NAVIGATOR PRODUCTIONS

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Leben auf dem Zahnfleisch

Der Name Steffen Rose steht seit über 25 Jahren für die Organisation von Punk- und Hardcore-Konzerten in der Region Würzburg, Schweinfurt und Nürnberg. Mit seiner Firma Navigator Productions hat er schon unzählige Shows von Bands wie SICK OF IT ALL, BAD RELIGION, NOFX, PARKWAY DRIVE oder AGNOSTIC FRONT durchgezogen. Seit 2017 kommt dazu auch das Mission Ready Festival in Giebelstadt bei Würzburg. Daneben verleiht Steffen auch Backlines, also Verstärker und Lautsprecher, vorwiegend an Bands aus dem Punk- und Hardcore-Bereich, die in Deutschland auf Tour sind. Auch einige international bekannte Tourneeagenturen und Bands beziehen exklusiv ihre Backline für die Europatour über ihn. Seit Mitte März herrscht für Steffen totaler Stillstand. Nichts geht mehr durch die Corona-Pandemie und eine Besserung ist noch lange nicht in Sicht.

Seit Monaten sind keine Punk- und Hardcore-Konzerte mehr möglich. Was heißt das für dich?

Ich habe gerade dieses zweite Unterstützungspaket von der Regierung über meinen Steuerberater beantragt. Um das mal kurz in Zahlen darzustellen. Der Vergleich von Mai/Juni 2019 zu Mai/Juni 2020 ergibt einen Gewinnverlust von 98,3%. Das ist gerade meine Situation. Es gibt einen Fragenkatalog von der Regierung, den man beantworten muss. Da geht es darum, was überhaupt alles förderungswürdig ist. Welche Ausgaben man ansetzen darf. Und der Knackpunkt bei uns Konzertveranstaltern ist ja, wenn wir nicht veranstalten und keine Angestellten haben, dann haben wir ja nicht wirklich hohe Unkosten. Die entstehen ja erst, wenn wir produzieren, also für Gagen, Hallenmieten, Technik, Personal, Hotels oder Catering. Ich als Solo-Veranstalter habe quasi als laufende Kosten nur meinen Büroanteil, Lagerkosten für das Backline-Material, Auto und Telefon. Diese staatliche Unterstützung darf ich nämlich nur für betriebliche Ausgaben verwenden, nicht für mich privat. Ich darf also weder meine Miete zu Hause noch Essen davon bezahlen. Übertrieben formuliert: Du könntest auf der Straße leben und verhungern, aber dein Büro ist bezahlt.

Über wie viel Geld reden wir da und wie lange läuft die Unterstützung?
Die genaue Höhe steht noch nicht fest, das wird alles gerade noch geprüft. Die ersten 5.000 Euro Soforthilfe, die man unabhängig von allen Gewerken bekommen hat, habe ich erhalten. Und weil wir immer noch nicht produzieren können, gehören wir zu den Letzten, die jetzt noch Anträge stellen. Viele andere, wie Restaurants, dürfen ja fast schon wieder regulär arbeiten. Es ist ja auch noch nicht absehbar, wann wir wieder Geld verdienen können. Diese Unterstützung darf im Übrigen auch nur ein Steuerbüro beantragen. Das funktioniert also nur, wenn ein Steuerberater seinen Stempel und seine Unterschrift daruntersetzt und dafür bürgt, dass die angegebenen Zahlen alle stimmen. Das heißt, von dem Geld, das ich eventuell bekomme, muss ich auch noch den Steuerberater bezahlen. Damit komme ich dann vielleicht zwei Monate über die Runden, aber nicht länger. Das ist auch nur eine einmalige Zahlung.

Wovon lebst du dann? Dir geht ja in absehbarer Zahl finanziell die Puste aus.
Mit anderen Beschäftigungen habe ich jetzt erst mal abgewartet, bis dieses zweite Paket durch ist, denn jeder Euro, den du dazuverdienst, der wird dir wie bei Hartz IV wieder abgezogen. In gewisser Weise habe ich Glück im Unglück, weil ich mit einer bayerischen Lehrerin verheiratet bin, die Beamtin auf Lebenszeit ist. Das heißt meine Frau trägt gerade alle unsere privaten Kosten, also Miete und Lebenshaltungskosten. Ich habe als Selbstständiger alle meine privaten Zusatzrentenversicherungen stillgelegt, weil ich es einfach nicht bezahlen kann. Außerdem greife ich gerade auf Rücklagen zurück, die für die Altersvorsorge gedacht waren, und ab und zu verkaufe ich auch mal einen Verstärker, wenn es ganz eng wird am Ende des Monats. Ich muss ja auf jeden Fall meine Krankenversicherung bezahlen und brauche ein Telefon sowie ein Fahrzeug. Weniger geht einfach nicht.

Wie sieht gerade dein Alltag aus? Du bist ja zum Nichtstun verdammt. Sitzt du wirklich im Büro und drehst Däumchen?
So ist es nicht wirklich. Klar haben wir nicht mehr so viel zu tun wie sonst. Aber im Augenblick planen wir schon wieder die nächsten Konzertverlegungen. Damit wir immer einen Plan B in der Hinterhand haben, für den Fall, dass auch im ersten Quartal 2021 keine Veranstaltungen stattfinden dürfen. Davon gehen viele von uns inzwischen aus. Es gibt ja immer noch keine verlässliche Aussage darüber, was man als Großveranstaltung definiert. Ich schätze mal, dass die neue Verfügung bis Ende des Jahres gelten wird. Allerdings wird es im kommenden Winter vermutlich auch nicht besser werden, weil sich da sowieso schon viel mehr Leute in Räumen aufhalten als im Sommer. Deshalb befürchten wir, dass das erste Vierteljahr 2021 nichts stattfinden wird. Deshalb suchen alle gerade Termine, um die geplanten Shows wieder zu verlegen. Zum zweiten Mal dann. Das Problem ist: Es gibt nicht mehr viele freie Termine, weil für 2021 auch ohne Corona schon Touren geplant waren. Ich kenne Clubs in Nürnberg, die im Herbst 2021 kein einziges freies Datum mehr haben, weil alles schon geblockt ist. Ob das auch alles stattfinden wird, ist natürlich ungewiss. Und jede Verlegung ist natürlich mit großem Aufwand verbunden: Vorverkauf, Werbung, Stornierungen, das alles muss dann angepasst werden.

Wie steht es denn um die Solidarität der Konzertbesucher?
Viele Leute geben ihre Tickets nicht zurück, auch wenn eine Show abgesagt wurde. Da bekommen wir schon viel Unterstützung von unseren Gästen, auch weil wir von Anfang an gesagt haben, dass wir auf Gutscheine verzichten wollen, solange wir uns das irgendwie leisten können. Ich muss ja für jedes stornierte Ticket an den Ticketanbieter einen Euro Stornogebühren bezahlen. Das heißt, wenn ich für alle Shows 1.000 Karten storniere, muss ich auch noch 1.000 Euro pro Show bezahlen, die ich gerade nicht habe.

Gibt es noch irgendeine andere Möglichkeit, dich als Konzertveranstalter zu unterstützen?
Wenn ich ganz normaler Gast wäre, wäre ich jetzt auch erstmal vorsichtig beim Ticketkauf. Man muss zur Vorverkaufsstelle, dann findet es nicht statt, dann muss man umbuchen, dann muss man am neuen Termin Zeit haben, das ist alles ziemlich kompliziert. Ich möchte niemanden zum Ticketkauf drängen, aber wenn es wieder Shows gibt, freue ich mich natürlich sehr, wenn die Leute wieder in Massen kommen. Weil dann haben wir einen echten Benefit und merken, dass die Leute uns unterstützen. Ich bin kein Fan von diesen Crowdfunding-Geschichten, weil man oft nicht weiß, wo das Geld wirklich hingeht. Fährt der Nutznießer damit in den Urlaub, bezahlt er sein Büro damit oder kauft er sich etwas zu essen? Aber natürlich begrüße ich die Solidarität mit Veranstaltern, Clubs oder Künstlern. Mich wundert es sowieso schon, dass immer noch so viele in der Szene diese Durststrecke bis jetzt überstanden haben. Viele Agenturen haben mir erzählt, dass sie sich diesen Kredit geholt haben, was ich definitiv nicht machen werde. Selbst wenn die Bedingungen sehr günstig sind, muss der Betrag ja irgendwann zurückgezahlt werden. Das Geld ist ja nicht geschenkt. Gleichzeitig kann keiner sagen, wie und wann es weitergeht. Wir arbeiten inzwischen auch mit so einer Corona-Klausel in den Verträgen. Das heißt, wenn die Anzahl der Zuschauer staatlich limitiert wird, müssen die Deals neu ausgehandelt werden.

Wie gehen die Bands mit der Situation um? Ist da Resignation zu spüren?
Es gab ja die ganze Zeit schon Aktionen für Bands. Solidaritäts-Shirts oder Crowdfunding-Aktionen. Das hat natürlich inzwischen nachgelassen. Wie oft soll man als Gast jemanden unterstützen, wenn man vielleicht sogar selbst indirekt von Corona betroffen ist? Hier 20 Euro, da 20 Euro, dann noch eine Spende an den Lieblingsclub. Das muss man sich auch leisten können. Gerade viele Punk- und Hardcore-Bands leben von dem, was sie auf Tour verdienen, und zehren davon bis zur nächsten Tour. Viele von denen machen inzwischen ganz normale Jobs, um einfach über die Runden zu kommen. Ich weiß zum Beispiel ziemlich sicher, dass Pete Koller, der Gitarrist von SICK OF IT ALL, in Florida als Dachdecker arbeitet. In den USA haben sie ein ganz anderes Sozialsystem. Am Anfang ihrer Bandkarriere mit Mitte zwanzig sind sie von der Tour in Europa mit 2.000 Dollar in der Tasche zurückgekommen. Das war eine Menge Geld für sie und davon haben sie natürlich nichts für schlechte Zeiten zurückgelegt. Von den ganzen New York-Hardcore-Bands leben die wenigsten wirklich noch in New York, weil sie sich das Leben dort gar nicht mehr leisten können. Roger Miret, der Sänger von AGNOSTIC FRONT, etwa lebt inzwischen in Arizona, weil es dort viel billiger ist.

Glaubst du, dass einige Bands wegen Corona von der Bildfläche verschwinden werden?
Die Situation ist für viele Amerikaner nicht neu. Da gibt es ja diese typischen Hire-and-Fire-Jobs, die sie nur für ein paar Wochen oder Monate machen und nach der nächsten Tour suchen sie sich wieder was anderes. Aber die Jungs werden einfach auch nicht jünger. Die Frage ist: Willst du mit Mitte fünfzig noch in einem Coffeeshop an der Theke arbeiten? Die SICK OF IT ALLs dieser Welt sind verdammt, so lange zu touren, wie sie es körperlich durchhalten, um davon leben zu können.

Viele Leute in der Szene prophezeien eine Pleitewelle bei den Clubs. Was würde das für dich als Veranstalter ohne eigenen Laden bedeuten?
Im Augenblick bin ich sehr froh, dass ich keine eigene Location habe, muss ich ganz ehrlich sagen. Dann hätte ich mit Sicherheit auch Angestellte, die ich bezahlen müsste. Für mich wäre es ganz herber Schlag, wenn es Läden wie den Stattbahnhof in Schweinfurt oder den Hirsch in Nürnberg nicht mehr geben würde. Dann wäre ich nicht mehr existenzfähig. So viele Clubs für Punk- und Hardcore-Shows gibt es in dieser Gegend nicht.

Siehst du in der ganzen Situation auch eine Chance für kleinere Bands aus Deutschland?
Wir setzen momentan verstärkt auf deutsche und europäische Bands. Es kann ja keiner sagen, ob unsere Regierung irgendwann sagt, Amerikaner dürfen nicht mehr einreisen, weil das Land einfach ein Corona-Hotspot ist. Dann finden 80% der Touren nicht statt, die aktuell geplant sind. Deshalb haben wir jetzt angefangen, für nächstes Jahr Konzerte für viele kleinere deutsche Bands zu planen. Vor allem im Bereich von hundert Besuchern, um wenigstens den Betrieb aufrecht zu erhalten. Wir wollten das Ganze auf ein sehr niedriges Niveau herunterfahren. Also Technik, Catering und so weiter. Wir haben auch mit den Bands gesprochen, damit wir mit den geringstmöglichen Mitteln arbeiten, um überhaupt Shows durchführen zu können. Aber das steht und fällt natürlich alles mit den Hygiene-Auflagen. Von daher gibt es jetzt mit Sicherheit die Möglichkeit, dass deutsche Bands, die vorher nur im Vorprogramm einer US-Band gespielt haben, auch einmal als Headliner auftreten. Die können jetzt ihr Potenzial besser entwickeln.