RED FANG

Foto© by James Rexroad

Versuchen, kein Arschloch zu sein

RED FANG sind bekannt geworden als die Band mit den schrägen Videos: Ritterschlachten mit Rüstungen aus Bierdosen oder mutwilliges Zerstören von Dingen mit einem Auto. Nach dem letzten Album „Only Ghosts“ vor vier Jahren ist es still geworden um das Quartett aus Portland, Oregon. Das letzte Lebenszeichen war vor zwei Jahren die Single „Antidote“, erschienen als Teil eines Smartphone-Videospiels, bei dem man headbangen musste, um voranzukommen. Mit „Arrows“ veröffentlichen RED FANG nun ihr fünftes Studioalbum und das war dank Corona eine schwere Geburt, erklärt Bassist und Sänger Aaron Beam.

Arrows“ hat eine ziemlich lange Geschichte. Im Dezember 2019 habt ihr den letzten Song gemischt, jetzt, im Juni 2021, kommt das Album heraus.

Eigentlich wollten wir „Arrows“ im Mai 2020 veröffentlichen. Dann hat aber Relapse Records entschieden, dass es wegen der Pandemie keine gute Idee wäre. Uns ist dann ziemlich schnell klar geworden, dass es keine Möglichkeit gibt, die Konzerte zu spielen, die wir gebucht hatten, um die Platte zu promoten. Es war eine Zeit der totalen Unsicherheit. Keiner wusste, wie sich die Plattenverkäufe entwickeln, wie sie von der Pandemie beeinträchtigt würden. Wir sind einfach eine Band, die vor allem gut verkauft, wenn wir die Platte live präsentieren. Deshalb haben wir kurz vor dem Release alle Motoren gestoppt und wollten erst mal beobachten, wie sich alles entwickelt. Es stellte sich heraus, dass die Plattenverkäufe 2020 richtig gut liefen. Jetzt bringen wir das Album ein ganzes Jahr später heraus und können immer noch keine Konzerte spielen. Vermutlich erst 2022. Aber weil sich Platten gerade immer noch gut verkaufen, veröffentlichen wir das Album jetzt trotzdem.

Die Platte war also schon vor der Corona-Pandemie fertig ... Sie hat aber trotzdem einen sehr dunklen, aggressiven Vibe.
Die Pandemie hatte auf die Songs keinen Einfluss. Die Vinyl-Kopien waren sogar schon gepresst, als es losging. Also haben weder die Musik noch die Texte einen Bezug zu COVID-19. Nicht einmal der Sturm aufs Kapitol oder die Präsidentenwahl im Januar hatten Einfluss auf die Songs, die waren schon vorher fertig. Die Songs sind fast wie eine Zeitmaschine in die Jahre, als Donald Trump noch Präsident war. Wir sind zwar keine politische Band, aber die Präsidentschaft von Donald Trump hat mich extrem belastet. Die letzten vier Jahre waren sehr schwer für mich. Unser letztes Album „Only Ghosts“ ist ja noch vor der Wahl von Donald Trump entstanden. Deshalb reflektiert „Arrows“ viele Dinge, die in seiner Amtszeit passiert sind. Mein familiärer Hintergrund auf väterlicher Seite ist österreichisch-jüdisch, deshalb bin ich sehr empfindlich, was Nationalismus und Diskriminierung betrifft. Genau das ist in den vergangenen vier Jahren ziemlich lautstark passiert, deshalb habe ich diese Zeit als sehr dunkel empfunden. Außerdem hat mich die Spaltung der Gesellschaft sehr belastet, und dass die beiden politischen Lager überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen haben. Das hat sich für mich ziemlich apokalyptisch angefühlt. Deshalb ist das Album wahrscheinlich so finster geworden.

Bevor es mit RED FANG losging, warst du ja Wissenschaftler, genauso wie dein Vater. War die Zeit der Verschwörungserzählungen und der Lügenvorwürfe für dich besonders hart?
Mein Vater arbeitet immer noch als Physiologe in Colorado. Meinen ersten Ferienjob habe ich mit 15 Jahren in seinem Labor gemacht. Damals habe ich Reagenzgläser gereinigt und Gewebekulturen angelegt. Ich habe selbst einen Abschluss in Biologie und arbeitete vier Jahre lang als Wissenschaftler. Aber mir wurde ziemlich schnell klar, dass das nicht meine Leidenschaft ist. Ich hatte die Wahl, die nächsten Jahre als Labortechniker zu arbeiten oder den Doktortitel zu machen. Daran hatte ich aber kein Interesse, deshalb habe ich die Biologie aufgegeben. Wissenschaft ist ein Prozess, in dem Unwahrheiten systematisch ausgeschlossen werden. Es ist die permanente Suche nach der Wahrheit. Man kann mit niemandem diskutieren, der diesen ganzen Prozess ablehnt, mit jemandem, der grundsätzlich die Regeln von Wahrheit und Unwahrheit ignoriert. Das war natürlich sehr frustrierend für mich. An einem gewissen Punkt habe ich mich einfach ausgeklinkt, weil ich nichts mehr ausrichten oder ändern konnte. Was ich machen konnte, war ein richtig finsteres Album zu schreiben, um mit meinen Gefühlen fertig zu werden. Das würde ich jedem empfehlen. Irgendwann musste ich akzeptieren, dass ich nicht die Gesinnung von Millionen Menschen ändern kann. Mir blieb nur der Glaube, dass die höheren Kräfte des Universums irgendwann alles wieder in eine Richtung lenken würde, mit der ich besser klarkomme. Abgesehen davon sind wir Menschen nichts als Zellklumpen, die ein paar Jahre auf diesem Planeten verbringen. Wenn wir irgendwann nicht mehr existieren, wird es das Universum nicht jucken. Wir werden eines Tages verschwinden, die Erde wird sich von der Menschheit erholen und schließlich selbst von der Sonne verschluckt werden. Wir spielen also nicht wirklich eine große Rolle. Mein Credo lautet: Mach einfach, was sich richtig anfühlt, und versuch, kein Arschloch zu sein.

Ursprünglich wolltet ihr das Album ohne Vocals und ohne Gitarrensoli veröffentlichen. So habt ihr es angekündigt. Erklär doch mal den Plan.
Diese Idee stammt aus den Anfangstagen von RED FANG. Ein Freund von mir, der vor ein paar Jahren gestorben ist, hatte die Idee, ein Album als eine Art Baukasten zu veröffentlichen. Man bringt Gitarre, Bass und Schlagzeug einzeln heraus. Er sprach damals von einzelnen Floppy Discs. Als Konsument kannst du dir die Instrumente zusammenstellen, wie du willst. Mehr Gitarren, weniger Bass. Daraus hat sich dann ein Witz entwickelt, wie wir mehr Geld mit unserer Musik verdienen können. Für jedes Gitarrensolo müssen unsere Fans fünf Dollar drauflegen. Damit machen wir uns eigentlich nur lustig darüber, wie geldgierig manche Musiker sind. Das würden wir natürlich nie machen.

Lass uns doch mal über die Songs reden. Was ist zum Beispiel mit „Funeral coach“ gemeint?
In Wirklichkeit ist ein „Funeral coach“ natürlich ein Leichenwagen. Also ein geräumiges Auto, in das ein Sarg passt. Als ich mal an der Ampel wartete, stand so ein Leichenwagen vor mir, mit der Aufschrift „Funeral Coach“. Ich dachte nicht sofort an einen Van für die letzte Reise, sondern an einen Trainer für Beerdigungen. Einen Typen mit einer Pfeife um den Hals, der den Trauergästen zuruft, wann sie weinen oder Blumen werfen sollen. Ein Fachmann, der von der Familie beauftragt wird, die Leute anzuweisen, wie man sich bei einer Bestattung korrekt verhalten soll. Es war also nur ein dummer Gedanke in meinem Kopf, der sich in einen Song verwandelt hat.

Stimmt es, dass du nur im Studio Gitarre spielst und auf der Bühne nur Bass?
Auch im Studio habe ich vor allem Bass gespielt, aber ich habe ein paar Gitarrenparts beigesteuert. Auf der Bühne spiele ich nie Gitarre, weil mir das zu kompliziert ist. Ich liebe es aber, Gitarrensoli für meine eigenen Riffs zu entwickeln. Die spiele ich dann bei den Aufnahmen meistens selbst. Bryan und David sind vielleicht ein bisschen genervt davon, aber ich habe mich einfach schon viel länger damit beschäftigt als die beiden. Außerdem ist es viel einfacher, das Solo selbst zu spielen, als es einem anderen zu erklären. Vor allem wenn ich damit sagen will: Nein, ich möchte wirklich die falsche Note spielen. Haha. Das betrifft aber nur die Songs, die ich selbst geschrieben habe.

Zusammen mit eurem Freund Whitey McConnaughy habt ihr wieder ein spektakuläres Video gedreht – zum Titelsong „Arrows“. Der wirkt fast wie die kleine Schwester vom Clip zum Song „Wires“.
Whitey hat uns schon bei seinem ersten Clip in bestimmte Rollen gesteckt. In seinen Clips treten wir vier auf als nicht besonders schlaue, destruktive Typen, die ihr Geld nicht besonders intelligent anlegen. Er wollte diese Story weiterspinnen, war sich aber bewusst, dass sich diese Idee abnutzen kann. Deshalb wollte er eine Art Remix des „Wires“-Videos drehen, denn es macht immer noch Riesenspaß, Leuten dabei zuzuschauen, wie sie Dinge kaputtmachen. Jetzt eben mit einem Samuraischwert. Und wir fanden eben die Referenz noch lustiger, dass wir denselben dummen Scheiß wie vor zehn Jahren anstellen. Haben wir denn gar nichts gelernt?

Ziemlich ungewöhnlich für euch finde ich auch das Artwork des Albums. Unzählige Augen, die einen anstarren, und fluoreszierende Farben.
Meistens überlassen wir die Gestaltung des Artworks Orion Landau, er ist der Haus-Grafikdesigner von Relapse Records. Wir geben ihm einfach die Musik und er macht uns dann Vorschläge. Diesmal haben wir viel darüber gesprochen, dass „Arrows“ schmutziger und ein bisschen mehr LoFi als das letzte Album klingt. Deshalb wurde er vermutlich von Skatepunk-Visuals inspiriert. Wir vertrauen ihm voll und ganz und lassen ihn einfach gewähren. Er hat alle unsere Plattencover seit „Murder The Mountains“ gestaltet. Sie sind alle großartig auf ihre eigene Art.

Mit der „Fortune Hunter Gamblers Box“ habt ihr auch einen sehr lustigen neuen Merch-Artikel im Angebot.
Auf diese Idee war Bryan ganz wild. Er wollte unbedingt ein Kartenspiel mit unseren Köpfen darauf. Die Box ist in Zusammenarbeit mit den Organisatoren von Psycho Las Vegas Festivals entstanden. Das war eigentlich viel kleiner gedacht, aber wir hatten jede Menge Zeit, die Idee wachsen zu lassen. Die Box beinhaltet jetzt ein individuelles Kartenspiel, sechs Casino-Würfel, eine gefakete „Challenge Coin“-Medaille mit den Abzeichen von RED FANG und Psycho Las Vegas und noch mehr Schnickschnack.

Euer letztes Album „Only Ghosts“ habt ihr zusammen mit Ross Robinson in Venice Beach produziert. Mit „Arrows“ seid ihr zu eurem Stammproduzenten Chris Funk nach Portland zurückgekehrt. Warum dieser Schritt?
Die Lebenssituation von uns allen hat sich seit „Only Ghosts“ verändert. Ich habe die Arbeit mit Ross geliebt und die Tatsache, dass wir im Studio wohnen können und uns um nichts anderes kümmern müssen als die Platte. Aber momentan kann keiner von uns einen Monat getrennt von seiner Familie verbringen. Allerdings konnte ich jeden Tag mit dem Fahrrad ins Studio fahren. Abgesehen davon vertrauen wir Chris voll, wir haben schon zwei Platten mit ihm gemacht. Von dem Ergebnis waren wir immer überzeugt. Man kann unkompliziert mit ihm arbeiten und die Lage des Studios ist natürlich ideal für uns. Wir haben nicht wirklich lange überlegt, als es um das richtige Studio für „Arrows“ ging.

2020 war eure Heimatstadt Portland Dauerbrenner in den Medien. Sie galt als Herz der „Black Lives Matter“-Proteste. Wie kam es dazu? Die Black Community in Portland ist ja vergleichsweise klein.
Ich bin kein Soziologe oder Statistiker, aber ich schätze mal, als Bastion des Liberalismus wurde die Stadt einfach zur Zielscheibe für rechte Medien. Hier leben viele in deren Augen verrückte, progressive Menschen und im Laufe der Monate entsprach die Stadt immer mehr dem Bild, das vorher von ihr gezeichnet wurde. Viele linksgerichtete Menschen sind zusätzlich nach Portland gezogen, weil sie dabei sein wollten. Es gab hier also schon eine starke Szene von Links-Aktivisten. Dazu kamen viele Leute, die die nötige Zeit und die Ressourcen dafür haben, politisch aktiv zu sein. Menschen, die sich keine Gedanken ums Geld machen müssen. Es waren also vor allem reiche, weiße Menschen, die man bei den Protesten gesehen hat. Auf der anderen Seite haben sich rechtsextreme Gruppen wie die Proud Boys Städte wie Portland ausgesucht, weil sie wussten, dass es einen großen Aufschrei geben würde. So hat sich das hochgeschaukelt.

Hast du dich auch an den Protesten beteiligt?
Nein. Während der Corona-Pandemie wollte ich mich nicht in großen Gruppen aufhalten. Natürlich sympathisiere ich mit den Ideen dieser Proteste. Selbstverständlich müssen wir an der Ungerechtigkeit gegenüber der schwarzen Community schnell etwas ändern. Aber ich weiß viel zu wenig über all die taktischen Manöver und die Botschaften, die damit ausgesendet wurden. Ich habe eine Ahnung, aber ich weiß nicht genau, ob das der richtige Weg ist, das Ziel zu erreichen. Ich weiß einfach zu wenig darüber, deshalb hätte ich mich bei diesen Protesten nicht wohl gefühlt. Ich versuche einfach, nur blöde Rockmusik zu machen.

Trotzdem habt ihr auch Geld für soziale Zwecke gesammelt.
Das stimmt, wir haben Geld für Obdachlose gesammelt. Das hat sich einfach richtig angefühlt, deshalb waren wir alle einverstanden. Die Initiative heißt „Coalition For The Homeless“. Die sind der Auffassung, dass bezahlbarer Wohnraum, ausreichende Lebensmittel und die Möglichkeit, für einen existenzsichernden Lohn zu arbeiten, Grundrechte in einer zivilisierten Gesellschaft sind. Das sehen wir auch so.