MADSEN

Foto© by Dennis Dirksen

Auf einmal Punk

Nanu? Sind das wirklich MADSEN? Die drei Brüder, die sich mit Songs wie „Die Perfektion“ oder „Nachtbaden“ in unser kollektives Gedächtnis als krachige Indie-Band eingebrannt haben? Genau die. Die Jungs aus dem Wendland haben den Lockdown während der Corona-Pandemie genutzt und ein lupenreines Punk-Album aufgenommen. 13 Songs, die mal klingen wie die RAMONES, mal wie derbe Deutschpunk-Klopper. Dazu gibt’s Songs wie „Herzstillstand“ oder „Quarantäne für immer“ mit Texten wie Faustschlägen. Dazu noch ein paar Paletten Dosenbier – fertig ist das Punk-Album. Eine Scheibe, die direkt aus dem Bauch kam und nicht am Reißbrett eines Majorlabels entstanden ist, wie uns Sänger Sebastian Madsen erklärt.

Wie kam es dazu, dass ihr ein Punk-Album aufgenommen habt?

Vorneweg muss ich sagen, dass uns Punk nicht fremd ist, weil dort unsere Wurzeln liegen. Ich selbst habe ursprünglich als Schlagzeuger angefangen und mein großer Bruder Johannes hat Gitarre gespielt. Da war ich gerade mal 12 oder 13 Jahre alt und Johannes eben zweieinhalb Jahre älter. Unsere Band hieß damals GANZ KLAR, die gab es drei oder vier Jahre lang. Anfang der Neunziger existierte hier im Wendland eine kleine Punk-Szene, da haben wir Bands wie SLIME, BOSKOPS, DAILY TERROR, TOXOPLASMA oder SCHLEIM-KEIM abgefeiert. Deren Musik haben wir zum Teil gecovert. Zum Teil haben wir auch sehr politische Songs selbst geschrieben und die dann im Jugendzentrum gespielt. Dann sind wir irgendwann zum Crossover übergegangen und haben viel Metal und HipHop gehört und daraus ist dann irgendwann der Indierock von MADSEN entstanden, mit dem wir uns sehr wohl gefühlt haben. Im Frühjahr kam dann der Lockdown, der all unsere Pläne für dieses Jahr über den Haufen geworfen hat. Wir wollten eigentlich eine Tour spielen und ein über den Sommer schon fertig geschriebenes MADSEN-Album aufnehmen. Das sollte ursprünglich im Herbst herauskommen. Aber wegen der Corona-Pandemie konnten wir uns nicht mit dem Produzenten treffen, wir konnten auch nicht in Berlin ins Studio gehen wie geplant, weil wir das mit dem Lockdown sehr ernst genommen haben. Wir passen immer noch sehr gut auf, weil unsere Eltern auch schon Mitte sechzig sind und wir keinen Bock darauf haben, sie anzustecken. Ich war zu dieser Zeit eine Weile im Wendland, wo wir auch unseren Proberaum haben, und habe angefangen, viel Musik zu schreiben, unter anderem auch für Pop-Acts. Irgendwann war mir langweilig und dann habe ich mir das Debütalbum der RAMONES noch einmal auf Vinyl gekauft. Das habe ich dann rauf und runter gehört und war völlig überwältigt davon. Es ist ja unglaublich, was man mit drei oder vier Akkorden machen kann. Da habe ich mich eben an unsere eigene Punk-Zeit erinnert und mir überlegt, eine neue Band zu gründen. Dann habe ich angefangen, mit Johannes und meiner Freundin Lisa Songs und Texte zu schreiben. Das ging wahnsinnig schnell, nach einer Woche hatten wir schon sechs Tracks aufgenommen. Dann habe ich einen Kumpel gefragt, wie wir das Projekt nennen sollen, und der sagte nur: MADSEN. Dann stand der Entschluss fest. Wir hängen noch eine Woche dran, schreiben insgesamt zwölf Lieder und bringen sie einfach raus. Das waren sehr befreiende zwei Wochen, weil wir auch sehr politische Texte schreiben konnten. Das haben wir mit MADSEN zwar auch schon gemacht, aber oft etwas verklausuliert. Das war wie ein Rausch. Wir haben einfach gemacht, ohne viel nachzudenken.

Bei vielen Texten auf dem Album kann ich voll zustimmen. Wenn es um alte weiße Männer geht oder um all die Menschen, die gerade lautstark ihre rechtsgerichtete Meinung loswerden wollen. War das auch der Impuls dafür, euch wieder auf Punk zu besinnen?
Absolut. Das letzte MADSEN-Album kam 2018 heraus und danach ging der Schreibprozess eigentlich sofort weiter. Bei so einem langen Zeitraum kann man gar nicht so aktuell relevant sein. Gerade jetzt passiert ja unglaublich viel in der Welt. Deshalb war es auch erfrischend, spontan darauf zu reagieren, was wir in den Nachrichten gesehen und gehört haben. Wir mussten nicht viel recherchieren, es lag ja alles auf der Hand. „Black Lives Matter“, Donald Trump, AfD-Idioten, Rassismus oder Attila Hildmann und die ganzen Verschwörungsgläubigen. Es ist ja Wahnsinn, was gerade alles an die Oberfläche kommt. Auf welche Ideen die Leute in so einer Krise kommen. Das hat uns natürlich beschäftigt und hat in uns gebrodelt. Es war sehr erleichternd, das alles mal so deutlich zu benennen, wie man es wahrnimmt.

Man hört auch deutlich, dass das ganze Album aus dem Bauch heraus entstanden ist und nicht von langer Hand geplant wurde. War der Rückzug ins Wendland auch eine Art Flucht vor der Corona-Pandemie?
Na klar. Ich wohne ja mit meiner Freundin zusammen in Berlin. Lisa ist gleichzeitig auch Keyboarderin bei MADSEN. Und ich hatte schon relativ früh den Wunsch, Berlin zu verlassen, weil die Stimmung immer bedrückender wurde. Die Leute waren verunsichert, es wurde einfach komisch. Das Wendland war damals schon eine Gegend, in der es mit die wenigsten Infizierten in Deutschland gab. Deshalb sind wir zusammen dahin gefahren und vier Monate lang geblieben. Dann kam uns irgendwann die Idee für die Punk-Platte, ohne zu wissen, dass es das neue MADSEN-Album werden würde, und dann haben wir die Songs an alle anderen in der Band geschickt. Unser Bassist Niko, der auch im Wendland wohnt, kam relativ schnell vorbei und hat mitgemacht und letztendlich ist auch mein kleiner Bruder Sascha, unser Schlagzeuger, mit seinen zwei Töchtern aus Wien angereist, um die Songs einzuspielen. Den hatte ich seit unserem letzten Konzert im November in der Sporthalle in Hamburg nicht gesehen. Es war also eine unvermutete Zusammenkunft der Band und gleichzeitig ein Gefühl, als würden wir ein Debüt aufnehmen.

Habt ihr keine Angst vor der Punkrock-Polizei? Also Leute, die das Album in der Luft zerreißen und euch vorwerfen, dass ihr gar keine echten Punks seid?
Ich rechne schon damit. Aber ich denke gleichzeitig, wir müssen uns für nichts rechtfertigen, weil das Album aus einer ehrlichen Emotion heraus entstanden ist. Ich weiß nicht, ob man uns zum Vorwurf machen kann, dass wir vorher keinen Punkrock gemacht haben. Wir fühlten das einfach gerade und wollen uns auch nicht als die großen Punk-Überväter darstellen. Wir hatten einfach Bock darauf und durch diese Einstellung sind wir auch relativ unangreifbar, finde ich. Wir hatten außerdem schon immer Punks auf unseren Konzerten und irgendwann waren eben die meisten Besucher Studenten oder Normalos. Ich kann mir schon vorstellen, dass unser neues Album den einen oder anderen eingefleischten Punk abtörnt. Aber damit müssen die einfach klarkommen. Sie können die Platte hören und Spaß haben oder sie lassen es einfach sein. Dann ist das auch in Ordnung.

Der Sound ist ja die eine Sache. Ihr habt das Album aber auch selbst aufgenommen und ein eigenes Label für den Release gegründet. Damit lebt ihr ja den DIY-Spirit, der in der Punk-Szene weit verbreitet ist. Ist das eine Strategie, die Zukunft für euch hat?
Das ist auf jeden Fall etwas, was wir beibehalten wollen. Aktuell ist es ja noch eine Kooperation mit Arising Empire, aber wir haben schon beim letzten Album ziemlich genau gemerkt, wer für uns arbeiten soll und wer lieber nicht. Wir haben mit dem neuen Album auch ein Selbstbewusstsein entwickelt, von dem wir gar nicht wussten, dass wir es haben. Wir haben ruckzuck selbst drei Videos gedreht und brauchten auch niemanden mehr, der uns gesagt hat, welche Noten wir im Heimstudio spielen sollen. Und diese DIY-Sache ist für uns, was die Musikbranche angeht, eine ausgesprochen verheißungsvolle Perspektive. Weil alles immer Spaß gemacht hat, bis die Industrie kam. Auch wenn wir bei Universal gute Leute hatten, die sich wirklich ins Zeug gelegt haben. Aber du bist eben eine von vielen Bands und wenn es nicht so gut läuft, sind andere Bands immer interessanter. Wir haben einfach lieber Leute um uns, die immer brennen und Bock auf MADSEN haben. Deshalb ist es viel hilfreicher, wenn man alles selbst macht.

Ist dieses Punk-Album eine Eintagsfliege? Wie geht’s danach weiter bei euch?
Ich glaube, dass uns die Energie von diesem Punk-Album auf jeden Fall erhalten bleibt. Und wenn es nur bedeutet, dass wir wissen, wir können noch mutiger sein. Vielleicht machen wir auch irgendwann noch ein Punk-Album, und ich würde das dann auch als ganz normales MADSEN-Album betrachten und nicht als Projekt oder so. Wir stehen als Band voll hinter dem Album und wollen jetzt auch unbedingt, dass es gehört wird. Dass die Leute merken, dass diese Musik ebenfalls eine wichtige Facette von uns ist. Wir werden sicherlich auch einige Fans damit verschrecken, aber das nehmen wir in Kauf.

Was passiert mit dem anderen Album, das schon fertig geschrieben ist?
Das kommt auf jeden Fall auch raus. Wir schauen jetzt mal, wie sich die Dinge entwickeln. Wir würden auch gerne das Punk-Album live präsentieren, aber momentan müssen wir unsere Termine ständig verschieben. Soweit es uns möglich ist, wollen wir ein paar kleine Konzerte mit der Punk-Platte spielen, das würde auch gut dazu passen, und dann im Winter anfangen, unser nächstes Album zu produzieren. Das soll dann irgendwann kommendes Jahr erscheinen. Jetzt wollen wir uns aber erst mal um unser Punk-Album kümmern, weil es allen gerade in den Fingern kribbelt.

Mit gefällt besonders gut das DIE GOLDENEN ZITRONEN-Zitat im Song „Herzstillstand“. Habt ihr einen besonderen Bezug zu den Zitronen?
DIE GOLDENEN ZITRONEN fanden wir immer total erfrischend und sie waren für uns ein gutes Beispiel, wie man Punk eben auch machen kann. Den Song „Für immer Punk“, den wir da eingebaut haben, haben wir schon als Teenies abgefeiert. Diese Ironie und der Witz, den der Song hat, haben wir damals schon total verstanden. Das hat mir am Punk immer total imponiert, diese humorvolle Respektlosigkeit. Wie man so einen Schlager so sympathisch verunglimpfen kann. Und ich bin wegen dieser Passage auch sehr gespannt, weil wir nichts angefragt oder angemeldet haben. Mal schauen, was passiert. Aber dieses Nicht-um-Erlaubnis-Fragen hat sich als Grundprinzip durch die gesamte Produktion gezogen. Immer wenn wir anfingen, zu ordentlich zu werden, haben wir uns gesagt: Bleib entspannt, es ist Punk. Okay, dann lassen wir das so. Das war sehr erholsam, weil wir inzwischen auch kleine Streber geworden sind.