SOULFLY

Foto© by Jim Louvau

Schmeiss das Regelwerk aus dem Fenster!

Max Cavalera zeigt, dass auch nach knapp 25 Jahren mit SOULFLY der Spaß, die Leidenschaft und vor allem die Kreativität nicht auf der Strecke bleiben müssen. Im Gegenteil, sie sind die Essenz seines Schaffens und vor allem der neuen Platte „Totem“.

Schnell kommt Max auf die Zusammenarbeit mit seinem Sohn zu sprechen, der seit 2012 für SOULFLY an den Drums sitzt: „Ich arbeite jetzt schon einige Jahre mit Zyon zusammen. Wir jammen sehr viel. Es war ziemlich cool dieses Mal, denn wir haben das Skelett des neuen Albums gemeinsam erarbeitet. Für ihn war es besonders interessant, weil er ja noch sehr jung ist. Ich mag seine natürliche Power. Er ist eher ein Punk-Drummer, kommt im Grunde aus der Punk-Hardcore-Ecke. Sein Stil ist nicht sehr technisch, aber sehr aggressiv und roh – und genau das liebe ich! Ich habe schon super viele Platten gemacht und fühle mich dementsprechend sicher beim Schreibprozess und im Studio. Dieses Mal habe ich mich sehr gepusht und wusste nicht, in welche Richtung die neue Platte gehen wird. Ich hatte noch keinen Namen für das Album, als wir ins Studio gingen. Wir haben uns nur auf die Songs konzentriert und es hat richtig Spaß gemacht, nicht zu wissen, wo die Reise hingeht. Viele Dinge waren komplett ungeplant, sie sind einfach passiert. Es war wirklich eine coole Stimmung. Außerdem hat das Album so einen Oldschool-Vibe. Es klingt, als wäre es in den Neunzigern entstanden, was mir ziemlich gut gefällt.“

Hat die Art und Weise, wie Zyon und Max zusammenarbeiten, sich über die Jahre verändert? „Nicht wirklich, wir werden nur immer vertrauter mit dem Stil des jeweils anderen. Ich weiß jetzt genauer, was ich von ihm erwarten kann. Wenn wir auf Tour sind, spielt er nicht jeden Abend immer denselben Beat beim selben Song. Er variiert die Dinge gerne mal. Ich kenne keinen anderen Schlagzeuger, der das macht, nicht mal mein Bruder. Die meisten machen jeden Abend das Gleiche. Zyon spielt die Parts jeden Abend etwas anders und das zeigt einfach, wie kreativ er ist. Man bekommt nie das Gleiche und das ist großartig, es hält die Sache am Leben! Selbst wenn wir aufnehmen, sind die Takes, die er einspielt, ganz unterschiedlich und wir müssen uns entscheiden, welcher uns am besten gefällt.“

Dabei entstand „Totem“ komplett frei von Druck: „Dieses Mal gab es keinen Zeitdruck und auch das war großartig. Wir hatten keine Deadline, zu der alles fertig sein musste. Bei einigen älteren Platten hatten wir einen straffen Zeitplan. Dieses Mal war es anders. Als wir das Studio buchten, wussten wir, dass wir nicht alles sofort fertig haben mussten. Ich dachte mir sogar, wir können jederzeit wiederkommen und mehr aufnehmen, wenn es sein muss. Und einige Vocals haben wir sogar später aufgenommen. Die ganze Situation mit der Pandemie gab uns die Freiheit, die Platte so aufzunehmen, wie wir das immer wollten. Das hat mir gefallen. Ich denke, das werde ich für alle zukünftigen Platten beibehalten, also diese Grundhaltung, sich nicht hetzen zu lassen und jedem Album den Freiraum und die Zeit zu geben, die es braucht. Wir haben die Zeit in der Pandemie wirklich gut genutzt. Auch außerhalb von SOULFLY. Es hat sich auch mal gut angefühlt, zwei Jahre zu Hause zu sein. Ich meine, das war das erste Mal, dass ich zu Hause meinen Geburtstag gefeiert habe seit dreißig Jahren! Dieses Jahr bin ich da wieder auf Tour. Ich bin zwar in Brasilien an meinem Geburtstag, aber nicht bei mir zu Hause. Es war also wirklich cool, mal länger zu Hause zu sein und auch die Platte in dieser Entspannung aufnehmen zu können.“

Und wie hat es sich angefühlt, nach all dieser Zeit wieder auf der Bühne zu stehen? „Oh Mann! Es tat so verdammt gut, als wir vor einem Jahr wieder mit SOULFLY auf die Bühne gehen konnten.“ Was war der Opener? „Ich glaube, es war ‚Back to the primitive‘. Es war eine großartige Show.“

Nach all den Jahren weiß Max sich immer noch zu motivieren. „Ich liebe meinen Job. Das ist das ganze Geheimnis! Die Leidenschaft. Wenn ich Musik mache, dann ist das Musik, die ich als Fan selbst gerne hören würde. Viele meiner Platten entstanden mehr aus der Fan-Perspektive als aus der des Musikers. Selbst bei den alten Platten war das so. Es war wirklich cool, ich schaute die Tage ein Reaction-Video zu unserem neuen Song ‚Scouring the vile‘ und der hat ein Fake-Ende. Der Typ in dem Video meinte: ‚Oh, wow, das wird verdammt gut live!‘, und da merkte ich, dass ich Songs oft so schreibe, also für genau diese Situationen. Es gibt einen Mittelpart in dem Song ‚Rot in pain‘, den ich unbedingt live spielen will. Ich kann es kaum noch abwarten. Es wird unglaublich. Oder bei ‚Totem‘, da werden wir am Ende super heavy, da werde ich komplett den Verstand verlieren, wenn ich ihn live spiele. Ich schreibe die Songs also so, dass sie wirklich perfekt für unsere Live-Shows sind.“ Beeinflusst das auch Entscheidungen? Also, wenn es mehrere Versionen eines Riffs gibt, kommt dann die auf das Album, die sich live cooler anhört? „Ja, es gibt viele solcher Entscheidungen! Es gibt einen Part in ‚Scouring the vile‘, da habe ich mich wirklich schwergetan, mich zu entscheiden. Ich wollte einen Breakdown einbauen und habe das mit dem Producer und mit Zyon besprochen und wir waren der Ansicht, dass ein Breakdown das vorhersehbarste wäre, was einem einfallen könnte. Das, was man am wenigsten erwartet, wäre wieder zurück zum Refrain zu gehen. Wir haben es dann genauso gemacht und es war die richtige Entscheidung. Jetzt fühlte sich alles richtig an. Es sind auch sehr spaßige Situationen, denn es könnte in alle Richtungen gehen und ich mag es, die Freiheit zu haben, die Songs in jede dieser Richtungen zu lenken. Es gibt sogar Songs, bei denen ich komplett loslasse. Zum Beispiel meinte ich mal zu Zyon: ‚Mach eine Drumroll, so wie du sie ans Ende eines Konzerts setzen würdest, aber pack das in die Mitte des Songs.‘ Das war eine großartige Lösung. Das war bei ‚Totem‘. Es war einer der Momente im Studio, wo mich alle angeguckt haben und fragten: ‚Wirklich? Das ist, was du willst?‘ Und ich sagte: ‚Fuck, ja, das ist genau das, was ich will!‘ So sind auch viele meiner Lieblingsplatten entstanden. Das Zeug, das Ende der Achtziger oder in den Neunzigern rauskam. Zeug, wie ENTOMBED. Und deswegen ist es für mich auch so cool, solche Sachen auszuprobieren. Man muss Spaß haben beim Schreiben und nicht alles in dieses Refrain-Strophe-Schema zwängen. Schmeiß das Regelwerk aus dem Fenster! Sei verrückt, lass locker, mach den ganzen verrückten Scheiß einfach nur, um Spaß damit zu haben!“