JOHN

Foto© by Paul Grace

Einfach nur ...

Mit „Nocturnal Manoeuvres“ veröffentlichte das Londoner Duo JOHN im Herbst ein fantastisches drittes Album im Terrain zwischen IDLES, SHAME und FUCKED UP, enorm intensiv, druckvoll, eingängig und pulsierend und für mich eine der Entdeckungen des Jahres. JOHN, das sind Johnny Healy (gt) und John Henry Newton (voc, dr) – letzterer beantwortete meine Fragen.

Es gab einmal eine Band namens THE THREE JOHNS. Wäre THE TWO JOHNS nicht ein passenderer Name für eure Band gewesen ... und leichter zu googlen?

Nein ... Es hat nicht dieselbe direkte, banale Qualität, mit der die Einzahl, eben einfach nur JOHN, funktioniert. Wir wollten etwas präsentieren, das nicht bestimmte Erwartungen weckt oder irgendwie sensationell oder provokativ klingt – im Gegensatz zum allgemeinen Trend in der Musikszene in den letzten Jahren. Keine Totenköpfe, kein Blut, keine Hörner – und schon gar keine Googlebarkeit. Wenn du deine musikalische Reise auf der Grundlage von Google-Rankings statt auf Basis kreativer Ideen beginnst, kannst du genauso gut aufgeben, bevor du anfängst. Für die, die es noch nicht wussten: Wir heißen beide John, das war also eine logische Entscheidung.

Ihr habt das Album auf eurem eigenen Label namens Pets Care herausgebracht. Welches ist euer Lieblingstier – Katze, Hund, Goldfisch, Kanarienvogel ... und warum?
Wir haben ein lebendiges Maskottchen in Form von Johnnys Kater Toro. Er macht gerade eine Phase durch, in der er Johnny viele lebende und tote Geschenke bringt, und hoffen, dass er da bald rauswächst. Pets Care wurde nach einem inzwischen nicht mehr existierenden Laden in unserem Süd-Londoner Heimatbezirk Crystal Palace im benannt. Das Logo haben wir einfach von einem Foto des Ladenschilds übernommen, bevor es verschwand. Es ist schön, das Erbe einer inzwischen ausgelöschten Geschichte zu bewahren.

Bitte erzähl uns von der „Genesis“ von JOHN. Es scheint, als hätten euch bis zum neuen Album hierzulande nicht allzu viele Leute auf dem Schirm gehabt.
Wir haben uns 2013/2014 an einer Kunst- und Designhochschule im Osten Londons kennen gelernt und rackern nun schon seit einigen Jahren – es sind auch schon drei Alben von uns in der Welt. Wir hatten das Glück, im Laufe der Jahre mit einigen fantastischen befreundeten Bands touren zu können wie MCLUSKY, METZ und IDLES. Letztere haben uns 2018 auf eine ausgedehnte Europatournee mitgenommen, unter anderem nach Hamburg, Berlin, München und Leipzig. Wir freuen uns nun darauf, im März/April 2022 als Headliner zurückzukommen. Das deutsche Publikum hat uns sehr freundlich aufgenommen – obwohl es uns beim letzten Mal nicht unbedingt erwartet hat –, also werden wir beim nächsten Mal hoffentlich auf neue und alte Freunde treffen.

Ich habe mir einige Rezensionen zu eurem neuen Album angeschaut und war etwas überrascht, wie mich meine Wahrnehmung in eine nicht ganz falsche Richtung getrieben hat. Ich hatte euch in die IDLES-Ecke „gesteckt“ – was im Grunde schmeichelhaft ist, hoffe ich. Aber die offensichtlichen noisigen Hardcore-Untertöne habe ich nicht erkannt. Kannst du uns also sagen, wie ihr gerne gesehen werden möchtet und wo eure musikalischen Wurzeln liegen, welche Alben/Bands prägend sind?
Natürlich gibt es eine Verbindung als ehemalige Tourkollegen, aber es gibt so viele verschiedene Perspektiven, die ein Journalist wählen kann. Du könntest genauso gut bei der Hardcore-Szene in DC ansetzen oder bei Dischord Records wegen unserer unabhängigen Veröffentlichungspolitik. Ich würde es wahrscheinlich vorziehen, wenn ein Schreiber stattdessen versucht, Assoziationen zu Filmen oder Literatur herzustellen, das wäre sicher interessanter zu lesen. Es ist das Gleiche wie vor neun Jahren, als den Leuten zu uns nichts anderes eingefallen ist, als andere Zwei-Mann-Bands aufzuzählen – das ist einfach faul und macht einen Artikel eher langweilig, wenn du mich fragst. Ja, es stimmt, dass bestimmte Bands zu einem bestimmten Zeitpunkt im kollektiven Bewusstsein ganz oben stehen, aber es scheint seltsam, dass die Leute einfach zu diesen Schlüssen kommen, weil sie nicht die Zeit aufbringen können, um kreativer über das Schreiben nachzudenken. Vielleicht ist das ein weiteres Zeichen für den Druck unserer beschleunigten Kultur.

Ihr habt vor kurzem wieder angefangen, Konzerte zu spielen. Wie habt ihr die Pandemie wirtschaftlich und künstlerisch überstanden? Hat das Duo-Setup bei den Proben und Aufnahmen unter erschwerten Bedingungen geholfen?
Wir haben eine fantastisch treue Fangemeinde, die uns durch das Kaufen von Merchandise unseres Labels Pets Care unterstützt hat. Wir entwerfen und produzieren alles selbst und es ist toll, dass wir eine Art „Heimfabrikation“ aufbauen konnten, die das Schreiben und Aufnehmen des dritten Albums „Nocturnal Manoeuvres“ finanziert hat. Außerdem habe ich unter dem Namen TOTAL WKTS zwei LoFi-Platten geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht, damit sich die Rädchen in der Zwischenzeit weiterdrehen Und Johnny ist ein fantastisch begabter Möbelrestaurator, so dass er neben der Band auch noch sein eigenes Geschäft betrieb. Er arbeitet hart!

Ich habe gerade einen 25-Euro-Strafzettel bekommen, weil ich in einer 30-km/h-Zone versehentlich 41 km/h gefahren bin ... Ist „A song for those who speed in built-up areas“ Leuten wie mir gewidmet?
Das Auto in dem Lied ist eigentlich nur ein Symbol. Es ist eher eine Anspielung auf die Fähigkeit der Menschen, kollektiv zu arbeiten, nachdem uns der Sinn dafür durch den Individualismus des hyperbeschleunigten Kapitalismus ausgetrieben worden ist. Mir gefiel einfach das Bild von jemandem, der ein Auto fährt, während es sich langsam mit Wasser füllt, ohne dass er es merkt.

Wer ist der „Haneke“ in dem Song „Haneke’d“? Michael Haneke?
Ja, gemeint ist tatsächlich der österreichische Filmregisseur Michael Haneke. Ich wollte ihn im Titel erwähnen, wenn auch leicht verfremdet, denn seine Arbeit stellt den Betrachter bewusst in Frage und reißt ihn aus der Passivität vor dem Bildschirm. Ich bin ein großer Fan, und seine frühen Filme waren besonders einflussreich bei der Entwicklung des Albums. Er ist ein wahrer Meister seines Fachs. „Der siebente Kontinent“, sein erster richtiger Spielfilm, ist ein sehr guter Einstieg. Wunderschön konstruiert und doch sehr hart, eine wunderbare Kritik an den Strukturen, in denen wir uns verfangen haben.

Wie gehst du ans Texten heran?
Texte sind wie Puzzles: Du zerstörst Inhalte und Motive aus dem täglichen Lebens und presst sie in die formale Struktur eines Songs. Es ist eine witzige Herausforderung und ein Spaß, diese Erfahrungen so zu modellieren, dass sie in den Lärm und die Energie passen. Auch meine eigenen physischen Schranken als singender Schlagzeuger spielen eine Rolle, so dass mein Körper oft den Rhythmus der Texte bestimmt – ich glaube, das ist eine Sache, die bei uns als JOHN inzwischen einzigartig ist. Was den Inhalt angeht, so beobachte ich bestimmte Szenarien und nehme sie auf, und ich bin immer sehr vorsichtig, was die Genauigkeit der Worte angeht. Mir geht es nicht darum, Songs zu schreiben, die besonders hart oder schräg sind.

Da ihr im nächsten Frühjahr auf dem Kontinent touren werdet, kannst du uns sagen, welche bürokratischen Verfahren in diesen Post-Brexit-Zeiten zu erledigen sind?
Wir kommen gerade von einer 29 Gigs umfassenden Tournee durch Großbritannien, als Nächstes werde ich mich dem ganzen bürokratischen Unsinn beschäftigen, den diese katastrophale Entscheidung mit sich gebracht hat. Viele Freunde von uns haben den Ärmelkanal bereits überquert, also werde ich mich mal nach ihren Erfahrungen erkundigen, um alles zu organisieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand, der für den Austritt gestimmt hat, das gesamte und riesige Netzwerk an Verwicklungen verstanden hat, das die Beziehung zur EU ausmacht, und jetzt sehen wir alle die negativen Folgen – Lebensmittelknappheit, höhere Preise, eingeschränkte Reisemöglichkeiten. Das waren kaum die großen Themen, die durch die Medienkanäle gejagt und vor der Abstimmung auf die Busse der Kampagne geklebt wurden. Wir können es kaum erwarten, wieder auf dem Festland zu sein und unsere deutschen Freunde wiederzusehen.