OHL

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Graue Strassen statt grüner Felder

1996 sah ich die OHL im Berliner Tommy Weisbecker-Haus zum ersten Mal live. Und obwohl ich den Auftritt ganz passabel fand, habe ich meine dort erworbene LP „Die Stunde der Wahrheit“ bald wieder verschenkt. Es war mir alles irgendwie zu einseitig, zu negativ. Indes haben die letzten drei Alben – „Krieg der Kulturen“ (2009), „Freier Wille“ (2013) und aktuell „Der Feind meines Feindes“ – wieder mein Interesse geweckt. Aber man muss ohnehin kein eingefleischter OHL-Fan sein, um ein interessantes Gespräch mit Gründer Deutscher W zu führen, der die Band seit 1980 auf stetem Provokationskurs hält.

Im ersten Song auf eurer ersten LP „Heimatfront“ von 1981 singst du: „Leverkusen ... / Ein Herz aus Beton / Will nicht mehr davon“. Zwischenzeitlich wohntest du nach Leverkusen und Köln in Berlin, magst du Beton letztlich doch lieber als grüne Wälder?

Mittlerweile wohne ich wieder in Köln, und um SYPH – die Ü50er werden die noch kennen – zu zitieren: „Zurück zum Beton“! Ein Leben auf dem Land ist nichts für mich. Ich bin ein Industriekind und schätze die Lichter der Großstadt ... graue Straßen statt grüner Felder! Viele meiner Texte sind ja „erlebt“ und ich brauche auch den Schmutz, den Lärm und auch die Gewalt der Stadt, um OHL musikalisch wie textlich mit Leben zu füllen.

Auf eurer neuen LP heißt es: „Noch bestimmen wir, wem die Stunde schlägt“. Was bestimmen wir eigentlich in der Summe hier noch wirklich?
Wie immer bei OHL bezieht sich ein „wir“ auf uns vier und all die, die so denken wie wir. Ich glaube schon, dass jeder die Kraft hat, Dinge zu bewegen, seine Ideale zu leben und Widerstand zu leisten. Natürlich muss man bei allem die Realität im Auge behalten und sich der Machtverhältnisse bewusst sein. Dennoch gilt, die Revolution beginnt im Kleinen und was mich betrifft, begann meine Revolution schon im Kinderzimmer.

Bei „Schatten der Vergangenheit“, einem Lied gegen Rechts, hört man: „Doch dieses Land bleibt mein“. Das klingt so, als beleidigen dich rechte Leute persönlich.
Absolut! Das bezieht sich auf die Neonazis hierzulande und darauf, dass dieses nicht perfekte und mit unendlich vielen Fehlern behaftete Deutschland immer noch das Land ist, in dem ich lebe – und da hat dieser Dreck nichts zu suchen. Man muss weder die AfD noch eine weiter rechts angesiedelte Partei wählen, um Islamisten und anderen Dreck zu entsorgen. Der Widerstand beginnt bei dir!

Mittlerweile propagieren die Parteien hierzulande die Zukunft des Digitalen, da müsse man gewappnet sein. Also bei Entmenschlichung und Verblödung im Sinne von, sagen wir, „Bites und Spiele“?
Digitalisierung ist Fortschritt und unser aller Zukunft. Das Problem ist nur, dass nicht jeder dieser Zukunft intellektuell und charakterlich gewachsen ist. Marx nannte Religion mal „Opium für die Massen“. Da hatte er nicht ganz unrecht. Ähnlich verhält es sich mit der Digitalisierung, aber auch hier gilt: Nutzte sie zu deinem Vorteil. Niemand kann die Digitalisierung oder die Globalisierung aufhalten und leider erkennen die wenigsten in der allgemeinen Euphorie die damit verbundenen Gefahren. Ich sehe allerdings auch die Chancen, und was mich angeht, werde ich sie nutzen.

Im Inlay der Vinylsscheibe gibt es einen fett gedruckten Satz „Wer sich und sein Leben einer Religion unterwirft, hat in einer freien Gesellschaft nichts verloren ... außer sich selbst!“ Nun gut, aber hier regiert ja der Kapitalismus, da sind gläubige oder unterwürfige Menschen ja sehr nützlich.
Kapitalismus ist keine Religion, sondern real existent. Religion ist ein Märchen für Erwachsene, eine Krücke für die Schwachen und eine realitätsferne Ideologie, die auf Dummheit und Aberglauben beruht.

Der Theologe Hans Küng schrieb vor gut dreißig Jahren: „Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden. Kein Religionsfrieden ohne Religionsdialog.“ Mir scheint, als ob schon ein Austausch stattfindet, doch wenn Terroristen im Namen einer Religion morden, wer hat dann konkret Schuld, die Gesellschaft oder der Glaube?
Glaube und Gesellschaft lassen sich nicht trennen – wenn du als Kind schon beigebracht bekommst, dass Ungläubige Abschaum sind, dann ist das nicht nur eine Frage der Religion, sondern auch eine Frage der Kultur, in der du sozialisiert wirst. Wenn ich mir diese rückwärtsgewandten arabischen Staaten anschaue, in denen sich der Islam zur Staatsform erhoben hat, brauchen wir über einen „Austausch“ nicht reden. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Kein Gott steht über mir!

In diesem Zusammenhang auch diskussionswürdig ist das, was Carl Friedrich von Weizsäcker sagte, dass nämlich die Religion die Aufklärung voll ernst nehmen sollte, dies aber auch umgekehrt geschehen müsse. Ein Widerspruch? Denn entweder bin ich aufgeklärt und unabhängig oder ich bin tief religiös?
Absolut. Religion und Glaube sind nichts weiter als Placebos für Menschen ohne Ziele oder Ideale. Alle diejenigen, die sich, wortwörtlich, in Gotteshäusern verschanzen und weltfremd irgendwelchen „heiligen Worte“ aus einem 2.000 Jahre alten Märchenbuch zitieren, sollten schön brav hinter diesen Mauern bleiben und dort verrotten.

Was den Terrorismus betrifft, sind ja Linke und Grüne gegen eine übermäßige Überwachung und das Sammeln riesiger Datenmengen. Wie beurteilst du das?
Ich bin nicht uneingeschränkt dafür, aber halte den Nutzen einer solchen Datensammlung für wesentlich größer als den Schaden.

Ich möchte direkt noch eine Textzeile mit dir durchgehen. In „Mit dem Rücken zur Wand“ höre ich tatsächlich: „Deutschland, mein Heimatland“, ist das vielleicht eine bewusste Provokation für die Punk-Szene?
Auch hier bezieht sich der Text auf die Zerschlagung beziehungsweise den Missbrauch der demokratischen Strukturen und zwar von allen Seiten – deutschen Deppen, Migranten, Mutanten, rechtem und religiösem Abschaum ... Ich bin weit entfernt davon, ein Patriot zu sein. Ich habe weder eine Deutschlandfahne noch freue ich mich, wenn die deutsche Nationalmannschaft im Fußball gewinnt, und ich muss kotzen, wenn einer sagt: „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“. Aber ich lebe hier und ich will, dass das Land, in dem ich lebe, meiner Vorstellung entspricht ... so gut wie möglich. OHL waren schon immer eine Provokation für jede Szene und so soll es auch bleiben. Wenn ich ein Altherren-Album wie von SLIME und Konsorten auf den Markt bringe, dann habe ich was falsch gemacht.

In einem Interview sagtest du vor Jahren, dass verschiedene Aussagen von dir „in keine Schublade von links oder rechts passen“. Bleibt da am Ende nicht automatisch der mündige „Bürger“ oder ist so ein Begriff auf ewig ein No-Go in der Underground-Szene?
Im Prinzip sind mir Worthülsen und Schubladen egal, aber „mündiger Bürger“ klingt schön ziemlich FDP-mäßig und –welche Überraschung! – auch da pass ich nicht rein. Um ehrlich zu sein, interessiert mich die Szene nicht, sie langweilt mich eher. Ich will nirgends dazugehören und wenn, dann will ich die Regeln bestimmen und mich nicht irgendwelchen Regeln unterwerfen. Was für eine Idiotie, wenn ich ständig die Freiheit als höchstes Gut propagiere und mich dann doch einer wie auch immer zu definierenden Szene unterwerfen würde.

Wie gestaltete sich der Arbeitsprozess bei der neuen Scheibe. Gab es bei deinen Bandkollegen Diskussionsbedarf bei einigen Songs, oder hast du bereits beim Schreiben die Auffassung von denen mit im Hinterkopf?
Wer sich auf OHL einlässt, weiß, was ihn erwartet, und da ich mit den Jungs jetzt schon fast ein Vierteljahrhundert zusammen auf der Bühne und im Studio stehe, gibt es da weder Diskussionsbedarf noch muss ich da irgendwas im Hinterkopf haben. Die Texte schreibe ich komplett unabhängig von der Musik. Die Musik mache ich zusammen mit meinem Gitarristen. Meistens reicht uns dann eine Woche im Studio, um ein Album einzuspielen und abzumischen

Was, meinst du, bleibt in erster Linie hängen, wenn man eure LP komplett durchgehört hast?
Schwer zu sagen. Ich lege nicht sonderlich Wert auf die Meinung anderer. „Kann man sich geben“ höre ich jedoch weniger gern, als „die sind voll scheiße“. Wirklich positiv wäre es, wenn man spürt, dass wir „echt“ sind und das, was wir tun, aus Überzeugung machen. Weder der Kohle wegen noch um uns irgendwo anzubiedern. Wir wollen niemandem gefallen, wir wollen wehtun und wach machen.