LEATHERFACE

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Platte für Platte

LEATHERFACE waren schon immer für ihre Alben bekannt und für zwei ganz besonders: „Mush“ (Roughneck, 1991), ihre beste Platte in den Neunzigern, und ihr Split-Album mit HOT WATER MUSIC (BYO, 1999), mit dem sie sich endgültig einen Namen machten in der Punk-Szene außerhalb ihrer Heimatlandes. Danach brachten sie keine Singles und EPs mehr heraus. Aber es gibt auch einige großartige Songs auf den verschiedenen 7“s, 10“s, 12“s und Nebenprojekten, die die Band und ihr Hauptsänger/Gitarrist Frankie Stubbs im Laufe der Jahre veröffentlicht haben. Wenn man ihre frühen LPs kennt, lohnt es sich auf jeden Fall, sich durch den restlichen Katalog zu wühlen. ((LEATHERFACE-Plattenfotos aus der Sammlung von Morgan Coe und Negative Insight-Mitarbeitern.)

LEATHERFACE: „Beerpig“ (7“, Meantime, 1990)

Vier unveröffentlichte Outtakes von „Fill Your Boots“. Zwei davon sind Coverversionen: „In the ghetto“ von Elvis aus der Jumpsuit-Ära („Elvis In Memphis“, 1968), und „Candle in the wind“ von Elton John („Goodbye Yellow Brick Road“, 1973). Beide haben den gleichen schmuddeligen Schmachtfetzen-Vibe wie die Coversongs auf „Cherry Knowle“ (Meantime, 1989), von denen eines eine noch schmachtendere Version des gleichen Elvis-Songs war. Das Coverartwork ist eine Hommage an Newcastle Brown Ale, dessen sich in der LEATHERFACE-Heimatstadt Sunderland so viele betrunkene Punks bedienten, dass Frankie warnte: „Wenn du Newcastle getrunken hast, hast du Pisse getrunken. Das schwöre ich.“

„RazorBlades And Aspirin“ (7“, Roughneck, 1990)
Eine Momentaufnahme des frühen LEATHERFACE-Sounds, mit zwei Tracks von „Cherry Knowle“ und einem von „Fill Your Boots“ (Roughneck, 1990). „Colorado Joe/Leningrad Vlad“ beginnt als ihr politischster Song, bevor er sich in eine ihrer schrägsten Nummern verwandelt mit dem Refrain „USSR, USA / They’re so gay“. Verdammt dumm, aber man muss dabei bedenken, dass zu diesem Zeitpunkt Frankie Stubbs nur deshalb standardmäßig der Sänger war, weil niemand sonst mit fertigen Texten auftauchte. Er hatte nicht genug für alle Tracks auf „Cherry Knowle“, weshalb es ein Instrumental („Ghoulash“) auf dieser Platte gibt, das vielleicht erklärt, warum dieser Song keine zweite Chance bekam.

„Smokey Joe“ (12“, Roughneck, 1990)
Dies ist eine interessante Aufnahme. Erstens ist es eine von nur zwei Platten vor der Auflösung der Band, auf denen der Gitarrist Dickie Hammond nicht zu hören ist – aus irgendeinem Grund verließ er 1990 kurzzeitig die Band und ließ sie ohne ihn Shows spielen und diese EP aufnehmen. Dickies und Frankies Zwei-Gitarren-Dynamik (laut Frankie hatte keiner von beiden eine Ahnung, was der andere spielte) hatte einen großen Anteil am Sound von LEATHERFACE, also ist es cool, diese etwas abgespecktere Inkarnation der Band auf der Platte zu hören, besonders da „You wanted everything“ auf keiner anderen Studio- oder Live-Aufnahme zu existieren scheint. Zweitens gibt es frühe Versionen von drei mitreißenden Songs, die weniger als ein Jahr später, nachdem Dickie zurück war in der Band, während der „Mush“-Sessions neu aufgenommen wurden. Und einer davon, „Scheme of things“, kam nur als „Mush“-Bonustrack heraus, so dass diese frühe Aufnahme besonders wichtig ist. Drittens ist „Ideal world“ (vom 1987er Debüt von THE CHRISTIANS) eine ihrer besten Coverversionen aller Zeiten. LEATHERFACE haben es schon immer geliebt, einen bekannten Song durch die Loud/Fast-Maschine zu drehen, aber in diesem Fall hat es es sich ausgezahlt, einen schrägeren und weniger offensichtlichen Song zu wählen. Und schließlich sieht diese 12“ tatsächlich verdammt gut aus, für eine Band, die für ihr verblüffendes und manchmal halbgares Artwork bekannt war.

„I Want The Moon“ (7“, Roughneck, 1991)
Wo wir gerade von Covern sprechen, das hier bringt uns zurück auf den üblichen LEATHERFACE-Kurs mit „You are my sunshine“ (zuerst von der CARTER FAMILY 1939 intoniert und seitdem von einer Million anderer Musiker:innen). „I want the moon“ ist ein so guter Opener, dass sie ihn direkt an den Anfang von „Mush“ gepackt haben. Aber diese frühe Version von „Dreaming“ hört sich wie ein Rohentwurf an, mit einem untypischen Fuzz-Gitarrensolo am Schluss anstelle dessen, was sie später daraus gemacht haben.

„Not Superstitious“ (12“, Roughneck, 1991)
Genau das gleiche Konzept wie „I Want The Moon“: ein Stück von „Mush“ („Not superstitious“ diesmal), ein Original („Trenchfoot“, das straffer klingt und härter als die Version von „Smokey Joe“, obwohl es nicht das Sample aus dem Film „A Clockwork Orange“ enthält) und eine Coverversion von „Message in a bottle“ von THE POLICE („Regatta De Blanc“, 1979). Der Clou an der Sache ist, dass die beiden Nicht-Album-Songs als Bonustracks auf jeder CD- oder Kassetten-Pressung von „Mush“ enthalten sind, so dass es für jemanden, der die Band durch dieses Album entdeckt hat, seltsam ist, diese Veröffentlichung als eigenständige EP zu betrachten.

„Compact And Bijou“ (10“, Roughneck, 1992)
Wie immer gibt es einen Coversong, aber „Talkin’ bout a revolution“ von Tracy Chapmans Debüt aus dem Jahr 1988 kommt etwas gefühlvoller, etwas weniger albern daher als sonst. Und dann gibt es mit „Pale moonlight“ einen wirklich hübschen Akustiksong, meilenweit entfernt von allem, was sie jemals zuvor gemacht haben. Er taucht ein Jahr später als Abschlussstück auf der „Minx“-LP (Roughneck, 1993) auf, ironischerweise nur, weil sie sich in letzter Minute entschieden haben, ein Elvis-Cover wegzulassen. Die elektrisch verstärkte Version ist ganz anders, aber auch großartig, mit einigen ihrer RUTS-ähnlichsten Gitarrensounds. „Compact And Bijou“ markiert auch das Bass-Debüt von Andy Crighton von SNUFF, die mit LEATHERFACE befreundet waren, als sie in den späten Achtzigern loslegten. Anscheinend bewarben sich alle drei Mitglieder von SNUFF um den Platz; Andy bekam den Zuschlag und war schließlich der erste LEATHERFACE-Bassist, der es auf mehr als eine Platte brachte.

„Eagle“ (7“, Blackbox, 1992)
Nur zwei Songs, aber die sind großartig. Eine neu aufgenommene und verbesserte Version von „Dreaming“ von der „I Want The Moon“-7“, und „Eagle“, ein schwerfälliger Nicht-Hit von „ABBA: The Album“ (1977), der der längste aller ABBA-Songs ist. Er war für eine ABBA-Tribut-Platte von Rugger Bugger Discs gedacht (weil es die Neunziger waren), die nie herauskam (weil es die Neunziger waren).

Split w/ WAT TYLER (2x7“, Clawfist, 1992)
Diese Platte erschien auf Clawfist, einem Sublabel von Vinyl Solution Records, das aus dem Vinyl Solution Store in der Portobello Road heraus betrieben wurde, der nur ein paar Blocks vom Londoner Rough Trade Store entfernt war, wo Sean von WAT TYLER (und Rugger Bugger Discs, und später HARD SKIN) in den Neunzigern arbeitete. Auf der LEATHERFACE-Seite ist „Hops and barley“, das Lustigste, was sie je aufgenommen haben, abgesehen vielleicht von „The bastards can’t dance“ (von „Fill Your Boots“), das ehrlich gesagt nur drei Minuten lang Unsinn über Schlaghosen erzählt.

„Do The Right Thing“ (12“, Roughneck, 1993)
Eine weitere großartige EP, die in die gleiche Richtung wie „Compact And Bijou“ geht, obwohl sie ausnahmsweise mal den Coversong weglassen. Die Songs stammen aus der „Minx“-Aufnahmesession, bei der sie ihr Budget ausgaben, um Frankies Heimstudio aufzurüsten und alles selbst aufnahmen. Wie bei „Minx“ ist die Produktion gewöhnungsbedürftig, als ob man alles durch einen leichten Dunst hört. Frankie hat zu Protokoll gegeben, dass „Minx“ seinen Lieblingssound von allen ihren Aufnahmen hat. Alles, was auf „Do The Right Thing“ zu hören ist, wurde bereits auf anderen Platten veröffentlicht, aber dies sind hauptsächlich akustische oder überarbeitete Versionen und es lohnt sich, sie zu hören. Die akustische Fassung von „Not superstitious“ ist besonders toll und noch melancholischer als das Original.

„Minx“ (Bonus-7“, Roughneck, 1993)
Ich frage mich, warum sie „Can’t help falling in love“ von Elvis („Blue Hawaii“-Soundtrack, 1961) auf „Minx“ weggelassen haben, um den Song dann gleich wieder auf eine limitierte Bonus-7“ zu packen, die man nur durch den Kauf einer Sonderpressung von „Minx“ bekommen konnte.

„Mackem Bastards“ (7“, Rugger Bugger, 1994)
„Ba ba ba ba boo“ existiert nur, weil sich Frankie nach der Auflösung der Band Ende 1993 daran erinnerte, dass sie Rugger Bugger Discs noch eine Single schuldeten. Also lieferte er seine beste Louis Armstrong-Imitation mit seinem Keyboard. Hier haben wir auch Drummer Andrew Laing, der zum ersten Mal die Lead Vocals übernimmt, und zwar in einer Version von „Win some, lose some“ von der ersten SNUFF-LP, auf der Bassist Andy Crighton gespielt hat.

„Little White God“ (7“, Domino, 1994)
„Little white god“ von „The Last“ (Domino, 1994) ist einer ihrer besten Songs aller Zeiten und ein großartiges Beispiel für Frankies Reggae- und RUTS-Besessenheit – eine Band, der er Dickie Hammond vorstellte, als sie anfingen, zusammen zu spielen, und eine der beiden Bands, die er als LEATHERFACE-Einflüsse erwähnte (die andere war STEEL PULSE, speziell die „Handsworth Revolution“-LP von 1978). Die anderen beiden Songs auf dieser 7“ sind von einer kurzlebigen Trio-Besetzung, die nur aus Frankie, Andy Crighton und Ian Syborn (bald Ex-Drummer Andrew Laings Bandkollege bei Sunderlands RED ALERT) bestand. „I got a right“ von den STOOGES ist ein Standard-Cover von LEATHERFACE, abgesehen von einem überraschenden Abstecher zum „Mission: Impossible“-Thema. „Meaning“ stammt ursprünglich von CHINA DRUM (aus Newcastle) und war erst 1993 erschienen – sogar in einer akustischen Version.

POPE – „Johnpaulgeorgeringo“ (LP, Rugger Bugger, 1994)
Die POPE-LP klingt ungefähr so sehr nach dem Ende von LEATHERFACE, wie es die letzte Trio-Besetzung tat. Die Gitarren sind tighter, weil es nur Frankie ist, aber mit weniger Chaos und Energie als sonst bei LEATHERFACE. Der neue Schlagzeuger Chris Mackintosh klingt tight, aber weniger treibend. Andy Crighton ist immer noch am Bass zu hören. Ich schätze, es ist bezeichnend, dass LEATHERFACE ihre Karriere mit recycleten Live-Tracks, Coverversionen und Spaß-Songs beendeten ... Aber sechs Monate später waren POPE im Studio, um ein komplettes Album aufzunehmen. „Plebs“ sticht hier heraus, ein großartiger Song, der von einer coolen Bassline angetrieben wird. Es ist ein passendes Ende einer Ära und für Andy Crighton, der sich 1998 das Leben nahm.

RUGRAT – „Rhubarb“ (7“, Rugger Bugger, 1994), „Bulltaco“ (7“, Damaged Goods, 1994)
BULLTACO – „In My Day“ (7“, Out Of Step, 1995)

Nachdem er LEATHERFACE verlassen hatte, gründete Schlagzeuger Andrew Laing RUGRAT mit dem zukünftigen LEATHERFACE-Bassisten und Frankie Stubbs Solo-Kollaborateur Graeme Philliskirk, zusammen mit Ian Armstrong von den britischen Anarchopunk-Größen DAN und SOFA HEAD. Schon bald wurden sie von einer Nickelodeon-Klage bedroht, weil sie den Namen und das Konterfei des damals beliebten Kinderzeichentrickfilms „Rugrats“ verwendet hatten, so dass sie innerhalb eines Jahres ihren Namen in BULLTACO ändern mussten. Anstatt auf ihre vorherigen Bands zurückzublicken, scheint ihr deutlichster Einfluss ein anderes Trio mit einem singenden Schlagzeuger zu sein – SNUFF, die alte Band des ehemaligen LEATHERFACE-Bassisten Andy Crighton. Ähnlich wie frühe SNUFF-Platten sind die 7“s von RUGRAT und BULLTACO ein Flickenteppich aus Melodie und Aggression; der Gesamteffekt ist mal verspielt, mal unzusammenhängend. Ironischerweise hatten sich SNUFF 1994 erst wiedervereinigt, waren aber gerade dabei, diesen frühen, chaotischen Sound in eine Pop-Version umzuformen, der ihnen zu einem breiteren Publikum verhalf.

JESS(I)E – 7“s (Rugger Bugger Discs, 1995-1997) und LP (Rugger Bugger, 1998)
Wenn POPE der Schwanengesang von LEATHERFACE waren, dann sind JESSIE ein Neuanfang für Frankie Stubbs. Auf Anhieb besitzt die Band (benannt nach Elvis’ totgeborenem Zwillingsbruder Jesse, dessen Schreibweise sie bis zur 7“ No. 3 richtig hinbekommen) eine unglaubliche Chemie, viel entspannter als LEATHERFACE es je waren, aber mit einer lockeren Intensität, die ihnen weder vorher noch nachher gelungen ist. „Indestructible“ könnte das Beste sein, was Frankies Punk-Reggae-Fusion jemals hervorbrachte, mindestens auf einer Stufe mit „Little White God“, und die langsamen Songs sind einige seiner traurigsten. Alle vier 7“s wurden für eine LP neu aufgenommen, die sehr gut ist, aber viel aufgeräumter und zugeknöpfter wirkt. Zu der Zeit, als diese LP 1998 herauskam, spielten LEATHERFACE wieder sporadisch, in Vorbereitung auf eine Reunion. JESSE-Bassist Leighton Evans sollte am Bass bleiben, wechselte aber zur Gitarre, als Dickie Hammond in letzter Minute ausstieg. Warum Andy Crighton nicht in dieser Reunion-Besetzung war und warum Dickie ging, gerade als es losging, sind zwei große Fragen; basierend auf Interviews aus dieser Zeit klingt es so, als gäbe es auf beide keine adäquate Antwort.

Frankie Stubbs – Acoustic 7“ (Rugger Bugger Discs, 1995), 10“ (Sounds of Subterrania, 2000), 7“ (Sounds of Subterrania, 2018), 7“ (Little Rocket, 2020)
Die „Unhinged“-7“ kam 1995 nach POPE, aber vor JESSIE heraus und enthielt einen Song von jeder dieser Bands; „Plebs“ von der POPE-LP ist besonders großartig und unterscheidet sich stark von der bassgetriebenen Version auf dem Album. „Moon river“ (aus dem Film „Breakfast At Tiffany’s“, 1961) ist auch gut, gefühlvoller und weniger albern als zu der Zeit, als LEATHERFACE solche Tränensongs coverten. Die 10“ kam im Jahr 2000 heraus, in der Pause zwischen „Horsebox“ (2000) und „Dog Disco“ (2004), in der Leighton Evans die Band verließ und Frankie als einziger LEATHERFACE-Gitarrist weitermachte – vier Jahre sind eine Ewigkeit für eine Band, die früher alle paar Monate eine Platte aufnahm oder herausbrachte. Hier gibt es eine schöne Version von „Dead industrial atmosphere“ von „Mush“, aber das Highlight ist das Cover „Ship song“ von Nick Cave („The Good Son“, 1990). An diesem Punkt spulen wir 18 Jahre vor: Dickie Hammond ist wieder eingestiegen, hat ein Album aufgenommen und tourte wieder mit LEATHERFACE, bevor er 2015 verstarb. Die Band hat sich zum letzten Mal aufgelöst, und Frankie Stubbs brachte eine herzzerreißende Akustikversion von „Heart is home“ (ursprünglich von „Dog Disco“) heraus. Und dann, im Jahr 2020, einem Jahr der vielen Überraschungen, bekommen wir eine abgespeckte Neuaufnahme von „Shipyards“ von „The Last“. Mit Akustikgitarre klingt es wie ein alter Hund, der endlich einen neuen Trick gelernt hat, nachdem sich seine alten alle erledigt haben.