DEATH BY STEREO

Foto© by Greg Flack

Viva la revolution!

Acht lange Jahre hat es gedauert, bis DEATH BY STEREO ein neues Album fertig hatten. „We’re All Dying Just In Time“ ist das siebte Studioalbum der Jungs aus Orange County, Kalifornien. Und es wurde in eine sehr unruhige Zeit geboren. Es gibt fast täglich Demonstrationen der „Black Lives Matter“-Bewegung, seit Polizisten den Schwarzen George Floyd in Minneapolis ermordet haben. Straßenschlachten zwischen Antifa und Nazis sind an der Tagesordnung. Gleichzeitig wütet in den USA immer noch das Corona-Virus, was Konzerte bis auf Weiteres unmöglich macht. Das alles hatte natürlich eine enorme Wirkung auf die zehn neuen Songs von DEATH BY STEREO, wie Sänger Efrem Martinez Schulz erklärt.

„We’re All Dying Just In Time“ ist mal wieder ein typischer Albumtitel für DEATH BY STEREO. Bis auf eine Ausnahme hatten alle mit Tod oder Sterben zu tun.

Das ist natürlich sarkastisch gemeint und soll widerspiegeln, wie es generell in der Welt so läuft derzeit. Ich bin jetzt schon älter, ich sterbe gerade noch rechtzeitig, während die Welt gerade den Bach runtergeht. Ich freue mich aber auch sehr über die Jugend. Sie ist bereit, während der Corona-Pandemie ihr Leben zu riskieren und für ihre Rechte zu kämpfen. Ich schwärme in diesen Tagen immer von Deutschland. Dort würde ein Nazi auf offener Straße verprügelt werden und bei jedem Konzert rausfliegen. Hier sucht man für die Nazis ständig nach Entschuldigungen und gibt ihnen jede Menge Raum. Deshalb finde ich, wir sollten uns ein Beispiel an Europa nehmen und Nazis konsequent bekämpfen. In vielen Songs auf dem Album geht es genau darum. Ich träume schon lange von einer kulturellen Revolution. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass ich so einen Wechsel noch erlebe. Das gibt mir wirklich Hoffnung.

Du sprichst von Hoffnung, aber die ganze Platte klingt ziemlich angepisst.
Das stimmt. Die Musik ist sehr wütend. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es eine Lösung für die ganze Situation gibt. Ein Licht am Ende des Tunnels. Wir müssen einfach weiter kämpfen. Und wenn ich das Ende dieses Kampfes nicht mehr miterlebe, wird es irgendwann später passieren. Da bin ich mir sicher. All diese rechtsgerichteten Typen hier machen mich stinksauer. Donald Trump hat ihnen eine Stimme gegeben. Sie hatten sich die ganze Zeit versteckt und hatten Angst. Aber jetzt kommen sie alle aus ihren Löchern gekrochen, weil sie von unserem Präsidenten repräsentiert werden. Der komplette Untergrund ist deshalb gerade auf der Straße und stellt sich diesen Nazis entgegen. Und nur ein Bruchteil davon wird in den Medien übertragen. Die Polizei tötet jeden Tag Menschen. Die Demonstrationen gehen also weiter. Wir bekommen immer wieder Anrufe, dass die Polizei eine Sperrstunde für 22 Uhr ausgerufen hat. Wer danach noch auf der Straße erwischt wird, wird verhaftet.

Beteiligst du dich auch an den Protesten? Bist du dabei?
Ich war bei einem Marsch in Orange County dabei. Aber ich habe das Ganze aus der Entfernung beobachtet, weil ich einen Neffen habe, der Probleme mit seinem Immunsystem hat. Außerdem muss ich auch wegen meiner Mutter sehr vorsichtig sein. Ich habe eine Maske und Handschuhe getragen und mich so weit wie möglich von anderen ferngehalten. Aber ich war dabei. Ich bin so wütend, dass mich meine Mutter schon ein paar Mal daran hindern musste, das Haus zu verlassen. Das große Problem ist, dass diese Revolution während der Corona-Pandemie passiert. Aber ich bin sehr stolz auf die Leute da draußen, die sich weder von Polizei oder Regierung einschüchtern lassen noch von der Gefahr, sich anzustecken. Zum ersten Mal in der Geschichte stürzen wir die rassistische Monumente unseres Landes. So wie ihr es in Deutschland schon früher gemacht habt. Hier bei uns werden alle Aktivisten der Antifa inzwischen als Terroristen gebrandmarkt. Donald Trump versucht das gerade amtlich feststellen zu lassen. Das bedeutet, ein 15-jähriger Skater mit Antifa-Sticker auf seinem Board wandert in den Knast, wenn sie mit diesem Gesetz durchkommen. Deshalb müssen wir mit allem dagegen ankämpfen, was wir haben. Die Polizei tötet Menschen vor laufender Kamera. Das juckt niemanden. Deshalb sind momentan vor allem die Leute der extremen Lager auf der Straße. Rechte und Linke rennen mit Knarren draußen herum. Ich finde ja, wir brauchen jetzt die Black Panthers zu unserem Schutz. Denn das Militär und die Polizei werden uns nicht beschützen. Wir haben einen Präsidenten, der in großem Reichtum aufgewachsen ist und es gewohnt ist, alles zu bekommen, was er sich wünscht. Wie ein großes Baby. Und wenn er etwas nicht bekommt, stampft er wütend mit dem Fuß auf und schreit: Schafft sie endlich weg! Sie sind mir im Weg! Er ist einfach ein Tyrann. Der Typ hat so vielen Amerikanern das Hirn gewaschen und ihnen eingeredet, wenn du an Wissenschaft oder Freiheit glaubst, bist du ein Kommunist. Wir hatten sogar schon Ärger, weil wir auf unserer Website geschrieben haben: Passt auf den Straßen auf, steckt euch nicht an, wir sind auf eurer Seite! Daraufhin hat ein Typ in unsere Kommentarspalte geschrieben, wir wären Kommunisten. Ich habe ihm geantwortet: Du weißt wohl nicht, was Kommunismus bedeutet? Ich habe gesehen, wie sehr Menschen im ehemaligen Ostblock unter Kommunismus gelitten haben, das würden wir nie unterstützen. Momentan wird wirklich alles miteinander vermischt. Ich kann ja verstehen, warum extrem arme weiße Menschen in den Südstaaten diesen Typen aus dem Fernsehen wählen, der ihnen Jobs verspricht und die Schuld an der Misere auf die Mexikaner schiebt. Sie sind ungebildet und leben mitten im Nirgendwo. Aber wir müssten uns alle vereinigen im Kampf gegen das Geld. Denn das ist der eigentliche Gegner.

Soweit ich weiß, bist du selbst halb Mexikaner, halb Deutscher, richtig?
Mein Vater war Deutscher und meine Mutter ist Mexikanerin. Mein Vater ist allerdings in Mexiko geboren und aufgewachsen. Seine Eltern kommen eigentlich aus Berlin und sind irgendwann ausgewandert. Als ich noch ein Kind war, hat mein Vater besser Deutsch und Spanisch gesprochen als Englisch. Deshalb fühle ich mich Deutschland sehr verbunden. Genauso wie den Menschen in Mexiko. Ich finde, wir sind alle gleich. Wir müssen nur die Leute besser erziehen und ihnen diese Einstellung beibringen. Einzig zu Nazis sollten wir nicht freundlich sein. Im Zweiten Weltkrieg waren wir auch nicht nett zu Nazis. Keiner hat Hitler besiegt, indem er freundlich zu ihm war. Und jetzt ist es wieder Zeit, gegen Adolf Hitler zu kämpfen, nur heißt er jetzt eben Donald Trump.

Hast du Angst, dass die Proteste sich noch ausweiten und es zu einem Bürgerkrieg kommen könnte?
Ich denke, wenn die Polizisten, die George Floyd getötet haben, nicht die Höchststrafe bekommen, wird es einen Bürgerkrieg geben. So fühlt es sich gerade an. Momentan stehen wir noch ganz am Anfang der Revolution. Ich bin sehr stolz darauf, dass all diese Statuen fallen, die für Rassismus und Sklaverei stehen. Die Leute schließen sich zusammen und versorgen sich übers Internet gegenseitig mit Informationen. Ich habe das Gefühl, dass wir uns langsam in die richtige Richtung bewegen. Am Ende des Tages werden wir erkennen, dass wir alle schwarz sind. Weil sich alle Kulturen vermischen werden und irgendwann wirklich alle gleich sind. Irgendwann wird die Hautfarbe keine Rolle mehr spielen. Davon bin ich fest überzeugt.

DEATH BY STEREO haben sich schon früher mit Polizeigewalt und Rassismus beschäftigt. Bereits vor acht Jahren habt ihr den Song „The 5th of July“ geschrieben. Da ging es um einen Schwarzen, der in Fullerton getötet wurde.
Er hieß Kelly Thomas und war obdachlos. Er wurde 2011 von sechs Polizisten zu Tode geprügelt, obwohl er nichts gemacht hatte. Ich bin mit dem Polizisten, der ihn getötet hat, zur Schule gegangen. Ich kann mich noch gut an den Typen erinnern, er war damals schon ein totales Arschloch. Solche Leute werden Polizisten, weil sie Macht und Kontrolle haben wollen. Soziopathen suchen sich gezielt Jobs bei Polizei oder Militär aus. Und Kelly Thomas ist nie Gerechtigkeit widerfahren. Dieser Polizist ist auf freiem Fuß und trainiert eine Baseball-Kindermannschaft. Bei den Riots in L.A. in den Neunzigern haben die Leute eine Schlacht gegen die Polizei gewonnen, aber der Krieg ging weiter. Die Situation hatte sich kontinuierlich verbessert, bis Donald Trump an die Macht kam. Seine große Trumpfkarte ist, dass er schon vorher ein Promi war. Da stehen die Amerikaner total drauf. Sie glauben immer noch, was ihnen Menschen im Fernsehen erzählen, ist die Wahrheit. Deshalb forderten die Punks schon in den Achtzigern: Kill your TV!

Wie kommt ihr als Band mit der Corona-Pandemie zurecht? Ohne Konzerte, ohne Einkünfte?
Das ist ganz schön schwierig. DEATH BY STEREO wollten immer anders sein als andere Bands. Viele machen zu Hause Musik und schalten sich in Videokonferenzen zusammen. Wir waren aber immer eine Einheit, wir waren vor allem immer eine Live-Band. Unsere Energie speist sich aus unserer Einheit. Daher mussten wir einfach kreativ werden und veröffentlichen jetzt drei Videos zu drei Singles. In jedem Video finden wir einen Weg, uns voneinander zu isolieren und trotzdem zusammen zu sein. Natürlich mussten wir auch alternative Möglichkeiten auftun, Geld zu verdienen. Das ist gar nicht so einfach, denn es gibt nicht viele Jobs, viele Läden sind immer noch geschlossen. Ich habe inzwischen einen Job im Supermarkt gefunden und das ist ganz schön gefährlich. Du könntest dich jeden Tag mit dem Corona-Virus anstecken. Wir versuchen gerade alle mit dem bisschen Geld durchzukommen, das wir zur Verfügung haben. Ich habe schon jede Menge Sachen auf eBay verkauft. In Amerika gehen sie davon aus, dass 90% aller Live-Clubs und Venues aufgeben werden. Auf Tour gehen wird für uns also mittelfristig keine Option mehr sein. Aber ich glaube, die ganze Situation wird gerade der lokalen Szene neue Chancen eröffnen zu wachsen. Lokale Bands wurden zu Unrecht oft ignoriert. Das wird sich jetzt ändern. Das wird auch die DIY-Szene wiederbeleben. Es gab mal Zeiten, in denen Bands wie AGNOSTIC FRONT nicht in einem Mainstream-Venue spielen konnten. Sie mussten in einem Keller oder in einem Restaurant auftreten. Diese kreativen Lösungen werden wieder kommen. Und das ist gut für Punkrock und Hardcore. Das wird vor allem den jungen Bands einen Schub geben.

Glaubst du, dass es für US-Bands wieder möglich sein wird, wie früher in Europa zu touren?
Das wird ziemlich teuer und viel komplizierter als vorher. Denn die Kosten für Flüge werden extrem steigen. Es mag sein, dass wir nicht mehr so oft nach Europa kommen, aber wir werden niemals aufhören zu touren. Wir haben so viele Fans und Freunde in Europa, das ist fast wie eine Familie für uns. Wenn das bedeutet, dass wir in unseren Nebenjobs zu Hause viele Überstunden machen müssen, um das alles zu finanzieren, dann ist es einfach so. Wir müssen die Bewegung und die Botschaft am Leben halten. Wir dürfen diese Szene nicht sterben lassen und dafür brauchen wir vor allem die Jugend. Mehr als je zuvor. Ich kenne hier in den Staaten viele wirklich sehr gute Bands, die das Internet viel effektiver nutzen als wir. Sie verbreiten ihre Botschaften viel schneller. Ich habe schon jede Menge DIY-Show bei uns gesehen. Das sind Bands, die unglaublich open minded sind. Der alte Hass wird irgendwann sterben. Dann sind wir alle voller Liebe und Einigkeit.

Apropos Familie: Ihr habt das neue Album mit Paul Miner aufgenommen, der vor 15 Jahren noch Bassist von DEATH BY STEREO war. Woher kommt diese alte Verbundenheit?
Paul ist wie ein Bruder für mich. Wir sind uns immer noch sehr nah. Er hat damals die Band verlassen, um sich auf seine Karriere als Produzent zu konzentrieren. Wir haben dann ohne ihn weitergemacht, aber wir sind immer in Kontakt geblieben. Deshalb hatten wir in seinem Studio schon ein paar Demos für das neue Album aufgenommen. Das hat sich angefühlt wie zu Hause, deshalb haben wir gleich das komplette Album dort produziert. Ich komme als Künstler oft nicht weiter und bin gedanklich blockiert, und Paul kann irgendwie in meinen Kopf schauen und den Gedanken zu Ende denken. Er kann in meinem Kopf und in meinem Herzen Türen aufschließen. Er hat übrigens auch das letzte AGNOSTIC FRONT-Album produziert. Das finde ich genial. Er schafft es einfach, das Beste aus den Bands herauszukitzeln.

Ich habe mal alle Musiker zusammengezählt, die jemals Mitglied bei DEATH BY STEREO waren. Ich kam auf sechs Gitarristen, vier Bassisten und fünf Drummer. Warum ist es so schwer, bei DEATH BY STEREO zu bleiben?
Weil wir einfach zu hart arbeiten, haha. Es gab Zeiten, in denen wir unheimlich viel getourt sind. Es gab Jahre, in denen wir acht Monate lang unterwegs waren. In den Nuller Jahren waren wir fast zweieinhalb Jahre nonstop unterwegs, zwischendurch waren wir maximal eine Woche zu Hause, bevor es wieder losging. Das fordert natürlich seinen Tribut. Einige Jungs haben Familien gegründet, andere wollten einfach was anderes machen als Musik. Ich kann das schon verstehen. DEATH BY STEREO waren schon immer eine intensive Band, aber wir hatten auch immer jede Menge Spaß. Jeder, der jemals Teil dieser Band war, hat bis heute einen Platz in meinem Herzen. Wir sind alle noch Freunde und darauf bin ich ziemlich stolz.

Eine ähnliche gute Beziehung pflegt ihr offenbar mit eurem ersten US-Label Indecision Records. Nach über zwanzig Jahren seid ihr dahin zurückgekehrt. Warum?
Dave Mandel, der Besitzer von Indecision Records, ist einfach der Beste. Wir sind über all die Jahre Freunde geblieben. Als wir damals bei seinem Label waren, haben wir ein Angebot von Epitaph bekommen und er hat uns keine Steine in den Weg gelegt. Wir konnten es selbst kaum glauben und hielten das Angebot zuerst für einen Scherz von unseren Kumpels. Wir waren damals eine kleine Band, die DIY-Shows gespielt hat. Dave hat uns sogar ermutigt, das Angebot anzunehmen und uns einfach aus unserem Vertrag entlassen. Die Musik von unserem neuen Album fühlt sich an wie in unseren Anfangstagen, deshalb hat es einfach gut gepasst, zu Indecision Records zurückzukehren. Dave hat inzwischen jede Menge junger Bands unter Vertrag genommen und ist ziemlich aktiv in der Hardcore-Szene. Dafür bewundere ich ihn. Es fühlt sich gut an, wieder Teil seines Labels zu sein. Im Rest der Welt kommt das Album bei Concrete Jungle Records heraus, die wir seit 2012 als Familie betrachten. Matze und Tobbe sind wirklich großartig, die zwei haben uns immer gut behandelt und unterstützt. Die beiden Labels kooperieren auch sehr gut miteinander. Das ist der Beginn einer neuen Ära für uns.