Wick Bambix

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No angel

Wick ist (war?) die Frontfrau, Songwriterin und Gitarristin der niederländischen Band BAMBIX, wobei es sich seit Mitte der Neunziger oft so anfühlte, als wären sie eigentlich eine deutsche Band, denn sie spielten fast jedes Wochenende irgendwo in ihrem östlichen Nachbarland. Vor ein paar Jahren wurde es ruhiger um Wick und die BAMBIX, aber dann, neulich in Düsseldorf beim PASCOW-Konzert, stand sie plötzlich neben mir und kündigte ihr zwischenzeitlich erschienenes Soloalbum „The Pariah’s Promise“ an. Ein guter Anlass für ein Update.

Wick, ich habe dunkel in Erinnerung, dass du Lehrerin bist ... stimmt das? Was machst du im „normalen“ Leben?

Ich habe meine Zeit immer zwischen der Band und meiner Arbeit als Englischlehrerin aufgeteilt. In den Schulferien hatte ich viel Gelegenheit zu touren und an den Wochenenden für Konzerte. Ein guter Weg, um nicht abzuheben. Denn wenn du am Wochenende auftrittst, wirst du von allen dafür gefeiert, dass du ein Konzert gibst, und alle freuen sich, dass du da bist. Und am Montag ist es das Gegenteil: Vor dir hockt ein Haufen unwilliger Teenager, die du erst motivieren musst.

„I don’t wanna be the angel like my momma said“, heißt es in deinem Song „Angel“. Und: „Spend all my time being nice“. Im Deutschen gab es mal den feministischen Spruch: „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“. Was für Erfahrungen, was für eine Kindheit und Jugend stecken hinter diesen Sätzen?
Es macht nicht immer einen Unterschied, ob du nett bist oder nicht. Meine Mutter lobte mich dafür, dass ich nett war, aber ich fand früh heraus, dass das in der realen Welt nicht so läuft. Ich weiß noch, wie ich brav in der Schlange auf ein paar Süßigkeiten wartete und am Ende keine bekam, weil ich hätte ja „schon welche bekommen, sonst wärst du nicht die Letzte in der Schlange“. Es scheint so, als ob du genauso gut ein Arschloch sein könntest, denn rechts und links ziehen andere Arschlöcher an dir vorbei. Denn wie ich in dem Lied singe, die „Engel“ mit den größten Flügeln sind die größten Betrüger. Ich habe nicht meine Persönlichkeit verändert, als ich Punk wurde, aber für die Leute war es ein großer Unterschied. Damals gab es noch kaum Punks, und so konnte es passieren, dass Leute im Bus brennende Streichhölzer nach mir warfen, nur weil ich spiky Haare hatte. Egal, ob du ein Engel bist oder ein Punk, man wird ein Urteil über dich fällen, also je früher du es weißt, desto besser. So kannst du deine Faust in die Luft recken, bevor es andere tun.

Wann und warum hast du den Schritt von den lauten Songs bei BAMBIX zu den leiseren Solostücken gemacht? Apropos BAMBIX: Wie steht es um die Band?
Ich habe schon immer alle BAMBIX-Songs auf der Akustikgitarre geschrieben und bei den Proben haben wir sie aufgemotzt. In dieser Hinsicht hat sich also nichts geändert. Ich habe immer gerne Songs geschrieben und mit anderen Musik gemacht. Aber für die Band hatten irgendwann andere Aspekte des Lebens an Priorität gewonnen. Bandchef zu sein, ist manchmal ein harter Job. Du kannst nie wissen, was passiert und ob überhaupt. Aber mir gefällt das, was ich jetzt mache, nämlich Solo-Shows spielen. Es ist das komplette Gegenteil von dem, was ich früher auf der Bühne gewohnt war, immer umgeben von Sound und einer Band, die für reichlich Lärm sorgt. Ohne das fühlt es sich an, als sei man völlig nackt. Als ich das erste Mal solo aufgetreten bin, war mir gar nicht bewusst, dass ich zwischen den Liedern auch etwas sagen muss. Es gibt ja nach dem Applaus kein fiependes Feedback, keinen Drummer, der rumschreit, kein Getümmel um mich herum. Jetzt beziehe ich einfach das Publikum mit ein und sehe sie als Bandmitglieder. Als eine große Band.

Was hast du in den letzten Jahren musikalisch so gemacht? Da war es ja etwas ruhiger um dich, habe ich das Gefühl.
Nach all den Jahren des Tourens und Spielens war einfach Zeit für andere Dinge, und Musik war erst mal kein Thema . Bis zu dem Zeitpunkt, als eine meiner besten Freundinnen gestorben ist, Lampje, und ihr Bruder mich anrief, um zu fragen, ob ich bei ihrer Beerdigung ein Lied spielen will. Ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gemacht und war auch emotional nicht in der Lage, aber später begann ich mich zu fragen, was ich gespielt hätte, wenn ich den Mut dazu gehabt hätte. Und ab diesem Moment fing ich wieder mit der Musik an, und auch die Freude daran kam zurück. Damals habe ich das Stück „Dice“ für Lampje geschrieben. Sie war also gewissermaßen der Grund dafür, dass ich wieder anfing, Musik zu machen. Im Zuge dieser neu entdeckten Freude spielte ich auch Schlagzeug bei den Reunion-Shows der BIPS, der berüchtigten Oldschool-77-Punkband aus den Neunzigern.

Jetzt meldest du dich mit „The Pariah’s Promise“ zurück, deiner ersten Soloveröffentlichung. Wie kam es dazu?
Nachdem ich wieder Songs geschrieben hatte, und meine Kinder sie laut mitsangen, wollte ich sie nur zum Spaß aufnehmen. Aber ich brauchte eine ganze Weile, das richtige Studio zu finden. Ich wollte jemanden, der auf Punk steht, sich aber auch mit Akustiksachen auskennt, und dann kam ich auf Tim van Doorn. Mit ihm im Black Dog Studio in Antwerpen diese Songs aufzunehmen, war wirklich großartig. Ich hatte noch meinen Ex-Bandkollegen Patrick gebeten, mir mit ein paar Extras auszuhelfen, und es hat alles sehr gut geklappt. Ich hatte überhaupt nicht den Plan, das zu veröffentlichen, aber Jürgen von Rookie Records war einfach begeistert, ließ nicht locker und so kam „The Pariah’s Promise“ zustande. Ich kann es kaum erwarten, wieder zu Tim zu fahren und noch mehr Stücke einzuspielen.

„Till I found the truth“ und „I’ll run until my feet burn“ singst du in „Where I go“ – von welcher Wahrheit ist da die Rede ... und vor was wird geflüchtet?
Bei „Where I go“ geht es um Unabhängigkeit und darum, umzukehren, wenn man eine falsche Entscheidung getroffen hat, denn jede Entscheidung kann ein Ende, aber auch ein Anfang sein. Es geht auch um Durchhaltevermögen. Wenn du an etwas glaubst, wenn du ein Ziel hast, dann zieh es durch.

In meinem Review zur Platte schreibe ich, dass weibliche Pendants zu Chuck Ragan und Co. fast völlig fehlen ... Zum einen, siehst du dich überhaupt in so einem Kontext? Zum anderen, was denkst du, warum ist das so?
Ich habe schon immer Singer/Songwriterinnen wie Patty Griffin und die INDIGO GIRLS gehört, besonders auch Amy Ray solo. Sie hat sogar das BAMBIX-Album „What’s In A Name“ auf ihrem Label Daemon Records veröffentlicht. Sie war schon eine große Inspiration. Sie kommt aus dem Country- und Folk-Bereich, ist aber im Herzen ein Punk. Du hast recht, die meisten spielen eher Indie, Folk oder Roots. Es gibt auch aktivistische Singer/Songwriterinnen wie Grace Petrie, sie macht mehr Folk als Punk, hat aber Punk-Texte. Und Louise Distras ist ja auch immer noch aktiv.

Mit BAMBIX bist du seit den Neunzigern in der deutschen Punk-Szene unterwegs. Anfangs wart ihr noch zwei Frauen in der Band und damit in der damaligen Szene, das muss man so sagen, eine Ausnahme. Ich habe euch damals immer als feministische Band gesehen.
Als wir anfingen, gab es viele Aktivist:innen-Gruppen, die Festivals und Konzerte organisierten, bei denen wir spielten. Es ging um Gewalt gegen Frauen, „Reclaim the Night“, wir spielten auch bei irgendwelchen Demos. In der Punk-Szene galten wir als „schräge Hühner“, weil wir eine reine Mädchen-Punkband waren. Ich erinnere mich an großartige Zeiten mit THE BLONDELLAS, BABES IN TOYLAND und THE GITS. Wir fingen früh an, in Deutschland zu spielen, und das war uns bald viel lieber als in Holland, weil es da alle möglichen anderen „schrägen Vögel“ gab. Ganz anders als bei uns. Deshalb war ich auch nie ganz weg.

Wie hast du die Punk-Szene damals wahrgenommen? Als inklusiv, als tolerant? Oder als übergriffig, als sexistisch?
Wir kamen vom Dorf, also war das unser erster Kampf. Wir waren eben nicht aus Amsterdam, deshalb hat uns niemand ernst genommen. Aber wir hatten gelernt, uns einen Dreck darum zu scheren. Wir hatten auf Töpfen und Pfannen in einem Schuppen mit Kühen als Publikum geprobt. Insofern waren wir bereits abgehärtet, bevor irgendwer was dazu sagen konnte, dass wir Frauen waren. Ein paar Leute waren der Meinung, wir könnten einfach nicht spielen. Als ob das ein Problem wäre! Ich kann mich wirklich nur an ein einziges Mal erinnern, dass wir von jemandem angeschrien wurden, der uns erklärte, wir würden nicht dahin gehören. Wir haben den Typen von der Bühne geworfen! Damals hatten wir mehr Schwierigkeiten mit Nazi-Skinheads als mit Sexismus. In der Punk-Szene waren die Leute früher deutlich aufgeschlossener, als es heute der Fall ist. Der Kampf geht also weiter.