BOMBPOPS

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Lachen ist gesund

Thomas Mann galt als akkurater und disziplinierter Autor, der jeden Tag am heimischen Schreibtisch ein festgelegtes Pensum an Text produzierte. Auf den ersten Blick hat das wenig mit Punkrock zu tun. „Death In Venice Beach“ heißt das neue Album von THE BOMBPOPS und greift – lokalkoloritisch gefärbt – den Titel eines Schlüsselwerkes der deutschsprachigen Literatur Thomas Manns auf. Von der Teenieband zum Fat Wreck-Zugpferd gemausert, verpacken die vier Kalifornier*innen Texte über menschliches Scheitern und Aufstehen in melodische Arschtretersongs. Im Interview sprechen wir darüber, wie man mit Musik Romantik und Sexismus gleichermaßen widerspiegeln kann.

Wir haben uns vor knapp zwei Jahren in Essen getroffen. Wie ist es euch seitdem ergangen? Highlights? Misserfolge?

Poli:
Unsere Europatourneen sind immer ein Highlight. Alle „Punk in Drublic“-Shows waren eine Wucht. Weitere Höhepunkte waren das Aufnehmen unserer neuen Platte im letzten Jahr und die Dreharbeiten zu unseren Musikvideos. Ich würde nichts als Fehlschlag bezeichnen.

Jen: Besonders dieses Album aufzunehmen war einer der Höhepunkte der Band seit ihrem Bestehen. Alles war neu und aufregend für uns. Wir sind jetzt dabei, dieser Platte durch unsere Videos und Online-Präsenz eine visuelle Ästhetik zu verleihen. Misserfolge? Ich würde nie etwas, das wir getan haben, als Fehlschlag betrachten. Alles, was für uns nicht funktioniert hat, war ein Lernprozess und notwendig, um uns zu verbessern.

Du sprichst das Visuelle in der Musik an: eure Videos haben immer eine Rahmenhandlung und eine Band-Performance. Was gefällt euch an dieser Form der Inszenierung?

Poli:
Alles, angefangen bei der Konzeption der Musikvideos. Die Entwicklung und Umsetzung unserer Ideen. Das Verkleiden und Spielen verschiedener Charaktere. Wir können aus unserer Komfortzone herausgehen und uns sogar ein wenig der Schauspielerei widmen.

Hat der Titel des Albums einen Bezug zum Roman „Tod in Venedig“ des Schriftstellers Thomas Mann? Darin geht es um das Scheitern eines asketischen, ausschließlich auf Leistung ausgerichteten Lebens, das ohne zwischenmenschlichen Halt auskommen muss.

Jen:
Ja, den hat es, und ja, so wie du kann man das Buch interpretieren. Ich habe „Tod in Venedig“ gelesen, als wir im Oktober 2019 auf Tour waren, und irgendwie habe ich ein Gefühl des Trostes dabei empfunden. Es passte zu der Stimmung unserer Songs. Und mit einem inhaltlichen Schlenker zu Venice Beach wurde der Albumtitel unvermeidbar.

Das neue Album scheint insgesamt inhaltlich etwas ernster und dunkler zu sein als der Vorgänger. Es geht um Tod, kaputte Beziehungen und Selbstzweifel. Warum ein so düsteres Album?

Jen:
Es gibt nicht den einen speziellen Grund, warum unser Album so geworden ist. Jedes der von mir geschriebenen Lieder ist eine kleine Geschichte, die erzählt werden musste. Meine Stimmung war während der Zeit des Schreibens von Dunkelheit und Romantik geprägt. Ich habe mich viel mit diesen Seiten von mir beschäftigt und mit Kunstformen auseinandergesetzt, die diesen Schwerpunkt haben ...

Poli: Ich hatte in den letzten Jahren keine wirklich glückliche Zeit, hatte mit Alkoholproblemen zu kämpfen, dazu kommt mein Diabetes, über den wir im letzten Interview mit euch schon gesprochen haben. Damit verbunden hatte ich ständig Angst, bis hin zu depressiven Phasen. Im Schreibprozess des Albums war mir das nicht so bewusst, aber wenn ich zurückblicke, sind in meinen Songs diese Töne und Gefühle immer vorhanden. Vielleicht finden sich ja Leute darin wieder und können das verstehen.

Sehr deutlich kommt das im Stück „Two arrows down“ zur Sprache. Aber worum geht im Song „Notre Dame“? Ihn konnte ich nicht so richtig einordnen.

Jen:
Ich wollte ein Lied darüber schreiben, wie es ist, jemanden ewig zu kennen, vielleicht sogar aus einem früheren Leben. Ich hatte bereits ein paar Ideen für ein Lied im Kopf, in dem eine Liebe über Jahrhunderte hinweg existierte, eine Liebe, die sich über Zeit und Raum erstreckte, die aber bis jetzt nie ausgelebt wurde. Ich bekam das leider nicht in eine sprachliche Form. Aber an dem Tag, als ich Notre Dame in den Nachrichten in Flammen aufgehen sah, wusste ich sofort, dass ich die perfekte Symbolik und Metapher gefunden hatte, um diese Idee auszudrücken. Ich setzte mich hin und schrieb an diesem Abend den Text fertig.

Ihr seid sehr aktiv im Internet. Der Song „Can’t come clean“ hat die Textzeilen: „I’m sick of always posting things on the internet. And if I ever read the bullshit, it makes me regret everything“. Was meint ihr damit? Suchen wir alle nur die schnelle Anerkennung anderer Menschen im Netz? Sind wir alle kleine Hedonisten im Internet?

Poli:
Das Internet ist ein großartiger, aber auch beängstigender Ort. Das Einzige, was mir immer wieder in den Sinn kommt und mich bedrückt, ist der Gedanke an die armen Teenager von heute. Ich selber versuche, keine Kommentare über uns oder mich zu lesen. Denn auch wenn ich normalerweise über vieles lachen kann, wäre ich eine Lügnerin, wenn ich sagen würde, dass mich miese Kommentare nicht stören. Niemand mag es, im Internet bloßgestellt zu werden. Um in einer Band zu sein, muss man auf jeden Fall online in der Öffentlichkeit präsent sein, daher muss man lernen, damit klarzukommen.

Jen und Poli, ihr bekommt im Netz teilweise machistische und sexistische Nachrichten, die ihr dann öffentlich vorlest. Warum macht ihr das?

Jen:
Natürlich nervt uns das, aber wir gehen damit auf unsere eigene Art und Weise um. Wir wurden konditioniert, sexistisches Verhalten als etwas Normales zu akzeptieren, und das ist traurig. Ich war noch nie schockiert oder überrascht, wenn ich beleidigende Nachrichten oder Kommentare erhalte. Ich kann mich daran erinnern, dass ich schon mit sieben Jahren von kleinen Jungen auf dem Spielplatz beleidigende und sexistische Kommentare zu hören bekommen habe. Die Band ist eine Plattform und ein Ventil, um sexistische Leute beim Namen zu nennen und ihre Kommentare öffentlich zu machen. Wenn man uns öffentlich Nachrichten zukommen lässt über soziale Medien, lädt man uns ja förmlich dazu ein, diese auch öffentlich infrage zu stellen, mitsamt der Person, die dahintersteckt. Meistens können wir darüber lachen. Lachen über dieses absurde Verhalten einiger Menschen ist manchmal das beste Mittel gegen die Frustration, die es hervorruft.

Josh: Poli und Jen gehen souverän damit um. Sie brauchen uns Männer in der Band wirklich nicht, um für sie zu sprechen. Aber wann immer es eine Gelegenheit für uns gibt, uns einzumischen und irgendeinen Scheiß zu klären, dann sind wir da.

Wann würdet ihr eine Äußerung oder Handlung als sexistisch bezeichnen?

Jen:
Wenn jemand etwas Sexuelles beschreibt, das er gerne mit uns machen würde. Wenn jemand uns als Musikerinnen herabwürdigt. Wenn man annimmt, dass wir im Punk nur wegen unseres Aussehens so weit gekommen sind. Dass wir unsere Sexualität nutzen, um Musik zu „verkaufen“. Wenn uns jemand sagt, dass etwas, das wir sagen, nicht „ladylike“ ist. Wenn jemand versucht, uns zu sagen, was wir als Frauen oder mit unserer Band tun oder nicht tun sollten ... und das sind nur die häufigsten Anlässe.

Pop-Punk ist als Genre schon fast ein Klassiker. Seht ihr euch als eine Art Fackelträger dieser Art von Musik?

Jen:
Ich glaube, wir sind schon in gewisser Weise Fackelträger des Pop-Punk. Wir sind Fans des Genres, auf ganzer Linie. Pop-Punk hat seine eigenen Subgenres, und wir mögen alle davon. Ich denke, diese allumfassende Liebe aller vier Bandmitglieder für dieses Genre ist in unseren Liedern zu hören. Fat Wreck Chords setzt auf einzigartige Weise seit den Neunziger Jahren immer wieder Standards für diese Art von Punkrock. Wir fühlen uns geehrt, ein Teil dieser Familie und ihres Vermächtnisses für unsere Szene zu sein.

Ihr seid permanent auf Tour. Wie verhindert ihr, dass die Band als Vollzeitjob zur Belastung und reinen Pflichterfüllung wird?

Jen:
Es ist kein Vollzeitjob, solange nicht alle Bandmitglieder genug Geld verdienen, um ihr Leben damit zu finanzieren. Daher ist es für uns im Moment definitiv kein Vollzeitjob, auch wenn wir ihn fast hauptberuflich ausüben. In einer Band zu sein, ist ein sehr zeitaufwändiges Hobby und ein künstlerisches Ventil. Ich empfinde es jedoch nie als Last oder Pflicht. Wir alle haben Wege gefunden, auch von unterwegs aus zu arbeiten oder in unserem Privatleben Opfer zu bringen, um das zu tun, was wir tun. Es füllt mich komplett aus, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass das auch für die anderen Bandmitglieder gilt. Sonst würden wir es nicht mehr tun.