THE MARS VOLTA

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Bad Afros

Sie zehren immer noch vom unglaublichen Erfolg ihrer vorherigen Band AT THE DRIVE-IN, doch zu hippen Rock-Stars taugten und taugen Omar Rodriguez und Cedric Bixler nicht, dazu sind die beiden zu sehr „down to earth“, zu sehr in der Hardcore-Community verwurzelt, aus der ATDI einst hervorgingen. Die sind seit Jahren Geschichte, aber immer noch der Referenzpunkt für das Tun der beiden Nachfolgebands, SPARTA einerseits und MARS VOLTA andererseits. Letztere haben sich mit ihrem ersten Album, das just erschienen ist, doch ein ganzes Stück länger Zeit gelassen als ihre Ex-Kollegen, und der erste Eindruck von „De-loused in the Comatorium“ ist, dass man wie bei der letztjährigen EP einfach noch nicht so recht weiß, was man davon halten soll, so sperrig und eigenwillig ist es ausgefallen. Ich traf Cedric im Rahmen einer Interviewreise in einem Kölner Hotel, kurz nach dem Bush den Irakkrieg angezettelt hatte.

Cedric, hier unsere aktuelle Ausgabe.


Danke. Oh, ihr habt was über die BRIEFS drin? Cool! Als sich ATDI aufgelöst hatten und ich wieder in Los Angeles war, sah ich sie zusammen mit SCARED OF CHAKA, und ich sagte, wenn sie einen BLACK FLAG-Song spielten, würde ich den singen. Das Konzert war im Plattenladen von diesem Franzosen, Jean-Luc heißt er, auf dem Melrose Boulevard.

Du kommst gerade aus den USA, was ist es für ein Gefühl, kurz nach Kriegsausbruch hier in Europa zu sein?

Ich habe das Gefühl, dass CNN und viele Zeitungen nicht zeigen, wie viele Menschen gegen diesen Krieg sind. Mir scheint, dass versucht wird, das unter den Teppich zu kehren, und wenn sogar schon die DIXIE CHICKS aus dem Radio verbannt werden, frage ich mich, was noch passieren wird. Es ist mir peinlich, was das Land, aus dem ich komme, anstellt, und sich als Weltpolizist aufführt. Das ist einfach traurig. Ich gehe nicht zur Wahl, und wenn ich wählen würde, hätte Bush trotzdem den Wahlsieg gestohlen. Von daher sehe ich keinen Grund, weshalb jemand wie ich wählen gehen sollte. Dafür sind meine politischen Ansichten viel zu extrem. Ich fühle mich zwar nicht als Botschafter meines Landes, ich meine, ich gehöre absolut zur Gegenkultur, aber ich bin wirklich empört und traurig zugleich.

Derzeit canceln auch diverse US-Bands ihre Europatouren.

Wirklich? Ich bin trotzdem geflogen. Unser Manager hat auch gefragt, ob wir auch dann nach Europa gehen würden, wenn der Krieg ausbricht, und ich sagte, wir würden auf jeden Fall fliegen. Und klar, ich kann mir schon vorstellen, dass jetzt ein paar Leute Schiss haben, aber weißt du was? Ich denke, Amerikaner sollten auch Angst haben! Wir leben schon so lange mit dieser snobistischen Attitüde, halten uns für etwas, was wir gar nicht sind. Das fiel mir erst jetzt wieder auf: Ich war in Zürich und saß da an einem großen Platz und beobachtete die Leute. In Zürich gibt es eine ganze Menge reicher US-Kids, die dort Eliteschulen besuchen, und ich hatte natürlich keinerlei Lust, mit denen zu reden und als Amerikaner erkannt zu werden. Und das waren solch typische Barbiepuppen, unglaublich, mit denen konnte ich mich kein Stück identifizieren.

Und doch wird man, kaum ist man aus seinem Land raus, auf seine Nationalität reduziert, ganz egal, aus welcher Subkultur man stammt.

Oh ja, das ist immer wieder erstaunlich. Und ich würde mir wünschen, dass das jeder kapiert, denn sonst würden wir ja auch nicht solche Konzerte spielen. Ich meine, unsere Ideen sind vollkommen abseits des Mainstreams, das ist eine ganz andere Denkschule. Omar und ich sind kürzlich aus Long Beach nach Los Angeles gezogen, nach Laurel Canyon, die Gegend, wo die ganzen Rock’n’Roller ihren Ruhestand genießen, haha. Dort ist es jedenfalls eher vorstädtisch und ruhig und ich habe auch keine Lust darauf, dass mein Haus zu einem Punk- und Hippie-Partyhaus wird. Jedenfalls haben selbst dort die ganzen Yuppies an den Straßenecken gegen den Krieg protestiert, und das hat mich schon erstaunt. Das sind alles Leute, mit denen ich mich nicht identifizieren kann und mit denen ich nicht mal reden will, aber selbst die sind gegen den Krieg. Und ich denke auch, dass Leute wie wir, die aktiv in der Musikszene sind, schon eher geneigt sind, gegen diesen Krieg zu protestieren als die normalen Bürger. Und damit meine ich, dass man mehr tut als nur einen Aufkleber ‚Honk if you’re against the war’ aufs Auto zu kleben. Ich meine, wir sind Punks, wir sollten ein paar Banken anzünden oder so was, haha. Der einzig coole Effekt an der Präsidentschaft Bushs ist meiner Meinung nach sowieso, dass es vielleicht mehr Punkbands gibt, weil die Leute sauer werden. Wie damals bei Reagan, haha, oder in England unter Thatcher.

Als ihr das letzte Mal hier wart, letztes Jahr um Ostern herum, habt ihr so gut wie keine Interviews gegeben. Jetzt habt ihr eure Meinung geändert, wieso?

Damals hatten wir so viele Interviews gegeben, also noch mit AT THE DRIVE-IN, und alle Interviews waren absolut gleich, jeder fragte nur, wie es war mit Iggy Pop zu arbeiten, wie es war mit Mike D zu arbeiten, und ob das unsere echten Haare seien – und das ging uns so auf die Nerven, dass wir einfach keine Lust mehr hatten auf Interviews. Und wir waren eben auf einem Majorlabel, so dass die Interviews nicht wie das mit dir jetzt waren, sondern du hattest zehn oder mehr am Tag und ein gutes dabei. Der Rest wurde von faulen Journalisten geführt, die keine Ahnung von Musik hatten, die keine Ahnung hatten von irgendwas, das außerhalb der Mainstream-Popkultur liegt. Die machten das Interview nur, weil es ein hippes Thema war. Und irgendwann haben wir einfach die Notbremse gezogen und keine Interviews mehr gegeben, wir waren einfach müde. Solche Interviews, das ist wie ein Auto zu verkaufen, und auch wenn ich weiß, dass Musik auch immer ein Produkt ist, so wollte ich doch nicht wie ein Verkäufer meine eigene Musik anpreisen müssen, das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, die Musik zu machen, zu spielen, zu singen.

Im Augenblick machen dir Interviews aber wieder Spaß.


Ja, im Moment bin ich noch frisch, aber wir haben eben auch gelernt, wie man es richtig macht. Wir werden wohl wie jetzt immer vor einer Platte auf Interviewtour gehen und dann später, während der Tour, keine Interviews geben, in denen wir uns mit Leuten unterhalten müssen, die keine Ahnung haben, worüber wir uns aufregen und uns damit den ganzen Tag versauen.

Bei unserem letzten Interview hatten wir einen Part weggelassen, in dem ihr erklärt hattet, keine Lust mehr auf einen Majordeal zu haben – und noch bevor das Interview erscheinen konnte, war dann doch klar, dass ihr wieder einen Majordeal habt. Was hatte eure Meinung so verändert?

Wir hatten damals einfach einen schlechten Manager. Der war es nämlich, der immer ankam und sagte, das Label sagt dies und das Label sagt das. Damals gab ich mich noch der Illusion hin, unser Manager sei wie ein Freund, der sich gut um uns kümmert. Denn als wir dann mal selbst mit unserem Label sprachen, stellte sich vieles, was er gesagt hatte, als Lüge heraus. Oder die Tatsache, dass wir hier in Deutschland mit Virgin arbeiten mussten und in jedem Land ein anderer Ansprechpartner zuständig war, das führte zu solch absurden Situationen, dass die anderen Leute in ATDI gebeten wurden, Perücken zu tragen, wenn ich und Omar mal keine Zeit für ein Interview hatten. Die dachten echt, das würde keiner merken! Naja, und Leute, die so was vorschlugen, haben wir eben damals mit allen Major-Leuten gleichgesetzt. Als wir dann später die Leute von Virgin und Grand Royal, auch Mike D, darauf ansprachen, waren die völlig entsetzt.

Die Konsequenz also: Kontrolle darüber, mit wem ihr sprecht, um eure Identität zu wahren?

Absolut. Wenn du eine kleine Punkband bist, musst du dir über so was keine Gedanken machen. Als mich in Australien mal ein Skaterkid auf der Straße ansprach, ob er ein Interview machen könne, sagte ich sofort Ja, aber der Typ von der Plattenfirma kam damit null klar, der dachte, er müsse mich vor den Leuten beschützen. Die haben uns alle für eine weitere ‚up & coming’ Band gehalten, die sich bereitwillig zur Hure machen lässt.

Andererseits: Hättet ihr das nicht wissen können?

Schon, aber dass das alles so krank abläuft, das konnten wir uns nicht vorstellen. Wir bekamen plötzlich Anrufe aus Japan, Australien, Italien, Spanien, Mexiko – alle wollten Interviews machen, und das hatten wir uns niemals vorgestellt. Unsere Idee war eher: Wir machen eine Platte, die kackt ab, wir werden wieder rausgekickt, aber hatten unseren Spaß. Wir waren naiv, aber vorbereitet, jedoch nicht auf das, was dann kam.

MARS VOLTA – wer ist das im Augenblick?

Jeremy Ward, der sich um Samples, Loops, Gesang und Drumeffekte kümmert und bei Konzerten mit seinem Equipment neben dem Mischer steht. Sein Beitrag ist seine Interpretation dessen, was Brian Eno bei ROXY MUSIC machte. Er ist ein festes Bandmitglied und schreibt auch einen Teil der Texte. John Theodor spielt Schlagzeug, und dann sind da noch Omar und ich. Wir haben derzeit keinen festen Bassisten und Keyboarder, wir hatten noch keine Zeit, feste Mitglieder zu suchen.

Im aktuellen Info steht „THE MARS VOLTA ist Cedric Bixler and Omar Rodriguez“.

Ja, das mussten wir so machen, denn John und Jeremy haben keine Lust auf diesen ganzen Presserummel. In der Zukunft werden sie sicher auch mehr in so was involviert sein, aber wir sind eben immer noch in so einer Übergangsphase von ATDI zu MARS VOLTA.

Und wie kam es dazu, dass Flea von den RED HOT CHILI PEPPERS auf dem Album Bass spielt?

Er ist ein guter Freund, da hat sich das so ergeben – und auch die Tour im Vorprogramm der RHCP. Das ist eine neue Erfahrung für uns, nachdem wir bislang eher Club-Shows gespielt haben, aber echt okay, denn ihre Fans sind echt sehr relaxt, im Vergleich etwa zu den unglaublich feindseligen Fans von RAGE AGAINST THE MACHINE, als wir mit ATDI deren Vorband waren. Die haben uns gehasst, man konnte uns nicht mal hören, so haben die gebrüllt. Und natürlich haben die uns bei den Shows auch schön leise gemischt, wie das eben so üblich ist. Bei den RHCP ist das anders, da werden wir von allen sehr freundschaftlich behandelt. Sowieso bin ich schon seit ich ein Kid war Fan von RHCP, und damals waren sie die einzige Band auf MTV, die über die GERMS oder PERE UBU oder James Brown oder P-FUNK geredet haben. Ich habe da echt was von ihnen gelernt, und sie waren schon immer so richtig crazy, das fasziniert mich bis heute. Die wissen, was sie tun, und da ist es nicht so wichtig, dass ich ihre neueren Sachen nicht ganz so sehr mag. Auf Tour allerdings haben sich sogar diese Songs festgefressen, ich bin eben BEACH BOYS-Fan und man sieht da schon die Parallelen zwischen Brian Wilson und John Frusciante. Jedenfalls ist es viel einfacher mit ihnen auf Tour zu sein, als ich dachte.

Produziert hat das neue Album Rick Rubin, ich meine, der Mann ist eine Legende.

Oh ja, und ein richtiger Einsiedler. Wir hatten verschiedene Leute im Sinn, und als wir uns mit ihm in seinem Haus trafen, hat es einfach geklickt. Wir haben uns gemeinsam unsere erste Platte angehört, auf einer unglaublichen Anlage, so richtig brutal laut, und haben dann endlos über Musik geredet und uns gut verstanden. Und Veganer ist er auch noch. Er interessiert sich auch für Yoga und Meditation, Omar auch, und so kamen wir einfach gut klar. Er ist ein wirklich netter Typ, ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Von anderen Leuten wussten wir, wie er arbeitet, wie ‚seine’ Platten klingen, da war das eine gute Wahl für uns. Dabei ist uns aber auch klar, dass unser Album, sicher auch eine andere Seite von Rick Rubin zeigt.

Ich hatte die Gelegenheit, ein paar Songs des Albums zu hören, und muss sagen, dass ich sie eher verstörend empfand und schwer einzuordnen.

Haha, was soll ich sagen? Wir haben uns nicht wirklich Gedanken gemacht, ob die Songs eingängig sind oder nicht, das ist auch die Philosophie hinter der Band. Wir müssen mit einem Song glücklich sein, das ist alles. Man hat mich auch schon gefragt, warum ich meine Stimme mit Effekten ruiniere, aber ich kann dazu nur sagen, dass es mich glücklich macht, dass ich das mag. Unsere Musik spaltet das Publikum: Wem es nicht gefällt, der braucht es sich ja nicht anzuhören – und anderen Leuten gefällt es dafür um so besser. Und wenn die Songs nicht beim ersten Mal gefallen, um so besser, denn meine Lieblingsplatten sind allesamt solche, die mir anfangs auch nicht gefielen, die ich mir erarbeiten musste. Als ich damals die erste FUGAZI-Platte hörte – ich bin jetzt 28, damals war ich 13 oder so – war ich richtig angepisst, ich wollte MINOR THREAT hören. Platten, an die man sich erst gewöhnen muss, sind etwas spezielles, die bleiben wirklich hängen.

Gibt es Vorbilder, an denen ihr euch bei der Produktion des Albums orientiert habt?

Während der Aufnahmen haben wir ‚Family Man’ von BLACK FLAG gehört, also eine Platte aus der Phase, als sie sich im übertragenen Sinne zu langen Haaren bekannt haben. Ich liebe dieses Album! Und dann haben wir noch ‚The Lamb Lies Down On Broadway’ von GENESIS gehört – eine Platte, als Peter Gabriel noch gesungen hat, nicht den Mist mit Phil Collins. Und dann noch das Live-Album ‚Lotus‘ von SANTANA, und Sachen von John McLaughlin. Und mir scheint, wir machen irgendwie unbewusst einen Spagat zwischen den beiden verfeindeten Lagern des Progressive-Rock einerseits und Punkrock andererseits. Aber dann wiederum hat sich Johnny Rotten auch als Fan von VAN DER GRAAF GENERATOR und CAN bekannt, oder einer von den BUZZCOCKS hat zugegeben, PINK FLOYD-Fan zu sein. Und das macht auch irgendwie Sinn, denn beide Stile sind auf ihre Weise subversiv, aber sie haben eben verschiedene Frisuren. Es ist doch albern zu sagen ‚Ich bin Punk, ich darf das nicht hören’. Und so höre ich zu Hause eben auch Ennio Morricone und Salsa, finde ich dass Salsa-Filme aus den Siebzigern mehr Punkrock sein können als ‚Suburbia’. Punk, das ist eben eine Art zu Denken und kein Kostüm, und so darf man keine Angst haben, sowohl MOUNTAIN wie P.I.L. zu hören.

Letzte Frage: Was ist derzeit mit DE FACTO, eurer Dub-Band?

Wir haben in Kroatien einen Tag frei auf der Tour mit RHCP und spielen dort eine Show, und DE FACTO ist immer noch unser Fun-Nebenprojekt, in dem wir unseren Lee Perry- und King Tubby-Einflüssen freien Lauf lassen. Jeder, der Punk hört, sollte Dub mögen, denn THE CLASH haben ja nie einen Hehl aus ihrer Vorliebe gemacht. Oder P.I.L., die Dub und Reggae auf ihre eigene Weise verarbeitet haben.

Bei ATDI und MARS VOLTA kommt dieser Einfluss kaum zum Vorschein.
Ich denke, beim neuen MARS VOLTA-Album kann man das schon heraushören, gerade was so Echo-Effekte anbelangt – hör mal genau hin.

Cedric, ich danke dir für das Interview.