G31

Foto© by Thomas Ertmer

Konfrontationstherapie mit Charme

Die Hamburger Band G31 hat mit „Die Insel der versunkenen Arschlöcher“ kürzlich ihr zweites Album veröffentlicht. Vertrackte Sounds, kritische Alltagsbetrachtungen und düstere Visionen und doch voller Charme, so beweisen G31, dass aus der Hansestadt immer noch gute politische Punkbands kommen. Wir sprachen mit Captain (gt), Mitra (voc), Peter (gt), und Petting (bs) über das neue Album, Idioten beim G20-Gipfel, die Klimakrise, aber auch über künstlerische Fortschritte. Nicht dabei war Schlagzeuger Ille.

Im Vergleich zum Vorgänger „Alles auf Null“ ist euer neues Album doch vertrackter und komplexer geworden. Schlicht musikalische Weiterentwicklung oder ist das eurem Neuzugang Peter von ANTIKÖRPER geschuldet?

Captain: Sowohl als auch. Als Band möchte man sich natürlich weiterentwickeln, besser werden und immer noch mal einen draufsetzen. Ich als Gitarrist habe schon verstärkt darauf geachtet, dass die Riffs und neuen Songideen von mir abwechslungsreicher und komplexer sind als auf dem ersten Album. Die Songs für das zweite Album standen fast alle schon fest, als Peter bei uns eingestiegen ist. Er hat seine ganze langjährige Erfahrung perfekt eingebracht, noch richtig tolle Ideen gehabt und so manchen Songs den letzten Feinschliff gegeben. In einigen Songs haben bestimmte Parts nicht so gut zusammengepasst und da hatte Peter wirklich gute Einfälle, einige Parts anders zu spielen oder gewissen Songs noch das gewisse Etwas zu verleihen, wie beispielsweise bei „Sonne im Park“ mit dieser wunderschönen Melodie am Ende des Songs.

Das erste Album „Alles auf Null“ habt ihr noch in Eigenregie veröffentlicht, jetzt seid ihr auf Sterbt Alle Records. Wie ist es dazu gekommen?
Captain: Ja, das erste Album haben wir komplett selbst DIY-mäßig veröffentlicht und auch nur auf CD. Die Zusammenarbeit mit Sterbt Alle Records lag auf der Hand, denn das Label wurde von meinem langjährigen Kumpel Gierfisch zusammen mit Mike ins Leben gerufen. Mit Gierfisch gebe ich seit 24 Jahren zusammen das Mind The Gap-Fanzine heraus. Er hat zudem durch seinen Job im Musikbiz gute Kontakte und Ideen. Das kann für uns als Band nur positiv sein.
Peter: Für mich war es tatsächlich die erste Produktion einer LP, die ich von der Aufnahme bis zum Mastering gemacht habe. Ille, der das erste Album produziert hat, hat mich dabei die ganze Zeit großartig unterstützt. Ille und ich waren uns von Anfang an einig, dass die Aufnahmen wie im Proberaum oder auf der Bühne klingen sollten. Ich denke, das Verhältnis von Transparenz, Räumlichkeit und Dynamik ist ziemlich stimmig. Brutal laut und komprimiert bis zum Anschlag, wie heutzutage weit verbreitet, das wären nicht G31.

Wie seid ihr auf den LP-Titel „Die Insel der versunkenen Arschlöcher“ gekommen? Konkret: Wer sind diese Arschlöcher?
Captain: Die Welt besteht ja quasi zu über 90% aus Arschlöchern. Oder ist das noch untertrieben? Von den meisten Leuten kam zum Albumtitel sehr positives Feedback. Mein guter Freund Thomas mag unser Album in musikalischer Hinsicht sehr, aber den Albumtitel findet er einfach scheiße. Das ist alles Geschmackssache. Zum Albumtitel konkret kann Mitra aber mehr sagen.
Mitra: Ich folge seit einigen Jahren der Playlist einer Freundin mit dem Namen „Island of Sunken Assholes“, wo man allen möglichen Post-Punk-Guilty-Pleasure-Quatsch findet, kommerziellen Kram eben. Sie meinte, dass sie sich beim Hören eine Art Atlantis vorstellt, mit dem alle Arschlöcher untergehen, die ihr im so Alltag begegnen, das ist wohl ihre Art der Psychohygiene. Sie glaubt auch an Aliens und so was. Ich fand das abgefahren genug, um daraus ein Konzeptalbum zu machen.

Wer ist für das liebevolle Artwork des Albums verantwortlich?
Mitra: Schon von Anfang war klar, wen wir da auf die Insel verbannen wollen und wie die Songs darauf im Einzelnen wiederzuerkennen sind. Da habe ich einfach meinen Kopf durchgesetzt und war sehr dankbar, dass mir freie Hand gelassen wurde. Die Idee für die Collage entstand durch Recherche rund um die Stasi-Bespitzelung von Punks in der DDR, deren Berichte mich ziemlich schockiert haben und wo ich mir vorgestellt habe, was eigentlich über uns gesagt werden könnte in irgendwelchen Akten. Mittlerweile ist aber ja klar, dass Punkrock keine Gefahr für die Weltordnung darstellt, daher fand ich die Idee sehr witzig, das Ganze ein bisschen zu übertreiben und auszuschmücken.

„Wir.Dienen.Nicht“ ist einer meiner Lieblingssongs auf der LP, gerade auch wegen des Textes. Was bedeutet er für euch?
Mitra: Die Titelidee kam von Kai, unserem alten Gitarristen, als ich ihn fragte, wie ich die Bundeswehr-Tragetasche mit der Aufschrift „Wir.Dienen.Deutschland“ neugestalten könnte. Für mich bedeutet der Song vor allem Erholung. Jedes Mal, wenn ich ihn singe, kann ich wieder ein bisschen besser über meine kleinen und größeren Macken hinwegsehen und etwas Druck rausnehmen. Es ist meine Art der Wehrfähigkeit gegenüber einer Leistungsgesellschaft, die in sich völlig obsolet geworden ist.

In „Flaschenwerfer“ erzählt ihr eine Liebesgeschichte der besonderen Art. Wie ist der Text entstanden?
Mitra: Der Song ist aus den Erfahrungen rund um den G20 entstanden, bei dem mir klar wurde, dass bei dieser Verabredung zur Eskalation auf beiden Seiten ziemlich viele Idioten standen. Für die war das bestimmt ein heißes Date mit der Gewalt, für alle anderen einfach nur zum Kotzen. Letztlich hat diese lokale Gewalt niemanden aufgerüttelt oder dazu geführt, dass die Bürger die globale Zerstörung durch die Kriege irgendwie ernster nehmen und sich jetzt vermehrt politisch engagieren und zum Beispiel Waffenlieferungen durch Deutschland zu stoppen. Sie klicken weiter einfach „Like“ bei Facebook und glauben immer noch, dadurch etwas bewirken zu können. Die Mauer um Europa wurde einfach noch ein Stückchen höher gezogen. Gewalt erzeugt Gegengewalt.

In „Dysutopie“ malt ihr das düstere Bild einer Zukunft, in der die Menschen auf Grund der selbstgemachten Umweltveränderungen mutiert sind und die Stoff für manchen Science-Fiction-Horrorfilm bieten könnte.
Captain: Im Hinblick auf das Klima und die Umweltzerstörung sehe ich schwarz für die Zukunft. Die Naturkatastrophen haben in den letzten Jahren schon zugenommen und das wird noch mehr werden. Fast alle Länder erreichen nicht ihre gesetzten Klimaziele. Die Auswirkungen der Klimakatastrophe sind bereits spürbar. Hierzulande gab es in den letzten Jahren verstärkt Überflutungen und Erdrutsche. Das wird künftig noch weiter zunehmen. Weltweit gesehen schmelzen Polkappen und Gletscher und der Meeresspiegel steigt. Die Menschen lernen nichts dazu. In den kommenden Jahren werden noch viele Tier- und Pflanzenarten aussterben. Das sind alles keine schönen Aussichten.
Petting: Wenn ich mich umsehe, beobachte ich, dass sich immer noch jeder Arsch für jede Scheiße ins Auto oder ins Flugzeug setzt, die Industrie uns mit Plastikmüll zuscheißt und es diesem Land nicht mal möglich ist, ein Tempolimit einzuführen. Daher sehe ich sehr besorgt in die Zukunft. Wir erzählen den Brasilianern, dass sie den Urwald nicht abholzen sollen, roden aber ein intaktes Waldstück für eine Autobahn und dergleichen. Ist das Verarschung, Zynismus oder alles zusammen? Es wird verheerende Dürren geben, Kriege um Wasser und damit einhergehend riesige Flüchtlingsströme. Das Problem wird ignoriert. Man hofft, das wird schon. Das Thema ist schon seit den Siebzigern bekannt, damals wurde man noch als Idiot bezeichnet, wenn man so was anmahnte. Das ist heute etwas anders, außer bei der AfD, aber 90% der Leute haben ihr Verhalten trotzdem noch nicht umgestellt. Neulich frage ich einen Zwanzigjährigen, ob ihm das alles Angst macht, und bekomme als Antwort: Ich hoffe, dass ich das alles nicht mehr erleben werde. Er denkt kurz nach und ergänzt: Und meine Kinder und Enkel auch nicht. So viel Beschränktheit macht mich sprachlos. Zum Glück gibt es aber auch viele jugendliche Aktivist:innen zum Beispiel bei Extinction Rebellion oder Letzte Generation. Solchen Leuten zolle ich höchsten Respekt, in diese Leute setze ich meine Hoffnung.