Foto

HAVE HEART

Songs To Scream At The Sun

Die eher witzig gemeinte Ankündigung im Internet, der Nachfolger von „The Things We Carry“ werde ein Doppelalbum mit 42 Tracks, hat vielleicht einige leichtgläubige Zeitgenossen aus der Fassung gebracht, zeigt aber, dass HAVE HEART selbst wohl am besten wissen, dass epische Spielzeiten nicht ihre Baustelle sind. Nur zehn Tracks mit insgesamt knapp über zwanzig Minuten braucht diese Band, um ein Album hinzulegen, das zusammen mit der neuen VERSE eindeutig zum Großartigsten gehört, was in diesem Jahr im Hardcore veröffentlicht wird. Dabei schafft „Songs To Scream At The Sun“ den unglaublichen Spagat, in jedem Moment nach HAVE HEART und doch nach einer völlig neuen Band zu klingen. Die Nähe zu CHAMPION haben sie hinter sich gelassen und mit dieser auch die gepresste Wut, die auf „The Things We Carry“ Pat Flynns Stimme so unverwechselbar und verdammt mitreißend gemacht hat. Stattdessen gibt es auffällig viele Midtempo-Songs, die eher hoffnungslos verzweifelt als wütend klingen, und für Hardcore-Verhältnisse wirklich unkonventionelle, weil sehr persönliche Texte. Natürlich haben HAVE HEART schon vorher keine Phrasen gedroschen, doch allein, wie sie mit dem so schwierigen Thema Straight Edge umgehen, macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung in einer Szene, die allzu oft zu vereinfachter Denkweise einlädt. In keinem Moment drohen sie mit dem moralischen Zeigefinger oder verurteilen anderen von einem als elitär empfundenen Standpunkt herab, wie es bei Bands des Genres oftmals völlig normal ist. So erzählt zum Beispiel das überragende „Bostons“ die Geschichte eines Mannes irischen Ursprungs, der die Feindseligkeit gegenüber Emigranten mehr als nur einmal zu spüren bekommen und sich nach vielen persönlichen Schicksalsschlägen in den Alkohol geflüchtet hat. Doch anstatt diese Figur zu einem gebrochenen Versager abzuwerten und damit tumb den eigenen Lifestyle hochzustilisieren, singt Pat Flynn am Ende sogar: „There just aren’t enough men like you“ – und bringt damit unbeabsichtigt genau das auf den Punkt, was man über seine Band denkt.