TESA

Foto

Die Sehnsucht nach Kontrolle

2006 erschien das TESA-Debüt „Tagad“ auf dem Moskauer Label Old Skool Kids, es folgten 2006 „Nekad“, 2008 „Heartbeatsfromthesky“ und 2012 „IV“. 2015 dann sind Davis und Janis Burmeisters sowie Karlis Tone alias TESA mit dem Rerelease ihres 2015 auf dem lettischen Skyr-Label erschienenen fünften Album „Ghost“ bei My Proud Mountain in Hamburg untergekommen, passend zur zweiten Tour als Support von NEUROSIS im August 2016. Fünf lange Jahre ließ sich das Ambient-Rock-Trio aus Riga, Lettland nun mit seinem sechsten Album „Control“ Zeit.

Euer Album trägt den Titel „Control“ – ist das eine bewusste JOY DIVISION-Referenz oder bloß ein Zufall? Davon abgesehen ist „Kontrolle“ ist sehr interessanter Begriff, der zu vielen Assoziationen führt, politisch, psychologisch ...

Karlis: Es gibt definitiv keine Verbindung zwischen JOY DIVISION und unserem Album. Ich habe das auch in einer lettischen Rezension des Albums gelesen, da ist mir der Zusammenhang erstmals tatsächlich bewusst geworden. Ich halte „Control“ für einen präzise passenden Namen für diese Platte, aber es ist wirklich schwer zu erklären, warum. Seit einiger Zeit interessiere ich mich für verschiedene Disziplinen der analytischen Psychologie, wie zum Beispiel die Drama- oder die Sandspieltherapie. Bei beiden geht es im Grunde genommen darum, wichtige Situationen mittels Rollenspielen zu beschreiben oder dadurch, dass verschiedene symbolische Spielzeuge in einem Sandkasten in eine bestimmte Anordnung gebracht werden, die für den Patienten irgendwie wichtig ist. Es hat mich immer fasziniert, wie sehr ein Mensch sein unterbewusstes Selbst – das fast immer verschlossen und doch so einflussreich in unserem Alltagsleben ist – durch diese psychologischen Praktiken ausdrücken kann und dabei viel über sich selbst lernt. Der Titel „Control“ stammt aus diesem Bereich – wir waren nie eine sehr textorientierte Band, so dass ich, wenn es soweit ist und wir gezwungen sind, unsere Alben zu benennen, immer meinem Bauchgefühl vertraut habe. Irgendwann bei der Entstehung dieses Albums hatte ich das starke Gefühl, dass „Control“ der richtige Titel dafür ist. Ich vermute, wir hatten wirklich irgendwann Schwierigkeiten, dieses Material zu schreiben – der Versuch, alles 110% zu kontrollieren, was aus uns herauskam, und auch die Zeit, in der wir leben, bringt einige Assoziationen zu diesem Begriff mit sich. Nicht nur politische, auch technologische – wir sind eine technologiebasierte Gesellschaft. Je mehr Technologie verfügbar ist, desto mehr Kontrolle gewinnen wir über verschiedene Lebensumstände und Situationen, und wir sehnen uns nach dieser Kontrolle.
Janis: Gewöhnlich ist Karlis derjenige, der Ideen oder die Namen der Alben und auch der Band einbringt, und in gewisser Weise können wir uns glücklich schätzen, dass wir eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Gefühl dafür haben, was unsere Musik ist und was sie erzählt, so dass wir bei so was immer seiner Intuition vertraut und sie angenommen haben. Wir vertrauen definitiv „seinem Bauchgefühl“, wie er es nennt. Es gibt eine Menge Kontrolle um uns herum, das ist nicht zu leugnen. Das kann sicherlich auch destruktiv sein, aber es ist nicht immer unbedingt schlecht. Wir haben viel Zeit als Band zusammen verbracht, wir sind als Individuen gewachsen, und wir mussten erst langsam lernen, miteinander umzugehen. Nachdem wir nicht mehr in unseren Zwanzigern sind und jeder Moment, den wir als Künstler zusammen verbringen können, wertvoller wird, ist eine gewisse Form der Kontrolle gewissermaßen eine Notwendigkeit. Der Titel „Control“ tauchte irgendwann bei den Aufnahmen zu diesem Album auf, es ist also nicht so, dass wir diese Songs von Anfang an mit dem Albumtitel im Hinterkopf schrieben, aber irgendwie scheint das Gesamtgefühl wirklich gut zu passen. Das war ein langer Prozess des Schreibens und Komponierens, um dann alles wieder völlig neu zu arrangieren, von vorne anzufangen und so weiter. Und das Ganze noch einmal im Studio. Nach mehreren Monaten Produktion und nachdem wir uns das gesamte Material wieder und wieder angehört haben, stellte sich im Studio definitiv ein gewisses Gefühl von Kontrolle ein. Weil wir sichergehen wollten, dass das Endergebnis unserer „Vision“ so nahe wie möglich kommt. Dieser Albumtitel ist mir wirklich ans Herz gewachsen und repräsentiert immer mehr die Intensität, die wir erreichen wollen. Wie üblich werden wahrscheinlich viele eine andere Vorstellung davon haben, was diese „Kontrolle“ bedeutet und was unsere Intention hinter diesem Titel ist, aber mit Sicherheit leben wir in einer interessanten Zeit und es lässt sich nicht leugnen, dass die meisten von uns in ihrem täglichen Leben irgendeine Form von Kontrolle erleben.

Ihr habt euer Album in der Kleinstadt Valmiera aufgenommen. Was müssen wir über das Aufnehmen in Valmiera wissen?
Karlis: Nun, der Grund dafür ist, dass unser langjähriger Freund Girts Laumanis in Valmiera lebt und dort als Tontechniker ein Studio betreibt, das er selbst gebaut hat. Wir kannten uns schon lange vor TESA und haben inzwischen eine enge Verbindung. Wir haben alle unsere Aufnahmen mit Girts gemacht, die meisten davon in seinem Studio in Valmiera. Was den Ausschlag gab, waren sein riesiger Live-Raum und die SSL-Konsole. Aber seitdem hat Girts sein Studio mit verschiedenen abgefahrenen Sachen aufgerüstet, also sind wir gerne nach Valmiera zurückgekehrt. Es ist eine kleine Stadt, in der nicht viel los ist, und es ist fantastisch, was das Aufnehmen betrifft. Weil keiner von uns dort lebt, werden wir nicht von Alltagskram abgelenkt. Normalerweise buchen wir drei bis fünf Tage und arbeiten immer von morgens bis abends an den Aufnahmen und das war’s – schlicht und einfach. Valmiera spielt eine große Rolle im lettischen Hardcore/Punk. Von Mitte der Neunziger bis Mitte der Nuller Jahre gab es dort eine wirklich riesige Szene mit vielen großartigen Bands. Also riesig für lettische Verhältnisse – Valmiera hat etwa 25.000 Einwohner. Girts war schon immer eine einflussreiche Figur in der Szene von Valmiera. So kam er zum Aufnehmen von Bands, und er ist immer noch dabei und entwickelt sich immer noch weiter. Es ist wirklich schwer, diesen Kerl nicht zu respektieren – er hat immer noch eine DIY-Punk-Attitüde und verfügt zugleich über ein wirklich gutes Ohr und eine Menge Wissen in diesem Bereich.
Janis: Ich erinnere mich noch genau, wie ich das erste Mal sein Aufnahmestudio Hodila besuchte, das war ungefähr 2003. Es war ziemlich schwierig, überhaupt ein komplettes Schlagzeug in den Aufnahmeraum zu bekommen, und hinter dem kleinen Mischpult war kaum Platz für zwei. Und wenn man bedenkt, wie weit er in Bezug auf Produktion, Können und Erfahrung gekommen ist, ist das einfach überwältigend. Es ist nur schwer vorstellbar für uns, mit jemand anderem zusammenarbeiten, um ehrlich zu sein, denn es war für uns alle ein langer Lernprozess. Wie Karlis sagte, war Valmiera schon immer einer der wichtigsten Orte für die lettische Independent-Musikszene, und wir hatten das Glück, ziemlich oft in den verschiedenen Clubs dort zu sein, und natürlich im Studio selbst, wo wir die meisten unserer Platten aufgenommen haben. Der Umstand, dass es eine Kleinstadt ist, wirkt sich wirklich günstig auf die Produktivität aus, da man die Möglichkeit hat, sich auf den kreativen Prozess zu konzentrieren und zumindest so zu tun, als gäbe es keinerlei Störungen, mit denen wir uns in Riga herumschlagen müssten.

Wie kommt ihr in diesem Corona-Schlamassel zurecht? Ich habe kein einziges Wort über die Situation in Lettland gehört oder gelesen.
Karlis: Nun, da unsere Regierung ziemlich schnell reagiert hat und bereits Mitte März die Grenzen geschlossen wurden und wir auch so weit entfernt sind von den wichtigsten Corona-Hotspots, sind wir ziemlich gut durchgekommen. Es gab natürlich einige Fälle, aber soweit ich weiß, sind viele Leute tatsächlich zu Hause geblieben. Wahrscheinlich hast du deshalb nichts darüber gelesen – alles ist langweilig sicher verlaufen. Der Lockdown ist inzwischen vorbei, aber es gibt immer noch Einschränkungen bei öffentlichen Veranstaltungen. Leider mussten wir deshalb die „Control“-Release-Show absagen – sie war zwei Wochen nach Beginn des Lockdowns geplant. Wir hatten schon eine Weile keinen Auftritt mehr. Wir hoffen, Anfang September langsam mit der Planung für die „Control“-Release-Show beginnen zu können.