VENOMOUS PINKS

Foto© by Alexander Thomas

Der Soundtrack für einen Russ Meyer-Film

THE VENOMOUS PINKS aus Mesa, Arizona sind hierzulande trotz ihres inzwischen zehnjährigen Bestehens, hoher US-Bühnenpräsenz und etlicher Single-, EP- sowie Sampler- und Video-Veröffentlichungen noch eher unbekannt. Mit ihrem im Juni bei Sbäm erscheinenden ersten Album „Vita Mors“ wird sich das gewiss bald ändern. Der ebenso melodische wie harte politische Punk, den Drea Doll, Gaby Kaos und Cassie Jalilie spielen, ist einfach zu gut, um sich dem auf Dauer entziehen zu können. Und weil mich „Vita Mors“ sofort abgeholt hat, habe ich mich über die Gelegenheit zum Interview sehr gefreut.

Ihr feiert in diesem Jahr euer zehnjähriges Bandjubiläum. In den USA seid ihr inzwischen recht bekannt. Wer sind THE VENOMOUS PINKS und wie würdet ihr euch musikalisch selbst verorten?

Drea: Ich spiele Gitarre und singe. THE VENOMOUS PINKS kann man als das Kind der Liebe einer Beziehung von T.S.O.L. und BIKINI KILL beschreiben, und wir klingen wie der Soundtrack für einen Russ Meyer-Film. Wir drei haben einen sehr unterschiedlichen Musikgeschmack. Beeinflusst sind wir etwa von Joan Jett, ALKALINE TRIO, RANCID und LUNACHICKS.
Gaby: Ich spiele Bass. Zehn Jahre THE VENOMOUS PINKS? Wow! Ich bin seit sieben Jahren in der Band, und es kommt einem gar nicht so lange vor, wenn man mit seinen Schwestern spielt. Wir bringen alle unterschiedliche Stile in die Band ein. Ich bin ein großer Pop-Punk-Fan. Ich bin aufgewachsen mit GREEN DAY, BLINK-182 und THE LIVING END.
Cassie: Ich spiele Schlagzeug. Travis Barker hat mich sehr beeinflusst. Meine Lieblingsband ist AFI.

Dieser Tage erscheint euer Debütalbum „Vita Mors“. Ihr setzt euch darauf mit Rassismus und Drogensucht auseinander. Welche Themen behandelt ihr in euren Songs noch? Wer schreibt die Lyrics? Wer ist für die Komposition verantwortlich?
Drea: Ich schreibe Texte, die auf meinen persönlichen Erfahrungen basieren. Die letzten zwei Jahre waren emotional sehr aufreibend. Deshalb erlaube ich mir, verletzlich zu sein. Ich hoffe, dass unsere Fans Trost in unseren Texten finden. Die Komposition der Musik beginnt mit einem Riff und dann bauen wir den Song darauf auf.
Gaby: Ich liebe an diesem Album, dass es für jeden einen Song gibt. Ob es nun um Herzschmerz geht, darum, jemanden zu verlieren, oder darum, für das Richtige einzustehen. Bei der Komposition bringt üblicherweise einer von uns eine Idee ein und wir fangen an zu jammen. Meist geben wir dem Song zunächst eine Struktur und beginnen dann, den Text zu schreiben.
Cassie: Wir singen auch über Trauer und Verlust. Drea ist die Texterin. Die Band als Ganzes trägt in der Regel zum Aufbau der Songs bei, meistens mit einem Riff beginnend, auf dessen Basis wir gemeinsam weitere Ideen entwickeln.

Cameron Webb hat euer Album produziert. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Cassie: Die Arbeit mit Cameron Webb war die beste Erfahrung, die wir je gemacht haben. Er hat uns wirklich dazu gebracht, unsere Komfortzone zu verlassen. Er ist wirklich ein Meister in dem, was er tut, und wir schätzen unsere Zusammenarbeit mit ihm sehr.
Gaby: Ich liebe die Arbeit mit Cameron! Er ist jemand, den man braucht, um als Musikerin die nächste Stufe zu erreichen. Ich habe in zwei Wochen so viel von ihm gelernt. Er bringt dich an deine Grenzen, aber auf eine positive Art und Weise.
Drea: Cameron weiß, wie man im Studio das Beste aus einem herausholen kann. Cameron ist ein begnadeter Produzent, der mit guten Ideen schnell zur Stelle ist. In den zwei Wochen, die wir zusammengearbeitet haben, habe ich mehr von ihm gelernt als in all den Jahren zuvor. Wir hatten auch viel Hilfe bei der Produktion von Linh Le von BAD COP/BAD COP. Sie ist eine fantastische Songwriterin und Sängerin, und sie hat mich wirklich noch besser gemacht.

Ihr seid seit dem Frühjahr wieder aus US-Tour. Sind Auftritte in Europa geplant?
Ja! Wir werden Ende Juli und Anfang August in Europa und auch in Deutschland spielen, zum Beispiel auf dem Sbäm Festival, beim Brakrock und dem X-treme Festival. Wir sind sehr aufgeregt, endlich unsere SBÄM-Familie zu treffen.

Hierzulande ist es in der Punk-Szene leider zum Teil immer noch keine Selbstverständlichkeit, Frauen-Bands mit demselben Respekt zu begegnen wie männlich dominierten Bands, oder sie zum Beispiel beim Booking gleichberechtigt zu berücksichtigen. Bisweilen reproduziert die Szene patriarchale und sexistische Formen von Diskriminierung. Habt ihr ähnliche Erfahrungen machen müssen? Wie geht ihr damit um?
Cassie: Ja, das ist definitiv etwas, das wir immer noch regelmäßig erleben. Es ist fantastisch zu sehen, dass immer mehr weibliche Künstlerinnen und Bands sich durchsetzen und den Weg weiter ebnen. Wir sind eine Solidargemeinschaft, die von so viel Liebe und Unterstützung geprägt ist, und wir halten zusammen! Alles, was wir tun können, ist, es ihnen immer wieder zu beweisen, dass sie falsch liegen ... und das tun wir!
Gaby: Ich habe das Gefühl, dass es viel besser geworden ist. Immer mehr Frauen spielen in Bands und gehen zu Shows. Ich glaube, es ist viel sicherer als früher. Außerdem habe ich das Gefühl, dass wir zusammenhalten, und wenn was vorfällt, gibt es eine Ansage und wir begehren auf.
Drea: Ja, es gibt Sexismus in der Punk-Szene in den USA, aber wir sagen einfach, scheiß drauf! Wir machen Musik, weil wir es mögen, und wir rocken hart. Wir haben Spaß und mögen es zu spielen, und das ist alles, was zählen sollte. Unser Geschlecht sollte verdammt noch mal keine Rolle spielen!

Findet ihr die Zeit, euch über die Musik hinaus politisch oder gesellschaftlich zu engagieren? Ich fand ein gemeinsames Foto von euch mit Bernie Sanders. Hattet ihr ihn 2016 bei der Präsidentschaftswahl unterstützt?
Cassie: Bernie ist und bleibt unsere Nummer eins. Es war die beste politische Erfahrung, die wir machen konnten, für ihn zu spielen. Manche Leute mögen es nicht, sich in den sozialen Medien politisch zu äußern, aber wir sind alle ziemlich engagiert dabei, unsere Plattformen zu nutzen, um das Bewusstsein zu schärfen und die Menschen über bestimmte Themen aufzuklären, über die die Mainstream-Medien nicht sprechen.
Drea: Wir arbeiten auch mit dieser gemeinnützigen Organisation namens Sidewalk Project zusammen, die von Stacey Dee von BAD COP/BAD COP und Soma Snakeoil gegründet wurde, um Wohnungslose durch bei Kunst- und Musikveranstaltungen gesammelte Spenden zu unterstützen.
Gaby: Es ist sicher eine seltsame Zeit. Die letzten Jahre waren politisch der Wahnsinn, aber man weiß nun auch, wer rassistisch ist und wer auf welcher Seite steht, das ist sehr wichtig. Wir durften auf einer Kundgebung für Bernie Sanders vor etwa 7.000 Leuten spielen. Also ja, wir unterstützten ihn damals und wir unterstützen ihn heute.

Gaby, du machst seit einiger Zeit den „Sound Sisters“-Podcast. Worum geht es da?
Gaby: Drea und ich machen den Podcast zusammen mit unserer Freundin Angela Rosered. Wir haben dieses Jahr zunächst eine Pause eingelegt, weil wir mit der Band sehr beschäftigt sind. Wir hoffen, dass wir im Herbst mit neuen Episoden zurückkommen!
Drea: Es ist ein weiblich geprägter Podcast aus der Perspektive von Musikerinnen, die in der Szene arbeiten. Es geht um unsere gemeinsamen Erfahrungen mit dem Musikmachen, der Arbeit im Studio und der DIY-Ethik. Wir haben auch gerne Gäste dabei und sprechen über Geister und paranormale Aktivitäten.

Etwas, das ihr uns unbedingt noch sagen wollt?
Gaby: Ich führe zusammen mit Linh Le eine coole Kampagne namens „Bassists Against Racists“ durch, bei der wir jeden Monat neue Bassist:innen vorstellen und den gesamten Erlös an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden. Wir haben bereits die Bassisten von Bands wie RISE AGAINST, GORILLAZ, NEW FOUND GLORY und ANTI-FLAG präsentiert. Ich betreibe auch mein eigenes Merch-Label namens Kaos Merch. Wenn ihr also eine Band aus Europa seid und Merch in den USA braucht, lasst es mich wissen!
Drea: Kauft und streamt unser neues Album „Vita Mors“, das am 3. Juni überall erscheint. Kauft unser Vinyl. Kommt uns besuchen, wenn wir in Deutschland und Österreich spielen! Unterstützt DIY-Bands. Unterstützt Frauen im Punk. Unterstützt THE VENOMOUS PINKS!