SEPULTURA

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Tropical Trump

Für Hardcore-Fans war es vorbei mit SEPULTURA, als Sänger und Gründer Max Calavera die brasilianische Thrash-Metal-Band 1996 im Streit verließ. Damals hatten sie gerade ihr bahnbrechendes Album „Roots“ veröffentlicht. Doch es ging weiter. Max gründete SOULFLY und bei SEPULTURA stieg der Amerikaner Derrick Green als neuer Sänger ein, der zwei Jahre später mit „Against“ sein erstes Album mit der Band aufnahm. Viele weitere folgten. Der Erfolg blieb. Das neue Werk „Quadra“ ist schon Studioalbum Nummer 15. Ein Album, mit dem SEPULTURA angesichts des umstrittenen brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro kein bisschen leiser geworden sind, wie Derrick Green im Ox-Interview bestätigt.

Die Texte von SEPULTURA waren schon immer direkt gegen die Politik der Regierung gerichtet. Macht euch das unter dem neuen Präsidenten Bolsonaro mehr Probleme?


In Brasilien haben sich zwei sehr starke Lager gebildet: Links und rechts. Und dazwischen hat sich ein riesiges Loch gebildet, dadurch geht nichts voran. Das ist ein großes Problem. Es müssen viele Kompromisse gemacht und viel geredet werden, damit überhaupt irgendetwas vorangeht. Die Extremisten auf beiden Seiten sorgen dafür, dass sich momentan gar nichts bewegt. Dabei müssten eine Menge Dinge angesprochen und verändert werden. Stattdessen bekämpfen sich alle nur gegenseitig und deuten mit dem Finger aufeinander. Politisch ist es in Brasilien gerade eine Katastrophe, genauso wie in den USA oder vielen anderen Ländern auf der Welt. Das ist aber die Quittung für unser eigenes, individuelles Verhalten. Wir haben uns lange nicht dafür interessiert, was um uns herum passiert. Für viele dieser Probleme sind wir also selbst verantwortlich. Wir als Band haben aber keine Schwierigkeiten mit Zensur oder Sanktionen für unsere Texte. Wir können immer noch offen sagen, was wir denken. Zum Glück ist es nicht wie eine Diktatur hier. Ich würde es aber begrüßen, wenn die Menschen mehr kooperieren würden.

Wie sieht die Situation für andere, weniger bekannte Künstler aus? Filmemacher, Autoren, Maler? Spürt man da eine Veränderung unter Bolsonaro?

Die durchleben sicher härtere Zeiten als wir. Wir sind ja viel im Ausland unterwegs und spielen dort die meisten unserer Shows. Wir sind auf jeden Fall noch nicht an dem Punkt, an dem man uns an irgendwas hindern will. Wenn das so wäre, würden wir auch offen darüber reden. Vor allem natürlich mit der internationalen Presse. Vielleicht haben sie auch einfach noch keinen Hebel gefunden, den sie gegen uns einsetzen können. Wir sind Künstler und wir haben eine eigene Meinung, die lassen wir uns nicht verbieten. Für uns ist es aber auch immer wichtig, positiv zu bleiben und mit anderen gut klarzukommen.

Der Spitzname von Bolsonaro ist ja „Tropical Trump“. Wie ähnlich sind sich der brasilianische und der amerikanische Präsident aus deiner Sicht?

Ich denke mal, sie haben vor allem die Arroganz gemeinsam. Und dass sie beide ihre Macht für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Und natürlich, dass sie beide sehr chauvinistisch sind. Diese beiden Männer verbindet jede Menge. Sie sind beide sehr einfache, langweilige Menschen, die für ihre Aufgaben bestens qualifiziert sind. Und beide haben die Situation, dass die Bevölkerung momentan tief gespalten ist, ausgenutzt, um sich ins Amt zu schmuggeln. Die Menschen werden heute einfach auf viele verschiedene Arten manipuliert. Das ist in Brasilien nicht anders als in Großbritannien. Die Menschen werden mehr manipuliert, als wir uns das vielleicht vorstellen können. Leider gibt es also jede Menge Gemeinsamkeiten zwischen dem „Tropical Trump“ und dem echten Trump.

Wie denken die Brasilianer über die systematische Zerstörung des Regenwaldes? Bei uns in Europa ist das ein Riesenthema.

Die meisten Brasilianer waren noch nie im Regenwald und wissen auch nicht viel darüber, weil sie in den großen Städten an der Küste leben. Das ist ziemlich weit weg vom Amazonas. Für sie ist es also auch schwer zu erkennen, was da gerade passiert. Gleichzeitig gibt es viele indianische Ureinwohner, die im Regenwald gelebt haben und von Großgrundbesitzern, Rinderzüchtern und anderen Radikalen ermordet wurden, die denken, sie hätten das Recht, sich das Land einfach zu nehmen. Das ist eine Katastrophe. Es gab über all die Jahre einen strengen Schutz, aber damit ist es jetzt vorbei. Dadurch ist dieses riesige Blutbad möglich geworden. Aktuell gibt es kein Gesetz, um diese Entwicklung aufzuhalten. Weil sich das ganze Drama in völliger Wildnis abspielt, ist es schwierig, eine neue gesetzliche Regelung durchzusetzen. Keiner hält diese Männer auf. Am besten wäre es für diese Ureinwohner, ihren Protest laut äußern zu können, damit die Welt ihr Problem versteht. Je mehr Leute sich also für deren Interessen einsetzen, desto größer ist die Chance, dass man etwas verändern kann. Und die Leute müssen kapieren, dass sie mit ihrem individuellen Verhalten viel verändern können. Diese Farmer nehmen sich das Land und töten die Indianer, weil wir Amerikaner und Europäer immer mehr Rindfleisch haben wollen. Es wird sich also nicht ändern, solange die hohe Nachfrage bleibt. Diese Fleischindustrie gehört zu den größten in der Welt. Wenn die Menschen also wirklich das Abbrennen des Regenwaldes stoppen wollen, sollten sie erst einmal ihr eigenes Leben umstellen. Das ist im Prinzip das Gleiche wie auf dem Drogenmarkt. Weil die Amerikaner viele Drogen konsumieren, werden die Probleme in Südamerika nicht aufhören. Darum geht es in vielen meiner Songs: Was können wir als Individuen tun, um den Wandel voranzutreiben?

Wir müssen also den Kapitalismus stoppen, um die Welt noch retten zu können?

Wir müssen einfach mehr darüber nachdenken, was wir kaufen und wem wir unser Geld geben. Willst du dein Geld wirklich Konzernen geben, die sich hinter meterhohen Mauern verschanzen und der Welt verheimlichen, was genau sie dahinter treiben? Ich gebe mein Geld lieber einer Firma, die transparent arbeitet und nicht Tiere auf grausame Art und Weise umbringt. Solche Firmen gibt es nämlich wirklich. Wir sollten einfach genauer darauf achten, wofür wir unser Geld ausgeben. Geld bestimmt einfach unser aller Leben, das ist auch ein großes Thema auf dem Album. Selbst wenn wir tot sind, müssen wir noch die Rechnungen für unsere Beerdigung bezahlen.

Bist du eigentlich Veganer?

Ich habe seit 33 Jahren kein Fleisch mehr gegessen und lebe seitdem vegan. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem sich das destruktive Verhalten von vielen Unternehmen über all die Jahre rächt. Die Leute bekommen immer mehr gesundheitliche Probleme. Viele Menschen erkennen langsam, dass wir so nicht weitermachen können. Vor allem die junge Generation hat erkannt, dass man nachhaltiger leben muss.

Du bist ja in Cleveland geboren. Wie viel Zeit verbringst du inzwischen in Brasilien?

Ich habe zwanzig Jahre lang in Brasilien gelebt. Momentan ist es geteilt, ich würde sagen vier Monate im Jahr. Brasilien ist für mich zur zweiten Heimat geworden, nachdem ich hierhergezogen war und die Sprache gelernt hatte. Die Brasilianer sind für mich die freundlichsten Menschen der Welt. Die Leute hier haben mich immer unterstützt und respektiert. Und überall auf der Welt, wo wir mit SEPULTURA spielen, repräsentieren wir Brasilien. Ich liebe dieses Land.

Hast du Max Calavera mal kennen gelernt?

Ich habe ihn noch nie getroffen. Ich habe aber schon jede Menge seiner Familienmitglieder kennen gelernt. Und ich habe mit seinem Bruder Igor neun Jahre lang die Bühne geteilt. Aber Max habe ich nie getroffen. Und das, obwohl mein guter Freund Roy Mayorga lange bei SOULFLY getrommelt hat. Ich mag die Platten, die Max mit SEPULTURA gemacht hat, und fand ihn damals fantastisch. Das ist aber nicht mein Problem.

Wie ist generell das Verhältnis von SEPULTURA zu den Calavera-Brüdern?

Es gibt kein Verhältnis. Als Max 1996 ausgestiegen ist, war er weg. Er hat nie mehr wieder mit jemandem aus der Band gesprochen. Das war echt bizarr für mich als Außenstehender. Aber so war es einfach. Nicht einmal mit seinem Bruder Igor, der noch bis 2006 unser Drummer war. Als er ging, war es aber das Gleiche. Ich war der Einzige, mit dem Igor nach seinem Ausstieg noch geredet hat, weil wir wirklich gut befreundet waren. Ich halte ihn immer noch für einen großartigen Typen, aber dieser fehlende Respekt ist einfach scheiße, wenn man so viele Jahre miteinander gearbeitet hat. Die beiden Jungs machen einfach, was sie wollen, und wir ziehen unser Ding durch. Das ist die Situation.