DRITTE WAHL

Foto© by Robert Eikelpoth

Wenn sogar Bela B verwirrt ist

Weite Hosen, ärmellose Shirts und geschminkte Augen, eine Pyro-Show und Protzen mit Treckern: So sieht das Video zum Song „Zusammen“ von DRITTE WAHL aus. Damit haben Schlagzeuger Krel, Keyboarder und Gitarrist Holger, Bassist Stefan und Sänger und Gitarrist Gunnar für Irritation nicht nur unter ihren Fans gesorgt. Der Song ist Teil des neuen Albums „3D“. Am besten einfach bei Gunnar nachfragen ...

Gunnar, wie geht’s?

Ganz ehrlich, beschissen!

Wieso?
Ich habe eine Familie mit zu ernähren, eine Wohnung und eine Krankenkasse, die Geld kosten ...

... und das kommt zur Zeit nicht rein?
Nee, da aktuell keine Konzerte stattfinden, kommt nun mal kaum Kohle rein. Und weil keiner weiß, wann es wieder weitergeht, hängen wir im Moment in der Luft. Unser Keyboarder und Gitarrist Holger liefert Gemüse aus, der ist relativ safe. Bassist Stefan betreibt eine T-Shirt-Druckerei, bei der wegen nicht tourender Bands weniger Aufträge reinkommen. Und bei Schlagzeuger Krel sieht’s noch schlechter aus, der ist sonst auch im Bühnenaufbau tätig. Mir bleibt noch die Labelarbeit. Ich will aber nicht zu laut jammern. Die letzten zwanzig Jahre habe ich mich vor Arbeit drücken können, zur Not suche ich mir eben einen Job neben DRITTE WAHL.

Wie seid ihr als Band bisher durch die Corona-Krise gekommen?
Wir waren mitten in den Aufnahmen zur Platte und lagen eigentlich super im Zeitplan, aber dann konnten Krel und Stefan nicht aus Mecklenburg-Vorpommern, wo sie wohnen, nach Münster kommen, wo Holger und ich leben und wo unser Proberaum ist. Wir sind aber auch unendlich dankbar für die Leute, die uns den Shop leergekauft und dadurch unterstützt haben.

Ein Streaming-Konzert gab’s auch, oder?
Ja, das haben wir im und für unser „Wohnzimmer“, den M.A.U. Club in Rostock, gespielt. Dafür haben wir uns überlegt: Was würden wir gut finden, was eine Band macht. Dadurch sind wir darauf gekommen, dass wir auch mal die Crew um uns herum zu Wort kommen lassen. Außerdem konnte die an dem Abend noch etwas Geld verdienen. Wir haben Spenden von 16.000 Euro sammeln können, die wir mit dem Club durch zwei geteilt haben. Daher jammern wir auf hohem Niveau. Ich mag dieses Gebettel auch nicht. Ich glaube auch, dass die Spendenbereitschaft zurückgehen wird, wenn immer mehr Bands und Clubs, aber auch Angestellte sich näher ans Existenzminimum bewegen.

Hast du Sorge um die Branche?
Ja, absolut. Ich habe Sorge darum, dass Immobilienmakler rund um Clubs wie dem Hafenklang in Hamburg sich schon das Lätzchen umgebunden haben und nur darauf warten, auch aus dem Laden edle Lofts zu machen. Meine Befürchtung ist, dass es hier bald aussieht wie in Italien, wo die Clubs nur noch in Industriegebieten sind und die Innenstädte noch einheitlicher aussehen. Ich habe Sorge, dass es bald keine kulturellen Rückzugsorte mehr gibt.

Hast du noch Akzeptanz für die Schutzmaßnahmen?
Ich maße mir nicht an, das zu beurteilen. Ich will die Pandemie nicht leugnen und hoffe weiterhin auf den Impfstoff. Das größere Problem ist die Geldverteilung. Im Mittelmeer ertrinken tausende Menschen und das ist nur eine kurze Nachricht wert. Wenn hier aber mehrere Menschen an Corona sterben, gibt es im ARD gleich einen „Brennpunkt“ zum Thema.

Ihr spielt jetzt ein paar Sitz- und Strandkorb-Konzerte. Wie ist das für euch?
Besser, als vor Autos zu spielen, weil man die Leute dann wenigstens sieht. Ich hoffe einfach, dass wir demnächst sagen können: Weißt du noch, damals, als wir Konzerte im Strandkorb besucht haben?

Spielt ihr dann ein besonderes Set?
Nein, ein paar Songs vom neuen Album und viele Klassiker.

Apropos neues Album: Nach „Nimm drei“, dem zehnten Album namens „10“ kommt jetzt „3D“ – ist das auch wieder eine Anspielung auf euch?
Na ja, wenn man DRITTE WAHL heißt, ist es erschreckend, dass man erst nach 32 Jahren auf die Idee kommt, haha! Wir spielen da jetzt auch etwas mit der Grafik. Vielleicht machen wir auch mal ein 3D-Konzert, aber erst wenn es wieder Hallenkonzerte gibt.

Was erwartet die Hörenden auf dem Album?
Eine typische DRITTE WAHL-Platte. Wir haben den Rock’n’Roll nicht neu erfunden. Das tun wir erst, wenn wir ans Aufhören denken, haha!

Ihr habt noch mehr mit den Sounds experimentiert, als man es von euch bis zum letzten Album gewohnt war. In dem Song „Fabelhafte Voraussetzung“ gibt es sogar sehr präsente Keyboards und Effekte auf der Stimme. Was für ein Konzept steckt dahinter?
Ich freue mich immer sehr, wenn ich bei anderen, auch älteren Bands einen Aha-Effekt erlebe und merke, die haben da etwas Neues, haben experimentiert und etwas ausprobiert. Und da, wo es passte, wollte ich genau das auch bei dieser Platte haben.

Auf all euren Alben finden sich neben harten Brettern auch Balladen, wie in diesem Fall „Abends halb zehn“ oder „Alles nur Chemie“. Woher kommt diese Liebe zur Melancholie?
Wir werden ja auch liebevoll „Die SCORPIONS des Punkrock“ genannt, haha! Tatsächlich kommt diese Tradition aber wohl daher, dass wir alle auch aus dem Metal-Bereich kommen und da sind softe Songs neben üblem Geballer ja auch nicht unüblich. Und: Es muss auch Musik für die traurigen Momente geben. Wir gehen aber auch nicht hin und sagen: Oh, wir brauchen aber noch eine Ballade fürs Album.

Ein weiteres Beispiel ist „Elektro Merten gibt’s nicht mehr“. Welche Geschichte steckt dahinter?
In Münster gab’s mal so einen kleinen Laden, wo man eine einzelne Steckdose und ein paar Meter Kabel kaufen konnte, und bekam gleich noch die passende Beratung dazu, wie man das Ding einbaut. Und den gibt es leider nicht mehr, verdrängt von irgendwelchen Ketten und Online-Riesen. Schade!

... und in „Zur See“ willst du einfach nur weg. Was soll uns das sagen?
Der Song ist für solche Tage, an denen mal wieder alles scheiße ist und man denkt: Wäre ich damals doch zur See gegangen oder hätte nicht auf meine Eltern gehört und doch Kunst studiert oder so.

Wärst du echt gerne zur See gefahren?
Das hätte ich gar nicht gekonnt! Ich bin ja noch in der DDR großgeworden. Weil ich Verwandtschaft im Westen hatte, hätte ich gar nicht zur See fahren dürfen. Und die Jobs auf See sind, glaube ich, gar nicht so romantisch, wie man oft denken mag.

Dagegen steht der Song „Wenn ich groß bin“, in dem es noch um Pläne geht. Was hast du für Pläne?
Ich habe gar keine Pläne. Mache ich auch nicht. Erst recht nicht in diesen unsteten Zeiten. Es geht aber auch darum, dass man oft sagt: „Das mache ich, wenn ich groß bin.“ Und auf einmal bringt man seinen eigenen Sohn fürs Auslandsjahr zum Flughafen und hat das Auslandsjahr selbst nie gemacht. Man kann’s aber auch einfach machen: Vor ein paar Jahren habe ich hier die Segel gestrichen und bin für eine Zeit lang mit meiner Familie auf die Lofoten gezogen.

Mein Highlight – und damit bin ich nicht allein – ist der Song „Zusammen“. Wir haben den Song neulich auf Facebook und Instagram geteilt und niemand Geringeres als ein gewisser Herr Bela B hat uns daraufhin angeschrieben. Ich zitiere: „Sag mal, irgendwie feiere ich den Zusammen-Song von DRITTE WAHL (auf Empfehlung von euch), weil der so hirnrissig is. Musik & Text sind so unfassbar doof, dass es schon ernst gemeint sein könnte. Ich weiß, dass das ’ne Hommage sein soll & wohl auch lustig, aber was genau bezwecken die damit? Warum macht man dass als Single? Schräg!!“
Weil’s lustig ist. Und weil wir’s können, haha! Ach, wir wollten mit dem Song gar nicht so eine Diskussion lostreten. Aber Danke für das Feedback. Die Idee dahinter ist, dass man so oft Lieder hört, die irgendwie von Zusammenhalt handeln wollen, im Endeffekt viel „Wohoo“, aber überhaupt gar keinen Inhalt transportieren. Damit das dann als Quasi-Satire rüberkommt, haben wir eben so dick aufgefahren mit krassem Sound, Pyro-Effekten im Video und einer eigenen Klamotten-Kollektion zu dem Song. Die Ironie dahinter ist aber trotzdem nicht bei allen angekommen. Wir bekommen tatsächlich Zuschriften von Menschen, die uns schreiben: „Ich mochte eure Musik und die cleveren Texte doch immer so – was soll das jetzt? Wollt ihr nur Geld verdienen?“ Am erschreckendsten finde ich aber, wenn Menschen nicht erkennen, dass es eine Parodie ist und das Ding im Ernst gut finden. Vor dem Hintergrund haben wir den Song auch etwas outgesourcet und nur als Bonustrack veröffentlicht. Und wer die Ironie nicht versteht, während im Hintergrund Trecker von den Nachbarn unseres Bassisten stehen, um die Menschen tut’s mir dann leid.