POPPERKLOPPER

Foto© by Jan Lindenhahn

Die Konstanten im Leben

Regelmäßig zu Gast bei uns im Heft ist das Trierer Deutschpunk-Trio POPPERKLOPPER. Sympathisch, bodenständig, mit diesem fetzigen Gesang von Carsten und ihren attackierenden Vorwärts-Riffs, können die Jungs immer wieder begeistern, sowohl textlich als eben auch musikalisch. Der Anlass für ein erneutes Interview ist natürlich eine neue Platte, „Wahnsinn weltweit“ ist die zwölfte LP seit ihrer Gründung 1989. Wir sprachen mit Carsten und Lars über Kriege, Corona und das neueste Werk.

2013, 2017, 2019, 2022 und jetzt 2023, ihr seid bei uns ja beinahe noch häufiger im Heft als Fat Mike. Was bedeuten euch Fanzines und Printmagazine heute noch?

Carsten: Ja, das ist doch toll, solche Konstanten im Leben ... haha. Fanzines bedeuten uns seit jeher sehr viel! Natürlich kann man heutzutage auch sehr viele Infos, Berichte, Interviews online bekommen, aber für mich ist es immer noch was ganz Besonderes, so ein Fanzine auch in der Hand zu halten. Ich glaube, ich lese die Sachen dann auch intensiver, als ich das online machen würde. Insbesondere solche kleinen bis mittelgroßen Fanzines finde ich super, da man immer merkt, dass diese Projekte mit Herzblut betrieben werden und nicht nur auf Kommerz ausgerichtet sind. Was ich nicht sonderlich mag, sind die ganz großen Hefte wie Musikexpress, Visions, Rolling Stone, die meiner Meinung nach zumindest teilweise wie von der Musikindustrie „gekauft“ wirken und oft vorgeben wollen, was gerade der neue heiße Scheiß ist. Ohne jetzt zu schleimig rüberzukommen, finde ich insbesondere das Ox so geil, weil es von den Musikrichtungen her so vielfältig ist. Da sind immer viele Bands drin, die ich aus unterschiedlichen Richtungen abfeiere. Und dann diese Masse an Reviews in jeder Ox-Ausgabe. Das ist ja Wahnsinn. Da frage ich mich manchmal, wie man sich überhaupt mit so vielen neuen Alben beschäftigen kann. Wichtig finde ich dabei, dass sich der Schreiber bei einem Review auch wirklich mit einem Album auseinandersetzt und was Interessantes dazu schreibt, egal, ob positiv oder negativ.

Im letzten Gespräch von Joachim mit dir im letzten Spätsommer sagtest du, dass die neue Scheibe schon fast komplett im Kasten sei, obwohl ihr damals gerade erst eine LP veröffentlicht hattet. War es nur noch ein Klacks, das Ding fertigzustellen?
Carsten: Zwischen Fertigstellung der Songs und Album-Release liegen ja meistens – leider – mehrere Monate, und da wir seit ein paar Jahren eine extrem kreative Phase haben, fangen wir eigentlich immer direkt wieder an, neue Songs einzuproben, sobald die „alten“ fertig aufgenommen sind. So kam es, dass wir diesmal quasi fast ein komplettes Album „Vorsprung“ hatten, da die Songs tatsächlich beim Release des letzten schon weitestgehend komplett fertig aufgenommen waren. Da wir mittlerweile dank unserem Basser Udo alles selbst aufnehmen, ist das auch kein finanzielles Problem mehr für uns. In der Vergangenheit hätten wir es uns nicht leisten können, jedes Jahr ins Studio zu gehen, beziehungsweise hätten wir dann viel mehr live spielen müssen, damit wenigstens ein bisschen Kohle fürs Studio reinkommt. Und je mehr wir live spielen, umso weniger arbeiten wir an neuem Material. Auch diesmal ist es wieder so, dass wir schon ein paar neue Songs haben, die wir gerade aufnehmen, wenn das neue Album rauskommt.

Nun zur Platte. In einem Interview sagtest du, Carsten, dass der Opener „Panik und Angst“ auf einen Bekannten zurückgeht. Finde ich echt klasse, weil ich neulich selbst wieder plötzlich per Panikattacke hinfiel. Erzähl uns doch bitte noch mal Genaueres dazu ...
Carsten: Richtig, der Text wurde überwiegend durch die Erlebnisse und Erzählungen eines Bekannten von mir inspiriert, aber auch von einem Buch, das ich zu dem Thema gelesen hatte. Generell ist das in unserer Gesellschaft ja leider immer noch mehr oder weniger ein Tabuthema. Denn wenn man wie mein Bekannter ganz plötzlich damit konfrontiert wird, ist es für die Betroffenen schwer, damit umzugehen. In seinem Fall hat er es öffentlich gemacht, was ich absolut für richtig halte und zumindest ein bisschen helfen kann, anstatt es einfach in sich reinzufressen. Und ich dachte mir, das ist ein Thema, das wirklich mehr Aufmerksamkeit und Wahrnehmung braucht, damit es so wie jede andere Krankheit auch gesehen wird. Und nicht so abwertend auf die Art „der/die hat ’nen Knacks“ oder so ... Und wenn man mal bei dem Thema ist, stellt man doch fest, wie viele Menschen mit so was zu tun haben oder hatten. Wenn da offener drüber gesprochen wird, können die Betroffenen sich ja auch viel besser austauschen und gegebenenfalls gegenseitig Tipps geben, anstatt dass jede:r sich da alleine durchkämpfen muss. Mein Bekannter hat sich jedenfalls außerordentlich bei mir bedankt und meinte, wir hätten das Thema sehr gut umgesetzt. Auch von anderen Betroffenen kam schon viel positives Feedback dazu. Es freut mich natürlich, wenn wir damit den richtigen Nerv getroffen haben.

In „Scheiße bleibt Scheiße“ greift ihr das leidige Thema AfD auf. Was mir auffiel: Jahrelang haben die Medien gegen die SPD gehetzt, keine guten Leute, Umfragetief folgt auf Umfragetief. Wer stellt nun den Kanzler? Die SPD. Dasselbe bei der AfD, zuerst Vorführung, dann aber immer weitere Talkshowbühnen und irgendwann waren sie stärkste Oppositionspartei. Derzeit hackt man vermehrt auf der CDU herum. Wie stellt sich euch das alles dar?
Carsten: Die Medien haben so eine krasse Macht, das Volk zu manipulieren. Die eigentliche Politik findet ja auch ganz stark in den Medien statt, eben in diesen ganzen Talkshows und durch möglichst reißerische Meldungen. Und natürlich alles immer nur negativ, es gibt ja selten mal ’ne positive Meldung. Da wird alles immer nur in den Dreck gezogen. Okay, bei den meisten Themen ist das ja auch verständlich. Man hat aber das Gefühl, dass das Volk oder zumindest ein Teil davon sich einfach mit diesen Infos zuballern und lenken lässt, ohne sich selbst Gedanken zu machen. Das, was gelesen oder gehört wird, ist dann automatisch die Wahrheit. Ich will jetzt nicht sagen, dass das in Richtung Fake News oder so geht, aber wenn zum Beispiel alle ständig lesen, dass es uns schlecht geht, dann sagen alle, dass es uns schlecht geht. Das wird doch überall total künstlich hochgespielt. Ja, und was die scheiß AfD angeht, schwierig. Natürlich möchte man nicht sehen, dass diesen Typen eine Bühne gegeben wird, andererseits kann man sie ja auch nicht gut rigoros von allem ausschließen, denn das wäre ja wieder genau in ihrem Sinne und auch nicht unbedingt demokratisch. Da liegt es eben an dem jeweiligen Moderator und den anderen Gästen, denen mit ordentlicher Argumentation den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Lars: Und die Parteien stellen sich ja auch nicht gerade geschickt an. Man denke nur an Friedrich Merz und die CDU: Beim Versuch, Stimmen am rechten Rand zu fischen, schließt er auch eine Kooperation mit der AfD nicht gänzlich aus, was kurz zuvor noch ein No-Go war. Und was erreicht er damit? Sicher nicht weitere Wähler, sondern er hilft den Demagogen und Populisten, sich weiter zu etablieren ... Ist schon traurig und aktuell eine echt gefährliche Situation hier in Deutschland. Wobei viele europäische Nachbarn ja ähnliche Probleme haben.

Der Folgesong „Zur rechten Zeit am falschen Ort“ wird von Gunnar von DRITTE WAHL und dir performt. Als ich den Text im Video sah, dachte ich zuerst an das verkorkste Fußball-Business, aber Korruption ist ja überall ein Thema, wo viel Geld drinsteckt, etwa dem Musikgeschäft.
Carsten: Wie es im Text heißt: „Es fängt meist schon im Kleinen an“... Das war eigentlich die Ausgangslage für den Text. Das ist ja allgegenwärtig, diese kleinen Gefälligkeiten und Absprachen im Alltag. Ich wohne zum Beispiel in einem kleineren Ort auf dem Land und da kriegt man das ja mit, wie die Bürgermeister, Gemeinderäte oder wer auch immer mit solchen Absprachen gemeinsame Sache machen und sich Vorteile verschaffen, etwa bei Bauvorhaben. So was wird permanent überall durchgezogen und es passiert nichts. Und was ist mit den Bonzen, die eventuell irgendwann mal über so was stolpern? Die lachen sich tot und haben sowieso längst ausgesorgt. Da gibt es so viele Beispiele, die mussten wir gar nicht explizit im Text benennen, ich denke, dazu fallen jedem direkt genügend Vorfälle ein.

Ein schöner Farbtupfer sind bei euch ja stets die englischsprachigen Songs. Wovon handeln die beiden auf der neuen Scheibe?
Carsten: Die sind ja meistens eher „rockig“, was uns witzigerweise ja sogar manchmal vorgeworfen wird, oder so Richtung ’77, was mir immer besonders viel Spaß macht. „Without you“ ist ein sehr persönlicher Song, sozusagen eine Art Liebeslied, wenn ich den Text von Lars richtig interpretiert habe, haha ... „Cage of fear“ handelt kurzgesagt von der humanitären Katastrophe, dass Menschen sich todesmutig auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer nach Europa machen und, wenn sie überhaupt lebend ankommen, fassungslos sind, weil sie feststellen müssen, dass sie hier nicht willkommen sind.
Lars: Ja, „Without you“ ist ein tragisches Liebeslied. Verschiedene Pärchen aus meinem Umfeld haben mich zu dem Stück inspiriert.

Beim Ukraine-Krieg habe ich verstärkt den Eindruck, ein unheimlich skrupelloser Schurke ficht mit einem heimlichen Schurken ... Die Ukraine schickt alle einheimischen Männer unter sechzig an die Front, das ist diktatorisch. Und auch Klitschkos Aussage, dass für sein Land zu sterben, eine „Ehre“ sei, erinnert mich an ganz fatale Zeiten. Wie ist eure Haltung in der Band? Russland ist der Aggressor, klar, aber wissen wir nicht insgesamt viel zu wenig?
Carsten: In solchen Kriegszeiten ist ja nichts normal und auch die Art und Weise, wie seitens der Kriegsparteien Reden gehalten werden, ist ja völlig absurd. Klar ist Russland der Aggressor, keine Frage, da gibt’s auch nichts zu diskutieren. Es ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, Punkt. Aber in der westlichen Darstellung fehlt der historische Hintergrund komplett, warum es überhaupt so weit gekommen ist, NATO-Osterweiterung etc. So wie die Russen von ihrer Propaganda manipuliert werden, so sehen wir im Westen eben auch – fast – nur eine einseitige Darstellung. Das ist vielleicht nicht ganz so krass, weil unsere Medien doch schon noch freier sind in ihrer Berichterstattung, aber trotzdem ist das Ganze durch unsere westliche Sichtweise der Dinge geprägt. Man kann also gar nicht richtig einschätzen, was da wirklich läuft. Jedenfalls ist die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 für den Westen scheinbar plötzlich ein ganz anderes Land, es wird einfach nur zwischen Gut und Böse unterschieden. Kann sich überhaupt noch jemand daran erinnern, wie der Westen vor diesem Datum über die Ukraine gedacht hat? Bitte nicht falsch verstehen, so schlimm das alles ist, aber die Denkweisen gehen immer direkt in eine klare Richtung und nichts anderes wird akzeptiert. Das Schlimmste ist, dass kein Ende abzusehen ist und täglich weiter Menschen sterben.

Ihr habt ja sogar schon in Moskau gespielt. Wie habt ihr die Atmosphäre im öffentlichen Leben wahrgenommen?
Carsten: Wir waren 2005 und 2013 in Moskau, hatten auch kurz vor der Pandemie noch mal eine Anfrage, das hat sich dann aber verlaufen. Aus heutiger Sicht ist es natürlich auf unbestimmte Zeit völlig utopisch, so was noch mal zu machen, aber damals war das schon richtig cool. Vom „öffentlichen Leben“ haben wir jetzt nicht sonderlich viel mitbekommen. Im Stadtzentrum kam es uns wie in einer Großstadt vor, da hat man den krassen Gegensatz von Arm und Reich gesehen, im Zentrum Reichtum, und weiter draußen halt immer mehr Armut. Am krassesten war die Erfahrung beim ersten Konzert, als die Leute teilweise die Texte unserer Songs vor der Bühne mitgesungen haben. Das war schon Gänsehaut-Feeling. Ja, und dann die Aftershow-Partys ... Ich muss wohl nicht weiter erklären, dass man besser nicht gegen die Russen beim Wodka-Trinken antritt ... Das bekam einer von uns dann am eigenen Leib zu spüren. Im Nachhinein muss man vielleicht noch sagen, dass wir da auf der Straße teilweise etwas leichtsinnig waren, obwohl wir von unseren Gastgebern auch gewarnt wurden. Da hat man ja so einige Storys gehört, dass Punks von Neonazis regelrecht gejagt oder sogar ermordet wurden. Für uns war das ein Riesenabenteuer, da haben wir über so was gar nicht groß nachgedacht.