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DRAIN

Living Proof

Als ich mich im letzten Jahr auf dem Wacken Open Air mit meinem Kollegen Sven vom Magazin Away from Life darüber unterhielt, wer eines Tages das Erbe der alten Metal- und Hardcore-Legenden wie JUDAS PRIEST, METALLICA, SICK OF IT ALL oder AGNOSTIC FRONT antreten und in Zukunft die Hallen und Festivals füllen wird, kamen uns nicht wirklich viele Alternativen in den Kopf. Kurze Zeit später sah ich auf dem Build to Break-Festival in Dortmund die Kalifornier DRAIN. Und sie bliesen alle Besucher förmlich an die Wand. Der komplette Vollabriss, was der Vierer da hinlegte. Natürlich machte ich mich sofort auf die Suche nach Veröffentlichungen und bekam bald ihr Debütalbum „California Cursed“ in die Hand. Das knapp drei Jahre alte Werk macht schon beim Opener „Feel the pressure“ klar, dass man hier ein richtig heißes Ding in der Anlage hat. Schon damals offenbarte die Band aus Santa Cruz eine fundamentale Sache, die DRAIN von vielen anderen Combos unterscheidet: der wahnsinnige Abwechslungsreichtum. Darin bleiben sie sich auch auf „Living Proof“ treu, dem neuen Album, das auf Brett Gurewitz’ Label Epitaph herauskommt. Der Rausschmeißer „Good good things“ ist beispielsweise eine lockere, rockige Gute-Laune-Nummer. Die könnte schon fast im Radio laufen. Die meisten Stücke der Scheibe sind aber weit von jeglicher Massenkompatibilität entfernt. Gute zwei Minuten vorher etwa spuckt man mit „Living proof“ einen richtigen Hassbrocken aus, bei dem Frontmann Sammy alle Register des Angepisstseins zieht. Musikalisch erinnert dieser Song ein wenig an die glorreichen VISION OF DISORDER zu Zeiten von „Element“. Schon die New Yorker kombinierten damals Hardcore mit verschiedenen Stilen zu einem Höllengebräu. Auch DRAIN bedienen sich bei „Living Proof“ wieder wahllos aus allen Schubladen. „Run your luck“ ist ein böser Kopfnicker, bei dem man schon automatisch grimmig schaut und den nächsten Pit herbeisehnt. Für diesen eignen sich die meisten der zehn Stücke, wobei „Evil finds light“ der Oberkracher ist. Moshparts, Metal-Gitarren und tonnenschwerer Groove reißen hier mächtig Bäume aus. Sammy klingt wie ein wütender Pitbull, der bellt, winselt, kläfft und schreit. Gütiger Himmel, was ein Song! Ähnlich gestaltet sich „Intermission“, der wie ein Rap-Song mit Beat-unterlegtem Sprechgesang anfängt und später zu einer moshigen Abrissbirne mit Metal-Gitarre mutiert. Natürlich ist so etwas beim ersten Höreindruck unfassbar anstrengend, da die Vielschichtigkeit einen schon arg beansprucht. Gibt man „Living Proof“ aber ordentlich Zeit mit genügend Durchläufen, kann man sich dem morbiden Charme dieser Scheibe schwer entziehen. Wenn die Kalifornier so weitermachen, kann man die eingangs erwähnte Last gerne auf die Schultern dieser wahnwitzigen Band ablegen! Genug Freunde werden sie mit ihrer Gangart definitiv finden.