RUTS DC

Foto© by Graham Trott

Vorwärts!

Eigentlich mache ich Interviews lieber mit Einzelpersonen anstatt mit ganzen Bands, denn wenn mich jemand interessiert, möchte ich auch möglichst viel über denjenigen erfahren. Und so wäre es auch vorstellbar gewesen, dass ich irgendwann ein Interview mit David Ruffy, dem Drummer von RUTS DC, vorgeschlagen hätte. Seine Lebensgeschichte und Karriere allein liefern genügend Material in Sachen Tragik, musikalischen Höhenflügen und außergewöhnlichen Erlebnissen. Nun hat aber die tatsächlich beste Band der Welt mit „Counter Culture?“ endlich wieder ein neues, reguläres Studioalbum am Start, das erste seit „Music Must Destroy“ von 2016. Zusammen mit Segs Jennings (bs, voc) und Leigh Heggarty (gt) hat Ruffy damit das womöglich beste Album seiner Karriere veröffentlicht. Und die ging spätestens 1979 los, als RUTS ihr „The Crack“-Album veröffentlichten, auf dem die Klassiker „Babylon’s burning“, „Dope for guns“ und „Jah war“ enthalten waren.

Was denkt ihr, was eure Fans vom neuen Album erwartet haben? Was mögt ihr selbst am meisten daran?

Ruffy: Nun, erst mal bin ich froh, dass wir es endlich geschafft haben, die Platte fertig zu kriegen, es war ein langer Prozess. Wir wollten nicht ein weiteres Album nur um der Sache willen herausbringen, sondern eher ein Ziel und ein Konzept finden, und ich denke, wir haben genau das geschafft. Bei allem, was in den letzten Jahren passiert ist, bin ich froh, dass wir verschiedene Stilrichtungen gefunden haben, um über Dinge zu schreiben, die wirklich wichtig sind, und dass die Leute es zu verstehen scheinen.
Leigh: Ich denke, es ist die beste Platte, an der ich je mitgewirkt habe. Sie ist vielseitig, technisch versiert, aber ich denke, es passt alles zusammen.

Textlich habe ich das Gefühl, dass ihr direkter geworden seid, weniger abstrakt, obwohl es immer noch viel Raum für Interpretationen gibt. Inwieweit sieht ihr „Counter Culture?“ als eine direkte Stellungnahme zum aktuellen Zustand der Welt?
Ruffy: Ich denke, jeder Künstler sollte über normale Menschen und was wirklich vor sich geht, schreiben – das ist wie die alte Kunst des Geschichtenerzählens. Segs ist diesmal wirklich in sich gegangen, und ich bin sehr stolz auf ihn.
Segs: Vielen Dank, Ruffy, ich weiß das zu schätzen. Um die Frage zu beantworten. Manche Texte kommen schnell, manche brauchen mehr Zeit, manche fließen fast wie Poesie, wie in „X-ray joy“, und manche werden zuerst durch die Musik inspiriert, wie zum Beispiel „Pretty lunatics“. Und ja, auf diesem Album, sind viele von ihnen definitiv eine Reaktion auf den Zustand der Welt.

Zwischen der einmaligen Show mit Henry Rollins im Jahr 2007 und den ersten Auftritten als fünfköpfige Band im Jahr 2011 habt ihr vier Jahre gebraucht, um an einen Punkt zu gelangen, an dem ihr euch wohl gefühlt habt, wenn ihr die alten Songs spielt. Wie seid ihr dorthin gekommen, welche gedanklichen Prozesse habt ihr dabei durchlaufen?
Segs: Zu dieser Zeit hatte ich ein Produktionsteam mit Steve Dub Jones, dem Tontechniker der CHEMICAL BROTHERS. Nach dem RUTS-Konzert mit Rollins habe ich also mit der Studioarbeit weitergemacht. Ruffy kann die ganze Geschichte besser erzählen. Aber nach „Rhythm Collision Vol. 2“ begannen wir, einige Shows zu spielen, was dazu führte, dass wir einige der alten Stücke spielten. Es hat sich also ganz organisch entwickelt. Es waren Leigh und Dave, die mich davon überzeugt haben, die Songs des „Animal Now“-Albums wieder aufzugreifen. Schließlich haben wir uns auf eine dreiköpfige Band reduziert und angefangen, neue, rockigere“ Songs zu schreiben, was uns zu dem „Counter Culture?“-Tourset geführt hat, das eine ziemlich ausgewogene Mischung aus alt und neu ist.
Ruffy: Nun, es gab nie eine bewusste Entscheidung, mit RUTS DC wieder anzufangen. Es war so: Paul Fox war unheilbar an Lungenkrebs erkrankt und so beschlossen wir, im Juli 2007 eine letzte Show als THE RUTS zu spielen, als Benefiz für ihn und sein Hospiz. Wir baten Henry Rollins, den Gesang zu übernehmen, was er dankenswerterweise auch tat. Die Show war kurz, aber schön und sehr emotional, und es schien ein passendes Ende zu sein. Paul verstarb ein paar Monate später. Einige Zeit danach wurden Segs und ich gebeten, ein paar RUTS DC-Tracks von „Rhythm Collision Vol. 1“ von 1982 zu remixen. Während wir im Studio waren, schlug unser Tontechniker Steve Dub vor, dass wir neues Material ähnlicher Art aufnehmen sollten. Wir riefen also Neil Fraser aka Mad Professor an und er hatte ein wenig Zeit frei, also buchten wir ein paar Tage und Segs, Steve Dub und ich gingen zusammen mit unserem Freund Seamus Beaghen ins Studio und jammten und am Ende hatten wir einige Rough Mixes, die nach etwas Überarbeitung schließlich zu „Rhythm Collision Vol. 2“ wurden, das wir dann auf unserem Label Sosumi veröffentlichten. Das war’s also, dachten wir zumindest. Aber dann schlug Rob von ALABAMA 3, der die Entstehung von „Rhythm Collision Vol. 2“ mitverfolgt hatte, vor, dass wir sie auf ihrer UK-Tournee begleiten sollten, was wir dann auch taten. Wir heuerten Leigh Heggarty, Seamus und unsere Freundin Molara, die wir von ZION TRAIN kannten, zur Unterstützung an. Diese ersten Shows waren also eher eine Art Revue mit einem größeren Schwerpunkt auf Reggae, aber nach einer Weile merkten wir, dass wir uns wieder in eine richtige Band verwandelten, Leigh wuchs musikalisch immer mehr, drei ist eine magische Zahl – und wir waren bereit. Wir stellen fest, dass unser Publikum mit jeder Tournee ein wenig größer wird und auch mehr Frauen und jüngere Leute einschließt.
Leigh: Schon bei den ersten Konzerten sagten die Leute zu mir: Warum holt ihr nicht einen Sänger wie Malcolm und spielt einfach alle alten Songs? Für mich ging das damals völlig am Sinn der Band vorbei und tut es auch heute noch. Ich liebe die ursprüngliche Band und es ist toll, die alten Songs zu spielen, aber man muss auch neue Musik spielen.

Eine Frage an Segs: Warst du eigentlich bei dem ALABAMA 3-Track dabei, der als Titelsong für die Serie „The Sopranos“ verwendet wurde? Das wollte ich dich immer schon mal fragen.
Segs: Ich fürchte, die Antwort darauf ist nein ... obwohl ich ihn natürlich viele Male live gespielt habe. Ich habe angefangen, mit ALABAMA 3 ab dem Album „La Peste“ zu arbeiten. Ich habe auf dem Album gespielt und es mit dem bereits erwähnten Steve Dub produziert. Das führte dazu, dass ich bei A3 einstieg, mit ihnen auf Tour ging und die nächsten paar Alben produzierte. Ein ziemlicher Trip!

Leigh, du hast mal halb scherzhaft zu mir gesagt: „Wenn man schon bei einer Band einsteigen muss, kann es auch gleich RUTS DC sein.“ Das war nach einem besonders erfolgreichen Rebellion-Auftritt. Gilt das noch? Und wie schwierig ist es wirklich, mit Segs und Ruffy tagtäglich zu arbeiten?
Leigh: Ich sehe die Zeit, in der ich Musik mache, nie als selbstverständlich an, und bei allem Respekt für alle anderen, mit denen ich das Glück hatte zusammenzuarbeiten, es gibt keine bessere Band als RUTS DC. Und solange ich tue, was man mir sagt, gibt es auch nie ein Problem!

Ruffy, jedes Mal, wenn ich dich „Walk or run“ singen höre, denke ich, dass es ein altes Gene Vincent- oder Eddie Cochran-Stück sein muss, aber es ist von dir, oder? Was ist die Geschichte hinter diesem Song, denn er ist so untypisch für den Rest des RUTS/RUTS DC-Katalogs?
Ruffy: Wow, danke! Ich habe mich schon immer für „Roots-Musik“ interessiert. Ich glaube, dass das Reggae, Funk, Rockabilly, Folk und Country umfasst, eigentlich alles, was von den alltäglichen Erfahrungen der Menschen handelt, und „Walk or run“ ist eine Art autobiografische Erzählung über mein frühes Leben. Auf der Originalaufnahme von 1981 hört man übrigens Paul Fox am Bass und Segs an der Gitarre.

Segs und Ruffy, gibt es realistische Chancen, auch DEAD MEN WALKING mal auf dem europäischen Festland zu sehen? Die Band besteht neben euch aus Jakes Burns, dem Sänger von STIFF LITTLE FINGERS und Kirk Brandon, den man von THEATRE OF HATE und SPEAR OF DESTINY kennt.
Ruffy: Wir würden das gerne tun, wir lieben es, nach Europa zu kommen und es macht eine Menge Spaß, aber es erfordert eine sorgfältige Planung, denn Jake lebt in Chicago, und die Regeln, die der Brexit mit sich gebracht hat, machen es auch ziemlich schwierig. Aber wir waren mit RUTS DC 2022 zweimal in Deutschland, letzten Juni mit DIE ÄRZTE und es gab eine zehntägige Tour letzten Oktober. Wir haben jetzt ein Carnet, das ein Jahr lang gültig ist, was bedeutet, dass wir unser eigenes Equipment mit nach Europa nehmen können. Also, wer weiß?
Segs: Wie Ruffy schon sagt, ist es schwierig, uns alle zusammen und zur gleichen Zeit verfügbar zu haben, aber ja, warum nicht? Wir sind alle scharf darauf, mehr Gigs als DEAD MEN WALKING zu spielen.

Natürlich wird euch das neue Album eine Weile beschäftigen, und abgesehen davon scheint ihr einen ziemlich hohen Output zu haben, wenn man all die Veröffentlichungen von Live-Konzerten und Akustik-Touren mitzählt. Aber was macht ihr drei, wenn es eine ruhige Zeit für RUTS DC gibt – und keine globale Pandemie, die euch behindert?
Ruffy: Nun, sowohl Segs als auch ich schreiben ziemlich viel unabhängig von der Band. Ich habe ein Nebenprojekt, ein Rhythm & Blues-Trio namens THE DUPLICATES mit Seamus Beaghen an der Orgel und Matt Percival an der Gitarre.
Segs: Ich mache immer irgendetwas, irgendwo, aber ich schreibe ziemlich viel mit Tara Rez von THE DUEL und eine Menge dieses Materials erblickt nun das Licht der Welt. Es hilft, mit verschiedenen Leuten zu schreiben, wie zum Beispiel Kirk Brandon, da es den Horizont für die Hauptband erweitert.
Leigh: Ich spiele in der Soloband von UK SUBS-Bassist Alvin Gibbs, THE DISOBEDIENT SERVANTS, und habe außerdem eine neue Band namens WINGMEN gegründet, mit Paul Gray von THE DAMNED und EDDIE & THE HOT RODS, Baz Warne von THE STRANGLERS und Marty Love von JOHNNY MOPED. Unser erstes Album ist jetzt erschienen.

Wie sehen die Pläne für 2023 aus, gibt es besondere Tourneen oder Festivalauftritte, von denen ihr schon wisst?
Ruffy: Wir sind gerade dabei, Pläne zu schmieden. Im März wird es einen zweiten Teil der „Counter Culture?“-UK-Tour geben und wir hoffen, wieder nach Europa zu kommen, auch nach Deutschland und Frankreich.
Leigh: Wir haben 2020 auf dem Punk Rock Bowling Festival in Las Vegas gespielt und ich würde das gerne auch dieses Jahr machen. Ansonsten möchte ich einfach, dass wir spielen, wo und wann immer wir können.

Wenn man an all die Künstler und Bands denkt, mit denen ihr drei im Laufe der Jahre gespielt habt, was ist es, das euch dazu bringt, euch auf RUTS DC zu konzentrieren?
Ruffy: Wir haben eine wirklich tolle Fangemeinde, die ständig wächst, und es macht eine Menge Spaß.
Segs: Irgendwie scheint sich unser Publikum zu einem sehr kohärenten, nennen wir es mal Heer von Leuten zu entwickeln. Wie immer lautet unsere Botschaft „People unite!“, und solange wir diese Wertschätzung spüren, werden wir weitermachen. Vorwärts!
Leigh: Die Belohnungen sind vielfältig und nicht immer so, wie man vielleicht denkt. Ich habe mit so vielen Menschen gesprochen, die sagen, dass die Band in all ihren Erscheinungsformen ihr Leben positiv verändert hat, und das ist für mich mehr wert, als es Geld oder Ruhm jemals sein werden. Und natürlich, wie jemand angeblich einmal sagte: „Wenn man schon in einer Band einsteigen muss, kann es auch gleich RUTS DC sein ...“