LOS FASTIDIOS

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Manchmal werden Träume wahr

1991 wurden LOS FASTIDIOS im norditalienischen Verona gegründet, 2021 existieren sie immer noch, wobei Bandgründer Enrico heute das einzig verbliebene Urmitglied ist. Thematisch waren LOST FASTIDIOS als explizit linke Skinhead-Band nie im Sauf-Oi!-Lager zu Hause, textlich immer schon sehr „aware“, auch wenn bei ihnen der Spaß und die gute Laune – siehe die diversen Offbeat-Nummern – nie zu kurz kam und kommt. Auch wenn sie durch Corona etwas ausgebremst wurden, haben LOS FASTIDIOS trotzdem in den letzten 18 Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, irgendwo aufzutreten, denn die Band lebt quasi auf Europas Autobahnen. Zudem sind LOS FASTIDIOS der Inbegriff von DIY, denn Enrico und Elisa, seit langem schon ein Paar und seit 2020 auch verheiratet, kümmern sich um Booking und Management selbst und betreiben mit Kob Records zudem auch das bandeigene Label inklusive Mailorder. Den 30. Geburtstag und das neue Album „XXX The Number Of The Beat“ nahm ich zum Anlass für dieses Interview.

Enrico, du hast die Band vor drei Jahrzehnten gegründet und heute bist du das einzige verbliebene Originalmitglied. Warum war die Band für dich immer ein bisschen wichtiger als für die früheren Mitglieder?

Enrico: Musik ist mein Leben, die Band ist mein Leben. Ich habe wirklich von Anfang an an die Musik und an das Projekt LOS FASTIDIOS geglaubt, welches heute an Jahren mehr als die Hälfte meines Lebens einnimmt. Das Punkrock-Leben ist nichts für jeden, manchmal denken die Leute, dass es super einfach wäre, immer auf Tour zu sein, aber wenn sie merken, dass es kein Spaß ist, ziehen es einige Musiker vor, einen Schritt zurückzugehen und vielleicht wieder Vollzeit in der Fabrik zu arbeiten, wo sie hergekommen sind ... Punkrock ist ein Leben voller Opfer, aber die Befriedigung, die das Punkrock-Leben dir gibt, ist das Opfer wert. Ich bin mir sicher, dass jeder Musiker, der die Band verlassen hat, die großartigen Zeiten, die er unterwegs mit LOS FASTIDIOS erlebt hat, im Herzen tragen wird. Und ich bin mir sicher, dass niemand heute die Momente, die er mit uns zusammen erlebt hat, bereut. Das sind unvergessliche Erfahrungen, die für immer in sein Herz tätowiert sind.

Kannst du uns etwas über deine musikalische Sozialisation in den Achtzigern erzählen? Welche Bands waren für dich wichtig?
Enrico: Schon als Kind habe ich immer viel Musik gehört. Auf meinen ersten Kassetten in den Siebzigern, als ich zehn oder zwölf Jahre alt war, waren KISS, THE POLICE, DEEP PURPLE, BLONDIE, SEX PISTOLS oder THE CLASH. In den Achtzigern habe ich mich in den Rock’n’Roll verliebt, Eddie Cochran, Buddy Holly, Ritchie Valens, Robert Gordon, STRAY CATS, Chuck Berry – zu der Zeit hatte ich einen netten Rockabilly-Schopf – und zugleich begann ich, Ska und 2Tone-Musik zu hören wie THE SPECIALS, MADNESS, SELECTER, THE BEAT, Laurel Aitken, Desmond Dekker oder TOOTS & THE MAYTALS. Und dann kam britischer Indiepop wie THE SMITHS oder THE HOUSEMARTINS, die Band, die mir wirklich mehr Spaß bereitet hat, als alles andere zuvor in meinem Leben. Dann kam der Moment, in dem ich COCK SPARRER entdeckte, eine weitere Band, die mich musikalisch wirklich geprägt hat. Was italienische Musik angeht, liebte ich KLASSE KRIMINALE, die erste CASINO ROYALE-Platte, STRIKE, PERSIANA JONES, NABAT ... Neben all diesen Bands haben noch Dutzende andere Gruppen mein Musikleben inspiriert. Ich habe eine schöne Sammlung von Vinyl-Platten, die ich in den Achtziger-Jahren gekauft habe, dem Jahrzehnt, das meiner Meinung nach meine Generation am meisten beeinflusst hat.

Wann hast du erkannt, dass diese Band dein Leben ist und sein wird?
Enrico: Im Laufe der Jahre habe ich gemerkt, dass ich viele Sachen zu sagen hatte. Und solange ich etwas zu sagen und zu singen habe, wird die Band ein Teil von mir sein. Vor dreißig Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich heute noch auf der Bühne stehen kann. Ich muss mich bei all den Fans bedanken, bei all den Freunden, die mich und die Band über die ganze Zeit hinweg wirklich unterstützt haben. Sie sind die wahre Energie, das wahre Benzin für mein Musikleben. Wenn du merkst, dass deine Leute auf deine neuen Songs warten, auf deine Botschaften, kannst du sie nicht unglücklich zurücklassen, und deshalb werde ich immer alles tun, was ich kann, um ihnen ein neues Album zu geben, das noch mal besser ist als das vorherige.

Hattest du jemals einen „richtigen Job“?
Enrico: In meinem Leben habe ich eine Menge Jobs gehabt, ich war nie arbeitslos. Mitte der Achtziger Jahre habe ich in einer Süßwarenfabrik gearbeitet, dann Anfang der Neunziger Jahre als Buchhalter in einer Druckerei, und dann wurde ich Handelsvertreter für eine Werbefirma. 1996 kam die Wende in meinem Leben: Als ich beschloss, das wenige Geld, das ich hatte, zu investieren, um meinen kleinen Punkrock-Plattenladen in Verona, genannt Kob Records, zu eröffnen, war es ein Traum für mich, endlich in und mit der Musik zu leben. Zur gleichen Zeit begann ich mit dem unabhängigen Labelprojekt Kob Records, produzierte und vertrieb eine Menge Punk-, Ska-, Oi!-Bands aus der ganzen Welt. Parallel dazu führte ich das Projekt LOS FASTIDIOS weiter. Und wenn ich mit der Band auf Tour war, übernahm meine Schwester oder ein Freund den Laden. Der physische Shop wurde leider im Dezember 2011 geschlossen. Der war lange Zeit ein wirklich wichtiger Treffpunkt für alle lokalen Punkrock-Generationen der Neunziger und Nuller Jahre. Seitdem haben Elisa und ich unsere Kob Records-Online-Shop ausgebaut und führen auch das Label und die Booking-Agentur weiter. Dieser Job ermöglicht es uns, auch für längere Zeit von zu Hause weg zu sein, wenn wir mit der Band auf Tour sind. Heute kann ich mit Stolz sagen, dass mein Leben voll und ganz in der Musik aufgeht.

Wie siehst du die „Rivalität“ innerhalb der Punk-, der Ska- und der Skinhead-Szene in den letzten dreißig Jahren? LOS FASTIDIOS standen meiner Meinung nach immer „zwischen“ diesen Bewegungen. Und dann gibt es auch noch Fußball ...
Enrico: Die Punk-, Ska- und Skinhead-Szene war schon immer ein bisschen kompliziert, aber gleichzeitig gaben uns die Probleme eine Menge Energie, um zu versuchen, die verschiedenen Seelen der Szene zu vereinen. Ich denke, dass die Spaltung und Rivalitäten zwischen den verschiedenen Banden oft von oben gesteuert werden. Die Punk-Bewegung hat die Mächtigen immer erschreckt. Die Punkbewegung – Punk/Oi!/Ska – ist mehr als Musik, sie ist die eigentliche Kraft der Straße, sie ist DIY, sie verlässt oft die Logik des „Business“ und auch aus diesem Grund machen manche lieber Ärger innerhalb der Szene. Politik, Rassismus, Fußball, all das sind Instrumente, die vom System benutzt werden, um Leute gegen Leute, Crew gegen Crew, Szene gegen Szene aufzubringen. Wir leben mit der Band seit dreißig Jahren „zwischen“ diesem Chaos und wollen versuchen, unseren Zuhörern den positiven Weg unserer Subkulturen, unserer Art zu leben, zu zeigen. Das ist der Grund, warum wir viele Songs haben, die von Einigkeit handeln, und wir werden diesen Weg weitergehen, denn nur vereint können wir gegen das System und seine Diskriminierungen gewinnen.

Einige von uns sind mit dem Alter ein bisschen „langsamer“ geworden ... Was würde der zwanzigjährige Enrico über den Enrico des Jahres 2021 denken?
Enrico: Ich bin mir sicher, dass der zwanzigjährige Enrico schockiert wäre. Er hätte sich nie vorstellen können, dass er dreißig Jahre später in den Spiegel schaut und einen Enrico mit mehr Enthusiasmus, Tatendrang und Leidenschaft sieht als damals. Oft denke ich, ich sollte langsamer machen, weil ich manchmal müde bin, aber ich kann es nicht, es ist stärker als ich.

Elisa, du bist etwas jünger als Enrico. Wann und wie hast du das erste Mal von LOS FASTIDIOS erfahren, was hat dich fasziniert?
Elisa: Ich komme ursprünglich aus Lonigo, einer kleinen Stadt dreißig Kilometer von Verona entfernt. In den Nuller Jahren war es ein richtiges Punkrock-Dorf, mit vielen Bands, und alle Kids waren in die Punkrock-Szene unserer Region wirklich involviert. Auch ich habe in zwei kleinen lokalen Bands gespielt: Ich war Gitarristin bei den DIXAN GIRLS, daher mein Spitzname Dixan, und Bassistin bei RESPIRO NOCIVO. Außerdem organisierte ich einige Punkrock-Shows in der kleinen Bar meiner Familie namens Bar Verdi im Zentrum von Lonigo. Ich erinnere mich, dass in den Nullern jedes Wochenende eine Menge Autos voller Kids von Lonigo aus zu den großen Punkrock-Konzerten in Vicenza, Verona, Marghera, Padova fuhren, um Bands wie LOS FASTIDIOS, PUNKREAS oder PETER PUNK zu sehen. Ich hörte ohne Ende italienischen Punkrock und Ska-Punk, und LOS FASTIDIOS waren eine meiner Lieblingsbands. Einige Songs der Band waren wirklich wichtig für mich: „La mia libertà“, „Fiumi di parole“, „3 tone“, „Animal liberation“, „Cuba libre“, das war der erste LOS FASTIDIOS-Song, den ich je hörte, und viele andere. LOS FASTIDIOS und ihre Musik halfen dabei, mich in die unabhängige Punkrock-Welt zu bringen ... Normalerweise kaufte ich LOS FASTIDIOS-Alben in einem kleinen Plattenladen in Lonigo, aber ich erinnere mich genau an das erste Mal, als ich in den Kob Records-Shop von Enrico in Verona ging, es war im August 2008. Ich war total überwältigt, ich war wie ein Kind, das einen Vergnügungspark betritt. In dem Laden gab es tausende von Punkrock/Ska-LPs, -CDs, -DVDs, Klamotten, ich habe noch nie einen so schönen und gut sortierten Laden gesehen. Enrico war sehr nett, er schlug mir eine Menge toller Bands vor, die ich nicht kannte ... Wir wurden schnell Freunde. Ich fing an, mit ihm regelmäßig zu den Fußballspielen von Virtus Verona zu gehen und oft auch zu den Konzerten von LOS FASTIDIOS in anderen Regionen und Ländern. Mit Enrico hatte ich immer eine tolle Zeit, wir sprachen und sprechen immer noch die gleiche Sprache und wir lieben wirklich die gleichen Dinge, wir leben wirklich in der gleichen Welt. Ehrlich gesagt hätte ich mir vor 15 Jahren nicht vorstellen können, heute Enricos Frau zu sein, mit ihm zusammen bei Kob Records zu arbeiten und in der wichtigsten Band meines Lebens zu singen. Aber manchmal werden Träume wahr ...

Und wann bist du der Band beigetreten, wann wurdet ihr ein Paar?
Elisa: Ich habe Anfang 2012 angefangen, regelmäßig mit der Band auf Tour zu gehen, zur gleichen Zeit sind Enrico und ich ein Paar geworden. Ich stieg als Merchandiserin in die Crew ein und wurde nach kurzer Zeit zur Tourmanagerin der Band, kümmerte mich um die Tourdaten, Promofotos, Videos und das Merchandise. Es war fantastisch und ein paar Monaten vorher noch unvorstellbar. Ich habe von Anfang an mein Bestes gegeben, um so gut und professionell wie möglich zu arbeiten. Tag für Tag, Jahr für Jahr wuchs ich in meinem Job hinein. Ich muss Enrico und allen Jungs der Band, die an mich geglaubt haben, wirklich danken. Vor ein paar Jahren fragten viele Fans der Band Enrico, wann sie mich mit der Band auf der Bühne sehen könnten. Enrico hörte auf sie und folgte ihrem Vorschlag. Eines Morgens nahm er mich mit in ein Studio in Brescia, um zwei Tracks aufzunehmen, zwei alte LOS FASTIDIOS-Songs mit meiner Stimme. Ich war fassungslos, ich hatte noch nie in meinem Leben gesungen, ich war so aufgeregt. Die Aufnahme war gut und wir beschlossen, Volume 1 von „Elisa Dixan Sings Los Fastidios“ als 7“ zu veröffentlichen, und es lief großartig, die Single erhielt viele positive Kritiken aus der ganzen Welt. In Prag am 28. Dezember 2018, während des LOS FASTIDIOS-Konzerts, forderte mich Enrico auf, auf die Bühne zu kommen, und ich sang zum ersten Mal „Radio Babylon“ live. Es war ein großartiges Gefühl. Ich erinnere mich, dass meine Beine zitterten, aber es war großartig, ich werde diesen Moment nie vergessen ... Seit dieser Zeit stehe ich bei jedem Konzert auf der Bühne, um ein paar Songs, mehr und mehr, mit der Band meines Herzens zu singen, und es ist ein großartiges Gefühl bei jedem Gig.

Heute betreibt ihr die Band und Kob Records zusammen als eure Firma. Was macht ihr so alles?
Elisa: Ich liebe meinen Job wirklich, ich bin sehr stolz darauf. Seit 2012 ist Kob Records ein Online-Shop, der physische Laden wurde im Dezember 2011 geschlossen, nach 15 Jahren. Enrico und ich haben wirklich unser Bestes gegeben, um unsere Website und unseren Online-Shop bestmöglich zu organisieren. Nach rund zehn Jahren sind wir wirklich zufrieden mit dem, was wir geleistet haben, und heute ist Kob Records einer der wichtigsten Online-Shops, der sich Punk, Ska und vielem mehr widmet. Jede Woche kommen auf der Website Dutzende neue Titel in den Vertrieb und neue Klamotten. Wir haben auch eine kleine Marke namens Kob gegründet und haben unsere ersten Jacken, Polos, T-Shirts und Gadgets veröffentlicht. Kob Records ist auch ein Plattenlabel und eine Booking-Agentur, also ist unser Leben sehr arbeitsreich, aber es ist so toll, weil wir in der Musikwelt arbeiten, die wir wirklich lieben.
Enrico: Kob Records ist ein bedeutender Teil meines Lebens. Ich war so traurig, den Laden schließen zu müssen, und ich muss Elisa wirklich danken, die mir geholfen hat, aus einer wirklich schwierigen Situation herauszukommen. Sie gab mir eine Menge Kraft und eine positive Richtung, und so begann 2012 das neue Leben von Kob Records, das Jahr für Jahr wuchs, sowohl als Online Shop als auch als Plattenlabel und Booking-Agentur. In den letzten Jahren haben wir eine Menge Bands produziert wie zum Beispiel SKASSAPUNKA, LE IENE oder ASHPIPE. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Bands und planen neue Veröffentlichungen im nächsten Jahr. Kob Records hilft seinen Bands auch bei Live-Auftritten, dank unserer Booking-Agentur. Kob Records ist ein echtes „Do it yourself“-Ding, um den Sound der Straße, den wir so lieben, zu verbreiten. Seit jeher glaube ich an die unabhängige Musik, weil ich denke, dass die Musik den Menschen gehört, den Bands und nicht den großen multinationalen Konzernen, die nichts mit unserer Art zu leben zu tun haben.

Wie habt ihr es geschafft, die Corona-Zeit bisher zu überstehen – und das auch noch in Verona, das ein früher Hotspot der Pandemie war? Als tourende Band habt ihr in den letzten anderthalb Jahren wahrscheinlich einen sehr großen Teil eures Einkommens verloren ...
Enrico: Es war nicht einfach. Wir kamen am Sonntag, den 8. März 2020, von zwei großartigen Shows in Minsk und Berlin zurück, bereit, am Mittwoch nach Spanien abzureisen, aber ab Dienstag waren wir im Lockdown. Ich war total geschockt, ich hätte mir nie vorstellen können, in so eine Situation zu geraten. Ich erinnere mich an die wirklich harten ersten Tage, isoliert, zu Hause eingesperrt. Es war verrückt ... Wir vermissten unser Leben, unsere Freunde, unsere Leute. Dann beschlossen wir, die sozialen Netzwerke zu nutzen, um uns nicht allein zu fühlen. Wir teilten jede Woche auf unseren Kanälen neue Videoclips von akustischen Songs, jeder Musiker von zu Hause aus, aufgenommen mit den Smartphone-Mikrofonen. All das hat uns und unsere Follower begeistert, all das hat uns geholfen, mit unseren Leuten überall auf der Welt in Kontakt zu bleiben. Wir haben uns weniger allein gefühlt, und in dieser Zeit haben wir wirklich entdeckt, dass wir so viele Freunde in jeder Ecke der Welt haben. Musik hat uns in dieser Zeit wirklich geholfen. Im August 2020 haben wir das Akustikalbum „From Lockdown To The World“ veröffentlicht, das wirklich gut lief, und uns sowohl moralisch als auch wirtschaftlich aufgebaut hat. Wir waren eine der ganz wenigen Bands, die es geschafft haben, während der Pandemie eine Tour zu machen. Wir haben im September 2020 zehn Shows in der Schweiz, Deutschland und Schweden gespielt, alle unter Einhaltung der Corona-Regeln. Diese Tour war für uns wirklich wichtig, alle Konzerte waren ausverkauft, voller Enthusiasmus, Emotionen, mit dem großen Wunsch – sowohl von uns als auch der Fans – zurück ins „normale Leben“ zu kommen. Während der Pandemie habe ich die Gelegenheit genutzt, viele neue Songs zu schreiben, also ziehe ich es vor, die positive Seite dieser schlimmen Situation zu sehen: Ein neues LOS FASTIDIOS-Album wird kommen und ich möchte hoffen, dass es den Beginn einer neuen tollen Zeit markiert.
Elisa: Wir haben beschlossen, dass es an der Zeit war, unsere Arbeit noch besser zu organisieren, also haben wir uns voll und ganz auf die Neugestaltung unseres Online-Shops konzentriert, eine schwierige Aufgabe, die uns aber erlaubt hat, den Verkauf besser zu organisieren. Leider wurde die Live-Musik gestoppt, und sowohl mit unserer Band als auch der Booking-Agentur konnten wir nicht weitermachen. Aber dank des Shops und all der Freunde, die uns in diesen Monaten unterstützt haben, haben wir es geschafft zu überleben. Die italienische Regierung hat der Musikwelt überhaupt nicht geholfen, und auch heute noch ist die Situation für alle, die in der Musikbranche arbeiten, sehr schwierig. Unsere Gedanken gelten vor allem den Menschen, die hinter den Kulissen arbeiten, den Ton- und Lichttechnikern, den Arbeitern, die die Bühnen aufbauen, allen denen, die keine andere Möglichkeit hatten, als Geld anzunehmen, um zu überleben. Wie auch immer, über die Jahre habe ich gelernt, immer optimistisch zu sein, und ich bin mir sicher, dass wir bald aus diesem Tunnel herauskommen werden.

Inmitten des Corona-Wahnsinns, der Verona sehr hart getroffen hat, habt ihr 2020 sogar geheiratet. Wie war das – Tod und Romantik so nah beieinander ...?
Enrico: Unsere Liebe hat gesiegt, wir konnten nicht zulassen, dass das Corona-Virus alle unsere Träume zerstört ... Wir hatten unsere Hochzeit von Mai auf September 2020 verschoben und beschlossen, sie nicht noch mal zu verschieben. Und wir haben das Richtige getan: Unsere Hochzeit war der beste Moment meines Lebens und hat mir total geholfen, mit meinem Verstand und meinem Herzen aus dieser verrückten Pandemie-Situation herauszukommen. Ich liebe und hasse das Corona-Virus.
Elisa: In einem so schrecklichen Jahr, konnten wir eine schöne Erinnerung bewahren: Es war der beste Moment unseres Lebens im schlimmsten Jahr unseres Lebens. Die Liebe hat gesiegt! Am 24. September 2021, zur Feier unseres ersten Hochzeitstages, haben wir eine 7“ mit dem Titel „Elisa & Enrico Just Married“ herausgebracht, die drei Songs enthält. Auf der Seite A ist ein „Love song“ unserer Freunde THE MAGNETICS und auf der Seite B zwei besondere Versionen von „Ska Medley“ und „So rude so lovely“. Alle Lieder werden von mir und Enrico gesungen. Die Songs wurden vor einem Jahr als CD als Hochzeitsgeschenk veröffentlicht und jetzt wollen wir sie mit all unseren Freunden auf der ganzen Welt teilen.

In der Punk-Szene gibt es eine anhaltende Diskussion über Sexismus in unserer Szene. Elisa, du bist eine der wenigen Frauen in der Oi!/Streetpunk-Szene. Kannst du ein paar deiner Erfahrungen mit uns teilen? Und was muss sich ändern?
Elisa: Sexismus ist ein großes und ernstes Problem. Und das Traurigste ist, dass es auch in unserer Musikszene existiert, wo zu viele Sexisten oft versuchen, ihren Sexismus in Burschenschaftler-Manier zu überdecken. Sexismus ist kein Witz, und wir alle müssen alles tun, um zu vermitteln, dass Sexismus ein Verbrechen ist und unter keinen Umständen toleriert werden kann. In meinem Leben habe ich viele Erfahrungen damit gemacht, die auch einige Freundinnen betrafen. Sexismus ist nicht nur ein gewalttätiger physischer Akt gegen eine Frau, sondern auch die am weitesten verbreitete und gefährlichste, psychische Gewalt, die tausende von Frauen jeden Tag in der Schule, bei der Arbeit, auf der Straße erleiden. Manchmal fühlte ich mich als Frau, die als Tourmanagerin arbeitet, als minderwertig behandelt, nur weil ich eine Frau bin, aber jedes Mal konnte ich den Leuten klarmachen, dass ich viel seriöser und professioneller bin als viele männliche Kollegen. Es ist so traurig, den Neid und die Eifersucht von einigen Musikern zu spüren, nur weil ich eine Frau in unserer Musikszene bin. Viele Mädchen und Frauen kommen während der Konzerte zu mir und sprechen über die schlimmen Erfahrungen, die sie in der Musikszene gemacht haben. Es ist so traurig, wenn man versteht, dass das Problem viel weiter verbreitet ist, als wir glauben. Ich denke, Sexismus ist wie Rassismus, es reicht nicht zu sagen, dass wir nicht sexistisch oder rassistisch sind. Wir können nicht gleichgültig sein und schweigen, wir müssen sowohl als Personen als auch als Musiker gegen Sexismus Stellung beziehen, vielleicht einige Veranstaltungen mit Musik, Debatten, Zusammenkünften und Workshops organisieren, um über das Sexismusproblem in der Musikszene zu diskutieren und mehr. Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich zum Glück in meinem Leben auch mit vielen lieben Menschen gearbeitet habe und immer noch arbeite, die Frauen wirklich respektieren. Durch sie und mit ihnen konnten wir anfangen, etwas in der Musikwelt zu verändern, und nicht nur das. Enrico hat mir vorgelebt hat, dass Musik alles leisten kann – auch Sexismus bekämpfen.

Enrico, kannst du uns beschreiben, wie die Situation der Punk/Oi!-Szene und das politische Klima in Verona waren, als die Band begann?
Enrico: 1991 war die Musikszene in Verona wirklich gut, ich erinnere mich, dass es viele Bands gab, und es einfach war aufzutreten, weil es eine Menge kleine und große Veranstaltungsorte gab. Ganz anders als heute, wo es nicht mehr so viele Musikclubs in der Stadt gibt. Anfang der Neunziger Jahre war ich auch Veranstalter in einer kleinen Kneipe in der Nähe von Verona, wo ich viele Ska-, Punk- und Oi!-Konzerte organisierte und die Szene drumherum wuchs. 1996 eröffnete ich den Kob Records-Laden, der jahrelang ein wichtiger Treffpunkt für alle Kids der lokalen antirassistischen Szene war. Die politische Situation Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre in Verona war ruhig, es gab keine Unruhen oder Schlägereien, die rechte Szene war klein, aber leider wuchs sie in den folgenden Jahren um die Fußballhooligan-Szene herum. Ab Mitte der Neunziger Jahre änderte sich die Situation total, es gab viel Aggression in der Stadt durch die Faschisten und viele Straßenschlachten. Die beste Zeit in Verona war gegen Ende der Neunziger, Anfang 2000, ich habe wirklich tolle Erinnerungen an diese Zeit ... Dutzende Bands, eine Menge Veranstaltungen in Verona und in der übrigen Region und und die lokale antifaschistische Szene war immer schon stärker. Ich erinnere mich, dass Kob Records im Jahr 2000 ankündigte, dass wir nach antirassistischen Punk/Oi!/Ska-Bands aus dem Nordosten Italiens suchten, um die Compilation-CD „Tre Venezie, Skins & Punx United“ zu veröffentlichen. Es war verrückt, denn zu dieser Zeit gab es keine Mobiltelefone und keine sozialen Netzwerke, die Kommunikation und die Promotion waren nicht einfach, aber trotzdem weiß ich noch, dass wir in drei Tagen dreißig Songs von dreißig Bands aus der Region zusammenhatten. Leider mussten wir vielen Bands absagen, die zu spät kamen. Tolle Zeiten, aber ich bin mir sicher, dass sie wiederkommen werden.

Wie ist die Situation im Norden Italiens heute? Wie rechts ist eure Region mit der wachsenden Lega-Bewegung geworden, und wie stark ist der Widerstand der Linken? Was kann eine Band wie eure dazu beitragen, außer durch Aufkleber mit der Aufschrift „Refugees Welcome“?
Enrico: Heute ist die Situation schrecklich, in unserer Stadt – und nicht nur hier – sind die Straßenfaschisten seit vielen Jahren mit den rechten Politikern verbunden, so dass oft einige schlimme Aktionen auf der Straße von der Politik gedeckt oder irgendwie gerechtfertigt werden. In den städtischen Institutionen kann man viele Namen von alten „Straßenfaschisten“ entdecken. Die Situation ist nicht einfach, aber die linken und Antifa-Organisationen beobachten die Situation weiterhin und prangern jedes seltsame Ereignis an, das in der Stadt passiert. Ich denke, dass Musik, wie auch Sport, helfen kann. Musik und Texte sind unsere Waffen und wir müssen sie nutzen, die Bands müssen Stellung beziehen. Musik ist Stärke, Musik ist Leben, Musik vereint Schwarz und Weiß, Musik vereint Studenten und Arbeiter. Ich bin ein Träumer und ich träume immer noch von einer großen Musikszene, die vereint ist, von unten nach oben, vom unabhängigen Künstler bis zu den kommerziellen Musikern. Musik kann helfen, die Köpfe zu öffnen, die Herzen zu öffnen, die Häfen zu öffnen und Barrieren und Grenzen zu durchbrechen. Wir sind nur Musiker, aber wir können es besser als viele Politiker, die nur reden können. Wir kennen die Menschen, wir touren von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und die Musik ist ein perfektes Vehikel, um Emotionen und Wut zu transportieren.

Nach dreißig Jahren brauche ich mal eure Top Ten der LOS FASTIDIOS-Songs. Für welche bekommt ihr live die meisten Jubelrufe, und welche sind die Favoriten auf den Streamingplattformen – und welche sind eure persönlichen Lieblinge?
Enrico: Live: 1. „Antifa hooligans“; 2. „S.H.A.R.P.“; 3. „3 tone“; 4. „The sound of revolution“; 5. „Animal liberation“; 6. „Joy joy joy“; 7. „Birra oi! e divertimento“; 8. „Skankin’ town“; 9. „So rude so lovely“; 10. „Rabbia dentro al cuore“. Streamingplattformen: 1. „Antifa hooligans“; 2. „Bella ciao“; 3. „Clandestino“; 4. „S.H.A.R.P.“; 5. „The sound of revolution“; 6. „So rude so lovely“; 7. „Birra oi! e divertimento“; 8. „Bottiglie e battaglie“; 9. „Rabbia dentro al cuore“; 10. „3 tone“. Leider kann ich die Songs des neuen Albums nicht nennen, aber ich liebe sie alle.Also ist dies meine Top Ten bis September 2021: 1. „I have a dream“; 2. „Antifa hooligans (Ska version)“; 3. „Joy joy joy“; 4. „BMX punx“; 5. „Rabbia dentro al cuore“; 6. „3 tone“; 7. „Dans le ciel“; 8. „Reds in the blue“; 9. „Animal liberation“; 10. „Johnny & the queer boot boys“.
Elisa: 1. „La mia libertà“; 2. „Skankin’ town“; 3. „Fiumi di parole“; 4. „Revolution“; 5. „3 tone“; 6. „La staffetta“; 7. „I have a dream“; 8. „The sound of revolution“; 9. „Hooligirl“; 10. „So rude so lovely

„XXX The Number Of The Beat“ ist euer brandneues Album. Ein sehr schöner Titel. Wer hatte die Idee?
Enrico: Dreißig Jahre auf den Straßen verdienten einen besonderen Titel, Dreißig, also XXX, ist für mich mehr als eine Zahl, es ist ein wirklich wichtiger Teil meines Lebens. Ich hatte die Titelidee, in Anlehnung an den alten IRON MAIDEN-Albumtitel. Also die IRON MAIDEN-666 „The Number Of The Beast“ ändert sich für LOS FASTIDIOS in „XXX The Number Of The Beat“ ... Dreißig Jahre, von meinem Heartbeat zu unserem musikalischen Beat.

Erzählt uns von den Songs, der Idee, den Aufnahmen.
Enrico: Wir haben die Songs während des Lockdowns geschrieben. Es war das erste Mal, dass wir getrennt gearbeitet haben, auch weil die Bandmitglieder in verschiedenen Städten und Regionen leben, so dass wir uns viele Monate lang nicht treffen konnten. Es war ein bisschen seltsam, aber gleichzeitig auch schön, wir haben eine neue Art zu arbeiten gelernt. Während dieser Monate schickte ich Tag für Tag die Ideen für die Songs, Melodien, Texte an Filippo aka Bibol, unseren Gitarristen, der ein kleines Homestudio hat. Er nahm seine Gitarren- und Bassparts und Drumset-Grundlagen auf und dann schickten Elisa und ich unsere Gesangsparts ... Die Vorabmischung von Bibol klang schon richtig gut. Es war das erste Mal, dass ich und Bibol zusammen an den Songs gearbeitet haben. Es war wirklich gut, wir sprechen musikalisch die gleiche Sprache und er kann die Songideen sehr gut entwickeln, die ich auf ihn loslasse. Wir hatten sehr viel Zeit für das Arrangieren der Sounds und der Gesangsparts. Dann gingen wir zu den eigentlichen Aufnahmen über. Aber auch in diesem Fall entschieden wir uns, anders als bei den vorherigen Alben zu arbeiten, und buchten ein Studio nur für die Drumset-Aufnahmen, das Animal Studio in Ferrara, und eines für Mixing und Mastering, La Distilleria in Bassano. Den Rest der Aufnahmen machten wir selbst im kleinen Heimstudio von Bibol. Wir sind sehr zufrieden mit dem Endergebnis, unser alter Freund Icio von La Distilleria hat Mix und Mastering toll hinbekommen. 13 neue Songs, darunter eine neue Version unseres alten Songs „Blue beat boy“, in klassischer LOS FASTIDIOS-Tradition: Eine explosive Mischung aus Klängen der Straße, von Streetpunk bis Rock’n’Roll, von 2Tone-Ska bis Rocksteady-Rhythmen, von Indie-Britpop bis Streetsoul, gesungen in Italienisch, Englisch und Französisch. Die Texte reichen von Spaß bis hin zu sozialem Engagement und behandeln Themen wie Rassismus, Unterdrückung, Menschen- und Tierrechte, Freiheit, Subkulturen, Einheit, alles mit der für unsere Band typischen positiven und proaktiven Einstellung. Ein Album voller Hoffnung, Energie, Leidenschaft, im Namen des Spaßes und zur Unterhaltung der Zuhörer, ein Album zum Singen, zum Tanzen, zum Nachdenken. Für das Album hatten wir einen Special Guest am Keyboard, Andrea Massaroni, von SHANDON und THE MAGNETICS, und die Jungs von den italienischen Bands THE URGONAUTS und LENNON KELLY für den Background-Gesang. Das schöne Coverartwork des Albums wurde von Andrea „The And“ Sartori realisiert, der in der Vergangenheit schon einige Cover für uns gestaltet hat. Wir haben unser Bestes gegeben, um ein Album zu realisieren, das besser ist als das vorherige, „Joy Joy Joy“. Es war nicht einfach, aber wir glauben, dass wir es geschafft haben. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis und freuen uns sehr darauf. Wir sind uns sicher, dass unsere Leute es lieben und genießen werden.

Und was sind die Pläne für den Rest von 2021 und 2022?
Enrico: Zunächst einmal hoffen wir, aus diesem langen Tunnel herauszukommen; es scheint, als würden wir allmählich das Licht sehen, aber wir denken, dass wir wieder ein wenig leiden müssen. Wir hoffen, dass wir mit unserem neuen Album bald überall auf der Welt touren können, denn wir vermissen unser Leben unterwegs und unsere Freunde. Wir hoffen, dass unsere neuen Songs für ein wenig Enthusiasmus und ein Lächeln bei all den Menschen sorgen werden, die unter dieser verrückten Pandemie-Situation gelitten haben und immer noch leiden. Wir versprechen euch allen, dass wir uns sehr bald beim gemeinsamen Tanzen und Singen zu den Songs von „XXX The Number Of The Beat“ sehen werden ... Und das ist erst der Anfang!
Elisa: 2021 ist ein wichtiges Jahr für LOS FASTIDIOS, 30 Jahre gibt es die Band nun. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, alle Alben auf farbigem Vinyl neu aufzulegen. Die ersten vier haben wir bereits veröffentlicht und die anderen werden in den kommenden Monaten erscheinen. Die Fans haben mit großer Begeisterung auf diese Neuauflagen reagiert, alle Vinyl-Alben waren lange Zeit nicht erhältlich. Und wir arbeiten an neuen Videoclips, wir würden gerne für jeden Song auf dem neuen Album einen Videoclip veröffentlichen.