GOOD RIDDANCE

Politically Conscious Punx

In Zeiten wie diesen, wo ungezähmter, ungehemmter Rock’n’Roll mit mehr oder weniger punkigem Beigeschmack und Texten über schnelle Autos, scharfe Mädels und durchzechte Nächte sich wachsender Beliebtheit erfreut, sammelt man nicht gerade Hippness-Punkte, wenn man als Punkband in klassischer Achtziger-Manier mit Appellen ans politische Bewusstsein ankommt.

Dass sich GOOD RIDDANCE aus dem kalifornischen Santa Cruz um derlei Überlegungen recht wenig kümmern, sollte klar sein, wenn man die Burschen um Sänger Russ R. in den letzten Jahren in den Augen behalten hat. Und selbst erbitterte Kritiker des sich zweifellos immer noch inflationär im Umlauf befindlichen „Fat Wreck-Sounds“ haben gerade angesichts des neuen Albums „Ballads From The Revolution“ zugeben müssen, dass GOOD RIDDANCE mit diesem einmal mehr der Spagat zwischen melodisch-punkigen und altmodisch-hardcorigen Klängen geglückt ist.
Als ich Russ in Santa Cruz ans Telefon bekomme, ist der noch etwas erledigt vom Record Release-Gig am Abend zuvor, aber doch wach genug, meine Fragen zu beantworten – trinken tut der Mann als überzeugter Straight Edger ja nicht. Nach „A Comprehensive Guide To Moderne Rebellion“ jetzt also „Ballads From The Revolution“ – was hat’s mit dieser begrifflichen Kontinuität auf sich?
„Ehrlich gesagt steckt da nicht so viel dahinter“, gibt Russ zu. „Wir suchten eben einen Plattentitel, der sowohl gut klingt als auch irgendwie zum Ausdruck bringt, wofür wir stehen, der zu unserem Bemühen passt, uns aktiv für positive Veränderungen einzusetzen.“ O.k., geschenkt, trotzdem klingt so ein Titel doch schwer nach den Achtzigern, als Polit-Hardcore noch einen wesentlich besseren Stand hatte als in den hedonistischen Neunzigern. Sind GOOD RIDDANCE also das engagierte Gewissen des ansonsten doch eher der spaßig-belanglosen Melodic-Szene? Russ: „Hm, so krass würde ich das nicht sehen. Wir sind auf jeden Fall eine Band von Leuten, die Musik machen, weil’s Spaß macht, aber andererseits waren die ersten Punkbands, die ich seinerzeit hörte, die DEAD KENNEDYS, CRASS und CONFLICT, und das hat mich beim Schreiben der Texte auf jeden Fall schwer beeinflusst.“
Apropos Beeinflussungen: GOOD RIDDANCE erweisen sich wie bereits angemerkt als routinierte Wanderer zwischen den Welten, kombinieren eher labeltypische Melodic-Punk-Songs mit kratzig-derbem Hardcore. „Wir legen uns eben ungern fest“, meint Russ. „Und an aktuellen Bands gefallen uns SICK OF IT ALL genauso gut wie LAG WAGON – klar, dass da die eigene Musik nicht „sortenrein“ ist.“ Ist ’ne gute Sache, klar, und Klischees und Schubladen sind sowieso was für Verlierer, aber interessant war es schon, als ich vor zwei oder drei Jahren eine GOOD RIDDANCE-Show sah und das zu Dutzenden, ob des Fat Wreck-Qualitätssiegels angereiste Jungpublikum zwar bei den erwartungsgemäßen Melodic-Songs am Rumhüpfen war, bei den Hardcoreknüpplern allerdings an die Banden flüchtete und recht verwirrt dreinschaute. „Oh ja“, gesteht Russ ein, „das passiert uns ständig. Ich finde das aber o.k., denn man muss den leuten einfach verschiedene Arten von Musik vorsetzen, um sie auf den Geschmack zu bringen. Wir setzen uns aber natürlich zum Ziel, für die Leute Musik zu spielen, die sie nicht mögen, sondern das ist unser Stil, und manche mögen uns gerade deshalb, andere nicht. Wir versuchen halt immer, eine gute Mischung zu bieten.“
Für den kreativen Input ist bei GOOD RIDDANCE sowohl in textlicher, wie in musikalischer Hinsicht, vor allem Russ zuständig, aber auch Gitarrero Luke Pabich komponierte den einen oder anderen Track, und erstmals hat diesmal auch Basser Chuck Platt einen Song beigesteuert – nur Drummer Sean Sellers begnügt sich mit seiner ausführenden, taktangebenden Funktion im Hintergrund. Russ: „Ein absichtliche Arbeitsteilung gibt es bei uns nicht, jeder kann mit seinen Ideen ankommen, aber letztendlich läuft es darauf hinaus, dass ich die meisten Songs schreibe. Kämen sie aber nur von mir, wäre unsere Musik sicher eintöniger.“
Herausragendster, weil härtester Song auf dem Album ist für mich der von Luke geschriebene Song „State control“, ein herber, schneller Crustpunk-Knüppler. „Als Luke damit ankam“, erzählt Russ, „waren wir alle sofort begeistert, denn er klang verdammt nach DISCHARGE und FINAL CONFLICT, beides alte Bands, die gerade Chuck und ich sehr schätzen. Wir sind innerhalb der Band auch die ältere Fraktion, denn Luke und Sean kamen erst ein paar Jahre später auf den Punkgeschmack. Naja, und diese „screamy political hardcore songs“ von Bands wie DISCHARGE oder BROKEN BONES mag ich auch heute noch.“ Von KISS ganz zu schweigen, deren „I.S.Y.L.“ auf der neuen Platte gecovert wurde: Teenageridole halt, wie Russ leicht entschuldigend anmerkt.
Womit wir bei Inhalten angelangt wären. Wie ich eingangs bereits erwähnte, ist derzeit keine gute Zeit für Bands mit klaren politischen Aussagen. Rock bzw. Rock’n’Roll von der Garage bis zum Seventies-Gepose ist das Ding der Stunde, und auch die damit klassischerweise einhergehenden Texte eher belanglosen Inhalts: Frauen, Parties, Trinken, scharfe Klamotten, Autos, etc. Jede Band, die da ernsthaft mit gesellschaftlichen und/oder politischen Themen ankommt, zieht da schon beinahe den Zorn der politikverdrossenen Musikgemeinde auf sich – und trotzdem: GOOD RIDDANCE stehen zu ihren engangierten Texten (ich nenne als Beispiele mal „Waste“ und „State control“), was nicht heißen soll, das nicht auch einige dabei sind, die man textlich eher unter der Rubrik „personal“ abheften kann. Russ: „Ich kann dazu nur was aus meiner eigenen Erfahrung sagen, und die basiert darauf, dass wir wirklich sehr viel Post von Fans aus aller Welt bekomme. Ich ermutige die Leute bei Konzerten immer dazu, uns zu schreiben, denn ich weiß noch, dass es mir früher nie eingefallen wäre, meinen Lieblingsbands zu schreiben, die waren einfach zu distanziert, verstehst du? Das wollte ich ändern, und deshalb freut mich jeder Brief, wo Leute etwa schreiben, wie sie dieser oder jener Text inspiriert hat, in politischer Hinsicht oder bezüglich ihres Lebensstils umzudenken. Das sollte man aber nicht falsch verstehen, denn natürlich ist es nicht unser Ziel, irgendwen besserwisserisch von irgendwas zu überzeugen. Nein, wir wollen nur unsere Erfahrungen mit anderen Leuten teilen. Andererseits ist es aber schon so, dass wir als Band fest und überzeugt zum Vegetarismus stehen und auch entsprechend dafür eintreten. Wir legen deshalb bei unseren Konzerten immer Infomaterial zu diesem Thema aus, und die Kids nehmen das auch bereitwillig auf. Wir bekommen immer wieder Post von Leuten, die schreiben, dass sie durch die Literaturhinweise in unseren CDs oder die Flyer auf den Konzerten zu Vegetariern geworden seien, und das ist schon sehr befriedigend. Was deine ursprüngliche Frage anbelangt: ich bin straight-edge und mit politischen Bands groß geworden, das ist mein Ding. Andere Leute haben andere Erfahrungen, und ich denke, die Punkszene ist groß genug für alle. Abgesehen davon stehe ich total auf eine Blödsinnsband wie die VANDALS. Punk hat keine Regeln, jeder kann machen, was er will.“
Andererseits, so fährt Russ fort, seien die Achtziger eben auch ein ganz anderes Jahrzehnt gewesen als die Neunziger: „Es gab damals viel mehr politische Bands, und das liegt daran, dass es damals offensichtlich viel mehr gab, worauf man wütend sein musste. Reagan war noch Präsident, es gab klare Feindbilder. In den Neunzigern dagegen ist es viel schwerer, wütende Anti-Estblishment-Songs zu schreiben – die gesellschaftliche Stimmung ist nicht so vorhanden. Was immer man von Clinton denken mag, so ist in seiner Amtszeit die Stimmung doch liberaler geworden, die Arbeitslosenzahl ist massiv gesunken, der Kalte Krieg längst vorbei. Selbst wenn noch sehr vieles schief läuft, das Grundgefühl ist ein anderes. Ich bin damals jeden Abend mit dem Gefühl ins Bett gegangen, dass jederzeit der Dritte Welkrieg ausbrechen könnte. Heute ist dieser Druck weg, die Leute sind unbeschwerter, und das hat sich wohl auch auf die Punkszene ausgewirkt. Trotzdem finde ich, dass heute mehr Bands klar Stellung beziehen sollten, zu Themen wie Vegetarismus oder dem Recht der Frauen auf ungehinderte Abtreibung. Wenn du was ändern willst, musst du bei der Jugend anfangen.“
Vor Selbstzweifeln gefeit ist Russ dabei aber nicht, denn sein langes Statement im Booklet über die Probleme eines knapp Dreißigjährigen, noch jeden Tag seine „Rebellion“ durchzuziehen, sieht er im Nachhinein wenig selbstbewusst. Russ: „Ich stehe zum Inhalt, aber als die Platte dann raus war, war ich mir nicht mehr so sicher, das Richtige getan zu haben. Mittlerweile habe ich aber viel Zustimmung erhalten. Von daher ist das also wohl schon o.k.“ Kommen wir zu den Inhalten, die bei GOOD RIDDANCE einen hohen Stellenwert haben, wie man auch schon daran sieht, dass ein Teil der Einnahmen dieses Albums an die Tierschutzorganisation PETA sowie das Santa Cruz Aids Project gehen. Auf deutschen Bühnen wird der Vierer aus Sant Cruz im Mai wieder zu sehen sein, zusammen mit A.F.I. aus Berkeley. Man sieht sich.