ARTERIALS

Foto© by Lisa Meinen

We don’t care anymore

Entspannt, aber mit Haltung – mit dieser Einstellung lassen sich Punkband, Älterwerden und andere Verpflichtungen in Einklang bringen. Das beweisen die Hamburger ARTERIALS in Gestalt von Sänger Florian „Zander“ Zandt, Gitarrist Jens Fömpe und Drummer Pete auch im Interview.

Ihr habt mal gesagt, dass die Konzertsituation aufgrund des schwindenden Publikums nicht einfacher wird. Stirbt „Punk“ als Musikform aus? Und wenn ja, wäre für euch denkbar, aus diesem Grund irgendwann „umzusatteln“ oder die Band aufzulösen?

Jens: Also, DIY-Punk hat auf jeden Fall seit Jahren ein Nachwuchsproblem, das kann man schon so sagen. Gerade was Konzerte in linken Freiräumen abseits der Großstädte angeht, ist das viel schwieriger geworden. Das generelle Interesse jüngerer, linker Menschen hat sich stark in andere musikalische Richtungen entwickelt. Und die Landflucht hat wahrscheinlich noch zugenommen. Oft sind die Leute, die noch in solchen Räumen Punk-Konzerte veranstalten, diejenigen, die bereits seit Jahrhunderten dabei sind – aber deren Anzahl nimmt ab. In den Neunzigern und frühen Zweitausendern haben sich die Konzertgruppen in den AZs die Klinke in die Hand gegeben. Die einen zogen nach Hamburg oder Berlin, da standen die nächsten bereits in den Startlöchern. Das war für meine Punk-Generation eine goldene Zeit – für alle, Bands, Konzertgruppen, geneigtes Publikum. Diese AZ-Landkarte hat mittlerweile viele weiße Flecken bekommen. Aber das kann ja auch alles wieder kommen. Das hoffe ich sehr – gerade in den gerne als „strukturschwach“ bezeichneten Gegenden muss auf jeden Fall wieder mehr von links kommen, da muss der Punk wieder hin. Wir können den Faschos nicht einfach so das Feld, in dem Fall die Bühne überlassen. Ich hoffe, dass im Kielwasser von aktuellen, jüngeren Bands – nehmen wir so was wie DEUTSCHE LAICHEN – wieder vermehrt junge Leute auf den Punk kommen. Das kann dann ja auch eine ganz neue Szene sein, in der für Opas wie uns kein Platz ist – voll okay für mich. Umsatteln werden wir aber sicher nicht, denn wir machen ja die Musik, die wir machen wollen und die wir lieben. Wir können wahrscheinlich auch gar nichts anderes.

Ihr habt euch ein Show-Limit pro Jahr gesetzt – kommen mit Beruf und Familie überhaupt noch längere Touren zustande, oder ist das ein Wochenendding?
Jens: Zugegeben, seit es ARTERIALS gibt, haben wir keine „richtige“ Tour mehr gemacht, also eine, die jetzt wirklich eine ganze Woche dauert, oder, um Himmelswillen, gar noch länger. Bei unseren alten Bands war das anders. Die Verpflichtungen durch unsere Jobs dürften die größte Rolle dabei spielen, dass mehr einfach nicht drin ist. Unlängst ging’s auch mit dem Nachwuchs los. Aber andere Bands unserer Generation, also so grob Ende Dreißig/Anfang Vierzig, haben bereits ganz andere Kinderzahlen produziert – und trotzdem kriegen sie’s noch geregelt mit dem Punk. Auch die Veränderungen in der Szene spielen sicher eine gewisse Rolle. Also, ja, es ist mittlerweile eine Wochenendgeschichte, aber, sag niemals nie. Und ein wirkliches „Limit“ haben wir uns nicht gesetzt. Es ist eher ein Erfahrungswert, wenn wir sagen: etwa 25 Konzerte pro Jahr, das geht klar, alles darüber – mal schauen. Ich könnte mir zum Beispiel eine Zehn-Tage-Sause nach Ost- oder Südeuropa nach dieser ganzen Corona-Downtime sehr gut vorstellen. Memo an mich: Vorher eine gute Luftmatratze kaufen.
Pete: Längere Touren in Deutschland rechnen sich für uns auch einfach nicht. Ich halte es aber weiterhin für absolut realistisch, dass wir nach Corona noch mal in Richtung Ausland aufbrechen. Auch das lohnt sich finanziell dann nicht die Bohne, aber wir haben so was immer als Urlaub betrachtet, für den wir am Ende gern draufzahlen. Die Kontakte und der Bock sind da, an Zeit und stabiler weltpolitischer Lage hapert’s aktuell noch.

„We play too slow, we’re not original, is this supposed to be punk rock, we don’t even care anymore“. Gab es die in „Jaded & hated“ beschriebene Situation wirklich? Und wenn ja, wie geht ihr mit solchen Kommentaren um?
Flo: Das ist dann wohl die viel zitierte künstlerische Freiheit und natürlich ein bisschen übertrieben. Das sagt einem natürlich auch niemand ins Gesicht, obwohl das auch mal erfrischend ehrlich wäre. Es geht mehr darum, dass Punk einfach nicht mehr wirklich angesagt ist. Zumindest nicht so, wie wir ihn spielen, also eher klassisch US-sozialisiert, hymnisch. Das merken wir, wenn es ums Buchen von Shows geht. Für Berlin sind wir zum Beispiel einfach nicht cool genug, das kann man, denke ich, fast schon objektiv so sagen. Was aber auch völlig in Ordnung ist.
Pete: Und das ist auch genau so schon mehrfach passiert. Und so sehr wir das dann bedauern, ist es eben auch absolut nachvollziehbar, legitim und ehrlich. Wenn es eine Band gibt, die Wichtigeres zu sagen hat als wir: Gebt meinetwegen ihnen das Mikrofon, nicht uns.

In „Shades of brown and blue“ geht es um „The same old shit, repackaged and made to fit“. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich die Gesellschaft in den letzten vierzig Jahren kaum weiterentwickelt hat. Während Themen, die längst überwunden schienen, wie Sexismus, Rassismus, Homophobie, plötzlich wieder brandaktuell sind. Wie nehmt ihr das wahr?
Pete: Zweischneidig. Ohne Frage ist die Welt am Abgrund und in den letzten vierzig Jahren gab es in unserem Leben keine vergleichbare Krise. Andererseits ist eine ganze Menge passiert: Dinge, die fast ausschliesslich im DIY-Punk als gesetzt galten, sind heute in die Mitte der Gesellschaft gerückt. PROPAGANDHI haben 1996 damit geschockt, auf ihr Cover „Pro-Feminist, Anti-Fascist, Gay-Positive, Animal-Friendly“ zu schreiben. Das war damals außerhalb der AZs absolut neu und hat sie eine Menge „Fans“ aus dem Fat Wreck-Lager gekostet. Heute gibt es in jedem Supermarkt unzählige vegane Produkte, führende Politiker sind offen homosexuell, sehr viele ganz normale Menschen gehen demonstrieren oder reißen sich reihenweise Beine aus, um etwa Geflüchteten ein angenehmeres Leben zu ermöglichen. In den USA wird die Hymne sabotiert und über die Abschaffung der Polizei nachgedacht. Es ist nicht alles scheiße und positive Entwicklungen gibt es überall. Nur leider auch auf der Gegenseite, weshalb wir in unseren Songs weiterhin sagen müssen, was „Less Talk, More Rock“ schon 1996 formuliert hat.