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DEZERTER

Klamstwo To Nowa Prawda

Im Jahr 1983 bestellte ich mir die EP „Ku Przyszlosci“ direkt bei der Band DEZERTER in Polen, nachdem ich vorher bereits einen Briefkontakt herstellen konnte. Es war die erste Veröffentlichung der Gruppe, die ursprünglich SS-20 hieß, erschienen auf dem staatlichen Label Tonpress. Die damit einhergehende Zensur ließ die enthaltenen vier Tracks zu und erlaubte das Erscheinen in einer einfachen blauen Innenhülle ohne Cover. Der Kontakt zur Band und das Eintrudeln des Tonträgers waren aufregende, weil geradezu „anarchische“ und „verbotene“ Vorgänge. Der Osten Europas war durch den „Eisernen Vorhang“ abgeschirmt und die Leute „da drüben“ hatten ziemlich was auszuhalten. 1986 schrumpften DEZERTER auf ein nach wie vor unbequemes Trio, die erste LP erschien im Jahr 1987 via Maximum Rocknroll in den USA und trug den Titel „Underground Out Of Poland“. Die Platte enthielt die erste EP, sieben Songs aus einer illegalen Radiosession und Live-Aufnahmen vom Jarocin Festival aus dem Jahr 1984. Ebenfalls 1987 wurde die erste „echte“ LP „Kolaboracja“ auf dem polnischen Label Klub Plytowy Razem herausgebracht. Wie bei praktisch allen Veröffentlichungen im Polen der frühen Achtziger waren auch hier wieder Tapes im Umlauf, wobei es parallel eine streng limitierte und zensierte Vinylauflage gab. Es folgten im Jahr 1989 die Scheiben „Kolaboracja II“ und 1990 „Wszyscy Przeciwko Wszystkim“. Das aktuelle Werk „Klamstwo To Nowa Prawda“ ist nun die zehnte Scheibe in der Historie von DEZERTER. Musikalisch haben sie von dem eingeschlagenen Weg des schnörkellosen, oftmals leicht sperrigen Midtempo-Punkrock lediglich in Nuancen abgewichen. Geblieben sind auch nach der Öffnung des Ostens eine kritisch-intelligente Protesthaltung gegenüber Staat, Kirche und Institutionen. Genießen konnte die Band weltweite Konzerte von Großbritannien bis Japan und die USA. Illegale Touren hatten bereits in den späten Achtzigern im Westen Europas stattgefunden, in Deutschland, Frankreich, Schweiz oder Holland. „Klamstwo To Nowa Prawda“ enthält neun klassische DEZERTER-Songs und deckt die gesamte Bandbreite der Band ab, wobei der Anteil an knackigen, straighten Tracks deutlich überwiegt. Mit „Dzien dobry, dzien zly“ startet Seite zwei mit einem Uptempo-Smasher, um mit dem düsteren „Brunatny“ standesgemäß auszuklingen. Der Sound ist absolut transparent mit trockenem, prägnanten Drumming. Wie immer liegen die Texte sowohl in der polnischen als der auch englischen Version bei. Sieben Jahre nach dem letzten Output „Wiekszy Zjada Mniejszego“ erschienen, steht „Klamstwo To Nowa Prawda“ aus meiner Sicht für das Lebenswerk von DEZERTER, auch wenn ein Ende glücklicherweise nicht abzusehen ist. Respekt für alles!