NO REDEEMING SOCIAL VALUE

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Für immer Hardcore

Wenn man mit Namen von Bands konfrontiert wird, die lange von der Bildfläche verschwunden waren, kommen doch häufig folgende Fragen auf: „Was? Die gibt es noch? Haben die sich nicht schon vor Jahren aufgelöst?“ Mir ging dies 2020 so, als ich einen neuen Track von NO REDEEMING SOCIAL VALUE auf YouTube sah. Dieses Stück sollte als Vorbote für ein neues Albums dienen, welches den Namen „Wasted For Life“ trägt und Ende 2020 auf dem bandeigenen Label Dead City Records erschienen ist. Es ist das erste Lebenszeichen von NRSV seit über zehn Jahren, ein guter Anlass, um Gründungsmitglied und Frontmann Dean „D Thrilla“ Miller mal auf den Zahn zu fühlen, warum es so lange gedauert hat und ob die Band überhaupt noch aktiv ist.

Dean, lange nichts voneinander gehört. Natürlich hängen die ersten Fragen mit der derzeitigen Situation zusammen: Bist du fit und gesund? Oder gab es Probleme mit Corona?

Ich bin gesund und glücklich und freue mich auf ein aufregendes, neues Jahr voller Erfahrungen und Möglichkeiten, sowohl auf persönlicher Ebene als auch mit meiner Band. Wie bei vielen anderen hat die Pandemie mein alltägliches Leben extrem beeinflusst. Die Isolation zu Hause war schon eine harte Erfahrung und ich vermisse viele meiner alten Gewohnheiten. Vor allem Freunde zu sehen und Live-Musik hören zu können. Dennoch hoffe ich aber weiterhin, dass sich die Dinge in den kommenden Monaten wieder normalisieren und das Leben wieder so wird, wie es vorher war. Ich bin dankbar, dass ich es geschafft habe, während dieser weltweiten Krise gesund zu bleiben. Ich war derweil auf anderen Ebenen produktiv und hatte Zeit, mich um einige laufende Projekte zu kümmern. Außerdem bin ich froh sagen zu können, dass auch meine Familie bislang verschont geblieben ist. Allen, die dies lesen, wünsche ich von Herzen dasselbe.

Wie bereits angemerkt, ist es lange her, dass man von NO REDEEMING SOCIAL VALUE gehört hat. Viele dachten sicher, dass ihr euch längst aufgelöst habt. Über eine Dekade lang habt ihr nichts veröffentlicht. Zuletzt erschien die Live-Platte „High In Holland“ 2010. Und jetzt kam plötzlich doch noch ein neues Studioalbum.
Der letzte Track unseres neuen Albums trägt den Titel „NYC NRSV“, die Lyrics beantworten schon deine Frage: „Never gave up, never questioned why / We’ve been here all the time / Hardcore’s the reason we all stayed true / Bringing our message to you“. NRSV waren und sind immer noch am Start, wir haben nie aufgehört, Shows zu spielen oder Songs zu schreiben. Wir glauben auch nicht daran, uns aufzulösen, um dann für eine Reunion-Show viel Geld zu bekommen. Verlorenen Ruhm zurückzugewinnen ist sowieso aussichtslos, wir sind oder waren ja nie berühmt, hahaha. Nein, wir spielen seit unserer Jugend Hardcore und haben nie damit aufgehört. Dies ist nicht nur eine Lebensphase oder Pose für uns, es ist eine Lebenseinstellung. Als Band arbeiten wir in unserem eigenen Tempo. Wir sind alle Freunde und nutzen die Band als kreatives Medium. Wir haben keinen Plattenvertrag und schulden niemand etwas. NRSV sind über die Jahre eine richtige Familie geworden, zu der die aktuellen sowie ehemalige Bandmitglieder, aber auch Freunde und Angehörige zählen. Also tun wir, was zu uns passt. Wir müssen ja niemanden um Erlaubnis fragen. Wir haben „High In Holland“ damals veröffentlicht, um den Fans ein Live-Album zu präsentieren. Vorher haben wir eine kleine Welttournee mit Gigs in Europa, Japan und Amerika gespielt und wollten dies dokumentieren. Das war unsere letzte richtig große Tour, aber danach spielten wir weiter Shows, probten, tranken, feierten, so wie wir es immer taten. Nur nicht mehr überall. In den letzten Jahren haben wir fast nur noch in den USA gespielt, ob mit BODY COUNT, FISHBONE, INSANE CLOWN POSSE oder SICK OF IT ALL. Wir hatten auch einen sehr erfolgreichen Auftritt zu unserem 25-jährigen Jubiläum vor einigen Jahren. Und letztmalig in Europa waren wir 2019, wo wir unter anderem beim Among The Angels Fest mit BACKFIRE! und RIGHT DIRECTION in Maastricht gespielt haben. Irgendwann beschlossen wir, neues Material zu machen, damit wir auf unseren Shows nicht immer das Gleiche spielen müssen, hahaha. Es macht uns und unserem Publikum ja mehr Spaß, wenn alles etwas abwechslungsreicher ist. So haben wir beschlossen, ein neues Album zu schreiben und aufzunehmen. Aber noch mal: Wir waren nie weg, wir haben einfach nur unser Ding gemacht und jetzt ist auch mal ein neues Album dabei entstanden, hahaha.

Unter welchen Bedingungen ist „Wasted For Life“ entstanden? Gab es beispielsweise wegen der Corona-Pandemie irgendwelche Schwierigkeiten?
Bis wir „Wasted For Life“ aufgenommen hatten, war es ein sehr, sehr langer Weg. Mein Bruder K-Love und ich haben vor über fünf Jahren angefangen, Songs für die Platte zu schreiben. Allerdings gehen wir nicht daran und sagen uns: „So, jetzt schreiben wir Songs für ein neues Album“. NRSV haben da einen eigenen Weg. Und der bedeutet regelmäßiges gemeinsames Trinken, Rauchen, Quatschen, Spaß haben und eben ein bisschen Jammen. So entstehen die Grundideen für die meisten Songs, wenn wir sie alkoholbedingt nicht wieder vergessen, hahaha. Nachdem wir uns sicher sind, dass uns die Songs gefallen, präsentierten wir die Ideen bei der Probe den anderen Jungs. Dann beginnt ein kollektiver Schreibprozess, an dem alle gleichermaßen beteiligt sind. Jeder in der Band hat das gleiche Mitspracherecht und meist kommen auch großartige Beiträge. So arbeitet ein gutes Team. Nach vielem Schreiben, Proben, Umschreiben, Demoaufnahmen, Trinken, noch mehr Proben und weiterem Trinken waren am Ende alle zehn Songs für ein offizielles Album beisammen. Dann haben wir sie im Laufe eines Jahres in zwei verschiedenen Studios aufgenommen, wobei unser Schlagzeuger Seeweed den Aufnahmeprozess als Soundmanager überwacht hat. Wir haben auch mit einigen sehr talentierten Künstlern zusammengearbeitet, um das Albumcover zu entwerfen. Der gesamte Prozess war aber schon abgeschlossen, als die Corona-Pandemie hier wirklich groß ausbrach. Wir hatten vor, das Album letztes Jahr beim Black N Blue Bowl hier in NYC zu präsentieren, aber die Show wurde abgesagt. Anschließend haben wir uns aber entschlossen, das Album trotzdem zu veröffentlichen. Wir alle sind sehr stolz darauf und glauben, dass es mit Abstand das beste Album von NRSV ist, das es je gab.

Lass uns doch über einige Songs sprechen. Mir gefällt vor allem „Ratbones“. Dieser schnelle Hardcore-Track ist bestens geeignet, um einen Moshpit richtig abgehen zu lassen. Inhaltlich ist dieses Stück eine Hommage an eine gleichnamige Größe der New Yorker Hardcore-Szene, richtig?
Schön, dass dir dieses Lied gefällt. Wir haben auch ein Video dazu gemacht, bei dem Drew Stone Regie geführt hat. Er hat schon viele Videos für BIOHAZARD oder auch AGNOSTIC FRONT gedreht. Wir wollten ein Lied über eine Ikone aus der NYHC-Szene schreiben. Ratbones ist ein sehr einprägsamer Charakter, daher war er natürlich der Erste, der uns in den Sinn kam. Er ist eine Art Moshpit-Superheld, denn wenn man so wie er im Pit abgeht, ist es einfach unglaublich, dass der Typ noch gerade gehen kann beziehungsweise überhaupt noch lebt. Wir wurden Ratbones von Raybeez, dem Sänger von WARZONE, Anfang der Neunziger Jahre vorgestellt. Seitdem ist er ein Freund. Wenn ihr schon einmal bei einer NYHC-Show hier vor Ort wart, ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr ihn von der Bühne habt springen sehen. Ich erzählte ihm vor einigen Jahren, dass ich ein Lied über ihn schreibe und er war überrascht und glaubte mir zuerst nicht. Sobald der Track als Demo aufgenommen war, sprach ich ihn erneut an. Er sagte: „Okay, aber bei den Lyrics musst du einen Gang runterschalten, ich habe jetzt eine Familie.“ Hahaha. Er ist sehr zufrieden damit, wie das Lied geworden ist. Es ist ziemlich schlicht gehalten und wir haben den Clip dazu in nur wenigen Stunden gedreht. Es ist ein lustiges Video im typischen NRSV-Stil. Wir sagten, wir würden den Song immer nur dann live spielen, wenn Ratbones auch bei der Show anwesend ist. Aber inzwischen haben mir so viele Leute gesagt, dass sie den Track mögen, dass wir jetzt schon überlegen, ihn in die reguläre Setlist zu übernehmen.

Schon in der Vergangenheit hattet ihr einige obskure Songtitel. Aber mal ehrlich: Seid ihr nicht zu alt für ein Lied namens „Brew crew“? Ich selbst bin Vater von zwei Kindern und ich weiß nicht mehr wirklich, wann ich das letzte Mal richtig gesoffen habe. Mein Kater würde jetzt wahrscheinlich zwei Wochen dauern. Gebt ihr immer noch Vollgas am Tresen, so wie es in diesem Song besungen wird?
Was ist ein Kater? Ich habe diesen Begriff noch nie gehört. Ist es etwas Ernstes, wenn man das hat? Wir werden niemals zu alt sein, um uns zu betrinken. Wir trinken immer noch ziemlich viel und der Ruf von NRSV als berüchtigte Partyband ist legendär. Wir sind uns dahingehend immer treugeblieben. Selbst jetzt, seit wir etwas älter sind, bleibt immer Zeit für ein paar zu viele Pints und Shots ​​mit unseren Freunden. Egal, ob wir in der Kneipe, bei einer Hardcore-Show oder sogar bei der Bandprobe sind, wir wollen immer Spaß haben. Wir werden einfach weitermachen, bis unsere Leber schlappmacht. „Brew crew“ sollte ursprünglich die erste Single des Albums sein. Aber wir wählten stattdessen den Titeltrack aus. Es wird aber wahrscheinlich noch als Single rauskommen, sobald die Pandemie vorbei ist und wir wieder Live-Gigs spielen können. Wir haben dieses Lied als Hommage an unsere Fans und Freunde geschrieben, die uns all die Jahre zur Seite gestanden und mit uns gezecht haben. Es ist ein schöner Singalong, in den das Publikum mit Sicherheit mit einbezogen wird. Es ist mein zweiter Lieblingstrack auf der Platte, mein erster ist „Sociophilia“.

Dean, du lebst immer noch in New York. Viele der Leute aus der alten NYHC-Szene sind weggezogen. Was hat sich dermaßen verändert, dass so viele Menschen ihre Heimatstadt verlassen haben? Wie ist aktuell die Hardcore-Szene im Big Apple, gibt es da noch was?
Ja, ich wohne immer noch in Queens. Da ich immer in New York City gelebt habe, könnte ich mir nie vorstellen, hier wegzugehen. Einerseits gibt es viele großartige Dinge in NYC, andererseits aber auch viele schlechte. Aber es war schon immer mein Zuhause. Und es ist in Wahrheit noch mehr für mich, denn es ist meine kulturelle Identität. Ich fühle mich gesegnet, Teil der NYHC-Szene zu sein. Ich habe gesehen, wie es sich von einer lokalen Szene zu einer globalen Bewegung entwickelt hat. International kennt und respektiert man NYHC und seine Wurzeln. Das ist eine Quelle des Stolzes für NRSV und die Inspiration für unseren Song „NYC NRSV“. Auch wenn einige Hardcore-Musiker und Leute, die auch zur Hardcore-Szene gehörten, die Stadt verlassen sind, bleiben NRSV hier. Der NYHC hat sich seit seinen Anfängen immer weiterentwickelt. Bands kommen und gehen – und vereinigen sie sich sogar wieder, haha. Beliebte Veranstaltungsorte schließen und neue Locations öffnen und nehmen ihren Platz ein. Das ist das Leben in der Hardcore-Szene. Ich habe das Gefühl, dies hält die Dinge am Laufen. Evolution und Veränderungen sind meiner Meinung nach gut, besonders in der Musik oder Kunst. Es wird hier immer viele Orte geben, an denen Shows gespielt werden können – einige große, einige kleine, kommerzielle Läden wie auch unabhängige Underground-Clubs, die Non-Profit-Unternehmen sind. Der Spirit von NYHC ist eine immense Kraft, die größer ist als die Summe ihrer Teile. Ich verurteile niemandem hinsichtlich seiner Entscheidungen und NYC ist aus vielen Gründen ein schwieriger Ort zum Leben. Unter anderem weil es sehr teuer hier ist. Ich verstehe also, warum Menschen anderswo ein einfacheres Leben führen möchten. Für mich kommt das aber nicht infrage, ich kann nicht gehen. New York City und NYHC liegen mir im Blut.

Besteht die Chance, dass wir NO REDEEMING SOCIAL VALUE nach der Pandemie mal wieder hier in Europa erleben können?
Obwohl wir wegen Corona keine konkreten Pläne oder Termine für eine Europatournee haben, wollen wir dort irgendwann wieder Shows spielen. Seit der Veröffentlichung unserer ersten LP im Jahr 1996, „Rocks The Party“, gibt es NRSV-Konzerte in Europa. Wir haben viele Freunde dort und viele Beziehungen geknüpft, für die wir dankbar sind. Als kleine Band im Keller unserer Eltern hätten wir uns nie vorstellen können, mal Musik zu machen, die bei Menschen auf der ganzen Welt Anklang findet. Es ist für uns genauso eine Freude wie für die Menschen, die unsere verrückten, lustigen und betrunkenen Botschaften schätzen. Dabei möchten wir die fröhlichen Gesichter sehen, während sie mit uns singen und feiern. Hoffentlich bald wieder.