ARCHITECTS

Foto© by Vincent Grundke

Sorry, we’re not technical anymore

Mit „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ stehen die Briten kurz vor der Veröffentlichung ihres nächsten Albums. Wie bereits der Vorgänger offenbaren die ersten beiden Singles einen eher ungewohnten Stil – was einigen Fans sauer aufstößt. Wir sprechen mit Sam und Alex über den Entstehungsprozess des Albums und die Negativität auf Social Media.

Eure Alben tragen häufig sehr poetische Titel: „All Our Gods Have Abandoned Us“, „For Those That Wish To Exist“ und jetzt „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“. Was steckt hinter dem Namen des neuen Werks?

Sam: Es ist der Sound einer Band oder eher von uns als Menschen, die damit zu kämpfen haben, wo wir als Spezies stehen und wo die Welt sich befindet. Bei allem, was aktuell passiert, kann man sich schnell niedergeschlagen und hilflos fühlen. Was den Titel des Albums inspiriert hat, ist dieses Gefühl der Hilflosigkeit – es immer wieder zu versuchen, aber wenn man sich umschaut, sieht man so viele Menschen, die es nicht einmal probieren. Dabei steuern wir geradewegs auf eine Katastrophe zu, die unausweichlich erscheint.
Alex: Die letzten Jahre haben uns alle an unsere Grenzen gebracht. Und diese Tatsache spiegelt sich musikalisch auf dem neuen Album wider. Wir als Band haben immer versucht, die Dinge optimistisch zu sehen, auch wenn manche Titel da etwas fehlinterpretiert wurden. Jetzt sind wir allerdings an einem Punkt, wo wir uns fragen: Oh Mann, wie soll es jetzt weitergehen?
Sam: Ja, genau. Wie der Titel schon sagt: Es geht um die klassischen Symptome einer gebrochenen Gesellschaft. Und ich denke, nicht nur wir fühlen uns so. Es gibt garantiert viele Menschen da draußen, die müde davon sind, für das zu kämpfen, an was sie glauben und was aus ihrer Sicht das Richtige ist. Und keiner weiß so richtig, wie es in den nächsten Jahren weitergeht.

Eure Musik war schon immer sowohl persönlich geprägt als auch gesellschaftskritisch. Also ist es diesmal genauso?
Sam: Ich finde, es ist ohnehin schwierig, persönliche und politische Einflüsse klar zu trennen, da die Politik so eine große Wirkung auf unser Leben hat und unsere Sichtweisen extrem beeinflusst. Die Politik steckt in allem. Auf den ersten Blick würde man nicht sagen, dass Politik und der Klimawandel zusammenhängen, aber sie tun es sehr wohl. Letztendlich sind es die Politiker und Regierungen, die entscheiden, wann und mit welchen Mitteln wir die Netto-Null-Ziele erreichen. „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ ist ein sehr reflektiertes Album. Dan wollte etwas mehr Persönlichkeit und Selbsteinschätzung preisgeben, was ich super finde.
Alex: In den letzten Jahren haben sich ARCHITECTS eher generell zur Gesellschaft geäußert und unsere Texte ließen viel Raum für Interpretation. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man in seiner Musik etwas mehr Persönlichkeit zeigen muss, damit nachvollziehbar wird, was den Songwriter beschäftigt und wo die Texte herkommen. Raum für Interpretation ist klasse, führt manchmal aber auch zu einer mangelnden Connection zu den Hörenden. Ich finde es beeindruckend, dass Dan diesmal viel mehr persönliche Dinge preisgegeben hat. Und das ist, wenn du mich fragst, um ein Vielfaches schwieriger und mutiger, als immer nur in Metaphern über unsere Gesellschaft zu sprechen.

Erst kürzlich habt ihr euren neuen Song „Tear gas“ veröffentlicht, zusammen mit einem Musikclip. Dieses Video ist eher untypisch für ARCHITECTS. Welche Bedeutung steckt dahinter und wie seid ihr darauf gekommen?
Sam: Das Video spiegelt wider, was alles falsch läuft, in der Welt und zeigt die Inkompetenz mancher Menschen, die an der Macht sind.
Alex: Das zeigt sich auch direkt in der Intro-Sequenz, in der wir vor dem PC sitzen und uns dieses Hunde-Video anschauen. Als die Warnhinweise aufploppen, versuchen wir, sie einfach wegzuklicken, als ob das Problem zu ignorieren es auf magische Weise lösen würde. Es ist so wie mit dem Klimawandel: Seit Jahrzehnten sehen wir die Anzeichen, aber tun nichts dagegen und lenken uns mit unwichtigen Dingen von der Katastrophe ab, als könnte man sich auch noch später darum kümmern.
Sam: Es hat echt Spaß gemacht, dieses Video zu drehen. Wir werden für gewöhnlich als eine sehr ernste Band wahrgenommen. Das trifft aber absolut nicht auf uns als Menschen zu. Wir sind eigentlich ein Haufen verdammter Idioten, haha.
Alex: Wir wollten schon immer ein dümmlich-lustiges Video machen. Wir hatten schon einige Ideen, aber waren irgendwie immer zu ... nervös. Es gab halt auch Zeiten, in der das nicht wirklich passend gewesen wäre.
Sam: Ja, stell dir mal „Gone with the wind“ mit so einem Video vor. Oh wow.
Alex: Absolut. Aber mittlerweile ist die Band emotional wieder etwas stabiler, so dass wir Dinge in Angriff nehmen können, die wir schon immer mal ausprobieren wollten. Das soll nicht heißen, dass wir die früheren Videos in ihrem cineastischen Stil nicht mögen. Im Gegenteil.
Sam: Das Video erinnert mich ein bisschen an BEASTIE BOYS oder FOO FIGHTERS, also Bands, mit denen wir aufgewachsen sind und deren Clips wir uns immer und immer wieder angesehen haben.

Wegen Corona musstet ihr „For Those That Wish To Exist“ getrennt voneinander aufnehmen, richtig? Wie war es jetzt, ein Album wieder zusammen im Studio zu produzieren?
Alex: Eigentlich war die Vorgehensweise bei „For Those That Wish To Exist“ eher die Regel. Wir schreiben seit Jahren hauptsächlich remote, weil nur Sam und ich nah beieinander wohnen. Wir wussten also schon vor Corona, wie es funktioniert, und fühlten uns wohl damit. Bei „The Classic Symptoms Of A Broken Spirit“ hatten wir aber mal wieder die Möglichkeit, gemeinsam im Studio zu sein. Ursprünglich wollten wir nur Drums für bereits fertiggestellte Songs im Studio einspielen und die restliche Zeit bei Sam Vocals und Bass aufnehmen. Dann haben wir aber angefangen, neue Songs zu schreiben und mit neuen Einflüssen zu arbeiten. So entdeckten wir zum Beispiel extra Keyboard- und Percussion-Elemente, die super in die Songs passten. Einige Tracks auf dem Album wurden also spontan aus einer Eingebung heraus im Studio geboren.
Sam: Josh hat die Gitarrenparts hauptsächlich remote geschrieben und als er damit fertig war, sind wir noch mal ins Studio und haben die kompletten Lyrics in ungefähr einer Stunde geschrieben, was für uns als Band echt untypisch ist. Normalerweise nehmen wir alles doppelt und dreifach unter die Lupe, aber diesmal sind die Songs auf sehr organischem Wege entstanden und es hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir sie extrem schnell zusammen hatten – ähnlich wie damals „Animals“. Es war einfach klasse, auch mal wieder Zeit als Freunde zusammen im selben Raum zu verbringen und Neues zu wagen. Zum Beispiel haben wir stundenlang den richtigen Synthsound für bestimmte Passagen gesucht und uns gemeinsam in den ganzen kleinen Details verloren, die letztendlich den Unterschied machen.
Alex: Wir haben über die letzten Jahre herausgefunden, dass wir auch wunderbar getrennt voneinander in diesem eher klinisch-isolierten Umfeld gute Musik schreiben können. Aber für dieses Album war das keine Option für uns – und so haben wir aufs Neue erkannt, wie viel Spaß wir an der gemeinsamen Arbeit haben.
Ich habe mir mal ein paar Meinungen zu den ersten beiden Singles „When we were young“ und „Tear gas“ auf Social Media durchgelesen und Kommentare wie „RIP ARCHITECTS“ oder „Sie sind so langweilig geworden“ gefunden. Wie empfindet ihr als Künstler solches Feedback?
Sam: Ganz im Ernst, mittlerweile interessiert es mich gar nicht mehr. Social Media ist einfach ein Ort, wo Menschen für ihre negative Haltung gefeiert werden. Leute, die schreiben „Ihr seid meine Lieblingsband. Danke für diesen genialen Song“ bekommen halt keine Likes. Aber Sprüche wie „RIP ARCHITECTS, Tom würde es hassen“ gehen natürlich total ab. Es war genauso, als wir damals „Animals“ veröffentlicht haben. Die Kommentatoren auf Social Media haben es gehasst. Mittlerweile ist er aber unser beliebtester Song bei Amazon Music und immer, wenn wir ihn live spielen, erzeugt er so gute Stimmung – es ist unglaublich. Man darf solche Äußerungen nicht zu sehr an sich heranlassen. Wir haben diese Songs geschrieben und aufgenommen, sind sie im Studio wieder und wieder durchgegangen und wissen für uns selbst, dass es gute Songs sind, die unsere Emotionen widerspiegeln. Und die Leute, die solche Kommentare schreiben, sind letztendlich auch genau die, die uns auf der Straße nach einem Selfie fragen.
Alex: Es gab mal eine Zeit, in der Dan auf sehr asoziale Kommentare geantwortet hat, und sobald diese Menschen auf einer individuellen Ebene angesprochen wurden, kam sie sofort sowas wie:„Oh mein Gott, sorry, das meinte ich gar nicht so.“ Es ist wirklich interessant zu sehen, wie viele Leute das einfach nur für die Aufmerksamkeit machen. Wenn jemand unsere Musik nicht mag, ist das okay für uns. Aber man muss es nicht immer online verbreiten, wenn man etwas schlecht findet – und persönlich zu werden ist auch unangebracht.

Ich bin großer Fan der neuen Songs, gerade weil sie anders sind. Aber ich könnte auch etwas voreingenommen sein, weil ARCHITECTS die Band waren, die mich für den technischen Metalcore begeistert hat.
Alex: Sorry, wir sind nicht mehr so technisch, haha. Nee, Spaß, danke dir! Wie Sam eben schon meinte: Social Media ist ein negativer Ort. Viele Menschen beschweren sich darüber, dass die neuen Songs nicht heavy genug sind. Unser letztes Album endete mit einem Akustiktrack – was glaubtet ihr, wo die Reise hingeht? Dass wir auf dem nächsten Album wie NILE klingen? Entwicklung ist uns wichtig, um als Band, aber auch persönlich zu wachsen.
Sam: Zumal man auch sagen muss, dass es definitiv heavy Songs auf dem Album gibt. Und natürlich könnten wir in jeden Track einen heftigen Breakdown einbauen – und die Leute würden es lieben. Aber „Tear gas“ kommt zum Beispiel wunderbar mit dem aus, was es hat. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Menschen mittlerweile in einer Reaction-Video-Welt leben, wo sie entweder etwas abgrundtief hassen oder aber auf Pause drücken müssen und sagen: „Woah, hast du das gehört? Wie krass war denn diese Strophe, die nahtlos in den Refrain übergegangen ist?“ Aber etwas schlecht zu finden ist natürlich einfacher, als sich tiefer mit der Musik auseinanderzusetzen.

Sam, du hast vor einigen Tagen etwas in deiner Instagram Story repostet, wo es hieß: „Social media kills reality“. Seht ihr auch Vorteile von Social Media für Musiker, besonders für Newcomer?
Sam: Es ist furchtbar für Bands. Es gibt so viele talentierte Künstler da draußen, aber auf Social Media reicht es nicht aus, musikalisches Talent zu haben. Du musst gleichzeitig Vollzeit-Content-Creator sein, damit der Algorithmus deine Inhalt auch anzeigt. Selbst wenn Fans die Inhalte interessieren, sehen sie wahrscheinlich nur einen Bruchteil der Beiträge. Deshalb: Macht einfach Musik und kümmert euch nicht zu sehr um diese digitale Welt, die nicht real existiert.
Alex: Wir kennen das Konzept sehr gut aus unserer Anfangszeit, nur dass wir damals mit dem MySpace-Algorithmus zu kämpfen hatten. Aber diese Welt aus Likes, Shares und Followern wird mit jedem Tag toxischer.
Sam: Das Beste, was junge Bands machen können, ist, sich gegenseitig zu unterstützen. Wir haben das früher genauso mit BRING ME THE HORIZON gemacht. Wir sind zusammen getourt, haben den Merch der anderen Band angezogen und Promo für neue Musik gemacht. Aber versteh mich nicht falsch: Ich will hier nicht klingen wie so ein alter Sack, der über das Internet motzt, haha. Songs direkt auf deinem Laptop aufzunehmen und in wenigen Klicks direkt auf Streaming-Plattformen laden zu können hat schon echte Vorteile. Aber diese Vorzüge von den ganzen Likes und Followern zu trennen und seinen Selbstwert nicht daran zu messen, ist verdammt schwer.