MAD SIN

Foto© by Judith Class

Totgesagte leben länger

Mit Köfte deVille, Sänger und Mastermind der Berliner Kultband MAD SIN, haben wir zuletzt vor zehn Jahren gesprochen. Da war gerade die LP „Burn And Rise“ herausgekommen. Nun steht das neue Album „Unbreakable“ kurz vor dem Release. Das nehmen wir zum Anlass, uns mal bei Köfte zu erkundigen, wie es ihm seitdem so ergangen ist, wie es um seine Band steht und was uns auf Album Nr. 11 erwartet.

Wir befinden uns hier im Ramones-Museum in Berlin. Wie ist dein Bezug zu dieser Band, ihr habt ja mal „She’s the one“ gecovert ... Und „Born to die in Berlin“ war deren letzter Song, das passt ja auch.

Als Kind hörte ich viel von der Musik meiner Mutter, Johnny Cash und Elvis. Im Bauch habe ich Jimi Hendrix zwar nicht gesehen, aber live gehört. Und sie nahm mich dann auch mit zu Ray Charles, das waren die guten Sachen, die ich von ihr habe. Sie war als Künstlerin musikalisch eben ziemlich offen. Und die RAMONES habe ich auch schon sehr früh gehört, auf einem Mixtape bei einer dieser Klassenfahrten nach Sankt Peter-Ording. Da war sehr viel britisches Zeug drauf, was man eben so hörte 1978, aber eben auch die RAMONES und das hat sich mir eingeprägt. Und dann kam irgendwann mal im Fernsehen dieser Film „Rock’n’Roll High School“, in zwei Teilen im Vormittagsprogramm. Und seitdem ...

Bis auf dich und Kontrabassist Valle ist bei MAD SIN ein völlig neues Line-up am Start. Wer sind die drei Neuzugänge? Augenscheinlich kommen sie ja aus der Billy-Ecke. Manny Anzaldo kennt man vielleicht schon von REZUREX ...
2016 war der Punkt erreicht, an dem es mit meiner Band nicht mehr weiterging. Ich lebte bei meiner spanischen Freundin in Pineda del Mar. Dort findet immer dieses Psychobilly Meeting Festival statt und wir konnten zu einem sehr guten Preis ein Appartement mieten. Ich bin dann immer hin- und hergeflogen, ich war echt ein „Klimakiller“. Wir spielten noch viel, es gab Geld zu verdienen. Auf der Bühne funktionierte das auch gut, doch sobald das Konzert zu Ende war, ging jeder seiner Wege. So wie in einer Ehe, bei der man sich sagt, eigentlich hätten wir uns schon vor Jahren trennen müssen. Aber Besetzungswechsel mochte ich schon als Musikfan nicht, unsere Schlagzeuger wechselten zwar öfter, aber es gab nur drei Bassisten in den 33 Jahren, das ist nicht viel. Wir haben damals einen zweiten Gitarristen dazugeholt, weil der Erste das alles nicht alleine tragen konnte. Der konnte die Sachen nicht spielen, sonst hätten wir schon viel früher anders geklungen. Aber es war „nicht sein Ding“. Aber dann kam ja Tex Morton. Das war das erste Mal, dass ich mit einem richtigen Gitarristen gearbeitet habe, das war für mich eine tolle Erfahrung und ich habe aber ihn auch an seine Grenzen geführt, haha, weil ich vom ihm immer etwas anderes umgesetzt haben wollte. Er hat das toll gemacht. Bei unserer Polydor-Platte, „... Sweet & Innocent? ... Loud & Dirty!“ von 1998, also bevor Tex in die Band kam, hat der Produzent immer gesagt: „Alter, spiel mal keine Wandergitarre.“ Da gab es Tränen und so ... Und da haben wir Doyle eingeflogen und der half uns auch. Da kam mir schon die Idee, Stein rauszuschmeißen, aber ich dachte immer, wir sind eine Gang, und ich finde es sowieso doof, wenn sich etwas ändert, also holten wir seinerzeit einen zweiten Gitarristen in die Band. Nun sind wir eben zu fünft.

Jetzt aber noch mal zu den Neuzugängen ...
Zwischendurch hatten wir Matt Voodoo, den wir rausschmeißen mussten, nachdem er hinter unserem Rücken bei „The Voice“ auftrat. Dann hatten wir wieder einen anderen, einen Holländer, den ich sehr mag, obwohl er extreme Scheiße gebaut hat. Das war nicht tolerierbar. Und nun hatten wir eine Tour gebucht mit Konzerten in Frankreich und der Schweiz und wollten uns fünf Tage vorher treffen. Und proben. Valle, Manny und ich warteten und nicht nur der besagte Gitarrist aus Holland kam nicht, auch KO, unser Drummer, nicht! Wir riefen alle Krankenhäuser an, die auf der Strecke lagen – nichts. Was nun? Wir konnten die Tour ja nicht absagen. Das waren ja mit die ersten Gigs mit der neuen Besetzung, die würden gut besucht sein. Wir waren musikalisch besser denn je. Nun waren wir endlich an einem Punkt, wo ich schon vor dreißig Jahren hinwollte. Manny schlug dann vor, dass ich die Drums spiele, was ich auch tat, weil, wie gesagt, ausfallen lassen ging nicht. Aber wir brauchten die zweite Gitarre. Manny ist geschult auf der Rhythmusgitarre und kann seine Soli, aber eben nicht auf gewisse Licks. Dann kamen wir auf Andy Kandil aus London, weil der kann alles! Der war bei GUITAR SLINGERS, HIGHLINERS, der hat Sachen für Morrissey eingespielt. Sogar mit Hans Zimmer, einem der größten Musikkomponisten überhaupt, hat er mal was gemacht. Wir hatten nur Bedenken, ob er Zeit hat, er spielt ja noch in Rock- und Jazzbands. Aber dann rief er zurück: „Wie viel Zeit habe ich? Was, nur zwei Tage?“ Und trotzdem meinte er: „I’m in!“ Er hat nicht einmal nach Geld gefragt. Und dann kam etwas, das habe ich noch nie erlebt. Wir fuhren auf diese Tour, mit einem großen Bus, mit Valle am Steuer. Und dann sagten wir zu Andy im Bus: Hey, du musst das alles im Stehen spielen, weil bei MAD SIN spielen ist wie ein Fronteinsatz in Kambodscha, wie ein Boxkampf. Wir sind im Grunde wie eine Hardcore-Punkband, es geht nur nach vorne. Auf Angriff sein, die Wut rauslassen. Und dann stand er mit seiner Gitarre da und Valle sagte immer: „Achtung Kurve!“ Kannst du dir das vorstellen? Der spielte mit Pausen 14 Stunden in diesem Sprinter! Und schon nach dem zweiten Konzert wusste ich: Der oder keiner.

Zu Beginn des Albums fragt eine Stimme „Are you ready for desaster?“ ...
Das ist Stu Arkoff, früher bei ZOMBIE GHOST TRAIN, was ja eine sehr gute Band war. Vor allem das erste Album von denen war richtig gut.

Seit eurem Album „God Save The Sin“ von 1996 bist du dafür bekannt, mindestens 16 Songs ein Album zu packen. Warum?
Ja, im Nachhinein war das vielleicht nicht so clever. Da begann ja die Zeit der CD und dieses Ding hatte für mich alten Vinyl-Junkie keinen Wert. Diese Plastikhülle und so weiter. Auf eine Vinyl-LP passten nur neun Stücke drauf, aber da war das auch okay. Wir wollten eben etwas bieten. Auf einem Album waren es sogar 19 Stücke, das wurde mir auch angekreidet. Da sagten mir viele Musiker, dem könne doch keiner mehr folgen. Ich habe das jetzt auch verstanden. Ich wusste damals noch nicht, dass ich ADHS habe. Bei einer Punkband, die 19 Stücke hat, sind die stilistisch oft relativ gleich, nicht so informativ. Bei uns war es einfach zu viel. Ich bin ja aufnahmefähig, aber die anderen Menschen eben nicht, und ich dachte noch, die müssten sich doch über so viele Songs freuen!

Ein Song heißt „Totgesagte leben länger“. Nun wurde ja öffentlich, dass du in gesundheitlicher Hinsicht eine harte Zeit durchgemacht hast. Wie geht es dir heute, wie gesund ist dein neues Leben?
Schau hier, Tee! Aber Tee trank ich eigentlich schon immer. Bei Kaffee ist es anders, da muss ich aufs Klo und kotzen. Tatsache ist, dass ich eigentlich immer viele Drogen genommen habe, Speed und später Koks, und mich damit quasi selber therapiert habe.

Warum warst du nicht beim Arzt?
Na, ich ging ja damals zum Psychologen. Dem fiel halt auf, dass ich immer alles anders schreibe. Ich kann keinen Buchstaben so schreiben wie einen anderen. Früher hätte man gesagt, der hat spastische Zuckungen. Wenn ich etwas tun muss, was ich nicht will, passiert es, dass ich anfange zu zittern. Ich dachte immer, es sei eine physische Sache, war es aber nicht. Das Gehirn leitet es so weiter an den Arm, obwohl ich das nicht will. Und diese Drogen haben mich bei meinen vielen ausufernden Ideen im Kopf eigentlich beruhigt. Das Problem war, dass ich mehr und mehr Alkohol dazu trank, vor allem literweise Wodka mit Apfelsaft. Das war dann das Ende der Balance, der Alkohol dazu war nicht okay. Es war nicht so, dass ich zusammenbrach. Ich bin ja schon ein ziemlicher Brummer, es war eher so, als hätte man King Kong unter Strom gesetzt, und deshalb bin ich oft ausgerastet. Gewalttätig bin ich dann aufgrund von Ungerechtigkeiten geworden. Aber ich checkte zum Glück, dass dadurch jemand sterben kann. Für mich ist ja so ein einziger Schlag nichts, aber trotzdem wäre es Totschlag. Und ich will das auch gar nicht, weil ich grundsätzlich ein friedlicher Mensch bin. Ich lasse meine Aggressionen auf der Bühne raus.

Ist der Song „Momento mori“ quasi ein inneres Anliegen, als Mahnung an deine Fans, sich der eigenen Sterblichkeit stets bewusst zu sein?
Das ist eher allgemein gemeint. Die Geschichte mit der Krankheit ist dann so ausgegangen, dass ich 2014 eine Überdosis hatte. Ich hatte eine eigentlich lächerliche Operation, die Gallensteine mussten heraus. Der Arzt meinte, das dauere nur drei Tage, das wird punktiert. Jedenfalls entzündete sich das dann und es kam viel Eiter heraus. Und ich sagte noch, Mensch, ich nehme ja durch das Touren, um zu funktionieren, ohnehin schon massenweise Antibiotika. Jedenfalls hatte ich ein riesiges Loch im Bauch. Und das wurde jeden Tag ausgespült. Dann bekam ich Schlaftabletten und dazu noch Tavor, das ja süchtig macht. Mir wurde dann langweilig, also nahm ich wieder Koks. Und bei Müdigkeit wieder Tavor. Mit 44 Jahren kam ich dann auf diesen Elvis-Film. Speed, Koks okay, aber Tabletten und Heroin waren „no way“ für mich. Und was passierte: ich wurde abhängig. Und eines Tages dachte ich, dass ich sterbe. Ich habe keine Angst vorm Tod, ist mir egal. Ich bereue nichts, ich fing als Kind an mit dem Tennisschläger vorm Spiegel und habe später die ganze Welt gesehen, bis zur Antarktis, Japan, zig US-Touren, war mit so vielen tollen Frauen zusammen, musste mich nie verbiegen oder zum Affen machen. Vielleicht wusste ich mal nicht, wie ich die Miete zahle, aber hey, es gibt Schlimmeres. Jedenfalls merkte ich – jetzt sterbe ich. Nun wollte ich nicht, dass man mich in meiner Wohnung findet, mit den ganzen Pillen. Ich ging dann runter, rief vorher noch jemanden an, und legte mich drei Häuser weiter vor die Tür. Und das Erste, was ich wieder weiß, ist, dass mich jemand fragte: „Wie heißen Sie? Wie alt sind Sie? Wo sind Sie geboren?“ Ach so, dazu kommt, dass später noch meine Bauchdecke einriss. Da stand plötzlich etwas ab und da dachte ich, das sei Krebs. Ich hatte mit dem Sport einfach zu früh angefangen. Da rannte ich schreiend ins Krankenhaus und die Jungs mussten ein Konzert ohne mich spielen. Ich konnte die nicht mal mehr anrufen. Und was mich so ankotzte, die wussten im Vorfeld schon, dass es mir nicht gut ging. Und nur Valle rief mich an ... aber die flogen alleine nach Schweden.

Bei „Alles ist schlecht“ holst du zum Rundumschlag aus, Botox-Tussis, religiöse Fanatiker, Nazis ... War es dir wichtig, das auf Deutsch zu singen?
Am liebsten würde ich eine ganze Platte auf Deutsch machen. Jedoch das würde ich eher für ein Seitenprojekt verwenden. Aber mir ist eben bewusst, ohne die Fans wären wir nicht da und könnten im Keller spielen.

Und obwohl ja beide Gitarrenposten neu besetzt sind, klingt alles wie aus einem Guss und einfach typisch nach MAD SIN. Ist das eine besondere Kunst oder eher pures Handwerk?
Ist das Kunst oder kann das weg? Na ja, das ist ja mein Auftrag. Wenn man es so lange macht wie ich, ist es ein Beruf, eine künstlerische Freiheit, aber verbunden mit einem Auftrag. Nimm David Bowie, der wollte jede Platte anders machen, und ich will jeden Song anders machen. Damit meine ich, dass es Leute gibt, die geile Künstler sind und ihre Fans immer wieder überraschen. Das möchte ich auch, aber anders. Ich bin ja nicht der Allerschärfste oder denke das. Also ich gründete die Band, machte sie durch meinen Einsatz zu dem, was sie ist. Ich habe die Idee und ich weiß, wie das Ganze klingen soll. Ich bin ja Songschreiber, Musiker und Produzent in einem.

Was sicher nicht auf Eis liegt, ist eure Bandbiografie. Wann wird sie nun erscheinen?
Das Buch ist fertig, es umfasst gut 400 Seiten. Es wird Anfang 2021 erscheinen. Dazu werde ich eine Lesung machen, begleitet durch zwei Musiker, und ein Set spielen mit allen Songs, die mir persönlich wichtig sind, von meinem Geburtsjahr 1969 bis jetzt. Dazu soll es eine Vinyl-LP geben, für die diese Stücke noch mal extra eingespielt werden.