SCHARPING

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Alternative zur Eintönigkeit

Eigentlich sind SCHARPING einfach eine Rockband. Die Vielfalt auf dem ersten Album „Unser Charping“ ist allerdings auffallend groß und für manche sicher auch erst mal erschlagend. Die Berliner Band – bestehend aus Kevin Kuhn von DIE NERVEN, Angelo Fonfara, Jermain Mikel Herold und Christian Heerdt – sprengt bewusst alle Grenzen und schwankt auch inhaltlich. Die Texte verschmelzen gesellschaftliche Beobachtungen mit überspitztem Humor, der auch mal wehtun kann und will.

Woher kennt ihr euch?

Angelo: Unabhängig voneinander waren wir alle immer in unterschiedlichen Kombinationen im Gespräch darüber, dass wir mal gemeinsam Musik machen müssen, und irgendwann kam heraus, dass es wohl am sinnvollsten wäre, wenn wir uns alle mal zusammensetzen.

War der Sound von Anfang an so vielfältig geplant?
Angelo: Es war von Anfang an klar, dass wir uns keiner Sache verschließen. Aber es gab keine Ambitionen dahingehend, dass es so werden soll, wie es jetzt geworden ist, das hat sich einfach so entwickelt. Wir wollten machen, was uns in den Sinn kommt, um uns einfach mal auszuprobieren.

Ihr habt mit Rick Rubin aufgenommen?
Kevin: Haha, nein, das ist unser guter Freund Ben Schadow, den man auch von RHONDA oder von der Bernd Begemann-Band kennt. Der hat uns angeboten, uns mit seinen saugeilen Pre-Amps für die Aufnahmen zu betreuen. Und er hat halt einen Bart, wie Rick Rubin, ein ähnlich ruhiges Gemüt und sieht bisschen so aus wie ein Supermarkt-Weihnachtsmann.
Christian: Produziert habe ja ich, Ben hat uns technisch betreut. Die ganzen künstlerischen Entscheidungen haben wir alle demokratisch getroffen.

Die Texte schreibst du, Jermain?
Jermain: Teilweise. Die Sachen, die singe, habe ich größtenteils auch geschrieben. Wir haben uns immer besprochen, was die Inhalte angeht, und auch Texte zusammen verfasst. Christian hat aber auch einiges geschrieben. Aber meistens der, der singt, und bei uns singen ja alle irgendwann mal, haha.
Christian: Fast so wie bei DIE ÄRZTE. Wer die Sachen schreibt, der singt sie auch.

Woher holt ihr euch die Anregungen, um Texte zu schreiben? Beobachtet ihr gerne andere Leute in der Bahn, im Wartezimmer oder hinterm Vorhang?
Christian: Ja, genau und auch mit dem Fernglas ganz gerne, haha. Hast du das Gefühl, wir beobachten die Leute viel?
Jermain: Macht das nicht jeder? Alle beobachten sich doch immer gegenseitig.
Kevin: Es ist jetzt auch schwer, sich da herauszuwinden, wenn man einen Song im Repertoire hat, der „Schau dir dabei zu“ heißt, haha. Das ist unser „Jeanny“ und irgendwie ein Stalker-Liebessong, der gerne fehlgedeutet werden kann.

In „Alternative zur Umwelt“ geht es um Alltagstrott. Kennt ihr den als Künstler überhaupt?
Christian: Während Corona auf jeden Fall. Ich habe gemerkt, dass ich nur noch daheim hänge und jeden Tag das Gleiche mache. Aber so Erfahrungen wie in diesem Song hat ja jeder schon gemacht, und irgendwie ist ja auch die Frage, was denn ein Künstleralltag ist. Thomas Mann hat sich jeden Tag hingesetzt, mit dem Ziel, eine Seite zu schreiben, das ist ja auch eine Art Trott.
Jermain: Oder der Schriftsteller Thomas Bernhard, der sich acht Stunden vor eine weiße Wand gesetzt hat, um die anzustarren. So lange, bis ihm eine Geschichte einfiel.

Habt ihr Rituale, um Kunst abrufen zu können?
Christian: Ja, spontan sein. Und Jermain arbeitet richtig gut unter Zeitdruck. Dann knallt er raus und auch echt gute Sachen, die er davor nicht bringen konnte. In den Schlussphasen hat er mich sehr überrascht. Wenn man zu viel Zeit hat, hat man auch zu viel Zeit nein zu sagen. Unter Zeitdruck muss man sich aber entscheiden.

Wie wichtig ist die Tatsache, dass ihr eine Band seid und nicht alleine kreativ sein müsst?
Kevin: Keine Ahnung, wie das die anderen sehen, aber mir ist es sehr wichtig. Ich kann ganz alleine nichts auf die Beine stellen, mit dem ich zufrieden bin.
Angelo: Das ist der Sinn der Sache. Das Konzept der Band ist vielleicht gar nicht mehr so zeitgemäß, aber der Reiz daran ist für mich, dass unterschiedliche Personen etwas einbringen und dann daraus etwas wächst. Es gibt sicher auch gute Bands, bei denen eine Person das Zepter in der Hand hat, aber mir ist die gegenseitige Befruchtung wichtig und das damit verbundene Unvorhersehbare.
Kevin: Man kommt gemeinschaftlich auch in einen Modus, den man alleine nicht erreichen kann.
Christian: Und in einer Gruppe traut man sich auch mehr. Sich alleine mit dem Kram zu präsentieren, ist natürlich schwieriger, als wenn man das Leid teilen kann. Man muss ja immer damit rechnen, dass nicht immer alle alles geil finden, was man veröffentlicht. Es ist schwierig einzuschätzen, wie die Hörerinnen und Hörer unsere Platte aufnehmen. Da sind ja auch Referenzen drin, die darauf hindeuten, dass wir in den Neunzigern aufgewachsen sind, und die eben deshalb nicht alle verstehen. Wer gerade 18 geworden ist, weiß nicht, was eine Talkshow oder eine Gerichtsshow ist, haha.

Noch mal zurück zu „Alternative zur Umwelt“, wie sieht es aus mit digitalen Welten als Alternative?
Kevin: Ich habe kein Interesse an Virtual Reality.
Jermain: Ich habe es vor kurzem ausprobiert mit so einer VR-Brille, das hat Spaß gemacht, aber die reale Welt ist schon besser und schlecht geworden ist mir auch.
Angelo: Das ist wahrscheinlich gerade in, so wie es mal vor zwanzig Jahren mit dem „Second Life“ war, eventuell werden digitale Welten also auch wieder altmodisch.
Christian: Der Gedanke „virtuell ersetzbar“ ist schon geil. Kacke ist nur, wenn die virtuelle Welt dann an das echte Leben angeknüpft wird, so dass man sich zum Beispiel virtuell nur Sachen mit echtem Geld kaufen kann.
Angelo: Wenn man das als Zuflucht verwendet, dann ist es natürlich schlimm. Ich kannte Leute, denen die virtuelle Welt im Sinne von Spielezocken wichtiger war, die aber durchaus Potenzial gehabt hätten, auch im richtigen Leben etwas umzusetzen, was echt schade ist.
Christian: Ja, nur für wen ist es schade? Für die Leute im Umfeld. Diejenigen, die stundenlang zocken, die stört es nicht, und denen fehlt in diesem Moment meistens auch gar nichts. Was ist der bessere Lebensentwurf, im Internet abhängen oder auf Pillen feiern gehen? Ist ja beides Eskapismus und dem Alltagstrott entfliehen.

Auf der EP hattet ihr eine Referenz zu Jan Böhmerman und jetzt habt ihr „Lars Eidinger hat keine Freunde (nur Bekannte)“ auf der Platte, warum?
Angelo: Ich möchte an dieser Stelle kurz anmerken, dass mir dieser Mann vollkommen egal ist, haha.
Kevin: So viel weiß ich auch nicht über den, und habe mich mit seiner Schauspieler-Vita nicht eingehend befasst, sein öffentliches Wirken kann ich immer schwer einschätzen. Am Anfang von SCHARPING war mal kurz die Idee da, nur Songs zu machen, in denen wir Prominente angreifen, aber es war nicht ernsthaft geplant, die zu veröffentlichen. Das waren dann erst mal nur Titel wie „Ich bin der Freund von Ina Müller“, „Pocher, du Pfeife“ und eben „Lars Eidinger hat keine Freunde (nur Bekannte)“. Christian hat das aufgegriffen und einen Song dazu geschrieben.
Christian: Es geht nicht um den Typen, sondern um ein soziologisches Phänomen und das Bekanntsein. Ich kenne viele Leute, die man so kennt und die auch jeder kennt, aber wer ist denn wirklich mit denen befreundet? Prinz Markus wurde mal gefragt: „Wenn Sie ein Problem haben, wen rufen Sie dann an?“ Das ist auch so einer, den jeder kennt und doch niemand irgendwie. Das gibt es bei vielen Leuten, und Lars Eidinger musste jetzt herhalten, basierend auf diesem scherzhaften Songtitel. Der war auch in fünf Minuten fertig und ich fand den als Popsong einfach gut.

„Emily“ ist ein Mix aus Glamrock, Soul und Funk, alles optisch akzentuierte Genres, im Hinblick auf Konzerte. Habt ihr Bock auf die große Show, könnt ihr das ironiefrei genießen?
Angelo: Man schiebt doch Ironie immer vor, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen und im schlimmsten Fall eine Ausrede zu haben.
Christian: Bruce Willis ist jetzt kein Mörderschauspieler, aber ist doch schon geil, so einen Actionfilm zu machen, und das macht total Bock. Mir macht eben diese Show auch Spaß, es geht nicht darum, Glamrocker zu verhöhnen. Ich mag auch den kompletten Bruch.
Kevin: Der Song ist nonverbal entstanden, erst kam das Stadionrock-Riff und dann ging es automatisch Richtung Funk weiter. Wir schreiben keine Stücke mit dem Anspruch, bestimmte Genresprünge zu machen, das passiert einfach.

Gerade jetzt beim ersten Video sieht man ja, dass ihr keine Scheu habt, euch zu inszenieren. Habt ihr euch kurz gefragt, ob man das mit dem Debüt bringen kann?
Angelo: Nein, die Frage war schnell abgehakt, es geht sogar eher darum, nochmals einen draufzusetzen. Show ist nie verkehrt, auch wenn es nicht im Vordergrund stehen würde. Wenn ich mir Konzerte anschaue, denke ich oft, dass noch mehr gehen könnte.
Christian: Sollte sich aber die Waage halten. Wenn man sich RAMMSTEIN anschaut, dann war das früher gehaltvoller und ist jetzt etwas schablonenartig geworden. Wenn man Erfolg hat mit einer Sache, ist es verführerisch, dass man darauf hängenbleibt.

Seid ihr auch auf der Suche nach einem echten, neuen Sound?
Kevin: Auf jeden Fall, das wäre schon toll. Das Wichtigste für eine Band ist sicher, dass sie einen eigenen, unverkennbaren Sound haben.
Angelo: Ja, aber dafür braucht man Mut. Und zwar in dem Sinne, dass man dann auch damit leben muss, wenn im Publikum nur noch zwei Leute stehen und sich erst später etwas daraus entwickelt.
Christian: Die Frage ist ja auch, wer guckt da drauf? Also für manche sind Dinge neu, wenn sie schon zu lange her sind, weil sie die Originale nicht kennen. Jugendliche, die von Streamingdiensten getrieben wurden, finden das vielleicht absolut neu.

„Saelic“ fällt, selbst bei euch, komplett aus dem Rahmen?
Kevin: Das ist eine Soloperformance von Christian.
Christian: Ich höre gerne Mittelaltermusik, das ist ein traditionelles Minnelied aus dem 13. Jahrhundert. Ein Song von HELIUM VOLA, der Band von Ernst Horn von DEINE LAKAIEN, normalerweise sehr beatlastig. Das Lied hat mir schon immer gefallen und ich habe es aus Spaß mit einem Mikro aufgenommen und herumgeschickt. Kevin wollte den dann mit auf die Platte nehmen, also habe ich ihn neu aufgenommen und die Sprache ist Mittelhochdeutsch.

Man könnte denken, ihr veralbert die Musik?
Kevin: Nein! Ich finde unsere Genresprünge auch gar nicht so abwegig. Ich will uns jetzt nicht mit THE BEATLES vergleichen, haha, aber die hatten doch auch alles dabei. So Piano-Großmuttermusik, Gitarrenrock, Folk-Geschichten und reduzierte Akustiksongs. Alles kann doch seinen Platz haben auf dem Album, das finde ich gut.

Nehmen die meisten Leute Musikmachen zu ernst oder zu wenig ernst?
Christian: Viele, die mit Musik ein Geschäft machen wollen, nehmen Musikmachen nicht ernst genug.
Kevin: Wenn ich beim Reeperbahn Festival gespielt habe, dann waren da im Backstagebereich sehr viele 18-Jährige aus aller Welt, die wirklich davon überzeugt sind, dass sie der nächste David Bowie sind, einfach weil das jemand von der BBC gesagt hat. Die fahren dann voll den Film. Das meine ich nicht herablassend, ich find’s eher süß.
Angelo: Viele, die Musik machen, nehmen es für sich selbst wohl zu wenig ernst, aber im Vergleich zu anderen Bands, nehmen sie sich dann viel zu ernst.