NOVOTNY TV

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Tod, Pest, Verwesung und Auferstehung

Im Oktober 1996 spielte ich mit HAMMERHEAD in der Lohbuschstraße in Hamburg mit einer mir bis dahin unbekannten Band, die mich nachhaltig beeindrucken sollte: NOVOTNY TV. Deutsche Bands, mit denen wir zu der Zeit sonst so spielten, waren in der Regel möchtegern-harte Combos, bei denen man schon anhand des Outfits und des Posings beim Betreten der Bühne wusste, welche US-Band sie klonen wollten. Spannend war meistens eigentlich nur, wie gut sie die Kopie schlussendlich hinbekamen. NOVOTNY TV mit ihren doppelreihigen Anzügen, Motivkrawatten und Milchgesichtern dagegen sahen aus wie das, was sie gerüchteweise zum Teil auch im echten Leben waren: Coesfelder Sparkassenangestellte. Und das in dieser Location!

Man muss vielleicht erwähnen, dass das Haus in der Lohbuschstraße zu diesem Zeitpunkt einer der abgefucktesten und rauhesten Punkschuppen überhaupt war. „Drugs & Violence“ wurden dort gelebt, was selbst in der verklärenden Rückschau nicht immer nur romantische und pittoreske Ausformungen annahm. Der Sound, den NOVOTNY TV produzierten, war ein schreckliches Getöse mit einem wirr-kreischenden Gesang, bizarren deutschen Texten und bisweilen Orgelbegleitung. Das Ganze war aber nicht nur alberner Fun-Punk, sondern musikalisch und von der Darbietung her druckvoll und hart. Auch inhaltlich gingen Songs wie „Butterfahrt im Gaza-Streifen“ oder „Einengung durch Bäume“ weit über die Kernzuständigkeit des gemeinen Deutschpunk hinaus. Aus heutiger Sicht mag diese Art von Band gar nicht mehr so besonders wirken, zum damaligen Zeitpunkt tat sie es definitiv. NOVOTNY TV haben einen Stil vorweggenommen, den ein, zwei Jahrzehnte später Bands wie PISSE oder DIE SHITLERS aufgriffen.
Um 2000 wurde es still um die Band und so lebten NTV nur noch in Erinnerungen und ihrem musikalischem Nachlass, im Wesentlichen in Form von zwei Alben, von denen das erste niemals auf Vinyl erschien. 2019 ist Phantom Records offensichtlich auf diesen unhaltbaren Zustand aufmerksam geworden und hat diese beiden Platten noch mal mit einem liebevollen Rerelease gewürdigt. Nun wurde in der Retrospektive vielen klar, was für eine doch recht stilprägende, jedoch weitgehend verkannte und nur einem kleinen Kreis abgefeierte Perle NOVOTNY TV waren. Die Rufe nach einer Wiederauferstehung der Band wurden lauter. Diese zierte sich zunächst standesgemäß, aber nun soll es doch so weit sein: NOVOTNY TV werden 2020 wieder auftreten, sofern die gesundheitsrelevanten Präventionsmaßnahmen das in diesem Jahr noch zulassen werden. Aus diesem Anlass spreche ich via Videokonferenz mit Holgi (voc), AVL (bs/key) und Antek (dr).

Wie mies muss es eigentlich in eurem heutigen Leben laufen, dass ihr diese Band wieder aufleben lassen wollt?
AVL:
Das wollten wir ja eigentlich gar nicht. Wir wurden gezwungen. Wenn es nach mir ginge, dann müsste ich mich jetzt nicht wieder zum Hampelmann auf der Bühne machen.
Holgi: Aha, das klang neulich aber noch ganz anders ...
AVL: Ich könnte auch hier zu Hause nach Feierabend bei einem Bier herumsitzen und Gitarre spielen, das macht mich auch glücklich.

Wer hat euch denn da so genötigt?
Antek:
Das ging ja los mit der Wiederveröffentlichung von unseren beiden Alben „Tod, Pest, Verwesung“ und „Das Volk sind wirr“, die 1996 und 1998 zum Teil nur als CD rausgekommen sind. Jetzt hat Sandra von Phantom Records eine sehr schöne Neuauflage von beiden Sachen produziert. Als wir das abgesprochen haben, habe ich zu ihr gesagt, dass wir auf keinen Fall auftreten, da wir uns unseren „Kultstatus“ erhalten wollen. Letztlich war es das Mind The Gap Fanzine, das uns überredet hat. Die haben mich so derart penetrant auf Facebook angegangen, über mehrere Monate und Jahre hinweg, dass ich irgendwann nicht mehr nein sagen konnte. Warum wir das jetzt tatsächlich machen, ist nicht mehr nachzuvollziehen, wie so das meiste in unserer Bandgeschichte. Wir hätten uns im Laufe der Jahre sicher viel Leid und Ärger ersparen können, wenn wir ein bisschen mehr Impulskontrolle gehabt hätten. Hatten wir aber nicht.

Wie kam der Kontakt mit Phantom Records zustande?
Antek:
Sandra hat sich bei uns gemeldet und gesagt, dass sie das machen will. Ich habe mir dann angeschaut, was die sonst so herausbringen, wie die Cover gestaltet sind und so weiter. Ich fand das alles mega geil und dachte, wenn ich jung wäre und eine aktuelle Band hätte, wäre ich auch gerne auf dem Label. Der Vorteil war, wir mussten ja gar nichts mehr aufnehmen oder machen und –zack! – hatten wir wieder zwei neue Platten raus. Die Chemie hat sofort gestimmt. Die Cover wurden dann noch modifiziert, das heißt die Leute auf den Bildern wurden von einem Zeichner um 25 Jahre gealtert, quasi in die Jetztzeit übertragen. An dem Foto, das wir damals bei „Tod, Pest, Verwesung“ benutzt haben, hatten wir sowieso nie die Rechte, das hatte ich damals aus irgend einem Magazin heraus geschnipselt und mit Pritt-Stift den Schriftzug drauf geklebt. Deshalb hatte ich darum gebeten, das nicht zu verwenden. Und so kam das in Gang mit den neuen Covern.

Wie waren die Reaktionen auf die Rereleases? Ich habe so den Eindruck, dass ihr jetzt in der Nachbetrachtung weitaus wohlwollender rezipiert wurdet als früher.
AVL:
Den Eindruck habe ich auch. Aber für die neuen Rezensionen hatten die Leute ja auch zwanzig Jahre mehr Zeit, um sich darauf einzustellen. Die ersten Veröffentlichungen waren auch mit diesem Sänger, der nicht singen kann, recht gewöhnungsbedürftig.
Holgi: Hey! Wir können uns auch direkt wieder auflösen!
AVL: Ich glaube, heute kaufen sich nur solche Leute die Platte, die uns auch schon vorher kannten oder eine Idee haben, was sie da erwartet. Und so schlecht sind die Sachen meiner Meinung nach auch wieder nicht.

Ihr wart ja für die Neunziger Jahre recht ungewöhnlich. In den letzten Jahren kamen so einige Bands, die Ähnlichkeit mit euch haben oder in eurer Tradition stehen, einige aktuelle Releases von Phantom sind da gute Beispiele. NOVOTNY TV waren eigentlich ein bisschen zu früh dran beziehungsweise Vorreiter, oder?
Antek:
Es gibt heute sicher mehr Leute, die uns gut finden. Zu der Zeit, als wir rauskamen, gab es eine ganz kleine Personengruppe, die von uns total weggeblasen war. Aber für die war das dann eine totale Überraschung. Ganz anders, als wenn heute eine Band so was machen würde. Es wird ja immer schwerer, etwas zu erschaffen, das noch nicht da war.
Holgi: Damals gab sicher auch mehr Leute, die gesagt haben: Was soll das überhaupt? Im Nachhinein fanden das alle total super. Vielleicht hat sich auch der Zeitgeist etwas geändert.
Antek: Ich selber sehe ja lieber eine Band, bei der ich denke, ach du Scheiße, was ist das denn? Statt, das kenne ich, das finde ich gut. Dieser Überraschungseffekt ist schon eine Qualität an sich. Es war ja auch nicht so, dass wir wirklich geplant hätten, seltsam oder verrückt zu sein. Wir kamen einfach aus einem Kaff, wo wir es nicht besser wussten.
AVL: Wir haben uns einfach zusammengesetzt und schon im Proberaum viel mit einem Vierspurrekorder hantiert. Und was dabei rauskam, war das Ergebnis von dem, was wir dort gemacht haben. Das Ergebnis war so nie gewollt, sondern das war einfach so, wie es kam.
Holgi: Stimmt. Es war alles ein einziges Versehen.

Ja, ja, aber mit euren Anzügen und so, das war doch schon abgestimmt.
Holgi:
Das war auch mehr oder weniger ein Unfall. Als wir unser zweites Konzert gespielt haben, war ich ja noch in der Banklehre. Das Konzert in der Schulaula fing recht früh in Borken an. Ich hatte einfach keine Zeit mehr, mich umzuziehen. So bin ich dort mit dem Anzug aufgetaucht, was super ankam. Die anderen haben das dann nachgemacht.

Das Gerücht, dass du bei der Sparkasse gearbeitet hast, stimmt also?
Holgi:
Nein. Bei der Volksbank. Dort bin ich heute noch, als Immobiliengutachter.

Mitte der Neunziger waren in unserem Umfeld entweder Punk’n’Roll, Crust oder Hardcore angesagt und die deutschen Bands waren doch recht gleichgeschaltet. Habt ihr euch von diesen Genres bewusst abgewendet?
Antek:
Wir haben doch genau die drei Sachen gemacht, die du da aufgezählt hast, aber eben alles auf einmal, im Gegensatz zu den anderen, die das getrennt gemacht haben.
AVL: Wir haben selber aber auch sehr unterschiedlichen Kram gehört. Bei mir war das nicht nur Punk, sondern auch Psychedelic, Funk, zum Teil Jazz. Deswegen waren wir auch nie auf ein Genre festgelegt, sondern hatten ein großes Spektrum. Das hört man jetzt nicht unbedingt in dem, was wir da spielen, aber zu kompliziert sollte es für uns auch nicht sein, das wäre mir auch zu anstrengend gewesen. Mit diesen Szenezugehörigkeiten hatte ich wenig am Hut.

Bemerkenswert sind auch eure, sagen wir mal, skurrilen Texte. Wie kam es zu denen? Wer hat die verfasst?
AVL:
Die hat Holgi geschrieben ....
Holgi: Echt? Äh, ja. Teilweise waren das aber auch so Gemeinschaftsproduktionen, dass man sich so Satzfetzen zugespielt hat. Ich weiß noch genau, „Butterfahrt im Gaza-Streifen“ ist auf einer Autofahrt zum Einkaufen entstanden. Wahrscheinlich zum Bier holen. Lebensmittel benötigte man damals ja noch nicht. Das war eigentlich immer ruckzuck fertig gezimmert und passte dann schon. Oft nach dem Motto: Reim dich oder ich fress’ dich! Manchmal, wenn es gut lief, kam noch ein Kreuzreim hinzu. Teilweise wurde das dann politisch gedeutet. Aber der Spaßfaktor stand bei uns doch eher im Vordergrund.

Hattet ihr damals Probleme mit irgendwelchen „Szenekontrolleuren“?
Holgi:
Ich glaube, dass man früher noch nicht so verbohrt war. Heute findet man ja bei jeder Aussage mindestens zwei Leute, die das aus dem jeweils entgegengesetzten Blickwinkel zerpflücken und sagen, das war aber nicht korrekt.
Antek: Ich glaube aber, das war früher genauso schlimm. Ich frage mich, warum wir nie Ärger bekommen haben und alle dachten, wir seien toll und wie die selber drauf. Es hat irgendwann mal jemand bei YouTube „Butterfahrt im Gaza-Streifen“ mit Bildern unterlegt, die eine antiisraelische Interpretation nahelegen. Da ist mir schon etwas mulmig geworden. Aber früher hat das einfach keiner so richtig ernst genommen, was wir von uns gegeben haben. Wir waren da eher so die Exoten, die man in seinem Schuppen hat spielen lassen.
Holgi: Ich fürchte, man hat uns nie für politisch gefährlich erachtet.

Wie angesagt wart ihr überhaupt aus eurer Sicht?
AVL:
Ich glaube, es gab gar nicht sooo viele Leute, die uns toll fanden. Die, bei denen das aber der Fall war, die fanden uns richtig gut. Wir waren zum Teil Kritikerlieblinge. Joachim Hiller hatte mal im Visions einen Lobgesang über uns verfasst. Auch Swen Bock vom Plastic Bomb fand uns gut.
Antek: Nagel von MUFF POTTER hat uns auch immer sehr unterstützt.
AVL: Beim Publikum sind wir wohl eher ein Geheimtipp geblieben.

Ich habe mal im tip-Berlin-Magazin ein Blinddate mit Schorsch Kamerun gelesen, da hat der „Deutschland braucht Deutschpunk“ vorgespielt bekommen. Er hat dann nachgefragt, von wann das denn wäre. Als er erfuhr, dass das von 1998 sei, hat er das für die Zeit scheiße und dümmlich gefunden.
Holgi:
Na, da hat er doch recht!
Antek: Ich fand’s damals idiotisch, ich finde es heute idiotisch, aber idiotische Sachen kann man immer sagen! Ich habe den Song auch eigentlich immer als einen Fuck-you-Song empfunden.
Holgi: Ich finde, der Song soll aussagen, dass Deutschpunk die Welt retten kann. Wenn nicht die Welt, dann zumindest Deutschland. Aber eigentlich war das Lied persönlich für einen Typen geschrieben, der großer Deutschpunk-Fan war. Und da haben wir uns gedacht: Für den schreiben wir auch mal einen Song. Hallo, Patrick!
Antek: Aber diese Vereinnahmung durch diese Deutschpunk-Typen mit dem Schlapp-Iro war eben Fluch und Segen zugleich. Reingepasst haben wir da so gar nicht. Auf der anderen Seite hätten wir wohl kaum Konzerte gespielt, wenn es die nicht gegeben hätte. Dieses Deutschland-braucht-Deutschpunk-Ding war so eine Mischung aus Verbrüderungsangebot und Fuckfinger dieser Szene gegenüber. So richtig Deutschpunk waren wir ja nicht.
Holgi: Ich würde uns auch eher als Avantgarde mit ein bisschen Dada bezeichnen.

Wann und warum habt ihr euch aufgelöst?
AVL:
Eigentlich haben wir uns gar nicht aufgelöst. Keiner hat gesagt: Das war’s! Irgendwie ist das Ganze im Sande verlaufen, weil jeder von uns dann auch privat sein eigenes Ding zu tun hatte: Familie, Umzug, Job. Aber aufgelöst haben wir uns nicht so richtig.
Holgi: Wir haben uns im Laufe der Zeit auseinander gespielt. Ich persönlich hätte auch nie mehr gedacht, dass wir den Versuch unternehmen, noch mal zusammenzukommen.

Wann war denn euer letztes Konzert?
Holgi:
Äh ... 2000 vielleicht? Ich glaube, in Münster in der Baracke.

Was ist jetzt zu eurem „Comeback“ geplant?
Antek:
Es waren vier Konzerte geplant: Spastic Fantastic Fest in Dortmund, Baracke in Münster, dann Hamburg und noch ein illegaler Geheimgig. Wenn man erst mal ein Konzert zugesagt hat, wird es natürlich immer schwerer, anderen Leuten zu sagen: „Wir spielen nicht mehr.“

Gab’s viele Anfragen?
Antek:
Ja, wir könnten jetzt wie früher wieder lostouren. Konzerte ohne Gage werden uns ohne Ende angeboten. Aber grenzenlos wollen wir das nicht machen. Wir sind ja jetzt eigentlich unsere eigene Coverband. Wir sind ja keine Band, die im Saft steht und kreativ tätig ist, sondern wir spielen unsere alten Songs. Das würde den Spirit oder das Bild, das einige Leute von uns haben, doch zerstören, wenn wir jetzt anfangen würden, die Festivals abzuklappern.

Möchtet ihr sonst noch etwas mitteilen?
AVL:
Ja! Für unsere Konzerte benötige ich noch dringend eine Orgel. Wen ein*e Ox-Leser*in eine loswerden will, nehme ich die gerne. Ich hole sie auch ab!
Holgi: Die Kirchen haben doch gerade keinen Betrieb, da stehen doch genug ungenutzt herum. Vielleicht schaust du dich da mal um.