TAUSEND AUGEN

Foto© by Mark Wernet

Keinen Bock auf Diskursrock mit Diskurstexten

Das Saarbrücker Trio TAUSEND AUGEN nimmt die Idee der Mensch-Maschinen von KRAFTWERK auf dem eigenen zweiten Album „Schock“ nicht nur thematisch, sondern auch musikalisch auf. Der urige Krautrock wird mit Psychedelic, etwas Noise und akzentuierten textlichen Spitzen gekreuzt. Wir sprechen mit Alex, Max und Olli über die Entstehung, Ambivalenz und gewünschte Wirkung ihrer Kunst.

Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der neuen Platte „Schock“ und dem Debüt „Westend“?

Olli: Es war ein nahtloser Prozess, einige Songs waren schon in der Mache, kurz nachdem wir „Westend“ veröffentlich hatten. Es war aber nicht als zusammenhängendes Konzept geplant. Dass es sich thematisch anschließt, hat sich später herauskristallisiert.

„Schock“ ist also ein Konzeptalbum?
Olli: Nicht im klassischen Sinne, also dass man sich ein Konzept oder eine Storyline überlegt und entsprechend punktgenau Lieder dazu schreibt. Ein richtiges, überspannendes Konzept kann man wohl auch nicht erkennen, aber irgendwie hängen die Lieder im Sinne eines ästhetischen Konzepts doch zusammen.

Ist eure erste Assoziation bei dem Wort „Schock“ positiv oder negativ?
Olli: Die normale ist wohl erst mal negativ, natürlich kann es positive Auswirkungen haben. Aber es ist grundsätzliche eine plötzliche, als negativ empfundene Veränderung.

Das Debüt erschien während der Pandemie. Habt ihr, für euer Empfinden, dazu genug Shows gespielt?
Max: Wir haben wenig gespielt und gerade jetzt merke ich es auch bei dem Versuch, eine Booking-Agentur an Land zu ziehen: Man schießt so viele Pfeile ins Nichts und es kommt einfach nix dabei heraus. Das haben mir auch andere Bands geschildert, bei zwanzig Mails kann man froh sein, wenn man eine nette Antwort bekommt. Ein Booker hat mir geschrieben, dass er pro Monat aktuell ungefähr 300 Anfragen bekommt, der Markt ist kompetitiv geworden. Einige von den Läden, in denen wir 2018 und 2019 spielen wollten, existieren mittlerweile gar nicht mehr, andere sind bis Ende 2024 verplant. Es ist schwieriger geworden, einen Fuß in die Tür zu kriegen. Vor einigen Jahren hat man mit entsprechendem Vorlauf einmal die Kontakte durchtelefoniert und das ging dann.

Dabei wirkt eure Musik live intensiver und ihr seid auf Resonanz angewiesen.
Max: Ja, wir spielen gerne live und ich denke, es ist auch ganz gut. Bei unserem letzten Auftritt in Bonn kamen danach einige Rückmeldungen, dass es live doch noch mal anders klingt als auf Platte.

Welchen Stellenwert haben Gesang und Texte bei euch?
Olli: Gesang hat für uns tatsächlich den Rang eines zusätzliches Instruments. Die Texte entstehen nicht zwangsläufig erst am Schluss, manchmal auch dazwischen oder es gibt eine textliche Inspiration. Aber es ist selten so, dass wir ein Lied vom Text oder von der Gesangsmelodie abhängig machen. Eine Formel haben wir nicht. Da ich auch noch Keyboard und Gitarre spiele, kann ich eigentlich keine riesigen Gesangsmelodien singen. Live klingt es grundsätzlich nicht so wie auf der Platte, da wir Songs anders arrangieren und das Augenmerk eher auf den Rhythmus oder andere Sounds legen. Musik ist bei uns definitiv kein Vehikel für den Gesang, der über allem stehen soll.

Soll die Musik Rausch erzeugen oder funktioniert sie besser im Rausch?
Alex: Haha, ob das besser im Rausch funktioniert, kann ich nicht sagen, da fehlen uns die Erfahrungswerte.
Max: Wir sind als Band, wenn man mal von Alkohol und Drogen ausgeht, relativ straight. Ich habe aber schon einige Male gemerkt, wenn ich während der Shows zu Alex am Schlagzeug schaue, dass er komplett in der Musik versunken ist. Vielleicht ist es dann eher ein rauschartiger Zustand, der durch die Musik erzeugt wird. Wir forcieren das aber nicht. Vor kurzem bei einer Show in Mainz habe ich bei mir gemerkt, dass es ab einem Moment so klickt und ich auf einmal komplett nicht mehr hier und rational bin.
Olli: Bewusst übernommen habe ich das wahrscheinlich aus der elektronischen Musik und aus dem, was sich da entlädt, wenn man repetitive und monotone Sounds hört. Dann entsteht etwas anderes als beim klassischen Rock-Konzert. Das ist dann eben diese Masse, aus der nichts wirklich heraussticht. Das kann interessanter sein, gerade live, als die typische Rocksache, bei der jedes Lied eine Geschichte erzählt und es den typischen Spannungsbogen gibt.

Verständigt ihr euch in der Band auch über Visuelles, sprecht ihr über Bilder, die eure Musik erzeugen soll?
Olli: Das klassische Geschichtenerzählen spielt bei meiner Art zu texten keine Rolle. Es geht schon darum, visuelle Eindrücke zu erschaffen. Mit literarischen Einflüssen habe ich nichts am Hut, es sind eher filmische oder auch architektonische, postapokalyptische Motive, die mich beeindrucken.

Du schreibst alle Texte, musst du die manchmal erklären?
Olli: Mir geht es ja darum, dass der Text in das ästhetische Gesamtbild passt und nicht alleine steht, deshalb muss ich da auch nicht so viel erklären. Auf Diskursrock mit Diskurstexten habe ich sowieso keinen Bock.

Du bist schon von aktueller Politik stark beeinflusst, lässt die aber so subtil einfließen, dass es doch zeitlos formuliert ist.
Olli: Ja, das ist mir auch wirklich wichtig, dass zwar ein klarer Aktualitätsbezug da ist, ich aber keine Jahreszahlen oder Namen nenne, die schnell überholt und wertlos sind. Mit einem Sample haben wir jetzt auf „Schock“ zwar einen historischen Bezug, aber eigentlich ist es aktuell.

Das Cover zeigt eine Gruppe von Menschen und Maschinen, die sich feindlich gegenüberstehen, darunter prangt der Titel „Schock“. So richtig weiß man nicht, welche Seite mehr schockt. Wie steht ihr zu digitalem Fortschritt?
Olli: Schwer zu sagen, unser Ansatz ist eher kommentierend oder beobachtend und kaum wertend. Die neuesten Entwicklungen, die uns mit KI bevorstehen, kann man erst mal nur abwarten, aber sich verschließen und alles ablehnen sollte man auch nicht. Man kann noch keine Position dazu einnehmen. Texte und Artwork zeigen, dass erst mal große Gefahr für die Welt, so wie sie bisher ist, besteht. Aber das bedeutet ja nicht, dass die Welt schlechter wird, als sie war. Schock als Begriff ist positiv wie negativ zu sehen.

Ihr nehmt analog auf, wie sieht es mit dem musikalischen digitalen Fortschritt aus?
Olli: Rein analog aufnehmen kann man heutzutage ja fast gar nicht mehr. Es sind digitale Elemente drin, schon alleine aufgrund der Wirtschaftlichkeit und der Vorteile, die es mit sich bringt. Wir verwenden natürlich auch Computer und digitales Equipment, wenn das hilft, und sind da nicht dogmatisch.

Der Song „Der alte Mann“ befasst sich damit, dass es eigentlich keine goldenen Zeitalter gibt, oder?
Olli: Die Idee der arkadischen, goldenen Zeit ist eine Utopie, die es so nie gegeben hat, die aber als unerreichbar vorgelebt wird und Teil von allen Kapitalismus-, und Gesellschaftsträumen ist. Ob es diese Zeit für mehr als nur ein paar Leute gleichzeitig geben kann oder ob die, die denken, dass sie gerade eine goldene Zeit haben, richtigliegen, ist eine andere Frage. Der Song ist eine ironische und zynische Auseinandersetzung mit der Idee des persönlichen Wohlstands.

Was hat euch zuletzt besonders geschockt?
Max: Der seit über einem Jahr andauernde Krieg in der Ukraine. Ich dachte bis zum letzten Moment, dass so etwas nicht passieren kann. Ich bin Lehrer und habe fünf ukrainische Kinder bei mir in der Klasse, das ging schockierend schnell und plötzlich war es real. Und dann natürlich auch noch die Pandemie. Letztens hatte ich einen Verkehrsunfall und der Sanitäter meinte, aufgrund von Kaltschweißigkeit und Blutdruck, dass ich jetzt einen Schock hatte. Das war für mich eine neue Erfahrung, mal einen körperlichen, medizinischen Schock zu haben.
Olli: Den Krieg in der Ukraine empfand ich auch als Schock. Und die Künstliche Intelligenz ist ein aktueller Schock, der in Wellen kommt.
Alex: Bei mir sind es auch die politischen Entwicklungen, die mein Bewusstsein aber so verändert haben, dass für mich jeder Tag wirklich aufs Neue losgeht. Klar, man hat so Rituale, die man machen muss. Aber in mir hat sich verankert, dass ich jetzt mache, was ich machen muss, und bereit dafür bin, dass täglich eine andere Nachricht unerwartet reinkommt, mit der ich dann spontan umgehen muss. Das können auch positive Wendungen sein, aber aktuell überwiegen die negativen.