Vorübergehend nicht lieferbar?

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Das Vinyl-Drama: So geht es dem Flight 13-Mailorder

Wer dieser Tage als Plattenhändler:in on- wie offline damit umgehen muss, dass das, was die Kund:innen haben wollen, gerade nicht oder viel später oder gar nicht oder nicht mehr oder nicht in der gewünschten Version zu haben ist, ist tendenziell gereizter Stimmung, denn hier lassen genervte Vinylfans bisweilen ihrem Unmut freien Lauf, wenn eben die vorbestellte Platte erst Wochen später kommt – oder gar nicht mehr, da mal wieder weniger LPs geliefert wurden als bestellt und nun irgendwer leer ausgeht. Tom Haller aus Freiburg ist mit seinem Mailorder (und Label) Flight 13 sowie Plattenladen seit rund drei Jahrzehnten im Geschäft. Wir lassen uns berichten, wie es derzeit so läuft.

Tom, im letzten Ox sprach ich mit Micha von Cargo über die Vertriebs- und Herstellungsseite des Vinylgeschäfts, das derzeit wegen langer Lieferzeiten und steigender Preise eine Krise durchmacht. Wie lief 2021 für dich als alten Mailorder-Hasen?

Wirtschaftlich gesehen hatten wir ein gutes Jahr, von daher bin ich zufrieden. Doch da ich weiß, dass es anderen nicht so gut geht in dieser Pandemie, hält sich meine Freude in Grenzen. Corona beeinflusst nach wie vor unseren Arbeitsalltag. Wir arbeiten weiterhin in einem Schichtmodell, das heißt maximal zwei Personen im Büro und Laden und zwei im Mailorder und Lager, mit Abstand und/oder Maske. Aber natürlich haben wir mit den von dir angesprochenen Problemen auch zu kämpfen. Das macht unsere Arbeit zeitintensiver und insgesamt aufwändiger. Zum Glück hatten wir 2021 viele tolle Releases, die wir unter das Volk bringen durften!

Wer gerne Vinyl kauft und verkauft, wird derzeit massiv auf die Probe gestellt: Endlos lange Wartezeiten, Unsicherheit, ob die bestellte Vinylfarbe auch wirklich kommt, im Zweifelsfall weniger Liefermenge als Vorbestellungen, hier und da schlechtere Pressqualität und die Preise gehen immer weiter hoch. Wie erlebst du das?
Wie du schon richtig sagst, ist der Markt in vielerlei Hinsicht schwieriger geworden. Liefermengen sind immer ein Problem, wenn sie nicht eingehalten werden können, was zum Glück nicht so oft passiert. Da ist die Verschiebung von Veröffentlichungsterminen problematischer. Es gibt Neuheiten, die werden immer wieder verschoben, aber viele Labels haben sich schon darauf eingestellt und planen entsprechend. Beim Backprogramm dauert es oft länger, bis Nachpressungen wieder verfügbar sind. Wir probieren, das so gut es geht transparent zu machen. Doch bei über 20.000 Titeln gelingt das nicht immer, so dass Kunden dann auch mal einen Titel erwischen, der nicht lieferbar ist, und dann enttäuscht sind. Die Preisentwicklung ist sicherlich das unerfreulichste Thema. Hier kommen leider mehrere Faktoren zusammen: Rohstoffknappheit, gestiegene Rohstoff- und Energiepreise, generelle Preiserhöhungen und erschwerte Arbeitsbedingungen wegen Corona.

Was für Lösungsmöglichkeiten siehst du? Und welche weiteren Schwierigkeiten? Die Versandkosten etwa steigen, Plattenkartons sind viel teurer als noch vor zwei Jahren, vielfach haben die Menschen zudem eine starke Retourenmentalität entwickelt.
Wir lassen uns vorab Bestellmengen garantieren, um Kunden nicht zu enttäuschen – das klappt in der Regel ganz gut. Außerdem beschränken wir begehrte Titel auf eine Copy pro Order, damit wir möglichst viele Leute bedienen können. Ganz rare Titel bieten wir als Clubartikel nur unseren Stammkunden an. Klar, die Portokosten steigen quasi jährlich, die letzten ein bis zwei Jahre kamen noch Preissteigerungen für die Kartonagen hinzu. Das betrifft jeden, der einen Versand betreibt. Wir nehmen 5 Euro für Porto und Verpackung, das deckt kaum die Kosten. Bestellen die Kunden für mehr als 75 Euro, liefern wir versandkostenfrei. Wir verwenden auch gebrauchte Kartonagen, wenn sie noch in einem guten Zustand sind, und basteln aus alten Kartons Füllmaterial. Mit Retouren haben wir zum Glück nicht so viel zu tun, weil wir viel Wert auf eine gute und sichere Verpackung legen. Außerdem kann man sich bei uns fast alle Sachen vorher anhören, deshalb lehnen wir Geschmacksretouren grundsätzlich ab, haha.

Wie schwer ist es durch diese Situation geworden, die Stammkund:innen noch zufriedenzustellen? Was denkt ihr euch aus, wie kommuniziert ihr?
Wir drucken regelmäßig unsere Kataloge – das macht Spaß, macht aber fast niemand mehr. Ich komme aus einer Zeit, wo Mailorder ausschließlich per Katalog funktionierte: Ich habe die Malibu-Kataloge oder die gelben Vinyl Boogie-Listen aus Berlin geliebt. Wir verkaufen zu 95% analoge Musik, da muss der „Kanal“ dazu auch stimmen, analog eben. Natürlich läuft der Druck auf Recyclingpapier und wir pflanzen dafür Bäume im Schwarzwald. Über unseren E-Mail-Newsletter informieren wir unsere Kunden über die wichtigsten Neuheiten sowie Sonderaktionen und unser Webshop wird täglich aktualisiert. Außerdem sind die meisten unserer Reviews „handgemacht“ und nicht abgeschrieben. Wir verkaufen seit über dreißig Jahren Musik. Wir machen unsere Arbeit mit viel Herzblut und das merken unsere Kunden. Für mich ist auch schon immer wichtig, dass wir umweltbewusst wirtschaften. Wir versenden deshalb alle Kataloge und Pakete „GoGreen“, das heißt wir bezahlen mehr, um in CO2-Ausgleichsprojekte zu investieren. Dass hier alles mit Ökostrom läuft, ist für mich eine Selbstverständlichkeit!

Welche Entwicklungen siehst du für 2022 im Vinyltonträgerversandhandel?
Wir werden uns alle an die längeren Lieferzeiten gewöhnen müssen, auch wenn sich der Markt durch gesteigerte Presskapazitäten sicherlich in den nächsten ein bis zwei Jahren wieder etwas erholen wird. Wir werden aber nie wieder dahin kommen, wo wir vor der Pandemie waren, weder was Presszeiten noch die Preise anbelangt. Wir erleben gerade ein kleines MC- und CD-Revival – die kosten oft nur die Hälfte, das ist für den einen oder anderen Kunden ein Argument, aber nicht ganz so sexy. Ich habe mir erst letztens die „s/t“ von BAD BRAINS als Kassette gekauft, weil das Original schon vor über zwanzig Jahren kaputtgegangen ist. Das sind dann schöne Erinnerungen, und mein Doppeltapedeck funktioniert noch einwandfrei.

Und worauf freust du dich ganz persönlich?
Im Großen: Über ein Ende der Pandemie. Im Kleinen: Morgens aufzustehen und Spaß an der Arbeit zu haben!

Das Presswerk Flight 13 Duplication, das euch ja freundschaftlich und vom Namen her verbunden war, hat Ende 2021 den Betrieb eingestellt. Was möchtest du zu Biebers Entscheidung noch sagen – und was bedeutet das für Flight 13 als Label?
Bieber hat lange bei uns gearbeitet, wir kennen uns schon ewig und sind gute Freunde. Natürlich bedauere ich seine Entscheidung, auch wenn ich es nachvollziehen kann. Ich habe das Label 1988 gegründet, also lange bevor es Flight 13 Duplication gab, und natürlich geht es auch jetzt mit dem Label weiter. Dieses Jahr erscheinen unter anderem neue Alben von OIRO, LOMBEGO SURFERS und den JOSEPH BOYS. Das wird spitze! Und ich arbeite gerade daran, die Aufnahmen von LAIKA wieder verfügbar zu machen, meiner letzten Band von Anfang der Neunziger. Gar nicht so einfach, weil es nur DAT-Bänder gibt und kein Studio mehr einen DAT-Player hat. Also habe ich mir einen gebrauchten gekauft und bin damit zu Markus ins Liquid Studio. In welcher Form die Songs genau erscheinen, ist noch unklar. Vielleicht sogar auch in einer kleinen Vinyl-Edition. Wir haben sogar noch Videomaterial gefunden, ihr könnt gespannt sein.