SENSES FAIL

Foto© by Jonathan Weiner

Kein Retro-Act

SENSES FAIL als einen Dinosaurier zu bezeichnen, wäre dann doch zu frech. Denn ein Fossil aus vergangenen Tagen sind sie absolut nicht. Im Gegenteil, die Band aus New Jersey erfindet sich mit jedem Album ein stückweit neu, ohne dabei die Wurzeln zu vergessen und wem sie dankbar sein muss für die lange Karriere. Das neue Album „Hell Is In Your Head“ bildet hierbei keine Ausnahme. Ernster als der Vorgänger und doch so frisch, dass man dem Gespann um Mastermind Buddy Nielsen die zwanzig Jahre Bandgeschichte fast nicht zutrauen mag. Buddy hat sich die Zeit genommen, um unsere Fragen zu beantworten.

Hell Is In Your Head“ kommt sehr düster daher. Kannst du uns erleuchten, wieso dies der Fall ist?

Du hast recht, aber das neue Album wirkt eben auch hoffnungsvoll. Aus jedem dunklen Moment gibt es einen Ausweg, man muss ihn nur finden. Im konkreten Beispiel ist es wohl meine eigene Entwicklung. Ich bin mittlerweile Vater geworden und da gibt es auch neue Ängste, die ich so vorher nicht kannte. Ich versuche all diese irgendwie zu bearbeiten und zu verstehen. Das ist nicht immer einfach, aber für mich war Musik schon immer das Mittel, um Probleme zu ordnen, zu kanalisieren und zu verarbeiten. So auch in diesem Fall. Meine Frau hatte eine recht schwierige Geburt und so was führt einem auch die eigene Sterblichkeit vor Augen. Am Ende wurde alles gut und im Endeffekt habe ich nur versucht, diese Hochs und Tiefs in der Gefühlswelt nachzuzeichnen.

Wie viel Spielraum für Experimente lässt du dir selbst?
Ich finde, es ist immer ein schmaler Grat, Man will niemanden überfordern und vor allem nicht die eigene Fanbase verschrecken. Trotzdem muss man sich auch die Freiheit gönnen, sich selbst und die eigene Musik weiterzuentwickeln. Ich glaube, mittlerweile habe ich da aber einen guten Mittelweg gefunden. Ich bin mir meiner Wurzeln durchaus bewusst und auch wem ich meine lange Karriere zu verdanken habe. Wenn ich ein Album schreibe, ist das eben auch immer ein Stück Fanservice, aber ich finde, da ist auch nichts dabei. Ich glaube, ich kann trotzdem meine Ideen verwirklichen und Spaß beim Schreiben eines neuen Albums haben, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen.

Du hast dieses Mal den größten Teil in Eigenregie geschrieben. Gerade auch den Großteil der Gitarrenarbeit. Entsteht dadurch nicht ein unheimlicher Druck?
Das Schöne ist, dass keinerlei Druck von außen kam. Klar mache ich mir selbst genug Druck, weil ich ja will, dass es den Leuten gut gefällt und auch mir selbst. Aber weil ich selbst so viel von „Hell Is In Your Head“ produziert habe, hatte ich natürlich auch die volle kreative Kontrolle und mir hat niemand sagen müssen, mach das mal so oder so. Das ist schon ein großes Stück Freiheit, was ich sehr genieße. Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass ich noch mal eine andere Herangehensweise an eine Albumproduktion wählen würde. Wenn du nach deinem eigenen Zeitplan arbeiten kannst und nicht davon abhängig bist, in ein Studio zu gehen und da volle acht Stunden abzureißen oder eben im ständigen Austausch mit einem Produzenten zu stehen, das ist schon eine verdammt gute Sache. Ich habe, wenn ich ein neues Album schreibe, immer eine sehr genaue Vorstellung davon, wie das Ergebnis am Ende aussehen soll. Der Druck liegt dann eher darin, die eigenen Erwartungen zu erfüllen.

Ihr seid eine der Handvoll Bands, die aus der Hochzeit des Emo und Emocore übrig geblieben sind. Fühlt ihr euch in der heutigen Zeit manchmal etwas deplatziert?
Ehrlich gesagt gab es Phasen, wo das so war. Der Hype rund um Emo ist ja irgendwann Ende der Zweitausender etwas abgeebbt, aber mittlerweile kann man das nicht mehr unbedingt sagen. Es gibt schon eine Art Revival, das vor allem durch Bands wie SILVERSTEIN, UNDEROATH oder TAKING BACK SUNDAY getragen wird. Diese Bands waren immer aktiv – wenn auch ab und an mit kurzen Pausen –, haben große Touren gespielt und dafür gesorgt, dass auch neue Generationen von Fans hinzugekommen sind. Das spielt natürlich auch SENSES FAIL in die Karten. Wir hatten durchweg eine gute Zeit und gerade jetzt könnte es auch nicht besser laufen. Besonders in Europa ist die Euphorie noch immer sehr groß. Während ihr woanders auf der Welt als Retro-Act geltet, ist es hier völlig normal, dass es euch bereits seit über zwanzig Jahren gibt. Die Leute freuen sich trotzdem über die alten wie auch die neuen Songs.

SILVERSTEIN sind ein gutes Stichwort. Ihr kommt im Winter gemeinsam auf Tour.
Oh Mann das wird ein Trip. SILVERSTEIN, COMEBACK­ KID, KOYO und wir. Das wird so verdammt gut. Wir sind alle sehr gut miteinander befreundet und nach der Pandemie so eine Tour spielen zu können ist doppelt gut. Ich denke auch, bei dem Line-up ist für jeden etwas dabei und man kann richtig gut feiern. Ich habe auch ein bisschen verfolgt, was für verrückt große Festivalgigs SILVERSTEIN diesen Sommer unter anderem in Deutschland gespielt haben. Da war ja die Hölle los, wenn die Jungs auf der Bühne standen, daher denke ich, es wird auf unserer gemeinsamen Tour auch so richtig rundgehen. Ich hoffe, dass wir 2023 noch mal für eine Headlinertour nach Europa zurückkehren können. Das ist momentan zumindest mal der lose Plan.

Kannst du uns zum Abschluss noch deine verrückteste, beängstigendste oder lustigste Tourgeschichte erzählen?
Okay, da fällt mir sofort folgende ein: Wir waren vor ein paar Jahren mal in Richtung Chicago unterwegs. Plötzlich gab es einen derart üblen Wetterumschwung und innerhalb kürzester Zeit fiel das Thermometer auf 15 Grad unter Null. Wie es der Zufall so wollte, kam unser Tourbus mit dieser Kälte überhaupt nicht klar und stellte den Dienst umgehend ein. Da standen wir also am Straßenrand mitten im Nirgendwo und konnten weder in die eine noch die andere Richtung und hatten auch keine Heizung. Wir glaubten alle in diesem Moment ernsthaft, dass wir die Nummer nicht überleben würden. Irgendwann konnten wir den Motor kurz zum Laufen kriegen und haben auf der letzten Rille eine Raststätte erreicht, wo wir uns zumindest aufwärmen konnten. Mann, das war richtig beängstigend. Aber heute in der Nachbetrachtung auch eine verdammt gute Geschichte, wie ich finde.