Foto

SOUL GLO

Diaspora Problems

„Vor Corona“ fühlt sich an wie vor einer Ewigkeit. An den Mai 2019 und die Heartcoretage in Wermelskirchen kann ich mich kaum noch erinnern. Bis auf SOUL GLO. Die mich damals dort kalt erwischten. Und zu deren Album „The Nigga In Me Is Me“ (von 2019, davor Kleinformate, erstmals 2015) ich damals schrieb: „[...] es ist nach Mitternacht, [...] alle hängen in den Seilen, eigentlich war man schon auf dem Weg zum Auto, verquatscht sich aber – und dann sind plötzlich SOUL GLO aus Philadelphia, PA auf der Bühne und es zieht alle Anwesenden zurück in den Saal, so wie Motten von einer plötzlich eingeschalteten Lampe angezogen werden. Irgendwas passierte da, eine musikalische Naturgewalt war ausgebrochen. Der Afroamerikaner, der den ganzen Abend im Treppenhaus gesessen hatte, auf sein Smartphone starrte, dem man im Vorübergehen freundlich zugenickt hatte – er explodierte gerade auf der Bühne, und mit ihm seine Band. Ein einziges hektisches Gemetzel, extrem präzise gespielt, aber enorm fordernd, sowohl für die auf der Bühne wie für jene davor. Rasend schnelle Songs, titellos, durchnummeriert, schütteln dich durch. Dazwischen kurze Atempausen, kurze Ansagen, so unverständlich wie die Texte – um die zu kennen, muss man die LP kaufen. Der wie alle anderen Beteiligten auf der Platte namenlos bleibende Sänger – Pierce heißt er – sieht aus und agiert wie der junge HR, so mögen Ende der Siebziger auch die BAD BRAINS über die Punk-Szene in Washington, DC hereingebrochen sein. Das Cover [von ‚The Nigga In Me Is Me‘] wie die Texte eine einzige Anklage gegen eine diskriminierende Gesellschaft, was die Hardcore-Szene einschließt. Sehr intensiv, nach Erklärungen und Rückfragen verlangend – die textliche Fortsetzung der ‚uneasy‘ Musik, oder anders herum. Anstrengend, schmerzvoll – bedeutsam. Hardcore mit Inhalt statt mit hohlen Phrasen.“ So meine damalige Rezension. Es folgten weitere (digitale) Releases, und dann das Signing bei Epitaph. Das Album war wohl konzeptionell bereits umrissen, in Kooperation von Bassist GG und Soundmann Evan Bernard, als die Band bei Epitaph unterschrieben hatte und im Sommer 2021 „Diaspora Problems“ aufnahm. Nun ist das Ding raus und erneut so „uneasy listening“, wie Hardcore sein muss. Rhythmisch komplex, dominiert vom mal wüst fauchenden, mal fast schon gerappten Gesang, mal langsamer und Luft holend, dann wieder rasend – ein über weite Strecken manisches, atemloses Stück Musik, das man unbedingt live erleben will und das immer wieder Erinnerungen an die frühen BAD BRAINS wach ruft. Was es mit dem Cover von „Diaspora Problems“ auf sich hat, ist im Moment noch unklar – die Band wird dazu sicher eine Erzählung haben. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass Gitarrist Ruben Polo von SOUL GLO Anfang 2022 von einem Ex-Partner der Vergewaltigung beschuldigt wurde, was Ruben öffentlich mit den Worten „This statement is absolutely false“ von sich gewiesen hat.