen verändert. Nachdem bereits ihr erster Bassist Sandro vor einigen Jahren gegangen ist, hat inzwischen auch Gitarrist und Sänger Thorsten das Schiff verlassen. Mit seinem Nachfolger Claudio steuern LYVTEN nun in neue Gewässer und belassen doch das Wesentliche beim Alten.

Claudio, „Offbeast“ ist das erste Album von LYVTEN ohne Thorsten an Mikro und Gitarre, dafür aber mit dir. Wie hat das die Band verändert?

Claudio: Für mich hat sich ganz viel getan. Mein musikalisches Dasein konzentriert sich mehr und mehr auf LYVTEN. Eigentlich ist das die Musik, die ich immer machen wollte, und endlich haben die richtigen Typen mich gefunden. Anfangs fiel es mir schwer zu entscheiden, ob ich mitmachen will, zumal ich unsicher war, ob ich mit dem Niveau mitkomme, vor allem bei den alten Songs. Ich habe sonst immer in Drei-Akkorde-Bands ohne Geschnörkel gespielt. Die Chemie hat sich aber ganz schnell gefunden. Relativ bald wurden auch Songideen von mir einbezogen. Das Ergebnis davon war die 7“ „Wind Of Change“. Spätestens da war klar, dass es passt, und die alten Songs mussten wir danach auch nicht mehr üben.

Wie kam es zu den Umbesetzungen bei LYVTEN?
Kevin: Thorsten wollte sich mehr auf seinen Job und die Familie konzentrieren und hatte darum keine Zeit mehr, auf Tour zu fahren und ein oder zwei mal die Woche zu proben. Das haben wir alle verstanden. Wir sehen uns immer noch. Er hat ja inzwischen auch wieder eine Band und deren Konzerte besuchen wir auch. Der alte Bassist, den ich ersetzt habe, hat einfach von heute auf morgen beschlossen, keine Musik mehr zu machen. Er braut jetzt Bier. Ich habe ihm sein gesamtes altes Equipment abgekauft, weil er sagt, er braucht das nicht mehr.

Stefan und Sandro waren anfangs hauptsächlich für das Songwriting verantwortlich. Sandro ist nicht mehr da und nun habt ihr auch einen neuen Sänger. Habt ihr mal überlegt, unter einem neuen Namen weiterzumachen?
Kevin: Wenn wir uns umbenannt hätten, hätten wir ganz neu anfangen müssen. Alle außer mir sind Väter und um einen Neustart zu machen, hat keiner Zeit. In neun Jahren haben wir mit LYVTEN Strukturen aufgebaut und das alles in die Tonne zu kloppen, wäre schade gewesen. Die Geschichte von LYVTEN ist noch nicht zu Ende erzählt. Jetzt folgt das zweite Kapitel.

Beim Hören von „Offbeast“ fällt mir ein klarer Unterschied im Vergleich zum Debüt auf: Es ist weniger schrammelig, dafür wuchtiger – eine direkte Folge der Umbesetzung?
Claudio: Ich kenne LYVTEN von Anfang an und aus meiner Sicht hat sich der Sound tatsächlich dadurch verändert. Kevin kommt aus dem Melody-Punk und ich habe mehrheitlich in klassischen Deutschpunk-Bands gespielt. Auf „Offbeast“ wird offenbar, dass wir neue Einflüsse mitbringen, die Musik ist direkter im Sound und auch im Text. Ich schreibe nicht wie Thorsten. Ich versuche immer, eine Geschichte zu erzählen, bin dabei aber eben direkter als er. „Bausatzkummer“ klang ja auch schon ein bisschen anders, aber bei „Offbeast“ wird es deutlicher. Ich finde, es hat aber immer noch den typischen Sound von LYVTEN.

Euer Album erscheint bei Kidnap Music. Vorher wart ihr bei Twisted Chords, das den Betrieb einstellt.
Kevin: Wir waren sehr überrascht. Unser Schlagzeuger Tobi hat uns einen Screenshot von der Meldung bei Facebook geschickt und wir waren erst mal etwas ratlos. Inzwischen haben wir mit Tobi von Twisted Chords telefoniert. Es lohnt sich für ihn momentan nicht mehr und er mag auch nicht mehr. Er hat uns in der Vergangenheit auf vielerlei Weise sehr geholfen. Ohne ihn hätten wir unseren Stand nicht erreicht.

Dafür jetzt also Kidnap Music.
Kevin: Ja, die hatten wir auf dem Schirm, weil die viele Bands rausbringen, die wir lieben. Ich habe sie einfach mal kontaktiert und da schreibt mir so ein Alex zurück, dass wir ja mal telefonieren könnten. Das habe ich den anderen berichtet und die fragten völlig überwältigt: Du weißt schon, welcher Alex das ist, oder? Ich war völlig geschockt und furchtbar aufgeregt, als ich geschnallt hab, dass das der Sänger von PASCOW ist.

Der Song „Mucki“ ist eine Hommage an Gertrud „Mucki“ Koch, die Mitglied der Edelweißpiraten beziehungsweise der Ehrenfelder Gruppe in Köln zur Zeit des Zweiten Weltkriegs war.
Claudio: Ich bin vor längerer Zeit auf die Edelweißpiraten-Gruppierung gestoßen und habe mich da eingelesen. Ich finde die Geschichte sehr interessant, vor allem wie es dann weiterging, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Die sind ja noch lange als Kriminelle verfolgt worden, bevor sie als Widerstandsgruppe eingestuft wurden. Speziell auf Gertrud „Mucki“ Koch bin ich durch eines ihrer letzten Interviews aufmerksam geworden. Das war eine ganz neue Songwritingerfahrung für mich, weil ich viel recherchiert habe und versuchen wollte, viel von ihnen selbst in den Text einzubauen. Ihr „Scheißflugblatt“ zum Beispiel, das sie ja selbst so bezeichnet haben. Es war mir wichtig, auch ihre Worte wiederzugeben.

Kommen wir zum „Offbeast“, das man im Video zur ersten Single „Alles auf rot“ durch die Gegend rollern sieht: Was genau ist das für ein Tierchen?
Kevin: Ich glaube, das „Offbeast“ steckt in uns allen. Es ist ein Teil, den wir nicht zeigen dürfen oder auch nicht zeigen wollen. Lukas von HEISSKALT hat uns dann das „Offbeast“ entworfen, wie man es auf dem Cover und im Video sehen kann. Es ist eine nervige, aber vor allem ehrliche Person. Man darf nicht immer ehrlich sein. Wie das „Offbeast“ haben wir alle eine Maske auf, sobald wir aus der Tür raus gehen. Wir schubsen nicht Leute vom Skateboard, obwohl wir es vielleicht wollen, sondern sind nett. Wenn sich Schweißperlen auf der Stirn bilden, weil man sich etwas verkneift, ist das der Moment, in dem das „Offbeast“ raus will.
Claudio: Wir haben in unserem System, in dem wir funktionieren müssen, Regeln, an die es sich zu halten gilt. Man muss sich an ein bestimmtes Schema anpassen, möchte aber hin und wieder ausbrechen. Das von Lukas entworfene Biest passt da genau. Es wirkt erst mal niedlich, hat aber etwas Kämpferisches, Wildes, das über die Grenzen hinaus will. Das stellt gut dar, was wir mit der Platte sagen wollen. Ich will auch mal ein Arschloch sein.