MOVEMENT

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Freiheit und Zukunft

Seit Mitte der Neunziger Jahre gibt es diese dänische Mod-Combo, der richtige Durchbruch kam aber erst 2002/2003, als Archi Alert sowohl die erste Single als auch die Debüt-LP produzierte und THE MOVEMENT einlud, im Vorprogramm zu spielen beim zehnjährigem Jubiläum seiner Berliner Band TERRORGRUPPE. Immer wieder hat die politisch klar links stehende Truppe tolle Scheiben veröffentlicht mit einem unverwechselbaren Sound. Auch „Future Freedom Time“, das vierte Studioalbum, ist wieder ein tanzbareres Stück Gegenkultur geworden. Mit Sänger und Gitarrist Lukas Scherfig sprechen wir über die aktuelle Situation in Dänemark im Allgemeinen und über die neue Platte im Speziellen.

Future Freedom Time“ – ein wirklich guter Slogan. Aber was soll man tun, wenn man von seiner Kunst, seiner Musik nicht leben kann?


Danke für die Rosen! Ich war gleich nachdem wir die Platte eingespielt hatten, bei einem Ayahuasca-Wochenende in Schweden. Ayahuasca ist eine Droge, für deren Legalisierung jüngst viel gekämpft wurde. Es ging darum, neue Inspiration und Einsichten zu gewinnen. Und so stand ziemlich schnell fest, dass die Platte „Future Freedom Time“ heißen sollte, weil das die Summe dessen ist, was wir uns letztendlich alle wünschen! Wenn man von seiner Kunst nicht leben kann, ist man ein Amateur. Und ein Amateur ist bekanntlich jemand, der etwas aus Neigung, aus Liebe tut. Dass ich nun von der Musik leben kann, ist ein Lebensstil für mich. Früher stieg man ins Auto und spielte, wo man nur konnte, mit dem Ziel, etwas zu Essen und einen Schlafplatz zu erhalten. Später bekamen wir etwas Geld, wenn wir irgendwann wiederkamen, aber es galt, die Kosten niedrig zu halten und nicht größenwahnsinnig zu werden. Wir wechseln unsere Saiten selbst, wir sind ja auch nur zu dritt plus unser Fahrer, wir haben ja keinen Manager oder so. Und Musik ist schließlich wie das Alphabet, man muss es benutzen, sonst verliert es sich.

Die Dänen sind ein glückliches Volk, das Lohnniveau ist hoch und das soziale Netz stabil. Wie ist deine Wahrnehmung?

Dänemark ist ein kleines Land mit einem großen Minderwertigkeitskomplex. Alles ist sehr teuer, also wenn du keinen Vollzeitjob hast, ist es sehr schwer, über die Runden zu kommen. Wir können gut mit unserem „Glücklich sein“ prahlen, aber die Selbstmordstatistik besagt etwas anderes. 80% unserer nationalen Politik hängt an der EU, was in der Praxis einfach Reduzierungen bedeutet. Früher hatten wir einen hohen sozialen Standard, auch was die Umwelt anging. Heute gelangen mehr Pestizide als früher ins Grundwasser, das Renteneintrittsalter wurde auch angehoben. Wir sind so etwas wie ein unselbstständiges Anhängsel im Verhältnis zur NATO oder den USA. Dänemark besitzt aber das große Potenzial, aufgrund seiner geringen Größe eine Art Utopia zu werden, ein Licht in der Dunkelheit. Aber nach der Welle von Privatisierungen, die mit aller Macht vorangetrieben wurden und alles, was die Arbeiterbewegung in hundert Jahren errungen hatte, wieder zunichte machten, wird es ein langer Weg. Stattdessen wird der Rassismus als Werkzeug benutzt, um die Gesellschaft zu spalten und ruhig zu halten.

Wenn du an eure erste Single-EP „Control Your Temper“ denkst, ist nicht heute im Wesentlichen alles noch dasselbe?

Es ist sogar noch etwas schlechter als damals. Die gegenwärtige Jugend ist die erste Generation, die ärmer ist als ihre Eltern. Die Dinge entwickeln sich also rückwärts. „Control your temper“ ist übrigens ein Lied, das von den Fans live immer noch gewünscht wird. Da geht es jedesmal total ab.

In eurem kleinen Königreich sind die Politik und die Bevölkerung deutlich nach rechts gerückt. Wie fühlt sich das im Alltag an?

Für mich, der in Kopenhagen wohnt, bedeutet es nicht so viel. Aber in den Medien und im Internet kann man erkennen, welche Lösungen für bestimmte Probleme da auftauchen. Aber einen großen Teil der Rechten, also die Rechtsaußen im Parlament, kann man wirklich nicht als Langzeitprojekt betrachten. Also beginnen sie, reine Identitätspolitik zu betreiben, weil das können in diesen Kreisen noch alle überblicken. Seien es geschlechtsneutrale Toiletten oder geschlechtsneutrale Straßenampeln. Das wird dann wichtiger als beispielsweise das Eigentumsrecht der Besitzenden. Und so verliert die Basis den normalen Arbeiter, der aus Angst gegen seine ureigenen Interessen stimmt.

Meine Frau sagt, THE MOVEMENT erkennt man immer sofort, was als Kompliment gemeint ist. Sprudeln die Songs einfach so aus dir heraus oder ist komponieren harte Arbeit?

Dankeschön! Die Lieder sprudeln nicht aus mir heraus. Aber ich habe in den vergangenen Jahren viel mehr Inspirationen bekommen. Einige Bands gehen mit zwanzig Songs ins Studio und enden mit zwölf aufgenommenen Tracks. Ich nehme nur die nötige Anzahl mit ins Studio und nichts extra. Ist das bedauerlich? Mein Ziel ist es immer langsam voranzukommen, aber ich bin vermutlich am besten, wenn ich eine konkrete Deadline bekomme, sonst vertrödelt man alles. Zuerst schreibe ich stets die Melodie. Ohne eine tolle Melodie kann der Text noch so gut sein, aber er ist einfach gleichgültig, wenn die Melodie schlecht ist.

Wie umgänglich bist du nach deiner Ansicht nach als der Boss in der Band?

Auf so was lege ich großen Wert. Wir pflegen einen guten Umgang miteinander, man hat immer einen Kaffee oder ein Bier für die anderen parat. Und mir ist klar, wir brauchen alle finanziellen Support. Ich habe früher selbst erlebt, wie es ist, wenn die Spirale abwärts geht und jeder nur noch an sich denkt. Auf Tour ist das dann echt unerträglich. Bei THE MOVEMENT bekommen alle ihren Lohn, sollte es eine Unterdeckung geben, dann gleiche ich das aus. Es ist klar, dass die Band hinter mir stehen muss, also müssen sie auch ihre festen Einnahmen haben.

Im Song „Modern times“ reagierst du auf die aktuelle Entwicklung. War es selbst in den Neunzigern besser als in den Nuller Jahren?

Nein, das glaube ich nicht. Da waren die Kriege im Golf und in Jugoslawien. Der Vertrag von Maastricht, der in allen EU-Ländern zu mehr Aufrüstung führte. Der multinationale Kapitalismus hat heute einen größeren Einfluss. Die vielen Privatisierungen waren es auch, die die Probleme brachten. Die großen Firmen müssten von Regierungsseite Unterstützung erhalten, sonst wandern die ins Ausland ab, wo sie billiger produzieren können – dieses alte Märchen haben sie erzählt. Der Titel „Modern times“ selbst ist aber eine Referenz an den Chaplin-Film von 1936, für den es kein Spaß war, Arbeiter zu sein. Das ist der vielleicht negativste Song auf der Platte, weil die Botschaft ja lautet, dass es nichts Neues gibt unter der Sonne. Die Heuchelei über die moderne Welt ist nur alter Wein in neuen Flaschen.

Euer Grundgedanke auf dem Album ist ja, dass man mit seiner Arbeit nur wenige Leute reich macht und ein moderner Sklave bleibt. Aber man könnte ja auch ein Unternehmen gründen ...?

Ja, da hast du recht. Das braucht aber natürlich die entsprechenden Möglichkeiten. Aber wenn ich Handwerker wäre, dann würde ich mit meinen Freunden eine eigene Firma gründen. So wie auch THE MOVEMENT als Band selbstständig ist. Es gibt ja durchaus Leute, die das tun. Es ist auch normal geworden, sich Aktien zu kaufen oder diese als Bonus von der Firma zu erhalten. Dass macht auf eine Art den Arbeiter zum Kapitalbesitzer, zum Kapitalisten. Aber das löst ja letztlich nicht die Probleme, wenn die Prämisse bleibt, dass viele für wenige andere schuften, in einem Spiel, in dem es Verlierer und Gewinner gibt.

Zum Schluss: Was ist dein großes Ziel für THE MOVEMENT?

Ich glaube, ich habe mehr auf bestimmte Ziele hin gearbeitet, als ich noch jünger war. Heute versuche ich eher, den Weg zu genießen. Da ist es egal, ob wir in einem kleinen Club spielen oder auf einem großen Festival. Letzteres ist ja nicht automatisch immer besser. Mein inneres Ziel ist es vermutlich, mich an meinen kreativen Ausdruck und an Werten zu orientieren. Es geht mir nicht ums Geld, für uns ist ein Konzert spielen kein „Job“. Das ist einfach Lebenszeit, und je mehr man gibt, desto mehr kommt zurück. Ich wünsche mir natürlich, dass das darüber hinaus eine Bedeutung hat, dass wir etwas bewirken. Man muss nicht mit allem, was ich sage, einverstanden sein, aber die wichtigste Botschaft ist „Freiheit“ und eine Umwelt zu schaffen, in der sich das unglaubliche Potenzial der Menschen entfalten kann, gemeinsam miteinander und mit der Natur.