MENSCHABSTINENZ

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Besser ohne Bass

Not macht pragmatisch und Technik macht es möglich. MENSCHABSTINENZ, die im Dezember 2021 ihre erste Split-7“ mit EGOTRONIC veröffentlicht haben, zeigten im vergangen Jahr mit rund zwanzig Hardcore- und Powerpunk-Streaming-Veröffentlichungen, dass mensch der pandemischen Lage auch kreatives Potenzial abringen kann, selbst wenn sich die handelnden Akteure zuvor kaum kannten. Dieser Raketenstart machte mich neugierig und so bat ich Matze, Olli Bockmist und Roischi zu einem schließlich sehr unterhaltsamen Video-Call. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns von der Band die Nachricht, dass Olli ausgestiegen ist. MENSCHABSTINENZ machen mit Matze und Roischi als Basisbesetzung als Studioband weiter. Neue Songs sind bereits angekündigt.

Matze, ihr seid 2021 als Online-Projekt gestartet, dass binnen weniger Monate mehrere Songs auf YouTube mit selbst gemachten Videos veröffentlichte. Im Dezember erschien euer erstes Vinyl, eine Split-7“ mit EGOTRONIC. Wie habt ihr zusammengefunden?

Matze: Im Prinzip online. Zueinander gefunden hatten wir schon vor einiger Zeit, aber nicht in dieser Konstellation. Olli und ich kennen uns schon etwas länger. Irgendwann meinte er zu mir, dass ich eine Oi!-Stimme hätte, und er hätte da noch was rumliegen. Dann hat er mir ein paar Soundschnipsel rübergeschickt. So Sachen, die er vor zehn Jahren gemacht hat ...
Olli: So richtiger Zecken-Punk war das.
Matze: Und ich habe spontan einen Text dazu gemacht.
Olli: Die Instrumentals waren eigentlich für Frauenarzt, den Rapper von DIE ATZEN gedacht – ist wirklich so! Der hatte mich damals gebeten, ihm ein paar kurze Songs zu machen in dem Stil, wie die BEASTIE BOYS früher klangen, als sie noch Hardcore-Punk spielten. Er wollte auch so was machen. Das ist jetzt aber zehn Jahre her, und weil Frauenarzt nie was mit dem Material angestellt hat, habe ich Matze gefragt, ob er nicht mit seiner Oi!-Stimme was dazu machen wollte. Matze ist ein unfassbar guter Schreiber und so ging das alles relativ schnell mit den ersten Songs.
Matze: Mit dabei ist auch Roischi. Ich hatte für die DIE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM und EGOTRONIC Artworks gestaltet. So haben wir uns kennen gelernt und sind uns jetzt wieder über den Weg gelaufen, und wir haben ihn genötigt, bei uns einzusteigen. Damit haben wir Schlagzeug, Gitarre und Gesang besetzt. Wenn wir so eines Tages mal in der Liga vom HAMMERHEAD mitspielen könnten, das wär’s.
Olli: Und Bass wird sowieso total überbewertet.
Roischi: Ja, ohne Bass ist besser. Matze und ich schreiben uns gelegentlich und so schickte er mir irgendwann mal sein Material und fragte nach meiner Meinung. Ich fand die Sachen auf Anhieb ziemlich geil. Einen Monat später ungefähr hat Matze mich dann gefragt, ob ich das live mitspielen würde. Und weil ich grundsätzlich zu allem ja sage, was man mich fragt ...
Olli: Das stimmt. Als ich dich mal fragte, ob du Drummer bei BAND OHNE ANSPRUCH werden wolltest, hast du ja gesagt, aber irgendwie ist da nie was draus geworden.
Roischi: Echt? Da kann ich mich gar nicht dran erinnern.
Matze: Damals warst du noch auf dem Höhenflug mit den Crackhuren.
Roischi: Da hatte ich wohl Starallüren ...

Ich sehe, wir tragen hier offensichtlich zum Team-Building bei?
Olli: Roischi, wir haben uns kennen gelernt, meine ich, beim Punk im Pott 2013? Du mit EGOTRONIC und ich mit ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN.
Roischi: Ja, das kann sehr gut sein.
Olli: Das war in der Turbinenhalle. Das Hotel für die Bands war ganz in der Nähe und ich habe mir betrunken ein Taxi genommen und 40 Euro gezahlt, um dann nach der Ankunft zu merken, dass der Mäces, wo ich noch was essen wollte, direkt neben der Turbinenhalle lag.

Das Interview eskaliert gerade ein wenig ... Welche musikalischen Vorbilder und Einflüsse liegen eurem Sound zugrunde?
Roischi: Eindeutig: die KELLY FAMILY!
Olli: Also, als es anfing, war es dieser BEASTIE BOYS-mäßige Hardcore-Punk, also alle Tracks unter einer Minute. Danach haben wir angefangen, Songs zu covern. Die sind dann etwas komplexer komponiert.
Matze: Die Frage ist interessant. Weil ich nie Musiker war, mich auch nicht so sehe, kann ich das schlecht beantworten. Ich bewerte Musik danach, ob sie mich anspricht. Was mich anspricht, beeinflusst mich. Hardcore-Punk und Pop-Punk sind das, was wir können.

Wo wir gerade von Hardcore sprechen: Ich habe den Eindruck, dass sich gerade ein Revival des Achtziger-Jahre-DIY-Hardcore-Punk ankündigt. Beobachtet ihr das auch so?
Olli: Ja. ERSATZKOPF und KOTZREIZ finde ich ganz großartig. Das sind alles hervorragende Musiker, die diesen Zecken-Punk machen. Die machen einen richtig guten Sound. Ja, ich sehe auch diese Tendenz. Ich finde es großartig, wenn ausgebildete Musiker diesen einfachen, harten Punk auf den Punkt bringen.
Matze: Durch die Pandemie ist DIY in vielen Bereichen wieder in den Vordergrund gerückt. Diese Tendenz wird sich gewiss fortsetzen, da bin ich sicher. Zum Beispiel Veröffentlichungen ohne große Labels rauszubringen, da läuft viel DIY. Ob das ein Achtziger-Revival ist, interessiert mich nicht. Es ist Punk und das ist geil.

DIY beschreibt auch treffend die äußerst produktive Herangehensweise von MENSCHABSTINENZ. Wie schafft ihr das? Wie läuft euer Songwriting, nachdem Ollis alte Instrumentals verarbeitet waren?
Olli: Matze und ich treffen uns meistens via Video-Call oder tauschen über Kurznachrichten Ideen aus. Unsere Diskussionen sind manchmal unfassbar anstrengend, aber auch sehr kreativ und produktiv.
Matze: Was Olli sagt, ist genau das, was uns ausmacht. Wir haben keinen festen Plan oder ein Konzept für diese Band. Wir gehen da spontan und impulsiv ran. Ich habe ein paar Texte vorgeschrieben, der Olli hat die Mucke dazu im Kopf, der Roischi gibt seinen Senf dazu und fertig ist die Laube. Das läuft echt fix im Augenblick.
Olli: Ja, wir handeln impulsiv. Wie zum Beispiel bei unserem Nena-Cover-Video. Das kam genau zur richtigen Zeit, als Nena gerade voll durchschwurbelte in Sachen Corona. Matze hatte schnell die Lyrics bearbeitet. Meistens läuft das also so, dass ich Matze die Instrumentals schicke und er flott Top-Texte und den Gesang dazu liefert, so dass ich die Songs ohne großen Aufwand am Mischpullt und mit Drumcomputer arrangieren kann. So entsteht zunächst eine Demoversion der Stücke, die ich dann noch einmal nachbearbeite, so dass das alles zu einem sauberen Song wird. Die Schritte sind dieselben wie im Proberaum, nur eben auf Distanz.
Matze: ...und zack, hatten wir ein Video fertig, das in kurzer Zeit über einhunderttausend Mal aufgerufen wurde. Wie es im Moment für uns läuft, das ist eine glückliche Fügung. Ich denke, dass da gerade viele Leute am Start sind, die ähnlich wie wir ihr DIY-Ding machen.

Roischi, wie bringst du dich in das Songwriting ein?
Roischi: Bisher läuft das so, dass ich die Sachen abnicke und gut finde. Das geht auch ganz schnell. Ich spiele die Drumparts zu Hause ein, um dann live so richtig einsteigen zu können.

Wenn ich das richtig verstehe, seid ihr noch im Selbstfindungsprozess. Ihr seid ja als Online-Projekt gestartet. Plant ihr, zukünftig auch gemeinsam auf der Bühne zu stehen? Sind Live-Aktivitäten vorgesehen?
Matze: Dazu haben wir verschiedene Ansichten. Ich habe noch nie auf einer Bühne vor Publikum gestanden. Der Gedanke macht mir ehrlich gesagt ein wenig Angst. Aber ich lasse alles ergebnisoffen auf mich zukommen. Ich habe ja tolle Jungs um mich herum, so dass das eigentlich nur gut werden kann.
Olli: Roischi ist ein Profi. Ich denke, wir könnten sofort live spielen und uns ungeprobt auf die Bühne stellen, einfach weil wir alle die Songs so oft gehört und gemeinsam daran gearbeitet haben.
Roischi: Ich glaube grundsätzlich auch, dass das so funktionieren könnte.
Matze: Ja, das denke ich auch.
Roischi: Ich denke, Matze würde wahrscheinlich Arschkrampen kriegen, weil er noch nie auf einer Bühne stand. Aber der kriegt das hin.
Olli: Ein Soundcheck würde reichen ...

Wir werden euch also irgendwann einmal live sehen können?
Matze: Ja, ich sehe uns als Festivalband, so viel Größenwahn sei mir gestattet. Mal schauen, was sich so ergibt.

Und weitere Vinyl-Veröffentlichungen sind auch geplant?
Oli: Grundsätzlich ja.