MILITARIE GUN

Foto© by Daniel Topete

Die Ruhe im Auge des Sturms

Ian Shelton hat sich in der Vergangenheit bereits als Video-Regisseur und mit der Powerviolence-Band REGIONAL JUSTICE CENTER in Szene-Kreisen einen Namen gemacht. Daran, dass spätestens das erste Album von MILITARIE GUN bisherige Erfolge in den Schatten stellen wird, besteht keinerlei Zweifel. „Life Under The Gun“ sollte eine breite Anhängerschaft hinter sich versammeln können, nicht nur, weil es mit Major-Unterstützung erscheint. MILITARIE GUN haben bereits bei ihrem Debüt einen Sound gefunden, der Alternative-Hörer entzücken wird, ohne ihre Hardcore-Wurzeln zu vergessen.

Seit ihr vor zwei Jahren die erste EP veröffentlicht habt, ist eure Musik deutlich vielfältiger geworden. Was ist die Essenz eines MILITARIE GUN-Songs?

Normalerweise beginnt es mit klassischen Rockgitarren-Akkorden, dann suche ich nach einem möglichst irrwitzigen Konzept oder Text. Es muss sich alles zu einem würdigen Refrain aufbauen und das zusammen würde für mich bereits so ziemlich alle Kriterien erfüllen.

Beruht dieses Ausdehnen eurer musikalischen Grenzen auf einem kontinuierlichen Schreibprozess oder auf gestiegenem Selbstbewusstsein?
Das permanente Schreiben hat mich dazu gebracht, mich immer weiter vorzuwagen. Als es mit der Band losging, nahm ich allein im Proberaum Demos auf und hatte wirklich große Angst, dass irgendwer mich zufällig hören könnte. Ich war davon überzeugt, dass es schrecklich klingt. Aber je mehr ich machte und je mehr unterschiedliche Dinge ich ausprobierte, umso mehr verlor ich auch die Angst, was dazu führte, dass ich begann, als Sänger und Komponist mutigere Entscheidungen zu treffen.

Nachdem ihr erst Ende 2022 die Deluxe-Edition mit euren beiden „All Roads Lead To The Gun“-EPs sowie einer Reihe neuer Songs veröffentlicht habt, steht jetzt bereits das neue Album an. Seid ihr so produktive Songwriter oder pflegt ihr eine ehrgeizige Arbeitsmoral?
Ich stand schon immer auf produktive Künstler. Auch die Art, wie ich Musik höre, ist davon geprägt: Bin ich von einer Platte besessen, höre ich eine Zeitlang nichts anders mehr, lasse sie dann fallen und schnappe mir schnell die nächste. Ähnlich gehe ich auch mit meiner eigenen Musik um: Ich mache ein Demo, höre es mir ein paar Mal an, brauche dann aber etwas Neues, um den Durst stillen. Songwriting ist für mich der wichtigste Grund, überhaupt in einer Band zu sein. Ich würde anfangen, unsere Daseinsberechtigung zu hinterfragen, wenn wir nicht mehr in der Lage wären, neue Sachen zu schreiben.

Musiker behaupten gerne, dass sie einzigartig sind und in keine Kategorie passen, aber bei MILITARIE GUN ist der Wiedererkennungswert tatsächlich sehr hoch. Wie fühlt es sich für dich an?
Ich denke, in unserem Fall ist es nicht allzu weit hergeholt, weil wir bereit sind, in unserer Musik Elemente aus allen möglichen Richtungen zu verarbeiten. Unsere größte Hoffnung ist, dass die Identität der Band stark genug ist, dass alles, was wir durch unseren Filter jagen, letztendlich nach MILITARIE GUN klingt. Bisher ist uns das ganz gut gelungen. Aber wir sind auch bereit, beim Kombinieren neuer Sounds zu scheitern. Das macht es für uns spannend.

Du sprachst von produktiven Songschreibern, welcher hat dich besonders inspiriert?
Robert Pollard von GUIDED BY VOICES ist eines meiner größten Vorbilder. Der Mann hat mehr Songs geschrieben als jeder andere, und gleichzeitig nimmt er es an, Ideen zu überdenken und eine bessere Version eines Songs zu schreiben. Zudem ist er auch ein multidisziplinärer Künstler, was ebenfalls sehr inspirierend ist. Er hat eine völlige Abneigung gegenüber Perfektion, was ich mir zu Herzen nehme, wenn ich Demos mache. Es geht nur darum, etwas zu vollenden, nicht darum, es perfekt zu machen. Das Studio ist ein Ort, an dem Perfektion auch mal ihr hässliches Gesicht zeigen kann.

Achtest du beim Schreiben von Songs auf Individualität?
Ich weiß nicht, ob mir Originalität genauso wichtig ist wie Identität. Ich liebe es, etwas zu nehmen, das sich mehr oder weniger „traditionell“ anfühlt, und es dann so zu bearbeiten, dass es sich nach „mir“ anfühlt. Ich weiß nicht, ob das die Definition von Originalität ist, wenn man sich in etwas Vertrautes stürzt, bis es wie etwas Eigenes erscheint. Ich habe aber definitiv nicht die Illusion, dass ich etwas erschaffe, auf das noch niemand vor mir gekommen ist.

Du hast dir auch einen Namen als Regisseur von Musikvideos machen können. Wäre das Leben eines Filmemachers nicht viel einfacher als das eines tourenden Musikers? Warum präferierst du die Musik?
Deine Annahme ist falsch! Das Leben als Filmemacher ist viel härter und stressiger als das eines Musikers. Sicher, du kannst in deinem eigenen Bett schlafen, aber Filme zu machen ist wie ein Krieg in meinem Kopf, es gibt nichts, das aufreibender ist. Musik zu machen und zu touren funktioniert für mich viel intuitiver. Ich toure, seit 17 bin, und habe mich an diesen Lebensstil gewöhnt. Ich denke, beide Tätigkeiten sind gleichermaßen erfüllend, aber im Moment bin ich sehr viel motivierter, Musik zu machen.

Hast du als Filmemacher auch Ambitionen über Musikvideos hinaus?
Ich würde gerne bei Werbespots Regie führen und eines Tages einen Spielfilm drehen. Ich halte viele Ideen in Skizzen fest, habe aber nur selten genug Zeit oder Geduld, um ein Drehbuch tatsächlich zu Ende zu bringen.

Nachdem du mit REGIONAL JUSTICE CENTER in der Indie-Szene unterwegs warst, bist du mit MILITARIE GUN nun beim Majorlabel Loma Vista unter Vertrag. Wie ist es dazu gekommen? Setzt dich das unter Druck?
Wir hatten „Life Under The Gun“ bereits vollständig aufgenommen, als wir einen Vertrag unterschrieben haben. Seit das Label sich um uns kümmert, scheint es ihnen nur darum zu gehen, die Band und die Songs zu unterstützen. Auch wenn es nun alles in einem viel größeren Maßstab stattfindet, als ich es bisher kannte, fühlt es sich an wie ein Haufen Leute, die da sind, um uns dabei zu helfen, das zu erreichen, was wir kreativ wollen. Eine Handvoll Labels war daran interessiert, mit uns zu arbeiten, alles sehr geeignete Kandidaten. Mit ihnen hätte es sicher wunderbar laufen können. Wir haben bereits sehr früh mit Loma Vista gesprochen, noch bevor wir überhaupt die erste Show gespielt hatten, und danach hatte ich mir vorgenommen, nicht das zu tun, was typisch für „die Szene“ ist. Es hat etwas länger gedauert, aber es war aufregend, endlich offiziell mit Loma Vista loszulegen, weil ich mir sicher war, dass sie die Richtigen sind.

Ist es so, dass seitdem bei MILITARIE GUN mehr Schwung in die Sache kommt?
Auf jeden Fall war die Dynamik bei MILITARY GUN zuletzt erstaunlich. Es macht Spaß, verschiedenste Arten von Shows zu spielen und die unterschiedlichen Leute zu beobachten, die auftauchen und mitsingen. Es ist besonders aufregend, dass wir das alles geschafft haben, ohne vorher ein richtiges Album veröffentlicht zu haben. Aktuell kann ich es kaum erwarten zu sehen, was passiert, wenn die Leute „Life Under The Gun“ vollständig anhören können.

Musstest du REGIONAL JUSTICE CENTER auf Eis legen, um dich auf MILITARIE GUN konzentrieren zu können, oder betreibst du dein anderes musikalisches Projekt auch weiter?
Sie mussten gegenüber MILITARIE GUN schon seit einiger Zeit etwas zurücktreten, was nicht zuletzt auf den logistischen Aufwand zurückzuführen ist, weil wir als Band in mehreren Staaten leben. Ich habe aber an neuem Material gearbeitet, damit es nicht nur alte Sachen zu hören gibt, wenn wir endlich wieder touren. Es wird auch wieder mehr passieren, aber es ist noch nicht klar wann.

Bist du ein positiv denkender Mensch, der sich sagt: Was auch immer morgen passiert, mir wird es gut gehen. Oder lebst du eher nach dem Motto: Es sieht vielleicht gerade gut aus, aber es könnte in der nächsten Minute alles vorbei sein?
Ich akzeptiere die Tatsache, dass alles irgendwann vorbei sein kann und höchstwahrscheinlich auch eines Tages vorbei ist. Meine einzige Sorge ist, Musik und Kunst zu machen, auf die ich stolz bin. Ich versuche, hungrig zu bleiben und den kreativen Faden, den ich spinne, weiter zu verfolgen.

In deiner Biografie ist zu lesen, dass du in nicht sehr stabilen Verhältnissen aufgewachsen bist. Fällt es dir dadurch womöglich leichter, Veränderungen in deinem Leben, deiner Karriere oder deiner Musik zu akzeptieren?
Es hat mich perfekt darauf vorbereitet, mit Veränderungen umgehen zu können. Manchmal empfinde ich den größten Frieden überhaupt, wenn absolut alles scheitert, was ich geplant hatte. Natürlich wünsche ich mir nicht, dass die Dinge scheiße laufen. Doch im Auge des Orkans fühle ich mich normalerweise am entspanntesten. – meiner Meinung nach eine meiner besseren Eigenschaften.