ROCKET FROM THE CRYPT

Eins vorweg: außer bei Speedos prägnantem Organ war es mir nicht möglich, das Stimmengewirr der fünf anderen Raumschiffbesatzungsmitglieder einzelnen Personen zuzuordnen. Ein Problem? Nicht wirklich, denn Speedo hat ganz offensichtlich innerhalb der Band die Hosen an, und die übrige Mannschaft (JC 2000 – Orgel, Trompete, Percussion, Gesang; N.D. – Gitarre; Apollo Nine – Saxophon, Vibraslap, Gesang; Atom – Drums; Petey X – Bass) lässt ihn in dieser Rolle auch gewähren.

Ihr hattet eine ziemlich hektische Woche ...

Wir waren innerhalb von ein paar Tagen in Dänemark, England, Frankreich und Deutschland, und wir sind auch gerade erst vor einer Stunde mit dem Flugzeug aus Paris gekommen. Unser Zeitplan war so eng, dass wir im Bus drei Fahrer hatten, weil die nur acht Stunden am Steuer sitzen dürfen ...

Und wie waren die Konzerte, die ihr gespielt habt? Unter anderem seid ihr auch bei „Rheinkultur“ aufgetreten.
Das lief alles ganz gut, obwohl so Festivalauftritte immer ’ne heikle Sache sind. Aber sobald wir dann auf der Bühne standen, war es o.k.

Und was habt ihr an Songs gespielt? Vor allem neue Sachen oder doch die alten Hits?
Die Platte ist noch nicht raus, also haben wir nur vier, fünf der neuen Songs gespielt und ansonsten halt zehn, zwölf alte Tracks.

Und wie haltet ihr es mit eurem Programm: zieht ihr da eine Linie und spielt nur relativ aktuelle Songs?
Nein, bis auf die Songs des ersten Albums spielen wir eine repräsentative Mischung. Bei Festivals ist es ja so, dass sehr viele Leute dich nicht kennen, also versuchst du dich möglichst „breit“ darzustellen. Grundsätzlich spielen wir einfach lieber Clubkonzerte, da sind die Leute viel mehr dabei als bei so Festivals, wo allein schon durch die Absperrung eine Distanz zum Publikum da ist, und viele Leute sind nicht mal konzentriert dabei sind, weil es regnet, weil sie besoffen sind, weil sie auf die nächste Band warten, und so weiter.

Wie unterscheidet sich der Publikumszuspruch in Deutschland, England und den USA?
In den USA spielen wir im Schnitt vor tausend Leuten – mal sind’s 600, mal 2.000. In England sind’s viel mehr, da waren es auch schon mal 10.000.

Wie kommt’s?
Keine Ahnung. Die mögen uns halt. Nein, im Ernst: wir haben mit all den wichtigen Leuten gefickt, die beim NME schreiben.

Und die mögen euch?
Klar, deshalb haben sie uns im Gegenzug ja auch gefickt.

Eure erste Single aus dem Album trägt den schönen Titel „When In Rome, Do The Jerk“ – das erinnert mich an diese VANDALS-Scheibe „When In Rome, Do As The Vandals“.
Eine gute Scheibe, aber keine Verbindung. Es ist einfach eine Anspielung auf diese Redewendung „When In Rome, Do As The Romans Do.

Im Info zu eurer neuen Platte gibt es ein Zitat, das da lautet „This band is about becoming what you wanna be“.
Man könnte es auch so sagen: jeder von uns trägt seinen Teil zur Band zu, bringt das ein, was er einbringen will. Da wir alle mehr oder weniger auf einer Wellenlänge sind, ist das Ganze, die Band, eine recht harmonische Sache. Man kann diesen Satz aber durchaus auch als „Botschaft“ ansehen an alle, die sich davon angesprochen fühlen.

Und noch ein Zitat aus dem Info, ganz unbescheiden: „Rocket From The Crypt are the greatest rock’n’roll band on this planet“.
Ja und?

Naja, ihr habt damit nicht ganz unrecht.
Also – noch Fragen?

Nee, also lassen wir das. In einer englischen Musikzeitung wurdet ihr mal als „retro rock“ bezeichnet – nicht unbedingt schmeichelhaft für eine Band mit Punk-Background, die coolen Rock’n’roll spielt.
So sehen wir das nicht. Wir nehmen dieses Zitat „This band is about becoming what you wanna be“ durchaus ernst, denn es gilt auch für unsere Fans, für jeden im Publikum – und damit passt „retro rock“ schon. Das ist unsere Philosophie, und die stammt aus einer Zeit, wo Musik gemacht wurde, damit die Leute ihren Spaß haben, sich amüsieren können. Unser Ding ist es nicht, unsere Probleme über den Leuten auszukippen, sondern ein bisschen Leben in die Bude zu bringen und dafür zu sorgen, dass die Leute an dem Abend möglichst viel Spass haben.

ENTER SPEEDO – der Mann mit der Grabesstimme: was hält er von der Kategorisierung „retro rock“?
Speedo: Das kann doch nur jemand schreiben, der sich nicht die Mühe macht, unsere Platten wirklich anzuhören. Andererseits ist das auch wieder gar nicht so unzutreffend, denn natürlich haben wir eine ganze Reihe von musikalischen Vorfahren, auf die wir uns berufen, und insofern kann man schon von „retro rock“ sprechen.

Ich denke, man sollte auch zwischen Bands wie euch und solchen unterscheiden, die versuchen – vermeintlich? – zeitgemäße Elemente in ihre Musik einzubauen, also etwa Technobeats etc.
Mit sowas kannst du natürlich als Band zeigen, dass du „zeitgenössische“ Musik spielst, aber gleichzeitig verhinderst du damit auch „zeitlose“ Songs zu machen, denn alles bekommt automatisch einen Datumsstempel aufgedrückt.
Speedo: Sobald du sowas machst, klingt deine Band wie jede andere da draussen. Aber das wird doch gefördert: kling wie alle anderen und du bist toll, versuch was anderes zu machen und du wirst allenthalben entmutigt. Das ist doch eine verkehrte Welt! Ich meine, ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als du wie der letzte Dreck behandelt wurdest, wenn du als Band andere nachgemacht hast. Aber heute gehört das wohl zum guten Ton, da wird das noch als schlau und toll herausgestellt.

Das bringt uns wieder zum Ausgangspunkt, nämlich puren Rock’n’roll – und letztendlich ist das, was ihr macht, ja auch nichts anderes.
Speedo: Schon, aber andererseits denke ich auch, dass wir uns von der Masse von „straightforward rockn’n’roll bands“ unterscheiden, eben durch die darüber hinausgehenden musikalischen Einflüsse, unsere Instrumentierung und die Art, wie wir unsere Songs arrangieren. In unserer Musik passieren eben ganz verschiedene Dinge, und Rock’n’roll ist nur ein Teil davon.

Punkrock ist ein weiteres Grundelement eurer Musik, das allerdings auf den frühen Platten noch deutlicher hervortrat.
Speedo: Was ist Punkrock, was ist Rock’n’roll? Ich sehe die Unterschiede nicht so deutlich, und die MISFITS waren für mich schon immer eine Rock’n’roll-Band. Und die erste Punkband, die ich hörte, waren die SEX PISTOLS, die ich nicht besonders toll fand. Wirklich begeistern konnten mich erst spätere Bands wie BLACK FLAG und DEAD KENNEDYS, die bliesen dich einfach weg, da fühlte ich, dass das Musik ist, die von echt verrückten Leuten gemacht wird. Da war mir klar, dass das meine Musik ist, dass ich das für den Rest meines Lebens machen will.

Von Punkrock zu Rock: euer neues Album wurde von Kevin Shirley produziert, der in der Vergangenheit auch mal AEROSMITH produziert hat. Mit Punkrock haben die nicht viel zu tun.
Und? Was sagt das schon aus, wenn du eine Platte aufnehmen willst, die einfach gut klingen soll. Kevin Shirley ist ein sehr guter Studiotechniker, der versteht sein Handwerk und bringt eine Band so gut wie nur möglich auf Band, ohne sich selbst groß einzubringen.
Speedo: Kevin hat übrigens nicht nur AEROSMITH produziert, sondern auch eine Platte von JOURNEY. Ich verstehe natürlich, wenn Leute Vorbehalte gegen eine Band wie AEROSMITH haben, denn sie stehen für jede Menge Dinge, die ich absolut ablehne, etwa diese ganze „Cock-Rock“-Mentalität. Punk war seinerzeit schließlich eine Reaktion auf Bands wie AEROSMITH. Andererseits gebe ich auch zu, dass ich die frühen AEROSMITH-Platten mag – ehrlich. Und ich mag auch die Platte, die Kevin Shirley mit AEROSMITH aufgenommen hat. Die war es auch, die uns überzeugte, mit ihm arbeiten zu wollen. Wir sagten uns, wenn er so eine Platte mit einer Band wie AEROSMITH hingekriegt hat, dann müsste das Ergebnis mit einer Band, die jung und hungrig ist, „that wants to kick out the jams“, noch um einiges beeindruckender sein.

Ihr habt die Platte live im Studio eingespielt, also keine sich wochenlang hinziehenden Aufnahmesessions.
Speedo: Kevin arbeitet nur so, wir wollten die Platte so einspielen, also ... AEROSMITH, JOURNEY und SILVERCHAIR wurden auch so aufgenommen. In drei Tagen war im Studio war alles gelaufen, was auch daran lag, dass wir die Songs vorher ausgiebig geübt hatten. Danach haben wir noch gemischt, drei Songs am Tag, und das war’s dann. Ich glaube, diese wochenlangen Studioaufnahmen, für die viele Bands Unmengen Geld rausblasen, sind nur auf die BEATLES zurückzuführen: die machten das so, sie waren gut, also muss das Ergebnis ja dann auch gut sein. Wir haben uns dagegen bei dieser Platte auf die Songs und das Spielen konzentriert: die Songs sollten für sich selbst sprechen können, die musikalische Ausführung stimmig sein und die Produktion so klar, dass man detailliert heraushören kann, was da passiert.

Trotzdem, oder gerade deshalb, klingt das neue Album rauher als „Scream, Dracula, Scream“.
Speedo: Klar, das hängt eben mit der Aufnahmeart zu tun. Wir hören uns jetzt mehr so an wie wenn wir live auf der Bühne stehen, während wir bei „Scream, Dracula, Scream“ zum Beispiel eine ganze Reihe alter Verstärker und Gitarren im Studio hatten und immer wieder wechselten. Auch das Schlagzeug wurde in verschiedenen Räumen aufgenommen, wir probierten sehr viel aus – und diesmal bauten wir unsere Verstärker, die wir jeden Tag spielen, im Studio auf, legten los und nahmen auf.

Die Platte wurde bereits letztes Jahr im Oktober aufgenommen.
Speedo: Ja, und wenn es nach uns gegangen wäre, wäre sie auch schon längst erschienen. Aber bei unserem US-Label gab es gewisse Veränderungen und wir wollten deshalb nicht riskieren, dass die Platte untergeht. Also warteten wir ab, bis Interscope wieder voll einsatzbereit waren. Abgesehen davon waren wir nach der letzten Platte auch eineinhalb Jahre auf Tour und wollten uns erst mal wieder ein bisschen Zeit zuhause gönnen.

Der Opener des Albums, das begeisternde „Eye On You“, ist ein Duett zwischen Speedo und Holly Golightly von THEE HEADCOATEES. Wie habt ihr zusammengefunden?
Speedo: Am Ende der letzten Europatour, so vor anderthalb Jahren, waren wir in London und nahmen ein paar Songs auf. Zuvor hatten wir Holly getroffen, mit den HEADCOATEES eine Show gespielt, Konzerte von ihnen besucht und uns angefreundet. Und so fragten wir, ob sie nicht ein paar Songs mit uns aufnehmen wolle – mit dem Resultat, dass sie bei sechs der acht Songs mitsang. „Eye On You“ ist während dieser Session entstanden und wir fanden es so gut, dass wir beschlossen, es für dieses neue Album aufzusparen.

Was wird aus den anderen Songs dieser Session?
Speedo: „Früher oder später werden sie das Tageslicht erblicken, aber wie und wann, das wissen wir noch nicht. Einer wird jedenfalls auf der zweiten Singelauskopplung enthalten sein.

Auf der Rückseite des CD-Booklets sowie auf euren Pressefotos posiert ihr bzw. Speedo mit einem Tiger – mich erinnert das ja an Siegfried und Roy ...
... mit dem Unterschied, dass deren Tiger weiß sind. Der Tiger gehört Speedo bzw. seiner Familie. Seine Verwandten haben in den Bergen außerhalb von San Diego eine Wildtierfarm. Sie züchten dort vom Aussterben bedrohte Tierarten, unter anderem eben auch Tiger. Sie finanzieren sich, indem sie die Tiere an Zoos und Parks verkaufen, und wenn wir mal Geld brauchen, jobben ein paar von uns auch dort – Scheiße aus dem Käfig schippen und so.

Und von wem stammt das Coverartwork?
Das ist von Rick Froberg, der früher der Sänger von DRIVE LIKE JEHU war, du weißt schon, die Band, bei der Speedo Gitarre spielte. Die Band gibt es zwar nicht mehr, aber Rick Froberg ist immer noch ein guter Freund von uns und außerdem ein sehr guter Künstler.

Ihr seid große Vinylfans, deshalb die Frage, ob auch das neue Album wieder im 12“-Format erhältlich sein wird.
Natürlich: in den USA erscheint das Vinyl auf Sympathy For The Record Industry, und in England wird es wohl über Elemental erscheinen. Virgin in Deutschland werden aber kein Vinyl werden. Auf die Verkaufszahlen hat Vinyl sowieso kaum noch Einfluss – beim letzten Album waren es ungefähr 5%.

Wenn wir beim Thema Vinyl sind: ist euer Back-Catalog, die Platten auf Headhunter, derzeit erhältlich?
Speedo: Schwer zu sagen: nur noch „Paint As Fragrance“ ist auf Headhunter. „Circa: Now“ wurde von Interscope gekauft, aber wie „All Systems Go“ derzeit wohl nicht zu haben. Die Pflege des Back-Catalogs genießt bei Interscope keine große Priorität, solange du als Band nicht wirklich viele Platten verkaufst. Wir finden das auch nicht gut, aber was sollen wir machen?