BURNING HEART RECORDS

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Im Club der brennenden Herzen

Peter Ahlqvist und sein Label Burning Heart begleiten das Ox schon seit Anfang an, und so war es nach einem frühen Interview, das ich für #21 führte (und das in „Ox - das Buch“ nachzulesen ist), Ehrensache, zum zehnjährigen Bestehen des schwedischen Labels mal wieder mit Peter zu sprechen. Okay, die ersten Platten erschienen schon 1993, aber so richtig losgelegt wurde 1994, und die Jubiläums-Compilation erschien auch erst Ende 2004. Interessant war für mich dabei zu ergründen, wie sich das anfangs fast nur über MILLENCOLIN und Co. wahrgenommene Label seit Mitte der 90er von einer Plattform für typischen Melodypunk zum heutigen „Indie-Riesen“ entwickeln konnte. Der steht zwar nach einer Beteiligung von Epitaph vor ein paar Jahren nicht mehr ganz auf eigenen Füßen, brachte aber mit den HIVES und THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY zwei der erfolgreichsten Bands aus der Punk/Hardcore-Szene auf den Weg, nicht zu vergessen die immer noch aktiven MILLENCOLIN und der Spätzugang TURBONEGRO.

Peter, als ich vor diesem Interview einen Blick in meine Plattensammlung warf, stieß ich auf meine ersten Burning-Heart-Platten, die einen Aufkleber trugen „Im Vertrieb von Plastic Bomb“. Das war ganz am Anfang der Labelgeschichte, oder?


„Ja, richtig, das war ganz zu Beginn, und noch bevor sich der damals große Vertrieb Semaphore für uns interessierte, halfen uns Plastic Bomb. Und parallel dazu auch Fire Engine, die es ja auch längst nicht mehr gibt. Wir wechselten dann zu Semaphore, das muss so Anfang 1995 gewesen sein. NO FUN AT ALL war da schon raus, die erste MILLENCOLIN-Platte gerade erschienen. Die bestellten damals gleich eine richtig großen Menge Platten, das war für uns eine ziemliche Sensation. Das war ein komisches Gefühl, dass man uns so große Beachtung schenkte. Ich kannte das ja etwas anders, hatte in den 80ern mit Uproar Records schon ein kleines Punkrock-Label gemacht, meine Platten mit zig anderen kleinen Labels getauscht – es war echt schwer, Punk-Platten zu verkaufen. Und dann bekommen wir plötzlich für NFAA und MILLENCOLIN von Semaphore eine Bestellung über je 5.000 Platten, da waren wir erst mal baff. Und die bezahlten sie auch gleich, das war echt ein guter Deal. Das war eben die Zeit, als nach GREEN DAY und OFFSPRING, PENNYWISE und NOFX Punk so einen richtigen Boom erlebte. Und da kamen die ganzen schwedischen Bands und Burning Heart eben genau zur rechten Zeit. Es war schon sehr erstaunlich, welches Interesse uns aus ganz Europa entgegenschlug, was sich noch steigerte. Deutschland war da ganz vorne mit dabei, aber auch Holland. Und natürlich Schweden. England etwa kam erst viel später.“

Die Zeiten haben sich geändert, und mit dem Melodypunk, der damals schwer angesagt war, kann man heute bei weitem nicht mehr in dem Maße begeistern.

„Das mag wohl sein, aber es hat einer Band wie MILLENCOLIN nicht geschadet, die sind auch heute noch groß, verkaufen noch genauso viele Platten. Oder nimm eine Band wie TAKING BACK SUNDAY: Die haben vielleicht einen stärkeren Emo-Einschlag, aber an sich ist deren Sound nicht viel anders. Aber unbestritten gab es für diesen Sound einen gewissen ‚Backlash‘, es kamen viele nach, die ziemlich langweilig waren, aber das ist ja in jedem Genre so. Nach einer Weile werden die Leute der Sache überdrüssig, finden, dass sich alle Bands gleich anhören. Ich denke jedoch, dass es zu jeder Zeit für eine Band möglich ist, mit Pop/Melodic-Punk richtig groß zu werden. Klar, ob es noch mal zu so einer ‚Explosion‘ wie damals kommen wird, ist fraglich, aber aus den USA kommen ständig neue Bands nach. Außerdem waren wir ja nie ein Label nur für Melodic-Punk, wir hatten schon von Anfang an eine große Bandbreite.“

Von außen wurde Burning Heart aber schon irgendwie wahrgenommen als „dieses schwedische Label, das diese ganzen Melodic-Punk-Bands rausbringt“.
Ist dir das mal irgendwie bewusst geworden, und wie hast du reagiert?

„Ich denke, das Klischee hat nie gestimmt. Nimm nur mal MINDJIVE, die wir ganz zu Beginn machten, und die eher groovigen Sound à la BEASTIE BOYS spielten. Aber klar, ich weiß, was du meinst, das verfolgt uns bis heute. Erst neulich las ich zur neuen NASUM-Platte eine Rezension in der Art, dass die Platte jetzt auf diesem Funpunk-Label erschienen sei. Aber so ist das eben, die Leute sehen das, was sie sehen wollen. Und ich kann auch nicht bestreiten, dass wir durch die SATANIC SURFERS, NO FUN AT ALL und MILLENCOLIN groß geworden sind, dass viele Leute sich nicht wirklich für die anderen Bands des Labels interessierten, bzw. in weit geringerem Umfang, etwa für BREACH. Aber wir wollten immer schon auch anderen Sound rausbringen, nicht nur Punk und Hardcore, und so brachten wir auch auf einem Sublabel eine HipHop-Band wie LOOPTROOP raus. Auch die HIVES, T(I)NC oder TURBONEGRO fallen aus dem Rahmen, doch sind auch das Leute, die aus der Punk/Hardcore-Szene kommen und somit zu uns passen. Und sogar MONEYBROTHER, die sind zwar stilistisch weit weg von Punk, doch mit der Vorgängerband MONSTER bewegte man sich zwischen SHAM 69 und BAD BRAINS. Diese Punkrock-Attitüde ist uns auch wichtig im Umgang mit unseren Bands: die müssen wissen, wie wir arbeiten und worum es uns geht. In dieser Hinsicht haben wir uns nicht verändert, auch wenn wir heute Bands veröffentlichen, über die man sagen könnte, dass sie etwas mehr Mainstream sind.“

Sind dir in all den Jahren auch mal Zweifel an deiner Arbeit gekommen, etwa wenn man nur mit sinnloser Büroarbeit beschäftigt ist, anstatt sich um das Veröffentlichen neuer Platten zu kümmern?

„Ich denke, das kennt jeder, der sich selbständig gemacht hat. Es gibt Probleme mit Bands, mit Mitarbeitern, mit diesem und jenem, du hast nur noch mit Verträgen zu tun, und jeder in unserer Branche fragt sich wohl manchmal, warum er das alles noch macht. Mir ging das ganz besonders so, als wir dieses große Problem mit den HIVES hatten, da wusste ich echt nicht mehr, warum und wofür ich das alles mache. Das hat mich alles echt deprimiert. Und zu allem Überfluss kam dies auch noch in der gleichen Woche, als die Beziehung mit meiner langjährigen Freundin zerbrach. Das war im Sommer 2002, das Label lief sehr gut, ich machte das alles schon seit Jahren, hatte nie Zeit gehabt, groß über mein Leben nachzudenken, alles ging immer weiter. Und dann plötzlich diese beiden Ereignisse, die mich dazu brachten, über alles nachzudenken, mich zu fragen, ob ich mit dem, was ich tue, wirklich weitermachen will. Ob ich in zehn Jahren auch noch Punkplatten rausbringen will, wohin sich das Label bewegen wird, und auch viele grundsätzliche Fragen über mein Leben. Es sind eben immer solche Krisensituationen, die dich zum Nachdenken bringen. Und letztlich hatte das alles auch eine gute Seite, denn ich musste eben ein paar grundsätzliche Sachen klären, und wie sagt man immer so schön? Was dich nicht tötet, macht dich nur noch stärker. Und wir waren ja nicht das erste Label, dem das passiert ist, also dass die größte Band plötzlich weg ist. Und so machte ich mir Gedanken darüber, warum ich damals überhaupt begonnen hatte, Platten rauszubringen, stellte fest, dass das wirklich das ist, was ich auch heute und in Zukunft noch machen will – nur in mancher Hinsicht anders. Und dass man eben mit der ganzen Business-Seite leben muss, auch wenn es keinen Spaß macht.“

Andere Leute werden durch so was verbittert und zynisch.

„Ich denke, ich werde niemals anfangen die Punkszene zu hassen oder aufhören, diese Musik zu hören. Okay, ich höre derzeit nicht viele neue Punkbands, aber die Musik ist immer da, um mich herum, und sie wird es auch bleiben. Punk und Hardcore waren und sind für mich die wichtigste Musik, und so ist das eben mit Dingen, mit denen man aufwächst, die kommen immer wieder zu dir zurück. Ich habe jetzt wieder richtig viel Spaß an dem, was ich mache, und der Job, den ich mache, ist so viel besser als alles andere, was für mich in Frage gekommen wäre. Eine Alternative zum Mainstream zu sein, für eine gewisse Einstellung einzutreten, das ist mir wichtig. Manchmal würde man sich natürlich auch gerne beweisen, dass man auch was anderes gut kann, und das geht wohl jedem so, der eine Weile selbständig ist. Aber letztlich weiß ich auch, dass ich mich bei einem Label in der Größe von Burning Heart auf das konzentrieren muss, was ich wirklich kann.“

Das kleine Haus in Südfrankreich und Gärtnern als Hobby muss also noch etwas warten.

„Hahaha, ja, manchmal gehen die Gedanken schon in solch eine Richtung. Aber in der Tat könnte ich mir vorstellen, mal etwas mit Lebensmitteln oder Essen zu machen. Und ich denke, es ist wichtig, dass man sich Gedanken über sein weiteres Leben macht, speziell wenn man in der Musikbranche tätig ist, in der sich derzeit so viel so schnell verändert. Zum Beispiel weiß ich im Moment noch nicht, ob MILLENCOLIN in Zukunft noch auf Burning Heart sein werden. Es gibt ein Angebot von einem Majorlabel, das entscheidet sich am Montag und das macht mich schon etwas nervös.“
(In der Zwischenzeit fiel die Entscheidung: MILLENCOLIN bleiben BHR treu!)

Wie ist nach der HIVES-Erfahrung dein Verhältnis zu Majors?


„Also meine ersten Erfahrungen waren nicht schlecht, als ich damals mit Warner in den USA wegen der HIVES zu tun hatte. Da lief die Zusammenarbeit mit Epitaph und uns gut. Den HIVES allerdings gefiel der Deal nicht und sie ließen sich auf Universal ein. An sich kann ich deshalb nicht viel zu Majorlabels sagen, denn wir haben kaum mal mit einem gearbeitet, und auch die Sache mit HIVES und Warner lief über Epitaph, unserem US-Kooperationspartner. Davon mal abgesehen, sehe ich natürlich, vor was für Problemen die Majors heute stehen, wie wenig flexibel sie sind und wie sehr sie sich verändern müssen. Auch die Tendenz, dass sie verstärkt Bands von Indie-Labels einkaufen oder stehlen werden, sehe ich ganz klar. Wir haben auch über die letzten zehn Jahre immer versucht, in Europa mit Indie-Vertrieben zu arbeiten, wobei ich nicht grundsätzlich dagegen bin, in einem Land mit einem Major als Vertrieb zu arbeiten, wenn das nötig ist oder die Band das will. Die Grundidee als Label ist aber schon, independent zu arbeiten, so weit das geht. Oft weißt du aber auch gar nicht, wer in welchem Land für die Logistik zuständig ist, ob da nicht ein Lagerhaus oder Presswerk Sony gehört und so weiter.“

Epitaph ist ein Label, mit dem ihr eng zusammenarbeitet und dem ein Teil von Burning Heart gehört.

„Ja, 51%, um genau zu sein. Aber ich bin trotzdem noch der Boss von Burning Heart, ich treffe die Entscheidungen, doch wir arbeiten in vielen Bereichen eng zusammen, etwa was den Vertrieb anbelangt oder die digitalen Rechte, also den Download-Bereich. Und auch im Verwaltungsbereich arbeiten wir eng zusammen, was viel Geld spart und mir Arbeit abnimmt, und mir so mehr Zeit lässt, mich um die Bands zu kümmern. Außerdem können durch diese Kooperation auch all unsere Platten in den USA erscheinen, und das war früher wirklich sehr schwierig.“

Wie viele Leute arbeiten denn heute für Burning Heart?

„Wir sind zu siebt hier im Büro, und von Mudda, Calle und Sejka, die meine ersten Angestellten waren, arbeiten zwei auch heute noch hier. Nur Calle ist nicht mehr dabei, der arbeitet heute als Videoproduzent. Zwischenzeitlich waren wir auch mal zu zwölft, als das mit den HIVES losging, wollte ich sogar noch mehr Leute einstellen, doch dann verließen uns die HIVES, die Probleme der Musikindustrie verschärften sich, wir verloren viel Geld durch die Pleite von Vertrieben und der Dollarkurs wurde immer schlechter. Da kam viel zusammen, und so musste ich Leute entlassen. Jetzt haben wir ein kleines, gutes Team, und das macht vieles einfacher, auch wenn wir mehr arbeiten müssen. Und es war natürlich kein gutes Gefühl, Leute entlassen zu müssen, das ist immer hart. Aber die Zeiten für Plattenfirmen sind eben auch härter geworden.“

Inwiefern? Und hat das deiner Meinung nach etwas mit der Download-Thematik zu tun?

„Was das anbelangt, so kann ich dazu nicht viel sagen, denn ich selbst downloade kaum Musik. Ich mag das irgendwie nicht, kann aber nachvollziehen, dass das für Kids einen großen Reiz hat. Eine gewisse Art von Kontrolle sollte es auf jeden Fall geben, und ich glaube auch daran, dass jemand das Recht haben sollte, die Vervielfältigungsrechte an Musik zu besitzen – die Band oder wen auch immer sie damit beauftragt. Klar, bin ich Punkrocker, aber ich denke auch, dass ein Label, das Geld für eine Band ausgibt, sowie die Band selbst dafür bezahlt werden sollten. Ich denke, das Internet ist eine großartige Sache, und es gibt ja auch jede Menge Musik auf legale Art, auf den Seiten der Bands und der Labels. Die Argumentation von Internet-Piraten, wie denen hier in Schweden, die sagen, dass alle Musik umsonst sein müsste, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn wirklich alle Musik umsonst wäre, okay, aber nicht, wenn das nicht für alle gilt – und solange die Bands ständig mehr Geld wollen für die Studioaufnahmen. Ich sage ja nicht, dass gute Musik auch in der Herstellung teuer sein muss, aber wenn ein Label nicht das Recht hat, für die Musik Geld zu verlangen, wird es für eine Plattenfirma auch immer schwerer, Geld für eine Band auszugeben. Ich sehe aber auch, dass sich Gegebenheiten verändern, und es kann schon sein, dass es für eine Band Sinn macht, ihre Musik auf der Website umsonst anzubieten und dafür mehr für ihre Eintrittskarten oder T-Shirts zu verlangen. Doch so recht mag ich nicht daran glauben, dass das die Lösung ist. Außerdem muss man die Klagen der großen Plattenfirmen auch vor dem Hintergrund sehen, dass die in den Jahren zuvor auch echt gut verdient haben, speziell am Verkauf ihres Katalogs, also der ganzen alten Platten. Parallel zum Boom des Internets und der IT-Branche mussten sie in den letzten Jahren wieder realistischer werden, und das ist gut so.“

Und, hat die CD eine Zukunft?

„Das ist schwer zu sagen. Erst mal werden Downloads und CDs parallel existieren. Ich persönlich habe in letzter Zeit wieder sehr viele CDs gekauft, aber mich noch nie an Downloading gewagt. Aber das hat vielleicht auch was damit zu tun, dass wir hier in Schweden noch kein iTunes haben, haha.“

Burning Heart ist trotz seines internationalen Erfolges bis heute ein Label, das fast nur schwedische Bands veröffentlicht. Wie kommt das?

„Je weiter eine Band von unserem Büro entfernt ist, desto schwerer wird es auch, eine persönliche Beziehung zu ihr aufzubauen, doch genau das ist uns sehr wichtig. Ich war ein paar mal versucht, eine deutsche Band zu signen – etwa die DONOTS oder DAYS IN GRIEF –, und wir hatten auch schon die eine oder andere US-Band, etwa SAMIAM. Doch gerade was US-Bands anbelangt war das Problem spätestens dann da, als sie bei einem anderen Label unterschrieben, zum Beispiel FLOGGING MOLLY. Immerhin haben wir seit 2003 ein Büro in Deutschland, das Gero von Berlin aus führt, und so werden wir sicher bald eine deutsche Band im Programm haben. Insgesamt aber ist der Hintergrund schon der, dass man mit einheimischen Bands einfacher arbeiten kann und den Heimatmarkt vor der Tür hat. Es gibt natürlich auch in Italien oder Spanien gute Bands, aber da kenne ich die Gegebenheiten vor Ort nicht, und das ist ein Nachteil. Zudem singen die meisten schwedischen Bands auf Englisch, was ein großer Vorteil ist. Und weil Schweden so klein ist, sind wir Schweden schon immer gezwungen gewesen, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Und außerdem muss man auch sagen, dass das Geschäft schon schwer genug ist, da muss man sich nicht noch zusätzlich Probleme aufbürden.“