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JOHN CALE

Mercy

Am 9. März 2023 ist John Cale 81 geworden – der Releasetag seines 17. Soloalbums lag knapp daneben. „Mercy“ ist das erste „richtige“ neue Album von Cale seit 2012, nachdem „M:FANS“ von 2016 aus Neuaufnahmen eines früheren Albums bestanden hatte. Mit 15, 16 gehörten damals bei uns VELVET UNDERGROUND zum „Geheimwissen“ in Sachen Musik, deren Debütalbum von 1967 für uns den Reiz des Verruchten und Geheimnisvollen ausstrahlte mit „I’m waiting for the man“, „Heroin“ und „All tomorrow’s parties“. 1984 – da war ich 16 – erschien „Caribbean Sunset“, das von angeblichen Popkritik-Koryphäen bis heute verachtet wird, das ich aber wie das folgende „Artificial Intelligence“ (1985) für grandios halte. Ich erwähne diese beiden Alben, weil mich die zwölf langen Songs auf „Mercy“ immer wieder an den Cale jener Alben erinnern, wo er sich längst schon von seiner Arbeit mit V.U. verabschiedet hatte und elektronischere, poppigere Klänge bevorzugte. Cale, der auf diesem bereits vor Corona aufgenommenen Album zwar Gastmusiker hatte, aber neben dem Gesangspart auch für Bass, Schlagzeug und Tasteninstrumente verantwortlich ist, hat mit „Mercy“ ein famoses Werk aufgenommen, dem man das hohe Alter seines Erschaffers nicht anmerkt, denn es könnte auch als leises Electronica-Experiment eines Mittzwanzigers durchgehen, was vielleicht auch daran liegt, dass er sich für die Songs verschiedene Mix-Verantwortliche ausgesucht hat. Geht man aber in die Texte, schwebt da der Hauch eines ... ich wage es kaum zu sagen ... Abschiedsalbums mit. „Moonstruck (Nico’s song)“ etwa ist eine Ode an die lange schon verstorbene Chanteuse. „Time stands still“ („The grandeur that was Europe / Is sinking in the mud“) klingt wie ein Kommentar zu Brexit und Co., „Noise of you“ („The choir is finishing it’s [sic!] song / [...] To say goodbye“) spricht für sich selbst. Und generell ist da dieser Hauch von Vergänglichkeit über den durchweg lesenswerten, poetischen Texten. „Mercy“ erinnert mich auf eine berührende Weise an David Bowies Abschiedswerk „Blackstar“, es strahlt eine gewisse zeitlose Ruhe aus. Und ich hoffe jetzt auf ein weiteres Album von John Cale.