CREEPER

Foto© by Andy Ford

Blutsauger und Mummenschanz

Es gibt sie zwar erst seit 2014 – und neun Jahre sind im Vergleich zur gesamten Historie der populären Musik, salopp gesagt, ein Furz. CREEPER aus Southampton in Südengland haben aber diese wenigen Jahre gereicht, um zu einer großen Nummer zu werden. Nicht nur kommen sie mit ihren Alben immer wieder in die Charts. Es sind auch wahre Monstren des Storytellings und des musikalischen Facettenreichtums. Das ist auch bei „Sanguivore“ so, der neuen Platte. Auf ihr wechseln sich Horror-Punk, Glam, Goth- und Hardrock munter ab und bilden den Soundtrack für eine opulente Vampir-Saga. Kurz mal reinhören und wieder weglegen und vergessen ist unmöglich. Wie haben Sänger Will Gould gefragt, wie zum Teufel er und seine Band immer wieder auf solche Irrsinnsideen kommen und was so faszinierend an Blutsaugern und Mummenschanz ist.

Die Songs auf „Sanguivore“ erzählen die Geschichte von Mercy und Spook. Das sind Vampire. Was ist derart faszinierend an diesen Kreaturen, dass sie seit Jahrhunderten Künstler aller Genres inspirieren?

Ich denke, die Vorstellung, der eigenen Sterblichkeit entkommen zu können, ist etwas, das jeden Menschen in irgendeiner Form anspricht. Ich glaube auch, dass diejenigen, die außerhalb der gesellschaftlichen Normen leben – und dazu gehören eben auch Vampire –, etwas zutiefst Romantisches besitzen. Auch die Gefahr, die damit verbunden ist, hat etwas sehr Anziehendes.

Erinnerst du dich an den Moment, als dir die Figur der Mercy das erste Mal in den Sinn kam?
Die Idee für Mercy hatte ich schon seit einiger Zeit, aber sie nahm erst in der zweiten Hälfte unserer Promo-Kampagne zu unserem vorigen Album wirklich Gestalt an. Ich war einfach fasziniert von der Idee eines Charakters, der so rein und unschuldig zu sein scheint, der aber ein tiefes, dunkles Geheimnis verbirgt. „Interview mit einem Vampir“, der Roman von Anne Rice, der Film „So finster die Nacht“ und Nick Caves Song „The curse of Millhaven“ waren allesamt große Einflüsse für ihren Charakter.

Figuren in eigenen Werken – ob Buch oder Song – beinhalten ja oftmals auch einen Teil der Eigenarten des jeweils dahinterstehenden Künstlers. Also welcher Teil dieser Mercy auf „Sanguivore“ könntest du selbst sein?
Ich bin mir nicht sicher, wie viel von mir selbst in Mercy steckt. Wahrscheinlich habe ich einen größeren Bezug zu Spook.

Spook ist das ihr hörige Pendant in den Songs ...
So ist es. Jedenfalls bin ich mir nicht sicher, ob ich es in mir habe, so stark oder so bösartig wie Mercy zu sein!

„Sanguivore“ ist eine Art Goth-Rock-Punk-Oper. Ein Konzeptalbum. So was entsteht nun sicher nicht spontan während der Arbeit an neuen Songs. Es dürfte als Idee schon lange in deinem Kopf herumgeschwirrt sein, oder?
So ist es. Normalerweise schreibe ich die betreffenden Geschichten lange, bevor wir die Songs dazu schreiben. Die Erzählung beeinflusst bei mir allgemein fast jeden Teil der am Ende entstehenden Texte. So eine Geschichte muss also tatsächlich weit im Voraus entstehen, damit die Songs, die wir dann schreiben, den richtigen Flow haben. Und bislang hatte jede unserer Platten eine andere Geschichte sowie eine ganz andere Besetzung von Charakteren. Man könnte auch sagen: Das Schreiben von Musik mit Geschichten im Kopf ist etwas, an das wir uns als Band im Laufe der Jahre gewöhnt haben. Es ist der CREEPER-Weg!

Nun sind Konzeptalben zweifelsohne ein Anachronismus in der heutigen Welt von Streamingdiensten, TikTok und Co. In einer Welt, in der die meisten Menschen Musik vor allem in kleinen, kurzen Schnipseln hören. Also warum ein Konzeptalbum? Wird „Sanguivore“ für viele Leute funktionieren oder wird es eher ein Album für eine Nische, für eine Subkultur werden?
Weißt du, ich habe oft das Gefühl, dass wir eine Band mit einer alten Seele sind. Das bedeutet, ein Großteil der heutigen Musik und die Art und Weise, wie sie verpackt und konsumiert wird, ergibt für uns tatsächlich nicht viel Sinn. So kann man das wohl sagen. Der Künstler, der einen Großteil unseres Materials beeinflusst hat, ist der leider verstorbene große Jim Steinman.

Der Produzent und Songschreiber von Meat Loaf ...
Genau. Die Platte „Bat Out Of Hell“ von 1977, die unter anderem aus seiner Feder stammt, hätte nach allen Regeln des Geschäfte nicht so erfolgreich werden dürfen, wie sie es letztlich war. Es ist schließlich eine extrem ausgefallene Platte. Und als sie auf dem Höhepunkt der Disco-Bewegung veröffentlicht wurde, muss sie geradezu fremdartig auf die Menschen gewirkt haben. Aber sie wurde zu einem der fünf meistverkauften Alben aller Zeiten. Und es sind Geschichten wie diese, die mir wirklich viel Hoffnung geben.

Und wie wollt ihr diese epische Geschichte auf die Bühne bringen?
Wir haben das große Glück, viele wunderbare, kreative Menschen um uns zu haben, die schon seit Jahren mit uns zusammenarbeiten. Meine Partnerin Charlotte ist beispielsweise die Maskenbildnerin, die mein Bühnen-Outfit sowie das Vampir-Make-up für unsere Leute entworfen hat und die mit uns auf Tournee geht. Und dann ist da noch unser fantastischer Lichtdesigner Hayden, der sehr ehrgeizig ist und die Herausforderung liebt, die hinter all dem, was wir machen, steckt. Wie auch immer, auf der Bühne hängt vieles mit den Kostümwechseln zusammen. Für die müssen wir sogar gesondert proben. Es macht jedenfalls sehr viel Spaß, die Show zu „Sanguivore“ zu entwerfen – auch wenn es ziemlich anstrengend ist und da viele kleine Details beachtet werden müssen.

In einem Interview mit unserem Zwillingsheft Fuze hast du 2020 über euer erstes Album „Eternity, In Your Arms“ von 2017 gesagt, dass du nach der Arbeit daran sehr erschöpft gewesen seist. Wie war die Arbeit an „Sanguivore“ im Vergleich dazu?
Das Album „Sex, Death & The Infinite Void“ von 2020 war noch traumatischer als „Eternity ...“. Daher ist es jetzt wunderbar zu berichten, dass ich mich bei „Sanguivore“ überhaupt nicht so fühle! Die Arbeit daran war dieses Mal so gut, so beglückend – auch wenn das Album selbst diese düstere Atmosphäre hat.

2018 habt ihr euch auf der Bühne selbst ins Band-Grab verabschiedet, mit „Sex, Death & The Infinite Void“ dann euer selbsternanntes „Hollywood-Album“ aufgenommen – und nun diese Oper „Sanguivore“. Ganz ehrlich, was kann als Nächstes überhaupt noch kommen?
Ich denke, das Wunderbare an dieser Band ist, dass es schwer ist, in ihre Zukunft zu sehen. Sogar für uns als die Mitglieder von CREEPER. Es gibt zwar durchaus einen Plan, aber ich denke, manchmal wird CREEPER gerade dadurch bedeutsamer, dass die Dinge bei uns nicht immer eine sichere Sache sind. Ich halte es für besser, nicht zu singen, wenn ich nichts zu sagen habe. Und nicht aufzutreten, wenn ich keine Überzeugung dazu in meinem Herzen spüre. Im Guten wie im Schlechten hat dieses Maxime letztlich zu einer Karriere geführt, in der wir uns mit all diesen Dingen Zeit lassen und uns mit dem, was jeweils als Nächstes kommen könnte, zurückhalten.

Gibt es zwischen der Arbeit an all den epischen Songs, die an Meat Loaf, Nick Cave, MISFITS und GHOST erinnern, auch Momente, in denen ihr einfach nur mal Drei-Akkorde-Arrangements in Zwei-Minuten-Songs wie die RAMONES spielen wollt?
Ja, die gibt es. Aber Songs wie „Chapel gates“ und „Sacred blasphemy“ kratzen ja auch schon an dieser Art von Musik. Gerade „Chapel gates“ wirkt für mich wie der direkteste Punk-Song, den wir je gemacht haben!

Apropos MISFITS und GHOST: Die sind, wie ihr als CREEPER, verkleidet unterwegs. Was ist so toll an Kostümen und Verkleidungen als Band?
Für mich war diese Sache immer schon von David Bowie beeinflusst. Bowie war als Kind mein Held. Und es hat mich fasziniert, ihn über die Jahre hinweg mit seinen verschiedenen Masken und Identitäten zu beobachten. Als völlig unterschiedliche Personen aufzutreten, hat mir zudem geholfen, mit meiner Auftrittsangst umzugehen. Und meiner Meinung nach kommen die Songs auf diese Weise live einfach besser zur Geltung.

Wenn dein jüngeres Ich aus den Anfängen von CREEPER die Chance hätte, die Band von heute bei der Aufführung von „Sanguivore“ auf der Bühne zu sehen – was würde dieses jüngere Ich von euch denken?
Ich würde gerne glauben, dass es super stolz darauf wäre, wie weit dieses Projekt gekommen ist. Vielleicht würde der junge Will auch fragen, woher ich meine Lederjacke habe, haha!