ROBERT GÖRL & DAF

Foto

Von der Punk-Metropole zur „Electri_city“ Düsseldorf

Herbert Grönemeyer ist nicht unbedingt ein Musiker, der im Ox verhandelt wird. Dass er doch Erwähnung findet, liegt daran, dass er einen guten Musikgeschmack hat und diesen mit seinem Label Grönland kommuniziert. Neben Wiederveröffentlichungen von NEU! und HARMONIA setzte Grönemeyer auch dem musikalischen Treiben der frühen Punks in Düsseldorf ein Denkmal.

So wie die Düssel in den Rheinstrom mündet, entstanden aus kleinen Quellen von Inspirationen Strömungen neuzeitlicher Musik. Nicht nur David Bowie oder DEPECHE MODE beriefen sich auf Düsseldorfer Klangkünstler wie KRAFTWERK oder NEU!. Eine wahre Sintflut an populären MusikerInnen spülte die Klänge von Sequenzern (nicht) nur in große Tanzhallen und Charts. Düsseldorf ist ebenso die Stadt von ZK, DIE TOTEN HOSEN, FEHLFARBEN und DER PLAN. Die beiden letzteren bestanden aus einem Zirkel von Musikern, die nebenher auch bei DEUTSCH AMERIKANISCHE FREUNDSCHAFT, kurz DAF, musizierten.

Wie genau begann die Geschichte von DAF? Dazu Robert Görl, Schlagzeug, Elektronik: „Ich habe den Ratinger Hof eher zufällig entdeckt. Beim ersten oder zweiten Besuch dort habe ich bereits Gabriel Delgado-López getroffen. Wir haben uns unterhalten, Bierchen und Cocktail getrunken, uns den ganzen Nachmittag angefreundet. Ich habe ihm gleich von meinem Musikstudium erzählt. Davon, dass ich eine Band gründen möchte. Gabi erzählte, dass es ihm nicht anders gehe. Er wolle Sänger werden. Bis in die Nacht hinein haben wir uns unterhalten. Bei diesem ersten Treffen hatten wir gleich das Gefühl, wir haben uns gefunden. So haben wir uns gleich wieder für den nächsten Tag verabredet, herumgeträumt. Aus dieser Situation heraus resultierte etwas später die erste DAF-Probe. Carmen hatte uns die Schlüssel für den Keller des Ratinger Hofs gegeben. Dort haben wir getrötet. Wir dachten, das ist es! Genau so muss es sein – verrückte Klänge mit Beat! Unser Programm war zwar noch nicht bühnenreif, eher ein verrücktes Herumspielen. Aber es war bereits die Grundidee von DAF.“

Damit haben Görl und Delgado-López in der Ratinger Straße 10 in der Düsseldorfer Altstadt, im Ratinger Hof, den Grundstein für eine fulminante Karriere gelegt, die in Alben wie „Die Kleinen und die Bösen“ und „Alles ist gut“ gipfelte. DAF gelten seither als „Pioniere des deutschen Elektropunk“, der Electronic Body Music/EBM. Ebendort, im Ratinger Hof, wurde zudem der deutsche Punk erfunden. Besitzerin Carmen Knoebel ermöglichte diversen Formationen, im Bierkeller auch tagsüber zu proben. Görl: „DAF waren zu zweit, ausschließlich Gabi und ich. Total naiv. Im feuchten, versifften, verrotteten Keller des Hofs stand ein kaputtes, verstimmtes Drumkit. Gabi hatte ein quietschendes Stylophon. Dieses kleine Spielzeugteil hatte ein paar Tasten. Es klang acidmäßig schräg. Zwei Stunden haben wir bumschakbumschakbumschak gemacht, Gabi hat noch nicht gesungen. Wenn uns jemand, zum Beispiel ein klassisch orientierter Musiker, zugeguckt hätte in dieser Zeit, der hätte gedacht: Was soll das sein? Was sind das denn für Verrückte?“ Nachts erschienen dann Musiker von KRAFTWERK und NEU!, stellten sich an der Theke aus. Görl: „Kraftwerker waren nicht so oft da, oft, aber nicht so oft wie wir. Das da unten im Keller hat niemand zu sehen bekommen.“

Robert Görl ist auf den von Grönemeyer konzipierten „Electri_city – Elektronische Musik aus Düsseldorf“-Samplern drei Mal vertreten. Während der wohl größte kommerzielle DAF-Erfolg „Der Mussolini“ sich auf dem erstmals 2014 veröffentlichten ersten Teil der Kompilation findet, enthält die neue, zweite Ausgabe der fabelhaften Zusammenstellung „Kebabträume“ von DAF sowie Görls Kooperation mit der EURYTHMICS-Sängerin Annie Lennox namens „Darling don’t leave me“. Görl: „Ich bin vor meiner Mitgliedschaft bei DAF bereits in vielen Formationen aus der Jazzecke aktiv gewesen. Bevor ich nach Düsseldorf kam, hatte ich vier Jahre Musik studiert. Speziell die letzten zwei Jahre in der Free-Jazz-Szene. In der zweiten Hälfte meiner Studienzeit habe ich in Österreich auf studientechnisch anerkannten Bühnen bereits vor relativ vielen Leuten gespielt. Gabi und ich dachten jedoch, wir benötigen mehrere Musiker, um das umzusetzen, was wir planen. Das war der nächste Schritt, die ,Suchzeit‘. Wir lernten andere Typen kennen, wie Kurt Dahlke. Kurt kam aus Wuppertal, dort lebte auch Gabi noch bei seinen Eltern. Im Ratinger Hof haben wir Leute kennen gelernt, die selber suchten. Wer macht mit wem? Kurt Dahlke, Michael Kemner, Wolfgang Spelmanns waren immer dort.“

„Pyrolator“ Dahlke (Keyboards) spielte später bei DER PLAN sowie mit FEHLFARBEN. Kemner (Bass) war ebenfalls bei FEHLFARBEN, sowie bei MAU MAU aktiv. Letztere hatten auch Spelmanns (Gitarre) im Line-up. Chrislo Haas (Korg MS-20) ersetzte Dahlke bei DAF; ging jedoch später nach Berlin, um dort bei LIAISONS DANGEREUSES zu spielen. FEHLFARBEN sind die Nachfolgeband der Punkband MITTAGSPAUSE, die wiederum der Urpunkband CHARLEY’S GIRL nachfolgten. In beiden Formationen war Delgado-López aktiv. Das FEHLFARBEN-Album „Monarchie und Alltag“ enthielt unter dem Namen „Militürk“ eine Interpretation des DAF-Songs „Kebabträume“.

Görl: „Im Ratinger Hof war eine Ansammlung von Punks und Künstlern, die Fanzines gemacht haben. Mädchen haben Punkmode gemacht, Flyer verteilt. Überall haben die Leute herumgecheckt. Ich bin zum Mitglied der ersten DER PLAN-Scheibe geworden. Gabi war dann auf der ersten, rein instrumentalen, DAF-LP gar nicht dabei.“ Das besagte erste, „gelbe“ DAF-Album „Ein Produkt der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft“, 1979 auf Kurt Dahlkes Label Ata Tak (damals hieß es noch Warning) veröffentlicht, war allerdings noch sehr experimentell. Görl: „Wir konnten im Hof unseren allerersten Gig machen. Es war brechend voll. Draußen standen noch einmal ebenso viele Leute, die gar nicht erst reinkamen. Dabei kam es zum entscheidenden Wendepunkt. Uns war die Musik irgendwie zu rockorientiert, zu alt. Das hat uns den entscheidenden Kick gegeben, etwas radikal zu ändern. Zur selben Zeit kamen aus Japan die ersten Korg-Sequenzer. Da war die Ansage, der Dahlke muss raus, mein Freund und Studio-Buddy Chris Haas muss rein ... Das Konzept des Minimalismus, der elektronischen Musik ist straighter. Wir waren trotzdem noch zu fünft. Dann zu viert, zu dritt, dann waren alle außer Gabi und mir raus. Weil wir immer konsequenter wurden, keine Gitarren mehr wollten! Ich habe mit Gabi zusammen gewohnt, Tag und Nacht Sequenzer gespielt. Die Leute haben böse über uns gesprochen, gesagt, wir hätten alle hinausgeschmissen. Wir haben lediglich die Richtung bestimmt, sind dabei immer konsequenter geworden. Gabi und ich waren die Köpfe von DAF, mussten Entscheidungen treffen. Michael Kemner ist sogar von allein gegangen. Wir hatten seinerzeit eine karge Wohnung in London. Er hat es dort nicht mehr ausgehalten, hat sich einfach aus dem Staub gemacht. Den anderen haben wir gesagt, sie sollten jetzt raus. Wir haben geformt. Wir haben den Sound bestimmt, daran haben sich die anderen orientiert. Nach ,Die Kleinen und die Bösen‘ waren wir soweit, dass wir genau wussten, wie es geht. Weniger ist mehr lautete unser Plan. So sind wir nach eineinhalb Jahren wieder im Duo gelandet. Es war Entwicklung, es war die Elektronik, die im Endeffekt dafür gesorgt hat, dass wir keine Band mehr benötigten. Es war schwer, Wolfgang Spelmanns zu sagen, wir gehen einen anderen Weg. Er versuchte, parallel zu den Sequenzern eine andere Stimmung auf der Gitarre zu spielen. Als unsere Ansagen präziser wurden, hat er das Handtuch geworfen.“

Das Duo DAF war (wieder)geboren! Görl: „In der Konsequenz haben wir zu zweit dann den Deal mit der Virgin von Richard Branson bekommen. Wir wurden genau in dem Moment ein Duo, als der Deal kam. Es gab nicht wenige Leute, die vorwurfsvoll meinten, wir wären total auf Kommerz. Das war echt schräg. Wir sind einfach präzise kommerziell geworden, und das genau zur richtigen Zeit. Alles hat seine Zeit. Viel Neid kam auf, uns wurde Mobbing vorgeworfen. Bei einigen Leuten ist das bis heute so hängen geblieben ...“