BITCH QUEENS

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Männerstereotype aufbrechen

Wer bei BITCH QUEENS aus Basel an eine gewisse Band aus Oslo denkt ... geschenkt. Musikalisch wie in Sachen Stageacting und -dressing sind da durchaus Parallelen vorhanden, und sowieso hat man das Gefühl, dass die Schweizer eigentlich im falschen Jahrzehnt an den Start gegangen sind, war doch schon 2008 der Wirbel um skandinavischen (Punk-)Rock eine Weile vorbei. Warum das eigentlich egal ist, ergibt sich aus den Antworten von Melchior Quitt (voc, gt). Die anderen Queens sind Harry Darling (voc, dr), Marcel Colomb (bs) und Daniel Schönenberger (gt).

Lass uns mal an unsere jüngeren Leser:innen denken. Wann und wie ging das eigentlich los mit eurer Band? Die erste Rezension im Ox datiert auf 2007. In eurem Logo steht aber 2008 ...

Und wir dachten, wir sind die jüngeren Leser vom Ox?! Wenn ich an unseren diesjährigen Schweizer Punk- und Garage-Sampler denke – da war das jüngste Bandmitglied Jahrgang ’91 ... aber das ist ein anderes Thema. Angefangen hat die Geschichte der BITCH QUEENS zum Jahrtausendwechsel. Danach folgten sieben oder acht Jahre Instrumente lernen, miese Bandnamen und noch miesere Punk-Konzerte. Seit 2007 heißen wir BITCH QUEENS und seit 2008 sind wir mehr oder weniger in der heutigen Besetzung unterwegs. Damals gab es eine größere Umstrukturierung in der Band, was wir als neuen Beginn definierten. Und ja, andere haben nach 22 Jahren einen Doktortitel und ein Eigenheim – wir eine Punkrock-Band, ein eigenes Studio, eigenen Van, eigenes Label, eigenes Festival und verdienen damit keine Kohle, haha.

Basel ... was ist das für eine Stadt, wenn man dort als Punkrock-Band seinen Lebensmittelpunkt hat? Einerseits gibt es da viel Kunst, eine schöne Altstadt, aber auf dem Weg nach Süden sieht man da von der Autobahn aus nur viel hässliche Industrie und ist froh, wenn man durch ist.
Basel ist eine Kleinstadt mit etwas Möchtegern-Großstadtflair, was von außen ziemlich süß wirkt. Hier wird viel vom gehobenen, kulturellen Angebot gehalten, von großzügigen Mäzenen subventioniert und dies auch gerne anderen unter die Nase gerieben. Da wird auch schön rumgehipstert, und wo mal keiner wohnen wollte, steht jetzt Gelateria irgendwas und Cocktailbar diesunddas – so weit, so normal. Das Schöne ist jedoch die vielfältige Subkultur, die sich nach wie vor neben dem anderen Kram ihre Nischen schafft. Untypisch ist sicherlich auch das Überangebot an Live-Locations.

Dinge ändern sich, Ausdrucksweisen auch, und Empfindlichkeiten ebenso. Ich will auf euren Namen hinaus. Bei dem Wort „bitch“ zuckt man(n) heute direkt zusammen. Wie geht ihr damit um – oder gab es noch nie die Situation, dass eine Erklärung gefragt war? Ich denke da etwa an euren Song „This is how we roll in 2020“, wo es um Shitstorms geht.
Bisher gab es keine Probleme und auch kaum Diskussionen. Wir sind auch gut befreundet mit genügend sensibilisierten Menschen, die bei so was mit Kritik nicht sparen würden. Ich denke, es liegt vor allem daran, dass doch ein Großteil der Szene noch in der Lage zu sein scheint, etwas im richtigen Kontext zu betrachten. Wer uns kennt, unsere Texte liest, unsere Videos schaut, weiß ganz genau, wie und wo wir uns positionieren. Zudem tragen wir mit unserem Look und unserer Bildsprache hoffentlich dazu bei, die ganzen Männerstereotypen etwas aufzubrechen. Shitstorms werden von einem Großteil auch komplett unreflektiert ausgetragen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht verlernen, vernünftig zu diskutieren, alle Seiten erst anzuhören und uns dann ein Urteil zu bilden. Ich unterstütze aber sehr, dass heute viele Themen neu und massiv kritischer diskutiert und vor allem auch aufs Parkett gebracht werden. Wir waren im Übrigen knapp zwanzig Jahre alt, als wir uns den Bandnamen gaben und in Frauenklamotten auftraten. Damals haben wir gar nicht so viel überlegt, aber vermutlich einiges mehr bewegt. Dennoch diskutierten wir erst gerade vor paar Monaten über unseren Namen. Wir versuchen up to date zu bleiben, sind selbstkritisch und treten, wann immer wir können, dem ganzen wirklichen Sexisten-Mist entschlossen entgegen.

Ihr habt schon zig Vergleiche betreffend eurer Musik gehört und selbst verwendet. Als Band, als Musiker kann man so manche wohl kaum noch hören, andere würde man vielleicht gerne mal hören. Deshalb: Verrate doch mal, wie die bandinterne WhatsApp-Gruppe auf neu reinkommende Reviews reagiert, was abgefeiert und was mit Kotz-Smiley kommentiert wird.
Da uns immer alle mit TURBONEGRO vergleichen – es wäre spannend, da mal die vorherige Frage zu stellen –, lesen wir die Reviews meist gar nicht mehr richtig. Es reicht oft, sich an den Großbuchstaben entlang zu hangeln. Klassischer Musikjournalismus ist ja leider bei weitem nicht mehr so differenziert, weil auch nicht mehr so geschätzt. Das Ox ist dabei eine schöne Ausnahme. Klar, der Vergleich liegt auf der Hand – wer aber etwas von unserem Genre versteht, sollte ziemlich schnell wissen, dass wir uns auch bei einigen anderen bedient haben. Aber wäre ja schade, das jetzt zu verraten. Das soll schon jede und jeder selber rausfinden.

Ihr seid die Veranstalter des Bitch Fest, eines feinen, kleinen Festivals, auf dem Ende September neben euch diesmal unter anderem die MONSTERS und COURETTES spielten. Das war schon die vierte Auflage des Festivals. Was bedeutet euch das, warum nimmt man den Orga-Stress auf sich?
Uns ist das Festival extrem wichtig. Damit geben wir etwas der Szene und dem Publikum zurück. Wir machen alles ehrenamtlich und mit viel Liebe für die Musik. Ich buche die Bands und habe die Hauptverantwortung, was viel Arbeit bedeutet, sich aber mit der Freude des Publikums mehrfach auszahlt. Ursprünglich wollten wir so befreundeten Underground-Bands von auswärts eine gute Plattform für eine Basler Show ermöglichen. Nun sind wir schon im fünften Jahr und ein paar Nummern größer. Zudem können wir tun und lassen, was wir wollen, weil wir uns fernab von kommerzialisierten Events bewegen. Wir bieten so auch Tätowierer:innen und Künstler:innen eine Bühne. Dieses Jahr war es Corona-bedingt etwas reduzierter, aber hoffentlich können wir 2022 wieder richtig durchstarten!

Wie seid ihr als Band und persönlich bislang durch Corona gekommen? Die Schweiz war ja immer wieder mal lockerer drauf als andere Länder in Europa. Und wie wurde der Kultur geholfen?
Wir haben alle noch einen Job neben der Band, bei welchen wir glücklicherweise immer auf ein monatliches Einkommen zählen konnten. Zudem haben wir alle ein stabiles Umfeld, das in solchen Situationen extrem viel wert ist. Die Lockerheit der Schweiz hat sich am Ende vermutlich, bis auf paar Entscheidungen, doch ausgezahlt. Wir hatten keine Ausgangssperre und auch die Schulen blieben fast immer offen. Uns sollte auch bewusst sein, dass wohl kein Land fehlerfrei durch die Krise kam – wie auch? Corona hat natürlich in der hiesigen Kulturszene Spuren hinterlassen. Jedoch alle, mit denen ich gesprochen habe, wurden – zwar meist verspätet – vom Staat unterstützt. Nun bin ich gespannt, was der Winter so bringt. Anscheinend finden es nicht wenige Schweizer:innen immer noch unnötig, sich impfen zu lassen ...

Ihr habt drei Songs auf dem Album, die zumindest vom Titel her in eine ähnliche Richtung gehen, „The apocalypse“, „Custom dystopia“ und „Ignorance is bliss“. Kannst du die erläutern?
Harry, unser Drummer, schreibt die Texte. Was ihm auf unserer neuen Platte aus meiner Sicht bisher am allerbesten gelungen ist. Eigentlich kannst du auch gleich alle anderen Songs des Albums mit in die Aufzählung reinpacken – ein schön zynischer Rundumschlag über einige Widerlichkeiten des 21. Jahrhunderts. Als Ausnahme ist mit „The worst thing“ noch ein Love/Heartbreak-Song mit dabei – für die sensiblen unter den toughen Punkrockern. Der einzige Text, den ich teilweise mitgeschrieben habe, leicht zu erkennen am Schulenglisch-Vokabular.

Ihr habt ja gerade einen coolen Sampler veröffentlicht, „In Covid We Trust“. Was war die Idee, der Anlass?
Seit Jahren gibt es einige Underground Bands in der Schweiz, die viel touren, viel releasen und sich damit eine treue Fangemeinde in der Szene geschaffen haben. Leider fliegen die meisten dieser Bands unter dem Radar des Schweizer Musikjournalismus. Ich wollte mit der Compilation eine Möglichkeit bieten, die Bands sich gegenseitig etwas näher bringen und damit hoffentlich für alle mehr Aufmerksamkeit generieren. So entstand ein Sampler mit 13 Bands und 13 exklusiven Songs. Es fehlen natürlich auch noch paar großartige Schweizer Musiker:innen. Aber wer weiß, eventuell tue ich mir das noch ein zweites Mal an und organisiere ein Volume II. Bei uns auf Lux Noise sind auch mittlerweile alle Exemplare ausverkauft. Der Aufwand hat sich also definitiv gelohnt!