MOBY

Foto© by Travis Schneider

Punk Rock Vegan Movie

Im Februar erschien mit „Punk Rock Vegan Movie“ ein Dokumentarfilm, der lange überfällig war. Der kostenlos auf YouTube zu sehende Film zeigt den Zusammenhang von Punkrock, Hardcore, Tierrechten und Veganismus in einer Mischung aus erklärenden Passagen und Interviews unter anderem mit Captain Sensible, D.H. Peligro, Dave Dictor, Davey Havok, Dennis Lyxzén, Don Bolles, H.R., Ian McKaye, Nicky Garratt, John Porcelly, Ray Cappo, Steve Ignorant, Tim McIlrath, Toby Morse, Walter Schreifels und Wesley Eisold. Produzent des Films und als Erzähler selbst präsent ist Richard Melville Hall alias Moby. Der ist seit Mitte der Neunziger schon ein internationaler Popstar, doch trägt sein Album „Animal Rights“ von 1996 diesen Titel nicht ohne Grund: Mit einer Intensität, wie man sie von sonst kaum einem Menschen im Pop-Geschäft kennt, setzt sich Moby für Tierrechte und vegane Lebensweise ein. Nicht zu übersehen: seine Tattoos auf den Armen – rechts „ANIMAL“, links „RIGHTS“. Woher der Mann seine Kompetenz in Sachen Punkrock nimmt? Das war in den Achtzigern seine subkulturelle Heimat, der er sich bis heute verbunden fühlt.

Moby, warum hast du diesen Film gemacht?

Nun, ich bin jetzt seit 35 Jahren Veganer und versuche seit etwa zehn Jahren, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, seien es finanzielle oder kreative Ressourcen oder die sozialen Medien, die Tierrechtsbewegung voranzubringen. Vor sechs, sieben Jahren sprach ich mit einigen in Sachen Tierrechte aktiven Menschen über die gemeinsame Geschichte des Punkrock und der Tierrechte – und stellte fest, dass fast niemand unter fünfzig Jahren diese Connection bewusst war, nicht einmal in der Tierrechtsszene. Selbst Leute mit Piercings und Tattoos wussten nicht viel über diese Verbindung. Und so dachte ich, vielleicht ist das eine Gelegenheit für mich, etwas Einzigartiges zu schaffen, das diese interessante Geschichte erzählt, aber auch was zu dem Punkrock zugrunde liegenden Ethos. Dem Ethos, alles in Frage zu stellen und das, was keinen Sinn macht oder unethisch ist, durch etwas zu ersetzen, das Sinn macht und ethischer ist. Letztendlich war es einfach der Wunsch, alle mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, um den derzeitigen Status quo zu verändern, der bedeutet, dass Menschen jedes Jahr Milliarden Tiere töten.

Interessant, dass du dieses fehlende Wissen über die Beziehung zwischen Punk und Tierrechten erwähnst. Wir haben es über die Jahre oft erlebt, dass Menschen verwundert fragten, warum in unseren Ox-Kochbüchern Punk und vegane Lebensweise in Verbindung gebracht werden. Der Hintergedanke der Fragenden: Wie kann so harte, brutale Musik sich mit so einem empathischen Thema beschäftigen?
Das ist sozusagen das zentrale Paradoxon: Wenn die Leute Punkrock hören oder zu einer Hardcore-Show gehen, wirkt das auf die wie Chaos und Gewalt. Das Paradoxe oder die Ironie ist, dass die Texte oft unglaublich ethisch und prinzipienbasiert sind. Ich habe mal ein paar Freunde zu einer Show mitgenommen, ich glaube, es waren H2O und YOUTH OF TODAY. Da wurde gestagedivet und meine Freunde waren entsetzt. Für die war das nur Chaos, und ich sagte: Nein, das sind alles Straight-Edge-Veganer, die über Straight Edge und vegane Themen singen. Wenn du nicht die Möglichkeit hast, dir die Texte durchzulesen, dann erschließt sich dir nicht, worüber sie singen. Deshalb haben wir im Film an den Stellen, wo es essentielle Songs zu hören gibt, die Texte als Untertitel eingeblendet.

Dieses Paradoxon macht den Film so interessant, denn man muss ja wirklich überhaupt erst in der Lage sein, den Subtext von Punkrock zu entschlüsseln, um die Werte und Ideen dieser Subkultur zu erkennen. Ich war überrascht, dass bislang niemand einen Film wie deinen gemacht hat, weil das Thema so offensichtlich ist.
Da hast du vollkommen recht. Glaube mir, ich halte mich nicht wirklich für einen Filmemacher. Ich sage nicht: Das ist mein erster Dokumentarfilm und es werden noch viele folgen. Ich hätte mir gerne angesehen, was für einen Film jemand anderes zu dem Thema macht. Aber ich dachte mir, okay, niemand scheint so einen Film zu machen, also muss ich es wohl tun.

Du hättest auch einfach, lass es mich so sagen, als reicher Popstar irgendeinen Regisseur bezahlen können, um diesen Film zu drehen. Stattdessen hast du ihn aber wirklich selbst gemacht, und der kommt rüber wie ein Punkrock-Film. Es wirkt, als hättest du einen großen Teil der Arbeit selbst erledigt.
Ich liebe es, Kameramann zu sein. Ich liebe es, Animationen zu machen. Ich liebe all die seltsamen erzählerischen Elemente, die wir in den Film eingebaut haben. Es macht wirklich Spaß, diese Dinge zu tun, anstatt jemanden anzuheuern und etwas Professionelleres zu machen. Jemanden anzuheuern hätte auch nicht der Idee des Ganzen entsprochen. Zudem war von Anfang das Ziel, den Film zu verschenken. Von dem Moment an, als ich mit der Arbeit daran begann, hatte ich nie die Absicht, den Film zu verkaufen oder Geld damit zu verdienen. Die Idee war, den Film so billig wie möglich zu machen, damit wir ihn einfach verschenken können und uns keine Gedanken um die Vermarktung machen müssen. Also war ich der Kameramann und die Person, die den Kaffee kocht. Ich habe die Animationen gemacht und die Musik. Ich habe so viel selbst gemacht, weil es einfach Spaß macht, aber auch weil es so keinen finanziellen Druck gab.

Wie viel Zeit hast du in den Film investiert? Der war ja wohl ein paar Jahre in der Mache.
Ich habe vor etwa fünf Jahren angefangen. Es war ein ganz schöner Aufwand, die Interviews zu arrangieren und im Land herumzufahren, um all diese Leute zu treffen. Wir haben Leute in London, in New York und in Kalifornien interviewt, also haben wir viel Zeit damit verbracht, die Leute zu kontaktieren und den besten Weg zu finden, sie zu befragen. Während der Pandemie war das natürlich eine große Herausforderung.

Auch deshalb hat sich das Projekt so lange gezogen, vermute ich.
Ja, und auch, dass der Film in weiten Teilen sehr experimentell ist. Wenn du etwas machst, das nicht der traditionellen Erzählstruktur entspricht, kann das spannend sein. Aber es ist alles auch komplexer, weil man sich fragen muss, wie viel ernsthaftes Interviewmaterial man in den Film einbauen soll und wie viel Quatsch, etwa meine Gespräche mit Bagel, dem Hund. Es gibt viel Quatsch, den wir dann weggelassen haben, weil es einfach zu viel wurde, und leider gab es auch viele Interviews, die wir weglassen mussten, weil wir eine bestimmte Laufzeit nicht überschreiten wollten. Es ging also vor allem darum, ein Gleichgewicht zwischen dem Ernsthaften und dem Quatsch zu finden.

Hattest du Hilfe von jemandem, der beruflich Filme macht?
Ja, von einem Freund namens Alessio Schiazza. Er ist ein italienischer Veganer, der in L.A. lebt. Er ist ein wirklich begabter Cutter, also hat er den Großteil des Filmschnitts übernommen und seine Version dann an mich und meine Freunde Mike und Lindsey weitergegeben. Wir haben mit dem weitergearbeitet, was er vorbereitet hatte. Ohne ihn hätten wir nie so eine gute Struktur hinbekommen, er hat uns wirklich geholfen, das Projekt professioneller zu machen, denn wenn ich auf mich allein gestellt gewesen wäre, hätte ich keine Ahnung gehabt, was ich tue, und ich hätte nur ein großes Durcheinander angerichtet.

Es gibt viele Musiker, deren Karriere im Punk und Hardcore begonnen hat, aber im Laufe der Jahrzehnte haben sie sich in anderen Genres etabliert. Warum bist du nun mit diesem Film zu dieser Subkultur zurückgekehrt, in der du als Teenager sozialisiert wurdest?
Da gibt es drei Aspekte. Ich liebe immer noch Hardcore, Punk und Speed Metal. Ich höre mir ständig so was an, was viele meiner Freunde aus der Welt der elektronischen Musik sehr verwirrt. Vor ein paar Jahren habe ich mal im Auto ein Album von PRO-PAIN gespielt, die ich sehr mag, und meine Freunde waren entsetzt. Dann habe ich ihnen noch ACxDC vorgespielt und sie waren noch entsetzter. Aber ich liebe einfach diese wirklich aggressive, harte Musik. Der eine Aspekt ist also einfach die Begeisterung für die Musik. Ein weiterer ist der aktivistische Geist, den der Punkrock ausstrahlt. Der fehlt in fast allen anderen Musikgenres. Ja, teilweise ist HipHop auch sehr aktivistisch, ich denke da an Kendrick Lamar oder PUBLIC ENEMY und ERIC B. & RAKIM. Es gibt definitiv einen aktivistischen Geist im HipHop. Aber Punkrock ist insgesamt eines der wenigen Musikgenres, das sich für Tierrechte und Veganismus einsetzt und kompromisslos ist, wenn es darum geht, wie man das den Leuten präsentiert. Und das finde ich wirklich sehr inspirierend. Gleichzeitig aber finde ich es auch deprimierend, dass so viele andere Musikgenres so apolitisch sind. Ich liebe elektronische Musik, aber ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand in dieser Szene jemals über Politik gesprochen hätte. Ich liebe Indierock, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wann eine Indierock-Band das letzte Mal etwas Herausforderndes und Aktivistisches gemacht hätte. Zugegeben, es gibt ein paar Beispiele, aber im Großen und Ganzen ist es einfach so deprimierend, dass so viele Musiker so unpolitisch sind.

Wurde deine Einstellung, dass eine politische Positionierung in Musik und Kunst wichtig ist, durch die Situation in den USA in den letzten Jahren ausgelöst? Hat dich das motiviert, offen Stellung zu beziehen, etwa durch diesen Film?
Ich würde sagen, dass die Politik in den Vereinigten Staaten in den letzten 240 Jahren ein riesiges, kompliziertes Chaos war. Aber während der Obama-Jahre und auch unter Clinton dachten viele Leute, dass wichtige Probleme gelöst worden seien. Viele Aktivistinnen und Aktivisten wurden während der Obama-Jahre sehr selbstzufrieden, weil sie dachten, wir hätten nun einen wunderbaren, klugen schwarzen Präsidenten und alles sei in Ordnung. Tja, leider mussten wir feststellen, dass diese Einschätzung nichts mit der Realität zu tun hatte. Das haben wir in den letzten Jahren in den USA gesehen, aber auch in anderen Ländern. Wir müssen uns nur einfach mal erinnern. 1992 war die Sowjetunion am Ende, China schloss sich dem Westen an, es gab so etwas wie Demokratie, Indien war die größte Demokratie der Welt. So viele Länder wurden demokratisch. Jetzt ist genau das Gegenteil passiert: China ist ein vollkommen totalitärer Staat. Indien ist im Grunde ein totalitärer Staat. Immer mehr Länder in Westeuropa werden totalitär, Russland hat, wie wir wissen, die Tür zum Westen komplett verschlossen. Der Optimismus, den wir zu einem bestimmten Zeitpunkt hatten, dass die Welt vernünftiger und demokratischer wird, ist also verschwunden. Und es tut mir leid, dass ich das Offensichtliche ausspreche, Frankreich ist nur knapp davongekommen, fast wäre Marine Le Pen zur Präsidentin von Frankreich gewählt worden ist. Und das Vereinigte Königreich ist seit einer ganzen Weile schon konsequent rechts. Oder Brasilien mit Bolsonaro, und die Philippinen, und so weiter und so fort. Es ist wirklich erschreckend, wie rechts und totalitär die Welt geworden ist. Es gibt so viele rechtsgerichtete Autokratien und ich habe das Gefühl, dass es vielen Menschen einfach egal ist. Diese Selbstgefälligkeit stört mich. Entweder ist es ihnen egal oder sie sind einfach überfordert, vielleicht kämpfen sie gerade damit, die Miete zu bezahlen, und können sich nicht darum kümmern, was in der Welt vor sich geht. Aber die Lage ist nicht gut. Ich wünschte, ich müsste das alles nicht sagen, und ich weiß, dass das, was ich sage, für viele Menschen selbstverständlich ist. Aber sieh dir den Klimawandel, die Abholzung des Regenwalds, die Angriffe auf die Demokratie und die Fake News an, seit Neuestem ChatGPT und AI. Wir werden es zunehmend mit Antibiotikaresistenzen zu tun bekommen, und all das ist einfach nur schlimm, und es ist unsere Aufgabe als Menschen mit einer Plattform, mit einer Reichweite, unsere Ressourcen zu nutzen, um darauf aufmerksam zu machen. In meinem Fall konzentriere ich mich aus vielen Gründen, die dir wahrscheinlich bekannt sind, auf die Tierrechte.

Was sind für dich da wichtige Punkte?
In erster Linie möchte ich nichts tun, was zu Tierleid beiträgt oder Tierleid verursacht. Außerdem ist die Tierhaltung die drittwichtigste Ursache für den Klimawandel, die Hauptursache für die Abholzung des Regenwalds und die Hauptursache für Antibiotikaresistenzen. Als ich noch auf Twitter aktiv war, wurde nur ein Tweet jemals als unangemessen markiert, und das war der, in dem ich sagte, dass Pandemien das Ergebnis der negativen Interaktion von Menschen mit Tieren sind. Ich sagte, dass Pandemien zoonotischer Natur sind, und das wurde als Fehlinformation gekennzeichnet. Ich konnte keinen Einspruch erheben. Aber es ist nun mal wahr: Pandemien werden durch die Tierhaltung verursacht. Wie wir jetzt bei der Vogelgrippe H1N1 sehen, ist diese das Ergebnis davon, dass Billionen von Vögeln unter grausamen Bedingungen gehalten werden. Und jetzt hat die Vogelgrippe die Artengrenze überschritten und infiziert Säugetiere. Die Sterblichkeitsrate liegt bei 60%, im Vergleich zu COVID-19 mit einer Sterblichkeitsrate von 1,8%. Falls H1N1 wirklich die Artenschranke überspringt und den Menschen befällt, dann war’s das. Ich weiß, das war eine unglaublich langatmige, weitschweifige Nicht-Antwort, aber das musste raus.

Das ist absolut in Ordnung. Eine Lokaljournalistin sagte mir neulich mal, dass die Leute auf deren Facebook-Profil bei ein paar Themen immer völlig durchdrehen: Gendern, Elektroautos, Klimawandel und Veganismus. Was ist deine Theorie, warum rechtskonservative Menschen von Veganismus so getriggert werden?
Das ist eine wunderbare Frage und etwas, das mich schon lange verwirrt. Ich bin seit 35 Jahren Veganer und das Seltsamste am Tierrechtsaktivismus ist, dass wir niemanden auffordern, seine Überzeugungen zu ändern. Denn 99% der Menschen auf der Welt glauben bereits, dass es schlecht ist, Tieren wehzutun. 99% der Menschen auf der Welt wollen nicht daran beteiligt sein, Tierleid zu verursachen. Sie wollen nicht daran beteiligt sein, den Tod von Tieren zu verursachen. Das Seltsame ist also, dass all die Leute, die sich über Veganismus beschweren, eigentlich bereits unserer Meinung sind. Die meisten dieser Leute würden sich selbst als Tierfreunde bezeichnen. Wir versuchen also nicht, sie zu ändern. Wir sagen einfach: „Eure Taten sollten eure Überzeugungen widerspiegeln.“ Und dann drehen sie durch. Es wirkt so, als wären sie wütend, dass wir sagen, sie sollten aufhören, Heuchler zu sein. Sie sind wütend darüber, dass wir es wagen, ihnen zu sagen, dass der Wunsch, keine Tiere zu töten, dazu führen sollte, keine Tiere zu töten. Wir sagen ihnen: Wenn sie sich mit dem Leiden von Tieren wirklich unwohl fühlen, sollte das dazu führen, selbst kein Tierleid mehr zu verursache. Ich glaube, dass die Leute einfach nur wütend sind, da wir ihr Handeln infrage stellen. Denn wie ich schon sagte, stimmen sie uns im Grunde bereits zu.

Die Psychologin Melanie Joy hat in ihrem Buch „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. Karnismus – eine Einführung “ diese kognitive Dissonanz in eine Theorie überführt. Du spielst in einer Szene darauf an und ich habe den Eindruck, dass du damit jene, die den Film sehen, zum weiteren Nachdenken anregen willst.
Ich kenne Melanie Joy. Ich habe so viel Zeit damit verbracht herauszufinden, wie man die Menschen effektiv mit diesem Thema erreichen kann. Mit Logik, Wissenschaft, Mitgefühl, Musik oder Kunst? Die einzige Schlussfolgerung, zu der ich gekommen bin, ist, dass jeder Mensch anders ist und jeder auf eine andere Weise erreicht wird. Manche Menschen werden durch ihren Wunsch erreicht, kein Tierleid zu verursachen. Andere Menschen werden durch die Tatsache erreicht, dass sie Klimaaktivisten oder Umweltschützer sind. Und wieder andere Menschen erreicht man nur deshalb, weil sie sich um ihre Gesundheit sorgen. Niemand sollte aktiv daran beteiligt sein, Tiere zu verletzen und zu töten. Das ist eine grundlegende Tatsache. Ich habe mir unlängst einen Podcast von Ezra Kline angehört, den Podcast der New York Times, und er sprach mit einem Zukunftsforscher und fragte diesen, wofür uns zukünftige Generationen am härtesten verurteilen werden. Und der Mann sagte: Tiere. Zukünftige Generationen werden in keiner Weise mehr verstehen, wie eine Welt von Tierliebhaber:innen jedes Jahr eine Billion Tiere tötete, dabei ihre Gesundheit, die Regenwälder und das Klima zerstörte und Pandemien verursachte. Ich fand das super interessant, weil ich nicht einmal weiß, ob der Typ, der das gesagt hat, Veganer war. Aber der hat im Grunde gesagt, dass es nichts gibt, was wir als Spezies tun, das schlimmer und heuchlerischer ist, als Tiere für Nahrung und Kleidung zu töten.

Gibt es einen Grund, warum Morrissey nicht im Film zu sehen ist? Für mich – und für viele andere sicher auch – war der THE SMITHS-Albumtitel „Meat Is Murder“ damals in den Achtzigern der erste Kontakt mit dem Thema Vegetarismus.
Abgesehen davon, dass Morrissey einige verstörende rechte Dinge gesagt hat, mit denen ich nicht einverstanden bin, ist der Hauptgrund, dass er keine Verbindung zur Welt des Punkrock hat. Das aber war das einzige Kriterium, um Leute in den Film aufzunehmen. Auch wenn man jemand wie Tony Kanal, der ironischerweise im Film ein „Meat is Murder“-Shirt trägt, wegen seiner Band NO DOUBT nicht sofort dem Punk zuordnet, so hat der doch in seiner Jugend in Hardcore-Bands Bass gespielt. Ich glaube, Morissey hat als Jugendlicher mal die SEX PISTOLS gesehen und ich liebe das erste THE SMITHS-Album, und ich schätze es auch, dass Morrissey viel getan hat, um die Aufmerksamkeit auf das Thema Tierrechte zu lenken. Abgesehen davon, dass er wahrscheinlich sowieso nicht bei dem Film hätte mitmachen wollen, gab es noch eine Menge anderer Leute, die ich hätte einbeziehen können, die aber nichts mit Punkrock zu tun hatten, und ich wollte diesen Schwerpunkt ganz bewusst setzen, auch wenn sich die Leute, die den Film schauen, dessen vielleicht nicht bei jeder Person bewusst sind.

Als wir einen Post zu deinem Film machten, wurde angemerkt, dass von Seiten der BAD BRAINS und der CRO-MAGS – HR und John Joseph kommen bei dir zu Wort – in der Vergangenheit homophobe Äußerungen gemacht wurden. Für manche Leute wertet das ihre Leistungen ab etwa in Bezug die Förderung der veganen Idee.
Glaub mir, es gibt niemanden auf der Welt, mit dem ich immer einer Meinung bin. Ich stimme nicht einmal mit allen meinen Äußerungen in der Vergangenheit überein, wobei ich niemals etwas Homophobes gesagt habe. Nun gibt es diese Vorstellung, dass jeder von Geburt an zu 100% perfekt sein muss, und das ist einfach nicht möglich. Jeder, der heute Veganer ist, außer Joaquin Phoenix, hat auch irgendwann einmal einen Hamburger gegessen. Jeder Social Justice Warrior fährt Auto. Jeder hat sich mal etwas zuschulden kommen lassen, für das ihn jemand anderes verurteilen kann. Jeder Mensch ist unvollkommen und jedem kann man nachweisen, dass er etwas getan hat, was uns nicht gefällt. Ich garantiere dir, dass es keinen Menschen auf der Welt gibt, der perfekt geboren wurde und immer alles perfekt gemacht hat. Und ja, im Fall der BAD BRAINS ist es ein bisschen schwierig, weil HR offensichtlich seit langem mit einer schweren psychischen Krankheit zu kämpfen hatte. Ich kenne ihn nicht so gut, aber einiges bezüglich seiner homophoben Äußerungen hatte wohl mit einer psychischen Erkrankung zu tun. Zwischenzeitlich war er obdachlos, lebte im Park, trug ein Kleid und brüllte den Menschen irgendwas von Dämonen entgegen. Bei anderen muss man sagen können, dass sich Menschen ändern können und dass eben keiner von uns immer perfekt war. Deshalb sollten wir den Menschen die Möglichkeit einräumen, sich zu ändern, sich weiterzuentwickeln und ihre Perspektive zu ändern. Sogar Obama war übrigens gegen die Homo-Ehe, und Bill Clinton auch. Heute geben sie zu, dass das ein Fehler war. Ich denke, wir müssen bereit sein zu sagen: Okay, wir machen alle Fehler, konzentrieren wir uns auf das, was wichtig ist, und lassen uns nicht von Dingen ablenken, die Menschen vor 20, 30, 40, 50 oder 500 Jahren gesagt oder getan haben.

Hier in Europa hatten wir seinerzeit wohl etwas mehr Bezug zu dem, was Bands aus England sagten und taten, etwa CONFLICT. Ich erinnere mich zum Beispiel an all diese sehr grafischen Plattencover mit Katzen, die in einer Art Metallstruktur für Tierversuche gefangen sind. Tierversuche und Jagdsabotage in England, die Animal Liberation Front ALF war ein Thema. CRASS kommen in deinem Film in Person von Steve Ignorant zwar vor, aber insgesamt finde ich diesen Aspekt etwas unterrepräsentiert.
Ja, da hast du völlig recht. Das hat zwei Gründe. Der eine ist, dass ich in Los Angeles lebe und wir nur drei Tage in Großbritannien waren, also mussten wir alle britischen Interviews in drei Tagen machen – und dann kam die Pandemie. Also sprachen wir primär mit Steve Ignorant, der auf meiner Liste ganz oben stand, denn offensichtlich haben CRASS den Stein in dieser Hinsicht ins Rollen gebracht. Captain Sensible von THE DAMNED wollte ich auch unbedingt haben, und auch die Tochter von Poly Styrene von X-RAY SPEX. Die Jungs von CONFLICT und auch Penny Rimbaud von CRASS habe ich einfach nicht erreicht, ich hatte keinen Kontakt. Leider kam der Kontakt mit Colin von CONFLICT erst zustande, nachdem wir schon wieder nach Los Angeles zurückgekehrt waren. Und Derek von FLUX OF PINK INDIANS fühlte sich nicht wohl dabei, interviewt zu werden. Und wie gesagt, wir hatten leider nur drei Tage in Großbritannien und haben versucht, in diesen drei Tagen so viele Interviews wie möglich zu machen. Dann kam die Pandemie und wir konnten nicht noch mal nach Großbritannien fahren.

Wie sind die Reaktionen auf den Film bisher? Du hast 2,5 Millionen Fans auf Facebook, wie reagieren die darauf?
Ich habe keine Ahnung. Ich habe vor zehn oder fünfzehn Jahren beschlossen, nie wieder einen Kommentar oder eine Rezension über mich zu lesen. Ich habe beschlossen, mich nie im Radio zu hören oder mich selbst im Fernsehen anzuschauen. Ich weiß also gar nichts. Das ist auch die einzige Bitte, die ich an Leute habe, mit denen ich zusammenarbeite: Sagt es mir nicht, ich will es nicht wissen. Ich hatte ja eine Weile ein veganes Restaurant, und da konnten wir auf eine negative Bewertung reagieren. Wir konnten unsere Gerichte ändern. Wir konnten ergründen, ob die Kritik berechtigt war. Und wenn sich jemand beschwerte, dass sein Essen kalt serviert wurde, konnten wir uns anstrengen, damit das nicht wieder passiert. Aber wenn du eine Platte aufgenommen, ein Buch geschrieben oder einen Film gedreht hast, kannst du das nicht mehr ändern, wenn es erst einmal erschienen ist. Es hat einfach keinen Sinn, sich damit zu beschäftigen, was die Leute sagen oder schreiben. Ich habe seit Jahren keine Kritiken mehr gelesen, denn selbst wenn die gut sind, ist die Kehrseite davon, dass es nur meine Eitelkeit füttert. Ich bin unglaublich deprimiert, wenn die Kritik schlecht ist, und wenn sie gut ist, füttert es nur mein Ego und macht mich arrogant. Warum in aller Welt also sollte ich mich für eine der beiden Optionen entscheiden?

Eine sehr kluge, verständliche Strategie. Vielleicht sollte ich die beherzigen, denn ich kenne dieses beschissene Gefühl nur zu gut, wenn die Kommentare zu einem Post mal wieder voller Hass und Missgunst sind.
Bei mir geht das auf etwas zurück, das mir eine Freundin meiner Mutter sagte, als ich sieben Jahre alt war. Meine Mutter war ein Hippie, ihre Freundinnen und Freunde waren Hippies, und sie hatte diese eine Hippie-Freundin, die mir, als ich ein Kind war, den besten Ratschlag meines Lebens gab. Sie sagte: Wenn es dir wehtut, wenn du etwas tust, dann lass es einfach sein. Und ich dachte mir: Das ergibt irgendwie Sinn. Natürlich gibt es Dinge, die wehtun und mit denen man klarkommen kann ...

Tattoos, zum Beispiel.
Nun, Tattoos sind großartig. Sie tun zwar weh, aber man genießt es. Da gibt es einen Fun-Aspekt. Aber ich kann die Meinung der Leute ja nicht ändern, wenn ich zum Beispiel Kommentare oder Kritiken lese. Ich kann nicht darauf reagieren, ich kann nichts ändern. Es hat also keinen Sinn zu lesen, was die Leute über mich denken. Und so lebe ich in diesem wunderbaren Zustand der Unwissenheit, in dem ich keine Ahnung habe, was die Leute denken, und das gefällt mir. Weil ich ja weiß, dass viele Leute mich nicht mögen, dass viele Leute nicht mögen, was ich tue, aber ich muss das ja nicht im Detail wissen. Ich gehe lieber wandern oder spiele mit Hunden, als zu lesen, dass die Leute mich hassen.

Ist das eigentlich dein Hund im Film?
Ich habe eine kleine Produktionsfirma namens Little Walnut und meine Freundin Lindsay Hicks leitet sie. Und Bagel, der ein paar Mal im Film vorkommt, ist Lindsays tierischer Begleiter.

Ich habe noch eine Frage zum Anteil der Frauen, die im Film zu Wort kommen. Es sind deutlich weniger als Männer, und das ist eigentlich seltsam angesichts der Tatsache, dass eine vegane Lebensweise heutzutage insgesamt ein eher weibliches Thema zu sein scheint.
Ich wurde das schon einmal gefragt in einem Interview zum Film, und da sagte ich, ich hätte gerne mehr Frauen dabei gehabt. Und ich hätte es damals, als ich 16 war, auch gerne gesehen, wenn mehr Frauen zu Punkrock-Shows gekommen wären. Aber wie du weißt, war die Punkrock-Welt, vor allem in den Achtzigern, fast ausschließlich von Männern geprägt, und so bestand ein guter Teil der Arbeit für den Film darin, Frauen in der Punkrock-Szene zu finden, mit denen man über dieses Thema reden konnte. Viele Frauen im Punkrock sind wiederum eben nicht vegan. Die Protagonistinnen der Riot Grrrl-Bewegung etwa sind nicht vegan, sie haben kein Interesse an Tierrechten, und so gab es keinen Grund, sie in den Film zu nehmen. Besonders in der amerikanischen Hardcore-Szene gab es einfach oft keine Frauen bei den Shows. Und es überrascht mich rückblickend nicht, dass Frauen in den frühen Achtzigern nicht in ekelhafte Kellerlokale in schrecklichen Stadtteilen gehen wollten, in denen nerdige Typen sich die Seele aus dem Leib brüllten. Es gibt bestimmte demografische Gruppen, die so sind, wie sie sind, und das kann man nicht künstlich ändern oder regressiv verändern. Nicht mehr Frauen gefunden zu haben, war also eine Quelle der Frustration bei der Produktion des Films. Wenn jemand eine vegane Punkrock-Frau nennen kann, die wir nicht in den Film aufgenommen haben, möchte ich gerne wissen, wer das ist, denn wir haben so viel recherchiert und ich habe alle gefragt, die ich kenne.

Ein Aspekt, der mir im Kontext des Filmes bewusst wurde, bezieht sich auf die fehlende vegane Perspektive seitens vieler Menschen von der politischen Linken. Viele Linke sind zwar in vielen Bereichen fortschrittlich, aber sie vergessen irgendwie die Tiere.
Da ich in den USA lebe, kann ich nur von den Progressiven hier sprechen. Und ja, es ist sehr selten, dass man einen linken, progressiven Demokraten findet, der auch Veganer ist und sich für die Rechte der Arbeiter einsetzt. Haben die nicht im Blick, wie die Arbeiter in den Mast- und Schlachtbetrieben behandelt werden? Das ignorieren sie. Aber sie kümmern sich um den Klimawandel. Und dann sagst du zu ihnen: Nun, die Tierhaltung ist die drittgrößte Ursache für den Klimawandel – und sie ignorieren das. Du fragst sie nach Antibiotikaresistenzen und der Abholzung des Regenwalds. Ja, diese Themen sind ihnen wichtig, aber niemand will über die Tierhaltung sprechen. Etwas, das mich in diesem Kontext echt wahnsinnig macht, ist das Thema Methan: Es wird viel über Methan als klimaschädliches Gas gesprochen, und die Klimagesetzgebung in den USA befasst sich ausdrücklich mit Methan-Emissionen, aber über die größte Quelle für Methan-Emissionen, die Tierhaltung, wird nicht gesprochen. Das ist, als ob Leute von Lungenkrebs reden und das Thema Rauchen nicht erwähnen. Ich habe auch mal mit Al Gore über das Thema geredet, der das Buch „Eine unbequeme Wahrheit: Die drohende Klimakatastrophe und was wir dagegen tun können“ geschrieben hat, und der sagte, die linke Herangehensweise an die Tierhaltung sei die wirkliche unbequeme Wahrheit, weil die alle so viel Angst davor haben, sich damit auseinanderzusetzen. Sogar Alexandria Ocasio Cortez zeigt sich in den sozialen Medien, wie sie Hamburger isst, und ich frage mich: Wie kannst du eine Klimaaktivistin sein, wenn du Hamburger isst? Wie kannst du sagen, dass du dich um die Arbeiter kümmerst? Wie kannst du sagen, dass dir das Thema Gesundheit wichtig ist? Diese kognitive Dissonanz, die hier deutlich wird, hat auf jeden Fall etwas damit zu tun, dass so viele von uns in der Tierrechtsbewegung daran fast verrückt werden.

Auf dem italienischen Label Radiation Records erschien gerade eine Diskografie deiner alten Punkband VATICAN COMMANDOS, nachdem da zuvor die 7“ rereleaset worden war.
James Spadaccini, der damals der Gründer von VATICAN COMMANDOS war, hat mir davon erzählt. Sie haben mir ein paar Exemplare der Single geschickt und ich fand sie einfach klasse. Ich kenne die Leute in Italien nicht, aber ich weiß, dass die kaum auf das große Geld aus sind, denn Punkrock-Platten von vor vierzig Jahren neu aufzulegen, ist wahrscheinlich nicht der beste Weg, um reich zu werden. Ich finde die Aktion großartig und wünsche ihnen nur das Beste.

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THE VATICAN COMMANDOS (1980-1985)
Ja, bei dieser Hardcore-Punk-Band aus den ganz frühen Achtziger Jahren hat Richard Melville Hall die Gitarre malträtiert. Sie kam aus Darien; das ist ein heute noch wohlhabendes, konservatives 20.000-Seelen-Dörfchen nordöstlich von NYC, das aber bereits zu Connecticut, dem drittkleinsten Bundesstaat der USA, gehört. Moby, der dort aufgewachsen ist, hat 2003 selbst dazu ausgeführt: „Wir waren Vorstadt-Punks, und es gab tatsächlich eine Hardcore-Szene in Connecticut, zu der wir gehörten.“ Aber reichte das schon aus, auch in anderen Regionen dieses Erdballs wahrgenommen zu werden? Ja! Wir – und damit meine ich nun wiederum die Hardcore-Punk-Scene im ostälblerischen Heidenheim an der Brenz – hatten die VATICAN COMMANDOS (VC) auf unserem erkennungs- und ortungstechnisch sehr fein ausgerichteten Radar. Ihre „Hit Squad For God“-EP, mit der sie titelgebend ihren Punch-in-the-face-Bandnamen noch aufs Bösartigste, Zynischste zuspitzten und auch coverartworkish zum mit Maschinengewehren ausgerüsteten „Killerkommando für Gott“ wurden, war durchaus präsent; das lag vor allem an ihrem Hit „Housewives on valium“, einem erstklassigen Ohrwurm mit kultiger Refrain-Line. Mir selbst hat aber immer die etwas satter produzierte Version dieses Krachers auf der allerersten Tape-Compilation des legendären BCT-Labels aus dem von Darien aus gesehen weit entfernten San Diego besser gefallen. Auf dieser Kassette namens „First Strike“ (BCT*1) finden sich neun Bands, die insgesamt 47 Songs runterknüppeln. Auch die anderen drei von VC abgelieferten Tracks sind genial, speziell „Point me to the end“. Moby ist jedenfalls nach der „Hit Squad“-EP ausgestiegen, obwohl dann mit „Just A Frisbee“ eine 7“ eingespielt wurde, die mit einem noch ikonischeren Coverartwork auffallen sollte: Kein Geringerer als Rob Zombie (hier noch Robert Cummings) splatterte da rum und ließ den schmerzverzerrten, geschundenen Kopf eines „Blue Wave“-T-Shirt-tragenden Hippies mit herumbaumelndem Peacezeichen-Kettchen und total destroyter John Lennon-Brille von „Frisbees“ zerschneiden, die eigentlich VC-Vinyl-Schallplatten sind. Auf einem Platten-Etikett ist deutlich zu lesen: PN Records (für Pregnant Nun Records) – VATICAN COM. Knallt euch die blasphemischen VC rein, es lohnt sich auch nach vierzig Jahren noch.
Michael Dandl