Punk & Religion Teil 9: REBEL RIOT

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My Buddha is Punk!

Punk und Buddhismus? Klingt nach einem einfachen Ding für eine Recherche. Bekennen sich doch nicht wenige Punks zu buddhistischen Ideen oder liebäugeln zumindest damit. Der Buddhismus ist in der westlichen Popkultur und jedem dritten deutschen Vorgarten angekommen. Auch Rob Vitale (BLACK TRAIN JACK, Interview in diesem Heft) entpuppte sich im Gespräch als praktizierender Buddhist. Mit Noah Levine und den Dharma Punx existiert in den USA sogar eine gut vernetzte und medial aktive Community buddhistischer Punks.

Aber damit ins Thema einsteigen? Später gerne. Ohne dieses blödsinnige Fass der aktuell diskutierten so genannten kulturellen Aneignung aufmachen zu wollen – ein:e natural born Buddhist:in scheint mir als erster Eindruck interessanter. Die rein ethnografische Dokumentation „My Buddha Is Punk“ von Andreas Hartmann aus dem Jahr 2016 (etwa bei Vimeo als VoD) konzentriert sich auf den burmesischen Punk und Fanzinemacher Kyaw Kyaw und begleitet ihn in seinem Alltag in Rangun. Bingo! Leider ist mein Burmesisch nicht vorhanden, Kyaw Kyaws Englisch sehr rudimentär. Trotz Sprachbarriere haben wir uns durch ein gutes Dutzend Fragen gearbeitet. Hände, Füße und der DeepL Translator machen es möglich. Hier also die Ansichten eines waschechten Punks und Buddhisten direkt von den Straßen Ranguns, der bevölkerungsreichsten Industriestadt Myanmars.

Kyaw Kyaw, bitte erzähle ein bisschen über dich.
Ich bin 33 Jahre alt und komme aus Myanmar. Ich bin Gitarrist und Sänger der Band REBEL RIOT und Mitbegründer von Food Not Bombs sowie Books Not Bombs Myanmar. Außerdem arbeite ich in einer Siebdruckerei. Man muss ja auch Geld verdienen. Mein familiärer Hintergrund ist buddhistisch. Meine Eltern sind sehr gläubige, traditionelle Buddhisten. Eine eigene Entscheidung war das also nicht. Mit Punkrock in Berührung kam ich 2004 bei einem Festival in Rangun. Im Jahr 2006 fand ich auf dem Schwarzmarkt eine chinesische DVD der SEX PISTOLS. Danach stand für mich fest, mein Leben dem Punk zu widmen. Ich machte mich auf die Suche nach anderen Punks hier in der Stadt und wurde auch fündig.

Wie läuft es mit deiner Band? Welche Aufnahmen habt ihr schon gemacht? Könnt ihr regelmäßig Konzerte geben? Gibt es Punkclubs oder Squats in Myanmar?
Unsere Bandaufnahmen machen wir im Studio eines Freundes. Alles ist sehr einfach gehalten. Viele Konzerte spielen wir nicht, das ist nur drei- bis viermal im Jahr möglich. Punkclubs im europäischen Sinne haben wir nicht. Wir nutzen alles, was es gibt: Kneipen, Bars oder einfach auf der Straße und unter Brücken. Die Punk-Szene in Myanmar ist auch nicht groß. Ich glaube, in Rangun gibt es etwa sechzig oder siebzig Punks. In kleineren Städten sind es noch weniger.

Wieso hast du angefangen, mit ein paar Leuten ein Fanzine zu machen?
Ein Fanzine ermöglicht es, Informationen zwischen Leuten auszutauschen, die im Punk etwas auf die Beine stellen wollen. Du lernst Dinge über Selbstorganisation und Selbstverwaltung. Außerdem nutzen wir das Internet nicht mehr so oft, weil die Punks hier nicht gut Englisch sprechen können. Momentan gibt es außer unserem Fanzine kein anderes in Myanmar. Ich mag es total, ein Fanzine aus Papier zu haben, ich mag die Haptik. Hier in Myanmar nutzen die Menschen bisher kaum die Möglichkeiten des Bloggens. Ich bin dafür technisch auch nicht fit genug. Ein Fanzine ist zudem eine Gemeinschaftsarbeit. Wir können zusammen mit Freunden Schritt für Schritt mit dem Heft vorankommen. Wir decken auch ein breites Spektrum ab, hier mischen sich die Szenen mehr, traditioneller UK-Punk, Streetpunk, Crust-Punk, Pop-Punk, das geht alles zusammen.

Ist es mittlerweile einfacher geworden, in Myanmar ein Punk zu sein? Im Film „My Buddha Is Punk!“ sprichst du mit einigen jüngeren Punks darüber, dass ihr früher viele Probleme hattet.
Bis vor einigen Jahren war es hier nicht so leicht, Punk zu sein. Die Gesellschaft ist sehr traditionell geprägt, sehr konservativ. Daher gab es damals viele Probleme mit unseren Familien und unserem sozialen Umfeld. Wir waren leichte Ziele für verbale Attacken. Es kam zu Verhaftungen, zu Schikanen wie erzwungenes Haareschneiden durch die Polizei. Aber nun ja, gestoppt hat uns das nicht und es kam auch nicht zu richtig drastischen Maßnahmen. Ich selbst habe mit der Polizei in der Vergangenheit keine Konflikte gehabt. Ehrlich gesagt, bin ich auch nicht wirklich politisch aktiv. Mein Vater ist Polizist und wir hatten natürlich harte Differenzen, als ich Punk wurde. Aber jetzt ist alles in Ordnung zwischen uns. Wir essen zusammen zu Abend, wir sprechen miteinander. Letztendlich hat er sich mit meinem Lebensweg abgefunden.

Im Film sieht man dich buddhistische Rituale vollziehen. Wie wichtig ist der Glaube für dein Leben?
Durch meine Familie war ich zunächst ein traditioneller Buddhist. Nachdem ich mein Elternhaus verlassen hatte, beschäftigte ich mich zwar weiter mit dem Buddhismus, war aber gleichzeitig von den Ideen des Punk fasziniert – keine Regierung, DIY, Anarchismus und Systemkritik. Infolge dieser widersprüchlichen Einflüsse wurde mir klar, dass Buddhismus streng genommen überhaupt keine Religion ist. Eher eine Denkweise, eine Lebensweise, eine Geisteshaltung. Ich betrachte mich daher auch nicht mehr als religiösen Menschen, obwohl ich buddhistisch geprägt bin. Mein Ziel ist, Frieden zu finden, und Buddhismus ist eine Methode, um über innere Ruhe deinen persönlichen Frieden zu erreichen. Wenn ich es schaffe, meinen Geist und meinen Verstand reinzuhalten, hilft mir das auch dabei, meine Probleme zu lösen. Daher ist die buddhistische Philosophie wichtig für mich, aber nicht Buddhismus als Religion.

Eine Sache verstehe ich als nicht-religiöser Mensch nicht: Wenn der einzelne Mensch eigene Entscheidungen treffen soll und für sein Leben selbst verantwortlich ist, wie Buddha sagt – wozu brauche man noch einen religiösen Glauben? Wenn der Mensch im Mittelpunkt steht, wird Gott dann nicht unnötig?
Jeder Mensch ist geprägt durch andere Geschichtsbücher, einen anderen Zeitgeist. Manche Menschen fühlen sich verbunden mit Gott. Andere Menschen brauchen Gott nicht. Wenn du in einer bestimmten Phase deines Lebens eine Religion brauchst, nimm sie an! Warum auch nicht? Wenn du sie nicht mehr brauchst, lege sie ab! Überhaupt kein Problem. Verurteilt Menschen nicht für ihren Glauben oder Nichtglauben. Gott ist kein universelles Konzept für die Menschen. Manche betrachten Gott als spirituelle Herkunft, manche als Schöpfer, andere als Naturerscheinung, als Liebe oder als Quelle der universellen Wahrheit. Du kannst Gott nennen, wie immer du möchtest. Es hängt von jedem Menschen individuell ab, ob, wann, wie lange und auf welche Weise er sich für Gott entscheidet.

Auf den ersten Blick scheint Buddhismus für mich aber im Vergleich zu anderen Religionen die meisten Gemeinsamkeiten mit Punkrock zu haben: Glaube nicht deinen Lehrern, glaube nicht deinen Eltern, glaube nicht mal mir, sagt Buddha. Think for yourself. Siehst du das auch so?
Ja, stimmt. Diese Dharma Punx-Geschichte um Noah Levine interessiert mich in dieser Hinsicht sehr, ich bin kürzlich im Internet darauf gestoßen und versuche gerade, mich ein bisschen in die Sache einzulesen. Leider sind die Texte mehrheitlich auf Englisch und meine Sprachkenntnisse sind nicht besonders gut. Aber das wäre für mich ein Beispiel dafür, wie religiöse und politische Bildung und Subkultur Hand in Hand gehen können.

Im Film gibt es eine sehr interessante Unterhaltung zwischen dir und einem Freund, in der es um den Konflikt zwischen Muslimen und Buddhisten in Myanmar geht. Er betrachtet den muslimischen Einfluss als Bedrohung für den Buddhismus, du weniger.
Bevor das Militär bei uns mächtig wurde, kämpften buddhistische und muslimische Menschen gemeinsam für die Freiheit und gegen die britische Kolonialherrschaft. Nachdem wir 1948 unabhängig wurden, gab es eine rechtliche Gleichstellung von Buddhisten und Muslimen. Aber 1962 wurde das ganze Land vom Militär besetzt. In der Folge gelang es ihnen, die verschiedenen Ethnien und Religionen unter Druck zu setzen und zu separieren. Das führte zu Konflikten zwischen den Menschen. Auch die Schulbildung wurde dazu instrumentalisiert. Sie unterzieht die Kinder einer Gehirnwäsche und lehrt sie Nationalismus und Rassismus. Die großen Zeitungen verbreiten Propaganda, die sagt, wie schlecht muslimische Menschen sind, und es werden eine Menge falscher Informationen über Muslime verbreitet. Jetzt, zwanzig Jahre später, sprechen sich in Myanmar viele Leute gegen die rechtliche Gleichstellung von Muslimen aus und möchten auch nicht, dass sich deren Bevölkerungsanteil erhöht. Darum ging es in dem Gespräch zwischen meinem Freund und mir. Ich kann seine Angst verstehen, er hinterfragt diese Gehirnwäsche nicht. Seitdem ich die offizielle Berichterstattung nicht mehr blind glaube, habe ich keine Angst mehr vor Muslimen.

Aus meiner europäisch geprägten Perspektive gibt es zwei Probleme: Da ist eine Gruppe radikaler muslimischer Rohynga, die Polizeistationen und Dörfer überfallen und Gebiete Myanmars beanspruchen. Andererseits leiden die gemäßigten, friedlichen Rohynga unter den Vergeltungsmaßnahmen des Militärs. Wie siehst du das als Einwohner Myanmars?
Es geht immer darum, welche Art von Medien wir zur Information nutzen. Einerseits wütet das Militär Myanmars, tötet Menschen, vertreibt sie und brennt ihre Häuser nieder. Andererseits bekämpfen junge Rohingya der Rebellengruppe ARSA das Militär und die Polizei mit Waffengewalt und fordern Autonomiegebiete nur für Muslime auf dem buddhistischen Staatsgebiet Myanmars. Sind das jetzt Freiheitskämpfer oder Terroristen? Ich kann diesen Widerspruch nicht auflösen. Aber ich bin überzeugt, dass die meisten Rohingya ehrliche Menschen sind, die einfach nur in Frieden leben wollen. Und die leiden sehr unter dem Militär in Myanmar.

Nach diesen ganzen ernsten Fragen: Welcher ist dein Lieblings-Anti-Religion-Punk-Song?
„Religious vomit“ von DEAD KENNEDYS.