GOD DAMN

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Schlachthaus-Blues

Was tun während des Lockdowns? Eine Platte machen. Was sonst? GOD DAMN aus Wolverhampton bei Birmingham hatten zwar erst Anfang 2020 ein Album veröffentlicht, aber wer so mitreißenden, brachialen Noisepunk spielt, darf gerne zeitnah nachlegen – „Raw Coward“ heißt das Werk. Frontmann Tom Edward erweist sich zudem als ausgesprochen sympathischer und gesprächiger Gesprächspartner.

Tom, in einem anderen Interview eben sprach ich über obsessives Verhalten. Kennst du so was bei dir, etwa was eine Sammelleidenschaft anbetrifft? Oder bist du am Ende ein „Horder“?

Nun, ich habe ja gerade erst unser neues Album selbst aufgenommen, und ich muss sagen, ich habe in dem Kontext eine Leidenschaft für Mikrofone entwickelt. Mikros sind jetzt mein Ding, gerade auch etwas teurere. Das ist also meine neue Obsession, „microphone hording“.

Zumindest brauchen die nicht so viel Platz, haha. Euer letztes Album, das Anfang 2020 erschien, hattet ihr noch mit der Starproduzentin Sylvia Massy aufgenommen, das neue namens „Raw Coward“ hast du quasi im Alleingang produziert. Wie kam das – nur durch die Corona-Pandemie?
Beim letzten Album hatte uns unser Plattenlabel die Möglichkeit eröffnet, mit ihr aufzunehmen, und ich sah das als Chance, eine Praxislektion in Aufnahme- und Produktionstechnik zu bekommen. Sylvia hat ihr Wissen sehr bereitwillig geteilt. Zu Weihnachten bekam ich dann auch noch ihr Buch geschenkt. Eine Erfahrung aus den Aufnahmen mit ihr war, dass der Anteil der Zeit, den man wirklich mit Aufnehmen verbringt, relativ gering ist. Da ging fast mehr Zeit dafür drauf, sich zu unterhalten, gemeinsam essen zu gehen, im Van zu sitzen und ins Studio zu fahren, und so weiter. Ich habe also genau beobachtet, wie sie vorgeht und zu ergründen versucht, was am besten zu einer Band passt. Bei all dem war sie, wie ich schon sagte, sehr offen dafür, ihre Vorgehensweise und ihre nicht so geheimen Geheimnisse bei einer Albumproduktion zu erläutern. Unser neues Album verdanken wir also völlig Sylvia, auch wenn sie selbst es nicht produziert hat. Ohne die Erfahrung mit der Entstehung des Vorgängers wäre ich nicht in der Lage gewesen, „Raw Coward“ DIY zu produzieren. Zudem hatte ich die Möglichkeit, einige Demos an Sylvia zu schicken und sie gab mir dazu Feedback. Und sie hat mich immer wieder ermutigt und darin bestätigt, dass ich das selber schaffen kann. Dazu kommt, dass ich nie bewusst am finalen Album gearbeitet habe, sondern irgendwann einige Songs an unser Label One Little Independent mailte und deren Meinung wissen wollte. Wir nutzten einfach die Lockdown-Zeit – zu Hause, im Van, im Proberaum, um sieben, acht Songs aufzunehmen, von denen ich dachte, daraus könne man ein DIY-Tape-Release machen. Woraufhin das Label nur antwortete, das sei doch super, ob sie das als Album veröffentlichen könnten. Na gut, sagten wir, und legten noch zwei, drei Songs nach. Das Gute war also, dass wir ein Album gemacht haben, ohne dass wir dabei ständig ein Album im Hinterkopf hatten. Wir haben einfach nur zusammen Musik gemacht, und das war eine gute Vorgehensweise.

Hattest du außer von Sylvia noch anderen externen Input?
Wir kennen seit ein paar gemeinsamen Konzerten die Leute von TORCHE. Besonders mit Jonathan Nuñez habe ich mich angefreundet, er gehört zu meinem Kreis von Leuten, denen ich Aufnahmen schicke mit der Bitte um freundliches Feedback. Ihm schickte ich also „Shit guitar“, und seine Reaktion war, dass er den Song unbedingt mixen wolle. Er hat mit seinem Mix echt einen super Job gemacht, der Song klingt toll. Das Mixen eines Albums ist eben noch mal ein ganz anderer Schnack, da muss ich noch etwas lernen. Ich habe das schon für ein paar befreundete kleinere Punkbands gemacht, aber ein ganzes Album zu mixen, das kann dich in den Wahnsinn treiben, und darauf bin ich noch nicht vorbereitet. Das ist aber mein nächstes Ziel.

Die Weiterentwicklung der Technik in den letzten Jahren hat letztlich ermöglicht, in Sachen DIY – ein altes Grundprinzip des Punk – noch ein paar Schritte weiterzugehen, wie du es auch beschrieben hast. Und es scheint, die Corona-Pandemie hat das nun noch beschleunigt und Menschen dazu gebracht, eine komplette Albumproduktion in Eigenregie durchzuführen.
Ja! Das hat einen sehr befreienden Effekt. Meine Vorstellung von Punk hat viel mit DIY zu tun und damit, dass nicht einfach andere Leute an deiner Musik herummachen dürfen. Dazu passt auch die Historie unseres Labels One Little Independent, das einst Mitte der Achtziger von Derek Birkett von FLUX OF PINK INDIANS gegründet wurde. Die haben ein sehr großes Verständnis für Platten wie unsere mit ihrer sehr rauhen Ästhetik. Es ist kein „schönes“ Album, kein perfektes, sondern eher abstoßend und bisweilen schwierig und harsch.

2020 änderte euer Label seinen Namen von One Little Indian hin zu One Little Independent, um seinen Respekt vor den Native Americans zu zeigen.
Der Gedanke beschäftigte Derek und andere beim Label wohl schon länger. Ich finde, es ist heutzutage eines der stärksten Statements zuzugeben, dass man sich geirrt hat. Allerdings tun das zu wenige Menschen, die meisten sind eher störrisch. Mit mehr Veränderung und Weiterentwicklung wäre die Welt aber besser dran. Ich bin stolz darauf, dass das Label diesen Schritt gegangen ist, wobei ich das Wort „proud“ nur in dem Sinne verstanden wissen möchte, wie es von der LGBTQ-Community verwendet wird. Obwohl ich bisweilen tatsächlich noch versehentlich One Little Indian sage. Ich finde das aber nicht schlimm, ich korrigiere mich dann eben, und so ist das auch im Bandkontext. Unser Bandmitglied Hannah hatte kürzlich ihr Coming-out als non-binary und wir alle respektieren, dass Hannah mit „they“ und nicht mit „she“ angesprochen werden will. Allerdings passiert mir das mit „she“ aus Gewohnheit immer mal, aber da gab es nie eine böse Reaktion. Es wird stattdessen wertgeschätzt, dass ich mich bemühe und korrigiere. Schließlich entwickeln wir uns ja alle weiter.

Solch einer Awareness steht euer recht direktes Auftreten fast schon etwas entgegen. Allein euer Bandname GOD DAMN ist ein sehr deutliches Statement. Und Anfang Juli hast du zum Video von „Shit guitar“ diese Textzeilen gepostet – andere sind wegen weniger gesperrt worden: „There’s no such thing as Rock & Roll, there’s no such thing as God, so climb down from your crucifix and play it like guitar. / Your idols are all paedophiles who sold you who you are, so climb down from your crucifix and play it like guitar. / I love my sh*t guitar.“
Haha, auf jeden Fall! Ein guter Freund ist ein bekannter Radio-DJ hier in UK, und der sagte zu mir nur, den Song könne er nicht spielen. Ich wuchs in einer katholischen Familie auf, und mein Ansatz mit GOD DAMN und meinem Atheismus ist, dass ich solche Statements wie das von dir zitierte bringen kann, denn das ist mein kultureller Hintergrund, damit bin ich aufgewachsen. Ich stelle mich dieser Verantwortung, denn das war mal meine Welt. Über den Islam etwa würde ich so nie texten, der ist nicht mein Hintergrund. Der Katholizismus hingegen ist immer noch Teil meiner Welt. Und was nun den Text konkret betrifft, so gab es diese Pädophilen eben in der britischen Unterhaltungsbranche und in der Musikwelt.

Du verwendest auf jeden Fall sehr explizite Worte. Viele andere heutige Musiker sind in der Wortwahl weitaus vorsichtiger, wirken in der Hinsicht fast schon wie Politiker. Nehmen wir als Beispiel einfach mal Frank Turner, der natürlich ein feiner Kerl ist.
Na, der ist ja auch ein Posh Boy, der war in Eton. Ich mag seine Musik, seine Band MILLION DEAD fand ich damals super. Ich mag ihn als Mensch, aber klar, der ist in seinen Aussagen eher diplomatisch.

Und du bist ein Arbeiterklassenjunge?
Mein Vater ist Friseur, meine Mutter Anwältin. Und ich bin Grundschullehrer.

In UK ist diese Klassentrennung offensichtlich weit ausgeprägter als etwa in Deutschland. Boris Johnson ist auch einer dieser Eton-Elite-Uni-Absolventen, und SLEAFORD MODS haben ihr Album nicht grundlos „Eton Alive“ betitelt.
Ja, es ist aber natürlich auch ein altes Klischee, dass die eine Band die andere als „Middle Class“ verunglimpft. Sage ich als jemand, der in seinem 17 Jahre alten, klapprigen Bandvan sitzt während des Interviews, haha. Ich hoffe, wir werden eines Tages so erfolgreich, dass sich die SLEAFORD MODS an uns reiben, haha. Ich hätte aber für den Fall auch schon diverse Repliken vorbereitet ... Aber ich liebe die natürlich – sie sind meine liebste Karaoke-Band.

Den alten Tourvan hast du neulich in einem Facebook-Post verabschiedet. Mit einem neueren Van seid ihr zumindest vorbereitet auf den Moment, wenn Touren wieder möglich sind. Wie siehst du die neue Situation nach dem Brexit für britische Bands in Europa?
Keine Ahnung. Wir müssen mal abwarten. In Europa war es immer super für uns. Ich halte Esel für tolle Tiere, aber den Satz „We’re lead by donkeys“ doch insofern für zutreffend, als die Führung hier aus wirklich dummen Menschen besteht – egoistischen, manipulativen Menschen. Und dann beschwert sich auch noch ein Bruce Dickinson, der für den Brexit war, dass es selbst für seine Band nun schwierig werde zu touren. Ja, soll er halt sein Flugzeug verkaufen! So ein Arschloch! Es gibt einfach zu viel falschen Stolz in diesem Land, und deshalb thematisieren wir das auf unserem Album. „Wir holen uns unser Land zurück und regieren uns wieder selbst, bla bla bla ...“ Allerdings ist das England, von dem die reden, schon vor Jahren gestorben, aus sehr guten Gründen. „Raw coward“ auf dem Album dreht sich genau darum – was ich an diesem Land liebe und wofür ich mich schäme.

„English slaughterhouse blues“ ist auch ein sehr starker Songtitel. Worum geht es da?
Nun, ich bin Veganer ... In dem Song ziehe ich eine Parallele zwischen einem Schlachthof und diesem Land. Das Vieh wartet darauf, geschlachtet zu werden ... In „Cowkaine“ taucht das Thema auch noch mal auf: In der Schlange darauf warten, eine Kugel ins Hirn geschossen zu bekommen, heißt es da. Und es geht auch um Nationalismus.

Beim Thema Herbstlaub entwickeln andere Musiker eher romantische Gedanken, bei dir hingegen heißt es „Dog shit in the autumn leaves“.
Lustigerweise sind in den letzten Wochen ein paar Songs mit „dog shit“ im Titel aufgetaucht, offenbar ist das der Zeitgeist, hehe. „Dog shit“ ist aber einfach ein beliebter Ausdruck in England – wann immer etwas nervt, ist es „dog shit“. Der reale Hintergrund ist, dass ich mal den Kinderwagen mit meinem Sohn drin durch die Straßen schob und beim besten Willen vor lauter Hundescheiße überall nicht mehr zwischen Scheiße und Herbstlaub unterscheiden konnte. Ansonsten geht es in dem Song um Selbsthass und Selbstmord. Ich stelle mir da einen Kapitalisten vor, der in seinem Penthouse irgendwann checkt, wie wenig er für die Welt getan hat, und sich dann umbringt. Es ist also nicht gerade ein Liebeslied.

Hund oder Katze?
Aktuell weder noch. Meine Kinder sind beide Autisten und noch recht klein, mit Haustieren wollen wir warten, bis die etwas älter sind. Dann wird es wohl eher ein Hund, denn ich wuchs mit Hunden auf. Später hatte ich aber auch mal eine Katze, die hat mich jeden Morgen aufgeweckt. Also ... Hund und Katze. Und du?

Katze.
Viele Musiker und Punks bevorzugen Katzen.

Meine Theorie ist, dass unsereins auf die unzähmbare Unabhängigkeit von Katzen steht. Hunde befolgen Befehle, Katzen und Punks nicht.
Das kann ich absolut nachvollziehen. Hannah, unser neuester Bandzugang, ist auch ein Katzenmensch. Ash, unser Drummer, ist hingegen ein Hundetyp. Er ist aber auch eher der brave, gut erzogene in unserer Band. Und vielleicht bin ich ja auch so ein komischer verkorkster Typ, weil ich beides bin.

Guter Moment, auf die neue Besetzung der Band einzugehen. Neben dir und Drummer Ash sind Hannah Al Shemmeri am Keyboard und Gitarrist Robert Graham neu seit dem letzten Album.
Rob und ich kennen uns schon ewig, der hat auch immer wieder mal bei uns mitgemacht. Der war mal bei einer in UK recht bekannten Doom-Band namens WET NUNS und spielt auch noch bei WORKING MEN’S CLUB. Hannah und Rob haben eine Menge zur Band beigetragen. Von Ash und mir stammen die „Skelette“ der Songs, die beiden haben dann für die „Dekoration“ gesorgt. Es machte viel Spaß, zu viert und mit den beiden an diesem Album zu arbeiten. So hatte man während des Lockdowns zumindest einen Grund, sich in Videocalls mit seinen Freunden zu treffen.