LITTLE TEETH

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Fast wie in einer romantischen Komödie

Hand aufs Herz! Jeder hat sich schon mal eine angeguckt, kaum einer gibt es zu und niemand mag sie in Wirklichkeit. Ich spreche von der romantische Komödie. Ein Filmgenre für sich, mit Schauspielern, die, sind sie einmal in dieser Rolle gefangen, nicht mehr davon loskommen. THE HOLD STEADY beschrieben mal im Lied „The weekenders“ eine Beziehung mit den Worten: „It’s not always be like in romantic comedies“. Oder vielleicht doch?

Aber was passiert in romantischen Komödien eigentlich? Häufig geht es um einen Typen auf Geschäftsreise, der zufällig eine Frau trifft (im Taxi, Hotel, Flughafen), sich augenblicklich in sie verliebt und beschließt, sein altes Leben aufzugeben, in eine neue Stadt oder gleich aufs Land zu ziehen, um nach einigen Hin und Her mit der Frau seiner Träume zusammenzukommen und ein einfaches Leben ohne Luxus zu führen. Passiert im echten Leben natürlich nie! Denkt ihr ...

Auf dem Album „Redefining Home“ von LITTLE TEETH erzählt Cory Call, der bisher als Sänger der (leider) ausgebrannten und nicht mehr aktiven Punkband ARLISS NANCY in Erscheinung getreten ist, wie es ist, sich in eine Frau zu verlieben und mit ihr ein neues Leben aufzubauen. „Redefining Home“ ist allerdings alles andere als die romantische Komödie des Punkrock im Jahr 2020. Dafür ist das Album zu düster, was seltsam anmutet, zumindest für diejenigen, die Cory schon mal auf einer Bühne oder nach der Show gesehen haben. Dann nämlich sprüht er vor Euphorie und schier unbändiger Freude. „Dieser Gegensatz gefällt mir“, behauptet Cory und fügt hinzu: „Ich habe mal während meines Studiums mit Poesie beschäftigt, vielleicht spielt das mit in die Texte rein. Jedenfalls bin ich grundsätzlich eher ein optimistischer Mensch. Außerdem hat mir mal jemand gesagt, wer Schmerz in seine Kunst legt, der nimmt diesen Schmerz aus der echten Welt. Das gefällt mir sehr gut.“

Der Weg des Lebens ist bekanntermaßen nicht immer eben, und zu den aufregenden Seiten eines Neuanfangs gesellen sich, fast gleichberechtigt, die dunklen Stunden der Einsamkeit, die unweigerlich mit fundamentalen Entscheidungen, wie auf einen anderen Kontinent zu ziehen, einhergehen. „There is a light shining over Little Eden tonight / And it’s calling us home / To a place I know / I don’t belong anymore“, beschreibt Cory im Eröffnungsstück „One hotel room“ Heimweh und Fernweh mit ein und denselben Worten. „Das war der erste Song, den ich nach dem Ende von Arliss geschrieben habe“, erklärt Cory. „Ich wusste noch nicht, wohin sich meine Beziehung zu Kirsty entwickeln würde, und ich habe damals sicherlich nicht darüber nachgedacht, nach München zu ziehen.“

Doch der Reihe nach. Praktisch alle Songs auf diesem Album spielen in der Nacht, viele in einer Bar oder auf dem Weg von einem Konzert nach Hause oder zur nächsten Party. Das lässt vermuten, dass Cory Schönheit in den buchstäblich dunklen Stunden sucht. Das Leben scheint immer dann am besten zu sein, wenn alles scheißegal ist, dann macht das alles erst – wieder – richtig Spaß, „besoffen im Schnee nach Hause gehen, am Boden liegend zu den Sternen aufzusehen oder zu wissen, ein Problem mit Alkohol zu haben“, sich dieses aber einzugestehen und dem Ganzen mit einer Trotzreaktion zu begegnen, denn erst in diesen, manchmal existenziellen Momenten ist jemand bereit, eine fundamentale Entscheidung zu treffen. Davon handelt dieses Album genauso. Und natürlich von den Schwierigkeiten, sein altes Zuhause aufzugeben und ein Neues aufzubauen. „Das Album handelt aber nicht unbedingt nur von mir und meinem Leben, es geht im Allgemeinen darum, wie es ist, seinem Herz und seinen Träumen zu folgen. Ich hoffe, die Geschichten darauf können andere davon überzeugen, trotz all der Ängste und Hindernisse, ihr eigenes Ding zu machen. In meinem Fall war die Belohnung größer, als ich es mir hätte vorstellen können.“

Auf einem dieser Konzerte lernte Cory seine zukünftige Frau Kirsty kennen. Und so wendet sich die ganze Scheiße, mit der er sich täglich herumschlagen musste, schlagartig in etwas Gutes. „The band rang out their final chord and the crowd started thinning out / She was there in the back of the room / She was fucking with her phone, and I saw her dancing away / And I couldn’t let her go“, erinnert Cory sich im Lied „Thinning out“ an die erste Begegnung mit Kirsty.

Spätestens jetzt nimmt die Geschichte, die auf diesem Album erzählt wird und im Abschlusslied „Western skies“, so viel sei verraten, mit einer heimlichen Hochzeit in Las Vegas ihren Höhepunkt findet, Fahrt auf. Denn selbst im fernen Colorado geht Kirsty Cory nicht aus dem Kopf. „Atlanticism“, der zweite für das Album geschriebene Song, welches zunächst mit „One hotel room“ gemeinsam mit Musikern aus der Punk-Szene in Colorado eingespielt so was wie Corys Soloalbum werden sollte, behandelt die räumliche, aber eben nicht seelische Trennung: „Well I’m noticing a commonality between the waves that break on my side / And the waves that break on yours / With the Atlantic between“. Wahrscheinlich wäre Corys Soloalbum aber nicht nur aufgrund des Umzugs von Colorado nach Bayern mit dieser Band entstanden. Denn nach Corys erstem, schönem Schicksalsschlag mit Kirsty, folgte für ihn ein weiterer, der anderen Sorte. Ein Mitglied von Corys Backing-Band beging Selbstmord, so dass die Band in dieser Formation nicht weiter existieren konnte. Dieses schreckliche Ereignis wird später in dem Song „Bender“ verarbeitet.

Als klar wurde, dass entweder Kirsty oder Cory das eigene Zuhause verlassen muss, ließ Cory schließlich Colorado hinter sich und baute sich ein neues Leben in München auf. Trumps damals noch frische Präsidentschaft war obendrein nicht gerade ein Hinderungsgrund für Cory. „Mein erstes Jahr in Deutschland hat mir die Augen geöffnet. Ich bin immer noch begeistert vom Gesundheitssystem. Ich hatte schon länger Probleme mit meinen Rücken und hier wurde sofort ein Röntgenbild angefertigt, ohne dass ich etwas dafür bezahlen musste. Etwas später musste mein Weisheitszahn gezogen werden, wieder ohne Kosten. Das ist toll. Ansonsten ist das Leben ziemlich ähnlich. Die Menschen wollen doch eigentlich die gleichen simplen Dinge, einfach Spaß haben, Liebe, gute Partys.“

Es ist einer dieser unglaublichen Zufälle, wie sie eben nur in romantischen Komödien vorkommen können, dass Jason Thompson, Sänger der (wie ARLISS NANCY) bei Gunner Records veröffentlichenden THE SKY WE SCRAPE und seit gemeinsamen Tourneen in den USA Corys bester Freund, einen Job in München annahm. Und weil niemand mit Musikmachen einfach aufhören kann, der einmal so weit wie die beiden gekommen ist, beschlossen sie, eine neue Band zu gründen – LITTLE TEETH! „Die anderen Lieder entstanden auf eine sehr natürliche Art. Und Bastian steuerte als Drummer noch mal eine ganz andere Energie zur Band bei. Yeah, und da stehen wir heute.“

„Redefining Home“ ist in der Tat eine herausragende Platte, getragen von Corys einzigartiger Stimme. Stets heiser, aber nie gepresst oder gekünstelt, nie schreit er ins Mikrofon, sondern er singt tatsächlich. Dazu gesellen sich, in der richtigen Dosierung und zum richtigen Zeitpunkt, Chöre, die Cory dann in den jeweiligen Momenten unterstützen und eine weitere Klangfarbe hinzufügen. Die Musik ist natürlich sehr amerikanisch, aber nicht auf so einer Heartland-Schiene, wo viele Kollegen die Band sehen. Punkrock im klassischen Sinne ist es aber auch nicht, dafür sind die Songs zu rockig, aber im Geiste ist das ganz klar Punk. LITTLE TEETH setzen sich musikalisch zwischen alle Stühlen, die sie finden konnten, bleiben stets hochmelodiös und mit einem Drive nach vorne. Dass Gunner Records diese Platte rausbrachte, erklärt sich an dieser Stelle, glaube ich, von selbst. Da sind sie wieder, diese unglaublichen Zufälle, wie sie eigentlich nur im Film vorkommen. Und manchmal eben auch im echten Leben.

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