BEHEMOTH

Foto© by Vincent Grundke

Ganzheitliche Erfahrung

„I Loved You At Your Darkest“ ist der elfte Langspieler der polnischen Death-Metal-Institution BEHEMOTH. Wahrscheinlich der, der am meisten Publicity rund um die Veröffentlichung erfährt. Wenn ihr wissen wollt, was es mit dem Albumtitel, dem Song „God = Dog“ oder Nergals Nebenprojekt ME AND THAT MAN auf sich hat, müsst ihr ein anderes Interview lesen. Wir sprechen mit ihm über einige Randaspekte.

Der charismatische Frontmann der momentan wohl größten Extreme-Metal-Band der Welt ist gerade unterwegs, als wir mit ihm zum Interview verabredet sind. Am Vorabend hat er eine Wanderausstellung zu „I Loved You At Your Darkest“ in Danzig eröffnet. In den folgenden Tagen wird diese noch in anderen Städten rund um den Globus zu sehen sein. „Es war ein großartiges Event. Ich war äußerst zufrieden, wie es ablief. Wir werden damit noch in Berlin, London und Warschau aufschlagen, bevor es in die Vereinigten Staaten geht. Dort stellen wir noch in New York und L.A. aus“, erzählt Nergal. „Wenn es eine Galerie geben würde, die das für eine längere Zeit aufnehmen würde, wäre das natürlich klasse.“

Wie Coverartwork, Inszenierung auf Bandfotos und Videoclips und Merchandise(wahn) erweitert diese Ausstellung den Kosmos der Band. „Sie ergänzt den ästhetischen und ideologischen Aspekt. Es gibt eine Dokumentation, in der wir die Entstehung der Platte noch einmal näher beleuchten, darüber hinaus gibt es einige Gemälde, die aussehen, als wären sie hunderte Jahre alt. Schön in Holz gerahmt. Sie sehen wirklich toll aus“, schwärmt der Frontmann. „Dann gibt es noch eine 3D-Interpretation des Covers zu sehen. Der alte Mann als lebensgroße Statue. Sie wiegt 300 kg – verrückt.“ Dabei wird diese Präsentation, und das liegt in der Natur einer Wanderausstellung, wahrscheinlich nur den kleinen Teil der Interessierten abholen, die zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind.

Detektivspiel
Sieht es auf den ersten Blick oft so aus, als würden Nergal und seine Band mit plumpen Methoden („God = Dog“ ist das jüngste Beispiel) versuchen, durch plakative anti-christliche Symbolik zu provozieren, steckt doch oft mehr dahinter. Liest man die Texte, so kann man für die Initialrecherche stets die mitgelieferten Linernotes verwenden. Um tiefer in die Metaphorik einzusteigen, bedarf es aber meist anderer Quellen. Dabei ist auch der Entstehungsprozess, der zu diesem Überbau führt, ähnlich komplex, wie Nergal erzählt: „Ich erinnere mich noch daran, als ich 22, 23 war und meine Abschlussarbeit geschrieben habe. Wenn ich über meine Texte spreche, dann kann man das gut darauf übertragen. Du sammelst verschiedene Stücke, findest hier ein Wort, da ein Zitat. Dann liest du ein Gedicht oder schaust einen Film und nimmst daraus etwas mit. Du häufst alle diese Elemente an und vermischst sie zu etwas Neuem. Das ist ein sehr langer Prozess bei mir. Ich brauche dafür Ruhe und muss für mich sein. Wenn ich in der Einsamkeit mit mir alleine bin, kann ich am besten schreiben“, führt er aus. „Für dieses Album habe ich mich ans Rote Meer zurückgezogen, dort einen Bungalow gemietet, in der Sonne gesessen und die Energie aufgenommen. Es ist nie ein einfacher Vorgang. Es ist ein schmerzhafter, langwieriger Prozess, der viel Kraft kostet. Ich liebe es aber. Mein fester Glaube ist es, dass ein Teil von mir in diesem Album steckt, der mich überdauern wird.“

Aber es gibt natürlich auch Menschen, die sich gar nicht für den thematischen Überbau interessieren und die nur die Klasse des Materials und dessen Ausführung interessiert. „Ich möchte da wirklich niemanden verurteilen. Am Ende bestimmt es der Hörer immer noch selbst, wie sehr er sich damit beschäftigt. Ich möchte niemandem meine Interpretation aufzwingen. Das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, meine Vision, meine Kunst zu schaffen und zu veröffentlichen. Wenn das geschehen ist, übergeben wir das Ergebnis der Öffentlichkeit, dann gehört es nicht mehr uns. Du kannst damit tun, was auch immer du möchtest“, erklärt Nergal und führt weiter aus: „Es wäre aber wirklich schön, wenn der Hörer BEHEMOTH ganzheitlich begreift und die verschiedenen Aspekte unseres Schaffens erkennt. BEHEMOTH sind eine vielschichtige künstlerische Unternehmung. Wenn du nur auf die Musik achtest, dann fehlt dir etwas. Neben der Musik könnten die Texte auch für sich stehen, sie wären auch gute Gedichte, aber am Ende ist bei uns alles miteinander verbunden. Man sollte es gleichzeitig in sich aufnehmen und konzeptionell interpretieren.“

Polnische Europäer
Anfang der Neunziger kamen die „Großen“ des Genres aus den USA oder Nordeuropa, und man hörte den jeweiligen Gruppen ihr sonniges Gemüt beziehungsweise ihre Eiseskälte auch an. Nun kommen ­BEHEMOTH aus Polen. Doch wie viel Polen steckt in BEHEMOTH und Nergal? Wie würde die Band klingen, wenn sie aus einem anderen Land stammen würde? „Nicht so wütend“, lacht Nergal. „Definitiv nicht so wütend. Dass wir aus Polen kommen, das eine noch sehr junge Demokratie darstellt, die momentan mit totalitären Strukturen zu kämpfen hat, macht uns zu einer sehr wütenden Band. Wenn ich Schwede, Däne oder Brite wäre, hätte ich wesentlich weniger Probleme in meinem Leben und mit mir selbst. Dieses Land hat mitbestimmt, zu welchem Menschen ich geworden bin. Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihm, eine Hassliebe. Auf der einen Seite bin ich sehr polnisch, auf der anderen Seite sehr anti-polnisch und europäisch. Diese beiden Seiten stoßen immer wieder zusammen. Anstatt aus Fehlern der Vergangenheit und von unseren übergroßen Nachbarn Russland und Deutschland zu lernen, zerstört sich Polen gerade selbst. Ich hasse das.“

Da sich diese äußeren Umstände in absehbarer Zeit – leider – nicht ändern werden, kann man also davon ausgehen, dass BEHEMOTH auch in Zukunft im Extreme Metal bleiben werden und auf den bisherigen Karrierehöhepunkt „I Loved You At Your Darkest“ noch weitere Großtaten folgen.