LYGO

Foto© by Sebastian Igel

Angst vor der Dunkelheit

Irgendwie kommen LYGO noch immer wie eine junge Band daher. Und das, obwohl die drei Wahlkölner mit Stolz auf eine Diskografie mit zwei Platten, einer EP und einer 7“ sowie diverse, auch größere Touren in nur fünf Jahren zurückblicken können. Nun kommt nach einer zweijährigen, selbst auferlegten vermeintlichen Ruhepause das Album „Lygophobie“ hinzu, wieder erschienen auf Kidnap Music. Sänger und Gitarrist Simon berichtet von dem Prozess, der „Lygophobie“ hervorgebracht hat.

Nach eurem letzten Release, der 7“ „Kloß im Hals“, habt ihr verkündet, dass ihr euch auf unbestimmte Zeit ein Päuschen gönnen wollt. Ein Blick in eure Diskografie bei Bandcamp zeigt, dass diese 7“ 2019 erschienen ist. Da liegt ja dann doch keine allzu lange Zeit zwischen dieser Veröffentlichung und eurer neuen Platte „Lygophobie“. Habt ihr es doch nicht ohne die Band ausgehalten?

„Kloß im Hals“ war unser Jubiläumstonträger. Wir haben dazu vier Konzerte gespielt unter dem Titel „Irgendwann ist auch mal gut mit der Scheiße, aber heute noch nicht“. Im Anschluss haben wir vorsätzlich die erste Bandpause unserer Geschichte eingelegt und uns vorgenommen, nach diesen vier Konzerten nichts mehr zu planen und alles abzusagen, was an Anfragen reinkommt. Das haben wir wenige Monate auch durchgehalten.

Ein paar Monate lief also wirklich gar nichts.
Es ging darum, einen Schritt zurück zu machen, so dass jeder von uns Dreien sich für sich überlegen kann, welchen Stellenwert die Band und das Musikmachen für uns hat, wie es sich anfühlt, nichts mit Musik zu machen, und ob es denkbar wäre, auch ohne die Band zu sein. Ende 2019 haben wir aber schon wieder erste Songideen gesammelt. Die zwanglose Situation, in der niemand von uns erwartet hat, ein Album zu machen, und wir auch selbst nicht unbedingt den Drang hatten, war dann plötzlich sehr produktiv. Es kamen in kurzer Zeit sehr viele Ideen zusammen. Mit dem ersten Lockdown gab es dann sehr wenig Ablenkung und sehr viel Zeit, um aus losen Ideen ganze Songs zu machen. Im Sommer 2020 war für uns klar, dass es auf ein neues Album herauslaufen wird.

Ihr habt im Lockdown also nicht wie viele andere Bands nichts gemacht, sondern konntet die Zeit nutzen.
Wir sind ja nur zu dritt. Es war die meiste Zeit möglich, Zeit im Proberaum zu verbringen. Hilfreich war, dass wir das Album über den Winter 2020/21 diesmal selber aufgenommen haben und somit auch während der Aufnahmen nur zu dritt im Raum waren. Eine richtige Studiosituation mit mehr Leuten wäre ja phasenweise nicht möglich gewesen.

Das war möglich, weil euer Schlagzeuger Daniel sich in das Thema Recording reingefuchst hat. Hattet ihr keine Bedenken, was dabei rauskommt, wenn niemand Außenstehendes den Prozess beobachtet?
Ein Stück weit nervös waren wir schon, allerdings hatten wir auch vorher schon häufiger Probeaufnahmen gemacht und uns daran angenähert, wie das Album im Endeffekt klingen sollte. Zusätzlich haben wir auch mal Nico Vetter hinzugezogen, der all unsere anderen Platten produziert hat, damit wir eine Rückmeldung von jemand von außen haben, der uns versteht und beurteilen kann, ob wir an die anderen Sachen anknüpfen. Uns hat das Sicherheit gegeben. Das war aber auch das einzige Feedback, das wir uns eingeholt haben.

„Lygophobie“ ist ja kein geschicktes Wortspiel eurerseits, sondern der medizinische Fachbegriff für übersteigerte Angst vor der Dunkelheit. Inwiefern ist das ein guter Titel für euer neues Album?
Wir sind vor ein paar Jahren auf diesen Begriff gestoßen. Bei der Suche nach einem guten Plattentitel ist er uns wieder eingefallen. Wir haben gemerkt, dass sich das Motiv Angst vor der Dunkelheit in relativ vielen Songs wiederfinden lässt, teilweise sogar wörtlich. Es gibt zum Beispiel die Stücke „Kommentarspalte“ oder auch „Auf deine Bitte“. In beiden geht es um die Flucht vor der Dunkelheit, indem man die Nacht vor dem Bildschirm verbringt. Es gibt aber auch einige Songs, in denen die Angst vor der Dunkelheit metaphorisch vorkommt. Als Angst vor dem Tod oder vor der Endlichkeit der Menschheit. Das ist zum Beispiel im Song „Altersheim“ der Fall.

Was ist das Besondere an „Lygophobie“ gegenüber euren anderen Releases?
Das ist immer schwer zu beurteilen, wenn man selbst so tief drinsteckt und einem völlig die Distanz fehlt. Wir haben aber das Gefühl, dass die inhaltliche Spanne größer geworden ist und dass die Dynamik eine andere ist. Es gibt mehr leise Momente. Das wurde uns so auch schon von außen gespiegelt. Ich finde außerdem, dass alles ein bisschen greifbarer geworden ist. Jeder Song hat ein konkret benennbares Thema. Nicht nur für uns. Ich habe schon mitbekommen, dass es auch für Hörer:innen verständlicher geworden ist. Das war bei unseren bisherigen Platten, auf denen wir immer recht verklausuliert gesungen und gesprochen haben, nicht immer der Fall.

Die ruhigeren Momente sind mir auch aufgefallen. Das spiegelt sich auch in der Aufmachung der Platte oder im Video zu „Warmes Bier und kalter Kaffee“. Da herrscht auch visuell viel Ruhe und Düsternis.
Das Musikvideo zu dem Song haben wir tatsächlich an den selben Orten gedreht, an denen auch die Fotos für das Albumartwork entstanden sind. Im Video wurden dazu nur Zeichnungen und Texte animiert. Es gibt in den Bildern keine erkennbare Bewegung, daher kann dieser Eindruck von Ruhe entstehen. Was die Düsternis angeht, finden wir eigentlich, dass es für unsere Verhältnisse eine recht positive Platte geworden ist. Uns wurde aber auch schon von Leuten zugetragen, dass sie die Platte als noch düsterer empfinden. Wir glauben, dass das mit dem Artwork zu tun hat. Das vermittelt ja einen ersten Eindruck, bevor man die Musik überhaupt anhört.

In einem Interview im Ox im Jahr 2016 habt ihr erwähnt, dass ihr gerade frisch in Kontakt mit einer Bookingagentur seid. Es wurde also professioneller. Was hat sich seitdem rückblickend für euch verändert? Ihr seid ja auch populärer geworden und müsst vielleicht ein paar Erwartungen erfüllen.
In der Zeit kamen nach und nach Leute hinzu, mit denen wir heute immer noch zusammenarbeiten. Wir haben das Glück, dass weder die Bookingagentur noch unser Label Kidnap Music irgendwelche Erwartungen an uns formulieren und alles sehr ungezwungen und familiär ist. Da gab es auch keine Situationen, die uns zu der Bandpause bewegt haben. Da ging es darum, dass eine Band ein zeitaufwändiges und auch emotional anspruchsvolles Ding ist. Wenn man sich nie die Gelegenheit gibt, das mal in Ruhe von außen zu betrachten, kann es sehr ermüdend werden.

Die Pause hat ja auch nicht dazu geführt, dass ihr etwas Grundlegendes geändert hättet, oder?
Der einzige große Unterschied ist, dass wir „Lygophobie“ selbst aufgenommen haben. Ansonsten ist es das gleiche Label, die gleiche Bookingagentur und auch die Musikvideos wurden wieder von Leuten, die wir schon kannten, gedreht.

Somit war die Zeit vor der Pause eigentlich ganz okay. Bezüglich der gestiegenen Popularität: Wie viel Zeit bleibt da noch, um sich als Band in DIY-Kontexten zu bewegen?
Wir spielen noch immer Shows in AZs. Allerdings schon ein bisschen weniger, man bewegt sich jetzt auch viel in Clubs, in denen professionell veranstaltet wird. Als Einzelpersonen gehen wir immer noch viel in solche kleinen Läden. Wenn man ständig mit der Band unterwegs ist, bleibt aber leider nicht ganz so viel Zeit, um auf Konzerte in der eigenen Stadt zu gehen.

Ich habe ein schönes Posting von euch gesehen, in dem man die diversen gepackten Vorbestellungen eurer neuen Platte sehen konnte. Man liest ja aktuell häufig darüber, wie prekär die Lage in den Presswerken ist und dass kleine Labels oft unglaublich lange auf die Pressung warten müssen. Gab es bei euch das große Zittern, ob die Platte noch rechtzeitig kommt?
Den Moment der Sorge gab es, als wir die Sachen eingereicht und die Deadline erfahren haben. Da war es ungewiss, ob es klappt. Wir hatten Glück, dass sowohl das Album als auch die 7“ für die Special Edition rechtzeitig eingetroffen sind. Die Situation in den Presswerken ist aber ein Riesenproblem für kleine Bands und Labels. Es ist unklar, inwiefern das in den kommenden Jahren noch möglich sein wird, Platten rauszubringen, ohne Leute mit sehr viel Geld hinter sich zu haben oder aber zwei Jahre zu warten. Das sind Veröffentlichungszeiträume, die überhaupt keinen Sinn mehr ergeben, wenn ich Musik mit einer gewissen Aktualität rausbringen will. Es wird spannend zu sehen, wie Bands damit umgehen. Sachen digital zu veröffentlichen ist ein Weg. Wie sich das mit physischen Produkten entwickelt, wird sich zeigen.