WIZO

Fernsehen und Gewalt

Sind sie die kleinen Brüder von NOFX, die Punkversion der TOTEN HOSEN, das jugendliche Alter Ego der ÄRZTE? Sind sie schlaue Selbstdarsteller mit Gespür für Provokation herzen oder doch einfach nur nette Punkrocker? Sänger & Gitarrist Axel packt aus. Auf den Mund gefallen ist der Knabe echt nicht, weshalb das Interview, nachdem ich die richtigen Stichworte ins Spiel gebracht hatte, eine relativ einseitige Sache wurde: Kopfnicken und „Mhm, mhm“ meinerseits, die ausführliche WDR-Kamera-kaputt-Story seinerseits. Zur Erinnerung: Im August hatten WIZO beim Bizarre-Festival aus Wut über in ihrem Blickfeld herumkurvende Fernsehkameras eine von diesen kaputt getreten. Das gab mächtig Ärger und bescherte den bunthaarigen Schwaben einerseits Punkrock-Bonuspunkte, andererseits den Vorwurf „unprofessionellen“ Verhaltens.

Ach ja, einen neuen Schlagzeuger haben WIZO seit ein paar Monaten auch: Ingo heißt der neue und ist ein Kinderkastenkumpel von Axel. Schlau, wie die Schwaben nunmal sind, haben sich WIZO trotz all der Angebote, die ihnen von Plattenfirmen und Musikverlagen gemacht wurden, bis heute nicht belabern lassen und sind dem Do-It-Yourself-Prinzip treu geblieben. So sind WIZO immer noch ein „Familienbetrieb“, und wie damals, als noch keiner ihre „Klebstoff“-Single haben wollte, ist Fratz mit seinem Label Hulk Räckordz (wo auch SWOONS und LOST LYRICS untergekommen sind) der organisatorische Kopf der Firma WIZO.

Das Bizarre-Festival ...
Ja, da war ich auch. Was soll ich sagen? Die Vorgeschichte von diesem Bizarre-Festival war, dass wir dieses Jahr sowieso auf einer ganzen Reihe Festivals gelandet sind, von denen wir besser die Finger gelassen hätten – das in Trossingen zum Beispiel. Im Nachhinein ist man immer klüger, ich weiß, aber unsere Überlegung war, dass wir uns zurückmelden wollten, nachdem es vorher ein halbes Jahr völlig ruhig um uns war. Das lag daran, dass wir unseren alten Schlagzeuger rausgeschmissen hatten, Anfang ’96 als wir irgendwie keinerlei Plan hatten, wie es weitergehen sollte. In dieser Situation haben wir dann eben jedes Angebot wahrgenommen, das sich uns bot – schon aus finanziellen Gründen. Wir verkaufen zwar ganz gut Platten und bekommen auch meist ordentlich Gage, aber unseren ganzen Apparat zu finanzieren – Jörn und ich arbeiten beide schon ’ne Weile nicht mehr und müssen natürlich den Bandbus, die Proberaummiete, unsere Wohnung und so weiter von irgendwas bezahlen. Naja, in dieser Situation, wo wir sowohl Geld als auch Öffentlichkeit brauchten, sagten wir dann all diese Festivalauftritte zu.

Darunter auch das Bizarre-Festival im August in Köln ...
Genau. Das schimpft sich „größtes Alternative-Festival“, aber die Realität ist anders. Ich meine, ich bin nicht blauäugig und weiß schon, wie das dort abläuft. Die ersten paar Bands spielen doch nicht, weil die sich ein Veranstalter ausgesucht hat, sondern weil die Agenturen der großen Acts die reingedrückt haben. Dafür, dass man eine ganz große Band bekommt, muss man eben ein oder zwei kleine nehmen. In diesem Zusammenhang hatten wir etwa Probleme, dass eine Band, die vor uns spielte, unbedingt nach uns spielen wollte, um sich in die nicht von Anfang an laufende Fernsehübertragung reinzudrücken. Das ging alles im Vorfeld schon so ätzend an, dass wir die Sache eigentlich so schnell wie möglich hinter uns bringen wollten. Unser einziger Grund, den Stress auf uns zu nehmen, war einfach die Tatsache, dass das Festival einen guten Namen hat, wir viele Leute erreichen und dich die ganze Vierfarbpresse liebt, wenn du da gespielt hast. Heute bin ich in der Hinsicht allerdings geläutert und frage mich, weshalb wir das alles überhaupt wollten.

Die Fernsehübertragung durch den WDR war für euch dann der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.
Wir dachten, es sei eine ganz schöne Sache, mal einen schönen Konzertmitschnitt von uns zu bekommen, da es nur sehr wenig Videomaterial von uns gibt. Nun habe ich schon einige große Festivals mitgemacht und mitbekommen, wie dort gearbeitet wird. Beim Pinkpop-Festival etwa ist auch das Fernsehen dabei und die arbeiten da mit in den Bühnenaufbau integrierten Kameras. Von denen bekommst du als Musiker kaum was mit. Beim Bizarre-Festival steht eine riesige Bühne, und es wäre also durchaus möglich gewesen, diese fetten TV-Kameras so zu integrieren, dass weder Publikum noch Musiker viel davon mitbekommen. In Köln hat der WDR aber original seine fetten Hans-Joachim-Kulenkampff-Dinger mitgebracht, diese fahrbaren Teile mit Fahrradgriffen, die im Fachjargon „Pumpen“ genannt werden. Nur für diese Kameras wurde vor der Hauptbühne eine spezielle Kamerabühne aufgestellt, die an die drei Meter breit war. Und jetzt musst du dir mal vorstellen, dass vor der Kamerabühne noch so eine Umrandung war und dann erst der „Graben„ für Security und Fotografen und dahinter schließlich die Absperrung für’s Publikum. Zwischen uns und den Zuschauern waren also sicher acht Meter Distanz. Das alles ist aber noch kein Problem. Nein, das war vielmehr, dass der WDR gleich drei Kameras mit je einem Kameramann und einem Kabelträger vertreten war. Drei fette Kameras, sechs Menschen, die vor der Band rumturnen, da blieb für die Zuschauer, die zwei Meter tiefer standen, nicht viel zu sehen. Wenn jemand inklusive Camping über 100 Mark für ein Festival bezahlen muss, sollte er aber, finde ich, wenigstens was zu sehen bekommen. Scheiße, dachte ich mir, wir haben wirklich schon oft Kompromisse gemacht, aber der hier geht zu weit

Und was habt ihr gemacht?
NOFX spielten einen Tag vorher, und die hatten mit den Kameraleuten vereinbart, dass sie am Bühnenrand stehen bleiben und den Kids nicht vor der Nase rumfahren. Klasse, dachten wir, was Fat Mike kann, können wir auch, und nachdem der WDR auf die Forderungen von ihm eingegangen war, sollte es mit uns wohl auch keine Probleme geben. Also klärten wir mit der sehr netten Produktionsassistenten am nächsten Tag alles haarklein ab, und als wir nach Sonderwünschen gefragt wurden, baten wir um den gleichen Deal wie NOFX. Das sei überhaupt kein Problem hieß es, und so bekamen alle Kameraleute von uns auch nochmal schriftlich mitgeteilt, was genau vereinbart wurde. Die Sache war also für uns erledigt.

Dann kam es aber ganz anders ...
Allerdings. Dabei sah es bis dahin so aus, als könnte es richtig cool werden, da sowohl das Gelände, wie auch die Organisation für Besucher wie Bands vorzüglich war. Wir sind dann also endlich an der Reihe, spielen Song für Song und alles klappt wie am Schnürchen. Doch dann bekommen wir mit, dass ein Kameramann sich auf das Drumpodest gestellt hat, um schöne Bilder zu bekommen. Wir hatten aber vereinbart, dass sie das bleiben lassen sollen, weshalb Fratz, unser „Manager“ mit der Regieassistentin sprach. Die sprach per Funk mit dem Kameramann, der sich daraufhin davonschlich. Per Funk beschwerte er sich aber darüber, was diesen Peter Rüchel, diesen Hippietr ... äh, ich habe nichts gesagt, den Chef des ganzen Festivals jedenfalls, auf den Plan rief. Den hatten wir den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen – das ist so ein Typ, der Vorgruppen gar nicht für voll nimmt – und plötzlich stürmte der wutentbrannt auf die Bühne. Zum Auftritt selbst muss ich sagen, dass es höllenmäßig abging, das Publikum tobte bis weit hinters Mischpult. Warum ich das erzähle? Weil wir total aufgekratzt waren und alle ordentlich Adrenalin im Blut hatten. Das Publikum war also in bester Stimmung, wir völlig aufgekratzt, und ich bekomme dann so aus dem Augenwinkel mit, wie dieser Peter Rüchel mit Fratz total aufgeregt am Diskutieren ist. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er sich darüber aufregte, dass wir seinen Leuten Anweisungen geben. Just in diesem Augenblick fährt eine dieser Kameras vor meine Nase, Matzi, unsere Roadiefrau weist ihn auf die Abmachung hin, was der auch einsieht. Dieser Rüchel bekommt das mit, regt sich noch mehr auf, so in der Art, er und seine Leute würden sich nicht von Musikern ihre Arbeit vorschreiben lassen. Kurz darauf hat er dann unsere TV-Aufzeichnung abbrechen lassen, schrie rum „Ihr seid raus, ihr seid raus!“ All das passierte, während wir spielten, und ich bekam das zu hören, nachdem wir gerade „Quadrat im Kreis“ gespielt und wir alle ’ne Gänsehaut hatten. Ich war natürlich supersauer und dann gingen bei mir die Lichter aus. Da spielst du ein geniales Konzert, wirst aber behandelt wie der letzte Wixer und jeder Kameramann ist wichtiger als du. Beim nächsten Lied, ich war völlig daneben, trat ich dann mal gegen so eine verwaiste Kamera, denn die Kameraleute hatten sich nach dem Abbruch der Aufzeichung ja verpisst. Ich war völlig stinkig, nix passierte, denn diese Kamera ist superschwer und stabil. also trat ich fester und ein bisschen höher zu und hatte endlich einen Monitor abgetreten. In dem Augenblick machte das total Spaß, das Publikum rastete aus. Das Ende vom Lied? Bevor wir „Kopfschuss“ spielten, machte ich dann noch eine Ansage, die nicht ganz so subtil ausfiel wie beabsichtigt, über diese Polizistin, die kurz zuvor bei einem Einsatz aus Versehen erst ihren Kollegen angeschossen und dann sich in den Kopf geschossen hatte. Naja, und während des Gitarrensolos, als nicht mal Security auf die Bühne kam, um mich zu stoppen, rastete ich völlig aus und mit mir zusammen Jörn, der aktiver Footballspieler ist und zwei Kameras mit einem perfekten Tackle in die Leitplanken setzte, während ich mich der Mikrofone annahm und sie in Richtung Publikum beförderte. Dann war der Auftritt vorbei, und wir wurden jeweils von vier dieser gemästeten Security-Typen abgeführt.

Das Ende vom Lied?! WIZO wurden von der Polizei zum Auto geleitet (nicht verhaftet, wie SUCH A SURGE das bei ihrem Auftritt verbreiteten), und erholten sich auf einer Autobahnraststätte von ihrem auch für sie überraschenden Exzess. Mittlerweile wird gegen sie wegen Körperverletzung ermittelt (wegen einer Kameraassistentin, die vor Aufregung einen Kreislaufzusammenbruch hatte ... ), wegen Sachbeschädigung (Neupreis einer Kamera: ca. 250.000 DM) und Beleidigung sowie der „Verunglimpfung des Andenken Verstorbener“ (wegen der Ansage über die tote Polizistin) und „Öffentlichem Aufruf zu Straftaten“ (Axel kann sich nicht mehr so recht erinnern ... ). Für einen geplanten Spaß mit toller Promowirkung, wie böse Zungen lästerten, dürfte die ganze Aktion jedenfalls viel zu teuer werden. Insgesamt gesehen war die Aktion aber natürlich nicht schlecht für eine Band, die zu einem guten Teil von braven vierzehnjährigen Mädels umschwärmt wird.
Und die dürfte auch interessieren, was mit dem neuen WIZO-Album ist. Axel: „Das neue Album kommt ... wenn es fertig ist.“